Paul Keller
Drei Brüder suchen das Glück
Paul Keller

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Vater und Tochter

»Und du empfindest es nicht als Unrecht, was wir den Verwandten zugefügt haben?«

»Was haben wir den Verwandten zugefügt?«

»Sie haben all ihr Vermögen durch uns verloren!«

»Durch uns? Durch die Zeitverhältnisse haben sie es verloren! Habe ich den Krieg angezettelt, habe ich ihn verloren gemacht, habe ich nicht Tag und Nacht geschuftet fürs Vaterland ...«

»Um Geschäfte zu machen, hast du gearbeitet,« sagte Irene hart. »Lediglich des Geschäfts wegen. Das Wort »Vaterland« spricht man heutzutage am besten gar nicht aus.«

»Du vergissest, wer du bist, und wer ich bin. Was unterstehst du dich, du unreifes Ding.«

»Ich bin kein unreifes Ding.«

»Hoho!« lachte Herr Franz Bruckner rauh, »wohl weil du das Abitur hast, das sogenannte Reifezeugnis, und weil dein Vater in der Sekunda abgegangen ist – deshalb! Ich will dir was sagen, liebe Tochter – das Leben erkennt dein Reifezeugnis nicht so ohne weiteres an. Das Leben stellt seine Reifezeugnisse selber aus. Sieh dich nur um, sieh nur zu, was die Abiturienten mit ihrem Dokument ausrichten, und wie viele von ihnen froh sind, als minderbezahlte, untergeordnete Angestellte bei einem ehemaligen Volksschüler unterzukommen. Nein, non scholae, sed vitae discimus, sagt der alte Seneca. So viel weiß ich noch.«

Er ist brutal, dachte Irene. »Was willst du eigentlich? Verwöhne ich dich nicht?«

»Ich will nicht verwöhnt sein! Die Brucknersöhne müssen von der Güte eines Portierehepaares leben, einer hat Kellnerlehrling werden müssen, der zweite sucht kümmerlich bei einer Zeitung sein Brot, der dritte erhungert sich als Referendar durch Stundengeben seinen Unterhalt. Der ist der beste von allen.«

»So – so,« sagte Herr Bruckner, ein massiver Mann. Er verlor die gewohnte Glätte seines dicken Gesichts und fuhr sich mit den Fingern in den Halskragen.

»Woher weißt du das alles? Was kümmert es dich?«

»Ich habe mich erkundigt.«

»Nun, ich werde mich auch erkundigen, ob das nun alles so stimmt. Ein Bekannter hat mir erzählt, er hätte neulich durch Zufall mit einem Referendar Dr. Bruckner Tennis gespielt. Der werfe mit Trinkgeldern an Ballaufsammler herum. Ist das der, der hungert?«

»Nein, das kann er nicht sein; er ist Referendar, aber er hat noch nicht den Doktortitel. Er kann auch sicherlich nicht mit Trinkgeldern herumwerfen, denn er hat nichts.« »Nun, er wohnt Salzstraße Nr. 15 bei einem Portierehepaar namens Breise.«

»Das ist nicht möglich!«

»Liebes Kind, heutzutage ist alles möglich. Ich rate dir gut und väterlich, dein eigenes Leben zu leben und dich um die Brucknersöhne von drüben, vor allen Dingen aber um meine Geschäfte nicht das mindeste zu kümmern.« »Ich werde mich darum kümmern! Vater, es ist mir jetzt bekannt, daß die Frau Geheimrat Bruckner ihr ganzes Vermögen im Jahre 1914 in Goldwert lieh – 750 000 Mark – dreiviertel Millionen Goldmark ...«

»Was geht das dich an?« zürnte der Kommerzienrat. »Ich brauchte das Geld für den Betrieb. Ich habe alle die Kriegsjahre sehr hohe Zinsen an die Leute gezahlt.«

»Das hast du! Aber als der Krieg aus war, hast du das Geld zurückgegeben. Wann war das doch, als du es zurückgabst?«

»Wie soll ich das wissen? Wie soll ich mir so etwas merken?« brauste Bruckner auf.

