Paul Keller
Drei Brüder suchen das Glück
Paul Keller

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Im »Alten Dessauer«

Der Bescheid lag am nächsten Morgen vor. Graf Luwowsky lud Richard zu einer Unterredung ein. Ausgerechnet ins Hotel zum »Alten Dessauer«. Das war unangenehm. – Kurt! – Wenn der nur keine Dummheiten machte! Ihn zu ermahnen, war nicht mehr möglich. Er war schon fort. Er hatte »Frühdienst«.

Abends um sechs Uhr traf Richard im »Weinzimmer« des »Dessauer« ein. Der Graf war schon da. Er verhandelte mit einem jungen Kellner. Es war Kurt. Der Graf bestellte eine Flasche Wein. Als Richard eintrat, war die Bestellung eben beendet. Der Kellner wandte sich um, sah Richard, machte einen kleinen Überraschungssprung, wobei er »I, der Dauz« rief, kriegte den Husten, verlor die Serviette, die er in seine linke Achselhöhle geklemmt hatte, bückte sich, sie aufzuheben, und stolperte zur Tür hinaus. Der Graf begrüßte Richard sehr freundlich. Sie setzten sich.

»Na, war dieser junge Bursche nicht köstlich?« sagte der Graf. »Wie der vor Ihnen erschrak! Dem haben Sie wohl mal feste eine hinter die Ohren gegeben? Scheint ein Schlingel zu sein!«

»Nein,« sagte Richard ganz ruhig. »Er ist mein jüngster Bruder. Er hat mich hier nicht vermutet und war daher so überrascht und verwirrt.«

»So – so – wieviel Brüder haben Sie denn eigentlich, Herr Referendar?«

»Zwei, Elmar, der mit in Konstantinopel war, und diesen da, der hier im ›Dessauer‹ serviert.«

»So, so! Also Kellner! Na, jeder ehrliche Beruf ist ehrenhaft. Drüben in Amerika gibt es eine Menge hochgebildeter und hochgeborener Menschen, die des lieben Broterwerbs wegen im Hotelbetrieb tätig sein müssen. Es ist einem selbst ja auch noch nicht gesungen, ob man mal nicht in New-York Teller abwäscht. Inflationsnachwehen! Ich weiß doch Bescheid.«

»Ich danke Ihnen, Herr Graf, für Ihre ebenso objektive wie wohlwollende Beurteilung des Zwischenfalls.«

»Keiner Erwähnung wert! – Kommen wir gleich zur Sache. Ich bin Ihnen den versprochenen Bericht über den weiteren Verlauf unserer Reise schuldig geblieben. Ich kam von Tag zu Tag immer mehr zu der Einsicht, daß das, was ich erlebte, schriftlich nicht zu berichten sei, weil sich das Bild alle Tage änderte. Da mußte erst ein gewisser Abschluß gefunden werden.«

»Und ist er gefunden worden?«

»Ein provisorischer Abschluß bin ich selbst. Vor vier Tagen war ich noch in Neapel, jetzt sitze ich hier im ›Dessauer‹. Vom Kommerzienrat nicht gerade in Ungnade entlassen – das ließe sich ein Graf Luwowsky nie und nimmer gefallen – aber doch durch kalte Behandlung bedeutet: Fahre lieber freiwillig ab. Ich reiste ab und bin nun hier. Dieses Satyrspiel wurde mir auch nachgerade zuwider. – Sie fragen nicht nach Sabine?«

»Nein! Sie geht mich nichts mehr an.«

»Fragen Sie auch nicht, ob sie verheiratet ist oder nicht?«

»Nein, auch das ist mir gleichgültig.«

»Gleichgültig? – Wieso kann Ihnen das gleichgültig sein?«

»Ich habe die Hohlheit dieser Dame erkannt – es war meiner unwürdig, mich um sie zu bemühen. Ich schäme mich meiner Verirrung.«

»Na, na! Nicht gerade sehr chevaleresk, aber immerhin ein Standpunkt. Nun, trotz Ihrer Interesselosigkeit muß ich Ihnen doch das Wesentliche mitteilen, weil es die Grundlage zu dem andern, dem Wichtigen, das wir dann verhandeln müssen, bietet. Sabine ist noch nicht verheiratet. Der Kommerzienrat ist noch immer nicht an sein Ziel gekommen, obwohl er schätzungsweise bisher hunderttausend Mark an sie verschwendet hat.«

Richard schwieg.

