Paul Keller
Drei Brüder suchen das Glück
Paul Keller

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Idyll

Am nächsten Tage kam Kurt mit einer großen Neuigkeit nach Hause. Der »Löwe« war wieder da, der Engländer, der mit dem Elefanten Johann gekämpft hatte. Er war in den »Dessauer« gezogen, in das Hotel, in dem sein Freund und ehemaliger Sozius nun »dirigierender Haushälter« war. Sie hatten sich in den Armen gelegen, und der Elefant hatte den Löwen so an die Brust gedrückt, daß diesem die Luft ausging und er sich nur durch einen Kinnhaken befreien konnte. Nach dem Kinnhaken milderte sich Johanns Wiedersehensfreude. Aber es blieb halt doch eine starke Freude. Kurt berichtete mit großem Stolz, er sei gewürdigt worden, in den Freundeskreis einzutreten; der Engländer habe echten Whisky mit Soda zum Besten gegeben und auf ihn gesungen:

»You are a very good fellow,
Hipp – hipp – hurrah.«

Im übrigen käme der Engländer zu einer großen Sache gerade wie gerufen. Diese große Sache würde nun von dem Triumvirat »geschmissen« werden.

»Um Himmelswillen, ihr wollt doch nicht wieder einen Tierzirkus eröffnen, etwa Löwe, Elefant und Äffchen?«

Kurt sah seinen Bruder verachtungsvoll an.

»Herr Referendar, ich ersuche Sie ernsthaft, mich vom heutigen Tage an auf volle sechs Wochen mit keinem Worte anzureden, noch sonstwie zu stören oder zu behelligen.«

»Ihr Wunsch ist mir Befehl, Herr Eleve!«

»Hipp, hipp, Hurrah!« sang Elmar.

»Ruhe im Lande!« gebot Julia.

*

Abends im Bette fragte Julia:

»August, ist dir noch nichts aufgefallen?«

»Mir ist aufgefallen, daß heute Abend die Suppe schwach versalzen war.«

»Ich werd' dich! Ich versalze nichts, höchstens dir manchmal deine unerlaubten Abenteuer. Ist dir nichts an unserem Richard aufgefallen?«

»An Richard? Nein, ich denke, er sieht gut aus und ist recht munter und aufgeräumt?«

»Siehst du, August, manchmal merkst du sogar etwas Zutreffendes. Er ist munter und aufgeräumt; er ist der lustigste der drei Jungen.«

»Der lustigste ist Kurt!« warf August ein.

»Nein, nicht Kurt! Kurt ist ein Hanswurst, ein Hallodri! Richtig von Herzen tief fröhlich ist nur Richard, er, der immer so ernst, so schwer niedergedrückt war. Das muß dir doch auffallen. Mann!«

»Es fällt mir auf!« sagte der Mann.

»Na, und diese Wandlung muß doch einen Grund haben, und dieser Grund kann doch nur die Liebe sein!«

»Von Liebesgeschichten verstehe ich nichts,« brummte Breise.

»O, du Filou! Also, kurz und gut: die beiden sind einig.«

»Wer? Der Engländer und der Johann?«

Julia verschluckte ein Schimpfwort, das übrigens gar kein Schimpfwort ist, sondern der ehrliche Name eines braven Tieres, das in der Wüste lebt. Die Menschen sollten ihre Schimpfnamen dem edlen Tierreiche nicht entnehmen, sondern dem Charakterschatze ihres eigenen Bezirks. Kein Tier hat etwas Schimpfliches an sich.

August Breise grübelte; endlich sagte er:

»Ich krieg's nicht raus, worauf du hinzielst; bitte, verdeutliche dich.«

»Nun, bei deiner langen Leitung kommen wir nicht weiter. Also, so sag' ich's kurz heraus: sie werden sich heiraten.«

»Wer? Der Kommerzienrat und die Sabina?«

Wieder wurde ein edles Wüstentier verschluckt. Aber plötzlich kam eine große Rührung über Julia. Sie schluchzte.