»Wenn du es vergessen hast, will ich es dir sagen: am 1. Oktober 1922 hast du das Geld zurückgegeben.«

»Den ganzen Betrag,« rief Bruckner, »750 000 Mark!«

»Jawohl, den ganzen Betrag. Aber der ganze Betrag war nur noch 450 Mark wert, denn der Dollar stand am 1. Oktober 1922 über siebzehnhundert.«

Bruckner sprang auf, faßte die Tochter an den Schultern:

»Wer verhetzt dich so? Wer bläst dir das in die Ohren? Wer gibt dir solche Angaben? Sprich! Die Bruckners von drüben? Der Referendar?«

»Nein!«

»Wer also dann?«

»Das sage ich nicht!«

Bruckner ging ein paarmal auf und ab. Dann blieb er vor seiner Tochter stehen und sagte in milderem Tonfall:

»Da war ich nun sechs Wochen lang verreist. Was habe ich denn getan? Mich umgetrieben? Mich amüsiert oder auch nur erholt? Nein, gearbeitet habe ich. Und wie! Ich sage dir, Irene, solche Arbeit, wie ich sie zu tun habe, ist etwas anderes als in Akten zu lesen oder Theaterartikel zu schreiben oder im Hotel als Pikkolo: »Bitte sehr, bitte gleich!« zu sagen. Solche Arbeit, wie ich sie zu leisten habe, geht an die Nieren, geht an die Nerven, geht an Herz und Hirn! Bilde dir ja nicht ein, daß der Chef eines großen Betriebes einen leichten Stand habe, mit 'ner dicken Uhrkette auf der Weste, mit 'ner noch dickeren Zigarre im Munde, Brillanten an den Fingern, im Luxusauto lümmelnd herumkutschiert und hinter ihm in der großen Fabrik ausgesogene Proletarier sich für den Genüßling und Faulpelz abrackern. So stellen es die Witzblätter dar, das Leben stellt es anders dar, nämlich verdammt ernst. Es ist schwer, Irene, heute immer den richtigen Weg zu finden und nicht auszugleiten; es ist durchaus kein Witz, es ist verflucht schwer, heute auf dem Markte gerade zu stehen, nicht unter die Räder zu kommen.«

»Ich weiß, Vater, daß du nicht nur ein außergewöhnlich tüchtiger, sondern auch ein außergewöhnlich fleißiger Kaufmann bist.«

»Nun, was willst du also von mir? Willst du mir, dem der Kopf sowieso oft summt, unnütz neue Wirbel hineinsetzen? Für wen arbeite ich? Doch schließlich nur für dich, die du mein einziges Kind bist.«

»Du arbeitest zu viel für mich, Vater! Du hast mir wieder einen herrlichen Ring mitgebracht aus Paris. Der Ring ist wunderschön, aber gib mir lieber etwas anderes, lieber Vater.«

»Was soll ich dir geben?«

»Den Frieden des Herzens – die Ruhe des Gewissens!« Er setzte sich hin, ohne ein Wort zu finden.

»Bitte, Vater, hör' mich geduldig an. Sieh, ich lebe im Überfluß, aber ich habe oft einen zehrenden Neid auf arme Leute. Ich weiß, die haben nicht viel, aber das wenige, was sie haben, können sie in Ruhe und Vergnügtheit genießen; sie sind niemand auf Erden was schuldig und niemand in der Ewigkeit.«

»Du bist überreizt, Irene, du bist hochgradig nervös, du studierst zu viel, denkst zu viel! Man kann auf Erden in jedem Lande jemand etwas schuldig sein, aber doch nicht in der Ewigkeit! Wenn es da eine Bewohnerschaft überhaupt gibt, dann brauchen sie unsere paar Kröten von Geld nicht mehr, jedenfalls präsentieren sie keine Wechsel, schicken keinen Exekutor.«

»Wer weiß!« sagte Irene leise und sah ihren Vater an. Dessen dickes Gesicht wurde rot. Es war nicht zu entscheiden, ob aus plötzlicher Scham oder Zorn. Er schwieg lange. Dann sagte er endlich:

»Also reden wir nicht lange darum herum. Sag' grade heraus, was du von mir willst.«