»Nämlich in Kairo – tauchte plötzlich ein neuer Bewerber um das göttliche Weib auf. Ein Prinz und zwar ein riesig romantischer Prinz, ein mohammedanischer. Mehmed Omar mit Namen. Welch' ein Wohlklang in diesem Namen, der aus dem Namen des Erhobenen, des Propheten, und dem Namen des großen Kalifen zusammengesetzt ist.«

»Bitte ergebenst!«

Kurt brachte den bestellten Wein, servierte tadellos, verneigte sich tief vor dem Grafen und ebenso tief vor Richard, dem die Augen etwas feucht waren, und entfernte sich gemessenen Schrittes.

»Ein prächtiger Bursche!« sagte der Graf. »Doch ich will in meinem Berichte fortfahren. Mehmed Omar ist ein schöner Mann; seine Haut ist wie poliertes braunes Holz, seine Augen sind wie Kohle. Er kleidet sich nicht modern, sondern trägt die malerischen Gewänder seiner Religion, immer aus kostbarsten Stoffen. Sie können sich wohl denken, was dieser exotische Prinz auf die leicht entzündliche Sabine für einen gewaltigen Eindruck machte. In jeder Vorstellung, in der Sabine auftrat, saß der Prinz in der ersten Loge, applaudierte wie rasend, ließ ihr die prunkvollsten Blumenkörbe überreichen. Der Kommerzienrat litt unsagbar, er fing an, eine lächerliche Rolle zu spielen. Da schenkte er Sabine einen Perlenhalsschmuck. Ich habe die Rechnung gesehen. Achtzehntausend Mark nach deutschem Gelde. Nun, sie freute sich freilich über das kostbare Stück, bedankte sich auch so herzlich, daß der Kommerzienrat strahlte; aber schon am Nachmittag desselben Tages zeigte sie das Juwel dem Prinzen.

Der lächelte und sagte: Sehr niedlich! Er sagte es auf englisch: Very nice!, was eigentlich noch weniger ist als unser wärmeres ›niedlich‹. Der Kommerzienrat sah sein kostbares Geschenk entwertet, als ›niedlich‹ verspottet, zumal Sabine sofort anfing, von den Perlen zu schwärmen, die sie am Sultansthron in Konstantinopel gesehen hatte.«

»Sie ist eine minderwertige Canaille!« grollte Richard.

»O nein, das ist nicht richtig gesagt. Als Canaille ist sie nicht minderwertig, als Canaille ist sie erstklassig.«

Kurt erschien wieder und verkündete, indem er die Herren fragend musterte:

»Ist hier ein Herr Referendar Richard Bruckner? Wird am Telephon gewünscht!«

Draußen vor der Tür raunte Richard dem Burschen zu:

»Du blamierst dich und mich. Der Graf weiß längst, daß du mein Bruder bist.«

Kurt entgegnete:

»Mein Herr, ich bin nicht Ihr Bruder, ich bin Eleve im ›Dessauer‹.« Machte ein stolzes Gesicht und wandelte von dannen.

»Esel,« zischte Richard. Kurt wandte sich um:

»Hatten der Herr noch etwas gesagt?«

Am Telephon war Julia. Sie fragte voller Besorgnis, ob sich Kurt ordentlich benähme. Richard erwiderte mürrisch:

»Er blamiert mich, und du störst mich!« Und hing den Hörer an.

