Klabund
Roman eines jungen Mannes
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VI

Damals standen in der Stadt noch die alten Stadtmauern und der eine Turm des Odertores. In diesem Turm vegetierte eine Fleischerei und wenn Josua von Frau Triebolick ausgeschickt wurde, Fleisch zu holen, ein Beefsteak für den Vater zum Abend, wenn er müde und hungrig vom Geschäfte heraufkam, oder ein Kotelett – immer ging er in diesen alten Turm, der ihn mit Schauern geheimnisvoller Vergangenheit umwehte. Wenn Josua in diesem scheu verehrten Symbol geschichtlicher Größe hätte wohnen müssen, er wäre gestorben vor Ehrfurcht und Angst – aber nicht aus Angst vor Gespenstern.

Gespenster liebte Josua schon früh mit Leidenschaft und konnte stundenlang am Kirchhofgitter abends stehen und, die Stirn an die Stäbe gepreßt, in das vom Rauschen der Blätter und Klappern der toten Knochen bewegte Dunkel starren.

Oder stundenlang in der Nacht wachliegen und aus Gardinen, Schränken, Ofen sich die seltsamsten Gestalten bilden, mit denen er verwegene Gespräche hielt.

Am ergiebigsten erwies sich seinen Phantasien die dicke, weiße Bettdecke. Sie ließ sich formen und nach Belieben kneten – wenn der Mond auf die weiße Fläche schien, nahm sie unter Josuas geschickten Händen die absonderlichsten Ausdrücke an: Bald war sie eine Ratte, bald ein Reiter, bald ein Ungeheuer der Urzeit, bald stellte sie Menschen seiner Umgebung und Bekanntschaft dar, zum Beispiel Ruth.

Meistens brachte er Ruth in einen Zusammenhang mit der Ratte, weil Ruth und Ratte ihm zusammenklangen.


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