Klabund
Roman eines jungen Mannes
Klabund

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XVII

Es war spät am Abend. Josua saß bei der Lampe, die ihm leuchtete, Hölderlins holde Dunkelheiten zu erhellen.

Mit gelben Blumen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilig nüchterne Wasser.

Unruhig schrillte die Haustorglocke.

Josua klappte das Buch zu. Man sollte nicht wissen, daß er Hölderlin lese. Sie würden ihn nur zur Kommentierung seines Daseins ausnützen und den einen durch den andern – verkennen.

Er trug das Buch in den Schrank. Er verschloß den Schrank und zog den Schlüssel ab.

Nervöse Leute, hohlklingend, ohne Inhalt, die sich die gebildete Gesellschaft benennen, haben die Angewohnheit, wenn sie zu Freunden, wohl auch zu Fremden kommen, sich zuerst auf das Bücherbrett an der Wand zu stürzen und in den Büchern zu wühlen, um eine Spitzmarke für sich zu suchen, unter mehreren Ach und Hm und Ohs. Unter dieser Spitzmarke treten sie einem dann gefaßt entgegen. Josua öffnete die Haustüre.

Es war Klaus.

Er hatte sich nicht einmal Zeit genommen, sich mit einem Regenschirm zu versehen. Er triefte vor Nässe.

»Servus, Klaus, du bist ja ganz außer Atem. Was gibt's?«

Klaus schüttelte sich in seinem Lodenmantel wie ein Pudel und trat ein. Er zog ein Zeitungsblatt aus der Tasche.

»Hast du das Abendblatt schon gelesen?«

»Ich lese überhaupt keine Zeitung, Klaus. – Rauchst du eine Zigarre?«

»Danke. – Lies.«

Klaus bezeichnete ihm mit dem Finger die Rubrik Selbstmord.

Josua las.

Dann sagte er langsam:

»Ich werde mir den Ausschnitt einrahmen lassen.«

»Das solltest du tun, Josua.«

Klaus schüttelte sich vor Schmerz:

»So weit hast du's nun gebracht.«

Josua lächelte betrübt und betroffen:

»So weit habe ich es nun gebracht. Ich bin stolz darauf.«

Klaus prallte zurück.

»Stolz? Auf deine Gemeinheit? Du hast sie in den Tod getrieben.«

»Ich ... ich ... und kein anderer.«

»Josua!«

Klaus spie es ihm ins Gesicht. Dann fiel er ins Sofa zurück, daß die Sprungfedern knackten.

Josua trat auf ihn zu und streichelte ihm die schweißige Stirn.

»Lieber Klaus, ich weiß, du hast Lili geliebt. Und es ist mir unbegreiflich, daß sie deine treue, und verzeih, ein wenig dumme Liebe, nicht erwidert hat. Es tut mir wirklich leid. Aber sie hat sich meinetwegen das Leben genommen.«

»Hund!«

»Wozu die starken Ausdrücke, lieber Klaus. Ich würde es Lili nie vergeben haben, wenn sie nach dem, was vorgefallen ist, am Leben geblieben wäre. Ja, weiß Gott, vielleicht hätte ich mich ins Wasser gestürzt. Denn ein Leben ohne ihren Tod wäre mir nicht lebenswert erschienen.« »Sie war in all ihrer Verworfenheit unschuldig – bis sie dich kennen lernte.«

»Es ist so leicht, jemand zu verführen, so schwer, jemand mit seinen eigenen Waffen ... zu ermorden. Der Selbstmord dieses kindlichen Geschöpfes um meinetwillen gibt mir ein Gefühl von Größe und Erhabenheit. Verzeih, aber deinetwegen wäre sie höchstens bis zum Standesamt gelaufen.«

Klaus erhob sich.

»Ich weiß nicht, womit du mich immer wieder an dich kettest.«

»Mit meiner Sachlichkeit. Mit meiner Selbstverständlichkeit, mit meiner Schamlosigkeit. Sie ist heutzutage selten schlackenrein zu finden, und doch wahrhaftiger als die Wahrheit. Sie ist die einzige Tugend, die aus dem Laster keine Not macht.«

Klaus trat in den Korridor.

Josua öffnete die Haustüre.

Er sah am Gartenzaun draußen einen Schatten verhuschen. »Wer ist denn das?«

Klaus suchte in seiner Erinnerung.

»Es ist Lilis sogenannter Bräutigam, ein Schmiedegeselle. Ich weiß nicht, wie sie zu dem gekommen ist.«

Er blickte angstvoll auf Josua: »Du solltest dich in acht nehmen! Du wohnst so einsam hier draußen.«

Josua drückte ihm lachend die Hand.

»Sorge dich nicht! Noch vielen Dank für deine Freudenbotschaft. Ich habe ein gutes Gewissen, auf dem sich, in deinem Idiom gesprochen, ja sanft ruhen läßt. Gute Nacht. Ich fühle mich zum erstenmal seit meiner Konfirmation so recht zufrieden. Damals nämlich blühte mir das erste große Glück meines Lebens: ich durfte das Abendmahl nehmen aus einem Kelche, an dem vor mir Ruths Lippen geruht hatten. Gibst du mir nicht die Hand?«

Klaus reichte sie ihm.

»Man kann dich nicht beschimpfen ... Man macht dir ja doch nur Komplimente, wenn man dir etwa die Hand nicht geben wollte.«

Josua verneigte sich und kreuzte die Arme wie ein Brahmane:

»Klaus, deine Selbsterkenntnis macht dir alle Ehre ...«

Klaus dachte einen Augenblick nach. Sein roter Vollbart sträubte sich in tausend haarigen Nadeln.

»Josua, manchmal glaube ich du bist ein Märtyrer.«

»Vielleicht, Klaus, vielleicht.«

Er schloß das Haustor.

Ein Regentropfen war ihm von der Dachrinne ins Auge gefallen.


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