»Unser lieber Junge Richard und mein goldenes Irenchen werden sich heiraten.«

Mit einem Ruck saß August Breise aufrecht im Bette.

»Wieso? Woher weißt du das?«

»Frauen wissen vieles, was Männer nicht einmal ahnen. Ich hab's eben gespürt. Und dann hat es mir der Argos verraten.«

»Der Hund?«

»Ja; ich kam ja gar nicht mehr dazu, den Hund abends an das Irenchen zurückzuliefern; das tat jeden Nachmittag nach Büroschluß der Richard. Na, dir wäre ja nichts aufgefallen –«

»Das wäre mir ungeheuer aufgefallen!«

»Nein! Mir fiel's auf. Eines Tages ging ich Richard und dem Hunde nach. Du weißt, August, daß ich niemals schnüffele noch nachspüre.«

»Nein, das tust du nicht, mit einer einzigen Ausnahme, und diese Ausnahme bin ich.«

»Schweig', du Filou, denn bei dir ist es nötig! Aber auch hier war's nötig! Wer eine solch' schwere Verantwortung übernommen hat, wie ich, der muß wissen, was rund um ihn vorgeht. Also, denke dir, August, ich sehe von weitem unseren Richard und unser goldenes Irenchen auf einer Promenadenbank sitzen; er hielt sie an der Hand. Was sagst du nur dazu! An der Hand hielt er sie. Ich wollte mich diskret zurückziehen, da passierte ein Zwischenfall. Nämlich, das junge Paar hatte ganz auf den Hund vergessen. Argos trieb sich in der Promenade herum, was ja streng verboten ist. Schließlich fiel es dem blöden Vieh ein, einen Schupo zu verbellen. Der Schupo wollte ihn greifen, seine Markennummer feststellen, aber Argos rückte aus, er wilderte davon, der dicke Schupo lief hinterher, die Kinder lachten gellend; das Paar auf der Bank merkte von all dem nichts. Plötzlich eräugte mich der verfolgte Argos, sprang hoch an mir, riß mich beinahe um. Die Kinder schrien: ›Dort, Herr Schutzmann, er ist dort bei der Frau!‹ Der Schutzmann kam ran. Viel Luft hatte er nicht mehr übrig. Er fragte, wem der Hund gehöre. Da habe ich gesagt: ›Herrn August Breise, Hauptportier im Hotel Continental‹. Das notierte er.«

Mit einem Ruck saß August Breise wieder aufrecht. Er schlug mit der flachen Hand auf sein Deckbett.

»Also deshalb habe ich das verdammte Strafmandat gekriegt?«

»Ein Strafmandat?«

»Nun natürlich, wenn einen die eigene Frau denunziert. Es ist mir gar nicht eingefallen, das Strafmandat zu bezahlen; ich habe gerichtliche Entscheidung verlangt. Zwanzig Mark Vorschuß habe ich dem Rechtsanwalt geben müssen.«

Wieder glitt das bekannte »Schiff der Wüste« bis auf Julias Zunge, wurde aber verschluckt und verankerte sich im Magen. Dann war es eine Weile still, und dann fing Julia an leise zu weinen. Das Weinen ging allmählich in ein leises Beten über.

»Lieber Gott, wenn du es in Gnaden so fügest, daß unser Sohn Richard und unser goldenes Irenchen ein glückliches Paar werden, dann will ich dich preisen und dir danken bis zu meiner letzten Stunde, denn dann kann meine selige Herrschaft, unser Herr Geheimrat und meine engelsgute gnädige Frau, endlich in Frieden ruhen.«

»Amen!« sagte Breise ergriffen.

Sie schwiegen nun eine Weile. Dann sagte Julia:

»August, gib mir einen Kuß. Bist ein guter Mann.«


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