Nun, das bedeutete von Julias Seite mindestens einen Monat Acht und Bann für ihn.

Im Weinzimmer fuhr der Graf in seinem Berichte fort:

»Die Luft wurde schwül in Kairo. Der Kommerzienrat drängte zur Heimreise, Sabine sträubte sich. Den Kontrakt mit ihrem Theater wollte sie sowieso nicht verlängern, sondern ihre große Gastspieltour machen.«

»Wie steht es damit?«

»Nun, sie mag zusehen; mein Interesse an der kapriziösen Dame ist begreiflicherweise erlahmt. Schließlich ging's nach Neapel. Nämlich der Prinz hatte Sabine altägyptischen kostbaren Schmuck geschenkt. Der Kommerzienrat versuchte ihr einzureden, der Schmuck sei geschickte Imitation. Ich hielt ihn für echt. Zwölfte Dynastie. Also lange, lange vor Christus. Noch vor den Hyxsos, den semitischen Hirtenfürsten. Eine auserlesene Kostbarkeit von unbeschreiblichem Werte. Was war dagegen das Perlenschnürchen Bruckners? Sabine fieberte, die Echtheit des Schmuckes bestätigt zu erhalten. In Ägypten wagte sie nicht, ihn zu zeigen, aus wohlbegründeter Sorge, daß sie dann das Kleinod nicht würde über die Grenze bringen dürfen. So drängte sie nun selber zur Abreise. Zum unaussprechlichen Ärger des Kommerzienrats fuhr Prinz Mehmed Omar mit. In Neapel ging der Tanz weiter. Sabine lief von einem Sachverständigen zum anderen. Der Schmuck war echt. Sie begreifen, Herr Referendar, daß ich mich anfing, zu langweilen, ja, ich kam mir überflüssig vor. Alle meine Anstrengungen, den Kommerzienrat zu bewegen, doch von diesem für ihn aussichtslosen Kampfe abzulassen, waren vergebens; schließlich war er unhöflich genug, mir nahezulegen, abzureisen, er werde das Feld allein behaupten und den Sieg gewinnen. Nun, ich reiste ab. Der Geschlagene wird er sein, das ist meine Überzeugung.«

Kurt erschien abermals.

»Das Abendblatt, meine Herren!«

Er hatte zwei Exemplare in der Hand, eine Zeitung überreichte er dem Grafen mit tiefer Verbeugung, die zweite seinem Bruder Richard mit einer noch tieferen Verneigung.

»Bitte gehorsamst, Herr Amtsgerichtspräsident!«

»Hinaus!« rief Richard erbost.

»Ein munterer Schlingel!« sagte der Graf lachend.

»Ulkt Sie an!«

Er hatte inzwischen das Abendblatt überflogen. Plötzlich rief er erschrocken:

»Bruckner – Bruckner – da – da sieht, man hat in Neapel der Sabine Sabina den kostbaren Schmuck im Hotel gestohlen. Ach, welch' ein Schlag! Wie entsetzlich für sie!«

Nun, die Nachricht stand in der Zeitung und noch eine Bemerkung dazu: »Nach den Schilderungen der Bestohlenen zu urteilen, kann es sich nur um einen kostbaren altägyptischen Schmuck (12. Dynastie) handeln, der vor etwa sechs Monaten durch Einbruchdiebstahl aus einem ägyptischen Museum abhanden kam. Die Schauspielerin gibt an, den Schmuck von einem Prinzen Mehmed Omar geschenkt erhalten zu haben, der in Neapel ständig in ihrer Gesellschaft zu sehen war. Es gibt keinen Prinzen Mehmed Omar. Der angebliche Prinz ist verschwunden. Die Schauspielerin Sabine Sabina, sowie der in ihrer Gesellschaft reisende angebliche Kommerzienrat Bruckner sind bis zur Aufklärung der mysteriösen Angelegenheit in Haft genommen. Der Wert des verschwundenen Schmuckes läßt sich in Ziffern gar nicht wiedergeben.«