»Ich will, daß du uns von den Bruckners loslöst, daß du diese Sache bereinigst. Wenn du das tust, werde ich immer deine gehorsame Tochter sein, werde ich gern mit dir zur Erholung reisen, wohin du willst.«

»Wovon soll ich mich loslösen? Was soll ich bereinigen? Ich verbitte mir das Wort ›bereinigen‹! Ich habe nichts zu bereinigen. Was willst du? Sag's endlich!«

»Ich will, daß du den Brucknersöhnen ihr Geld wiedergibst!«

»Ich hab's doch schon zurückgegeben!«

»450 Mark hast du zurückgezahlt! Das andere, es sind ohne Zinsen 774 550 Mark, haben sie noch von dir zu bekommen.«

Er saß mit weißem Gesicht da.

»Bist du geistesgegenwärtig, Irene?« »Ja, das Vermögen ist nicht durch die Inflation und die Zeitverhältnisse verloren gegangen. Es steckt in deiner Ende 1914 bis Anfang 1915 erbauten Fabrik, in Gebäuden, in maschinellen und administrativen Einrichtungen. Das Brucknersche Vermögen ist noch da!«

»Es ist nicht mehr da!« schrie Bruckner; »es ist entwertet, entwertet wie alles in dieser verfluchten Zeit.«

»Du bist reicher, als du je warst,« sagte unerbittlich die junge Fanatikerin, »und die Brucknersöhne sind arm.«

»Ein Quatsch ist das! 750 000 Mark soll ich jetzt aus dem Betriebe herausziehen! Irrsinn ist das! Purer Wahnsinn ist es! Pleite wären wir! Als Tippfräulein könntest du gehen, und ich ginge stempeln oder bei der Elektrischen Ritzen schieben.«

Er blieb plötzlich stehen und sagte:

»Kind, du bist krank.«

»Nein, ich bin nicht krank, ich denke gerade hinaus auf Gottes Wegen! Du bist krank, armer Vater! Was nützte es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewänne, aber an seiner Seele Schaden litte? So steht geschrieben.«

»Du bist für die Welt verdorben, Irene! Ach, daß ich dich in dieses Institut gab! Was sollte ich tun mit einem mutterlosen Kinde? Du hast in dem Institut viel Schulweisheit gelernt, und sie haben dich ja auch gewappnet gegen allen Schmutz und alle Erbärmlichkeiten des Lebens. Aber weißt du, was sie verdorben haben an dir, die frommen Tanten? Dein Gewissen!«

»Mein Gewissen haben sie verdorben?«

»Ja! Zwischen einem Fanatiker, einer Skrupulantin und einem schlechthin gewissenhaften vernünftigen Menschen ist ein großer Unterschied. Das Gewissen eines fanatischen, skrupulösen Menschen ist wie eine dünne, verkalkte Ader. Ein gesunder Blutstrom dringt nicht mehr mühelos durch. Überall drängt sich's, überall zwängt sich's, keine weiche Wand ist mehr da, es stößt sich, reibt an den Nerven, erzeugt ungeheure Schmerzen, Übelzustände, die normale Menschen nicht fühlen; es lähmt, es drückt nieder, macht gänzlich unfroh – das haben sie aus deinem Gewissen gemacht, Irene.«

»Vater, du weichst aus,« sagte Irene ungerührt.

»Vor was soll ich ausweichen? Gehe doch zu einem Juristen, zu welchem du willst...«

»Ich war schon bei einem Juristen...«

»Ach, so weit ist's schon gegen deinen Vater? Gehst hinter seinem Rücken zum Rechtsanwalt? Nun, was hat er gesagt?«

»Er hat gesagt, kein Richter könne dir was anhaben.«

Bruckner lachte kollernd.

»Na also! Kein Richter kann mir was anhaben? Selbstverständlich kann mir kein Richter was anhaben! Also bin ich doch im Recht!«

»Denen die Richter recht geben, brauchen noch lange nicht im Rechte zu sein. Es gibt nur einen allwissenden, allgerechten Richter, und das ist Gott.«

Wenn einem modernen Menschen das Wort »Gott« ins Gesicht springt, bekommt er das Frieseln. Es ist ihm das unangenehmste aller Wörter. Bruckner schüttelte sich.

»Gott! Na ja, Gott! Du glaubst daran, an dieses Idol, an diesen Begriff – ich nicht.« Irene sagte:

»In fünfzig Jahren wirst du auch daran glauben müssen. Du bist dreiundsechzig Jahre. Älter als hundertdreizehn wirst du nicht werden.«

»Mädel, willst du mich martern mit deiner Institutsweisheit? Mit deiner eingedrillten Höllenfurcht? Mit deiner Abrechnungspsychose im Jenseits?«

»Gar nichts will ich anders, als daß du dich besinnst und dich mit den Brucknersöhnen reinlich auseinandersetzest.«

»Also, daß ich ihnen, du schneeweißes Gänschen, durch das Scheckamt dreiviertel Millionen Goldmark zustelle und wegen verspäteter Zahlung um Entschuldigung bitte.«

»Die Angelegenheit liegt mir so im Herzen, daß ich auf Hohn und Beleidigungen nicht achte. Du darfst ruhig noch gröber werden, ich werde es ertragen, nur, ich bleibe bei meiner Meinung.«

»Ja, was verstehst denn du vom Leben? Dreimalhunderttausend Mark habe ich allein für die Kriegsanleihe gegeben. Nichts erhalte ich zurück. Siehst du, so behandelt der Staat seine Gläubiger.«

Das Mädchen ließ sich von ihrer geradeaus gerichteten Gedankenlinie nicht abbringen.

»Du weichst wieder aus, Vater! Durch den Staat sind allerdings, soviel weiß ich, ungeheuer viel Leute verarmt. Aber der Staat hat das Geld verloren – durch den Krieg – durch unsere habgierigen Feinde – das Geld ist einfach nicht mehr da – es ist verschwunden, und auch der beste Staat kann es aus der Luft nicht zurückgreifen. Dieses Unglück müssen alle gemeinsam tragen.«

»Hehe! Gemeinsam tragen! Hehe! Nur die Brucknerjungen sollen verschont bleiben! Die zarten Bengel! Das sind die einzigen, die aus der allgemeinen Sündflut gerettet werden müssen – haha! Alles ist schon ersoffen, den Brucknerjungen soll ich eine goldene Arche bauen. Das ist der Standpunkt meiner Tochter Irene, die das »Reifezeugnis« schriftlich hat. Haha, wenn es nicht so traurig wäre, dann wäre es zum Totlachen.«

»Das sind alles Worte, lieber Vater! Von dem geliehenen Gelde des Staates ist nichts mehr da; von dem geborgten Brucknergelde ist noch alles da. Nämlich, es ist bei dir! Und davon wollen wir sprechen, von nichts anderm!«

Bruckner lachte meckernd:

»Also wirklich dreiviertel Millionen Goldmark per Scheck?«

»Den Brucknersöhnen gehört nach göttlichem Recht die volle Summe, da der Wert noch vorhanden ist. Frau Geheimrat Bruckner war eine völlig lebens- und geschäftsunkundige Frau, verstört durch den Tod ihres angebeteten Gatten. In blindem Vertrauen gab sie dir das Geld hin, ohne Sicherheit, lediglich weil du Bruckner hießest, ein Vetter des Gatten warst und ihm ähnlich siehst. Hätte sie damals darauf bestanden, sich ihr Vermögen als Geschäftsanteil eintragen zu lassen...«

Bruckner hieb mit der Faust auf den Tisch.

»Hätte sie – hätte sie, das elende »hätte ich damals«. Ja, hätte Herr Müller sich anno 14 seine Pfandbriefe von der Bank geholt und sich ein Haus gekauft, hätte Madame Schultze sich für ihr Geld mit Juwelen behängt, sich einen Silberkasten zugelegt, größer, als der Schah von Persien ihn hat, hätte sich Herr Lehmann einen Gemüseladen eingerichtet, statt faul von den Zinsen seiner schäbigen 20 Mille leben zu wollen – ja, hätten sie – hätten sie – hätten sie – sie haben eben doch nicht! Was nützt denn das nachträgliche Gewinsel?«

»Tu weichst wieder aus,« sagte Irene unbeirrt durch die Sprachgewalt ihres Vaters; »ich warte immer noch auf eine Antwort. Wie willst du dich gegen die Brucknersöhne verhalten?«

»Gar nicht werde ich mich gegen sie verhalten. Ich kenne sie gar nicht.« »Daß ich die Rückgabe von dreiviertel Millionen Goldmark, die eigentlich eine von Gott gesetzte Forderung sind, wünschen kann, ist unmöglich. Aber, Vater, wäre es nicht richtig, den Brucknersöhnen eine Aufwertung zu geben, so wie alle ehrlichen Schuldner trotz der Not der Zeit ihren ohnehin schwer geschädigten Gläubigern eine Aufwertung geben?«

»Nein, das habe ich gesetzlich nicht nötig. Ich habe das Geld vor dem Aufwertungsgesetz zurückgezahlt und damit basta!«

»Also – nichts?«

»Nichts!«

»Leb' wohl, Vater, vergiß, daß du eine Tochter hast!«

Sie ging.

*

Während Irene einige Koffer packte, erhielt sie einen Brief von ihrem Vater.

»Das ist das Verzeichnis der Wertpapiere, die ich von Frau Geheimrat Bruckner erhalten habe. Der Kurszettel vom 10. August 1914 liegt bei. Also, es stimmt: 750 000 Mark. Sei so freundlich, erkundige Dich bei einer beliebigen Bank, wieviel diese Papiere heut noch wert sind. Wenn es mehr als 450 Mark sind, werde ich diese Summe an die Brucknersöhne gern bezahlen. Weiter aber nichts. Das merke Dir, und nun lasse mich in Ruhe mit dieser Angelegenheit, von der du nichts verstehst, und die dich nichts angeht.«

Irene ging mit dem Verzeichnis der Wertstücke, die ihr Vater einmal von Frau Bruckner übernommen hatte, zu einer Bank und fragte, was wohl diese Wertpapiere heutigentags wert sein würden. Der Bankbeamte prüfte das Verzeichnis kurz, sah Irene mitleidig an und sagte: »Nichts!« »Nichts? Rein gar nichts? Nicht einmal 450 Mark?«

»Nicht einmal 5 Mark. Rein nichts! Es tut mir leid, gnädiges Fräulein, aber es ist leider so!« Bedrückt ging Irene nach Hause. So war die Welt? So häßlich? – Nichts übrig geblieben? Die Familie Bruckner würde auch ohne den Vater im Elend sitzen? So stand es?

Aber bald fand sich Irene wieder in die eigene Bahn. Sie schrieb ihrem Vater: »Daß die Dir seinerzeit von Frau Geheimrat Bruckner übergebenen Wertpapiere heute wertlos sind, davon habe ich mich leider überzeugen müssen. Sie sind in Nebel und Wasser zerronnen. Wenn Du mich überzeugen kannst, daß Dir die Werte, die Du damals 1914 oder 1915 für das Brucknersche Geld anschafftest, auch in Nebel und Wasser zerronnen sind, dann hast Du recht, dann tragen eben alle gemeinsame Not. Wenn aber diese von Brucknerschem Gelde erworbenen Werte noch da sind, dann sind auch die Ansprüche der Brucknerjungen an Dich noch da. Teile mir bitte mit, ob Du geneigt bist, diese Ansprüche wenigstens zum Teil anzuerkennen oder ob du es vorziehst, daß Deine Tochter Dein Haus, in dem sie sich dann nicht mehr wohlfühlen könnte, für immer verläßt. In diesem Falle bitte ich Dich, mir mein Mutterteil von zehntausend Mark auszahlen zu lassen.«

Am nächsten Morgen hielt Irene eine Anweisung an einen Anwalt in Händen, ihr das Mutterteil samt Zinsen auszahlen zu lassen. Herr Bruckner selbst war wieder für unbestimmte Zeit auf Reisen gegangen.

Irene brach in einen kurzen Weinkrampf nieder, dann straffte sie sich zum Kampfe gegen den Vater, zu dem alten Kampfe zwischen Herz und Hirn.


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