»Das ist vernichtend,« stöhnte der Graf. »Das ist ein schrecklicher Skandal. Was sagen Sie dazu, Bruckner?«

»Nichts.«

»Nichts? Nichts dazu, daß die göttliche Sabine Sabina, die Sie angebetet haben, in einer schmutzigen italienischen Haftzelle schmachtet? Dazu sagen Sie nichts?«

»Nein! Die Sache geht mich persönlich nicht mehr an als jede andere Zeitungsnachricht über Verbrechen, die irgendwo passiert sind.«

»Sie meinen doch nicht etwa ... ?«

»Ich meine gar nichts.«

»Ich bewundere Ihre Wandlungsfähigkeit, Herr Referendar!«

Richard zuckte die Schultern. Dann lachte er leise. »Wissen Sie, wie mir zu Mute ist, Herr Graf? Wie einem, der arglos in einen Sumpf geriet, der bis an den Hals versank und dem es gegen alles Erwarten gelang, noch einmal auf anständigen, festen Boden zu kommen.«

»Nun,« sagte der Graf kühl, »ich bin nicht so wandlungsfähig wie Sie. Mich erschüttert diese Tragödie.«

Er riß zwei Blätter aus einem Notizblock, schrieb etwas darauf und läutete. Kurt erschien.

»Diese zwei Telegramme sind sofort zu befördern!«

Kurt warf einen Blick auf das Telegramm und lachte.«

»Warum lachen Sie?«

»Telegramme werden bei uns telephonisch aufgegeben. Das hat der Portier zu besorgen. Diese Telegramme sind in italienischer Sprache, es wird ja unserem dicken Alten Schweißperlen auspressen, das ans Telegraphenamt weiterzugeben.«

»Ja, können Sie denn nicht die Depeschen zum Amt hintragen?« »Bedaure, bei uns nicht üblich!«, sagte Kurt und schritt davon.

Richard litt.

*

Der Graf saß wohl eine Viertelstunde stumm und verbissen da. Dann sagte er:

»Nun, Herr Referendar, so alarmierend auch die Zeitungsnachricht ist, schließlich haben wir uns ja nicht getroffen, um uns über Zwischenfälle in Neapel zu unterhalten, für die Sie sich sichtlich wirklich nicht interessieren. Warum ich Sie hierher gebeten habe, galt Fräulein Irene Bruckner – Sie wissen aus meinen Äußerungen in Konstantinopel, daß sie meine Braut ist.«

»Ist sie Ihre Braut?«

»Noch nicht, aber sie wird meine Braut werden, vorausgesetzt, daß Sie Ihr Wort halten, dem Kommerzienrat nie zu verraten, daß ich im Punkte Bewerbung um Sabine gegen ihn auf Ihrer Seite war.«

»Mein Wort genügt!«

»Ich weiß das! Aber nun hätte ich gern einige Auskünfte von Ihnen über Fräulein Irene Bruckner. Sind Sie ihr in der Zwischenzeit begegnet?«

»Wiederholt.« »Was haben Sie für einen Eindruck von der jungen Dame?«

»Das werde ich nicht sagen.«

»Also entweder einen zu guten oder einen zu schlechten.«

»Einen schlechten sicherlich nicht.« »Also einen sehr guten. Herr Referendar, ich sage das natürlich nur zum Scherz, ich hoffe nicht, daß Sie in mir den Verdacht erregen werden, in Ihnen einen Rivalen erblicken zu müssen.«

»Verdacht? Was ist das für ein Wort? Verdacht richtet sich immer auf Verbotenes. Hier ist nichts Verbotenes.«

»Sie lieben doch nicht etwa Irene Bruckner wirklich? Bei Ihrer erstaunlichen Wandlungsfähigkeit in Liebesangelegenheiten –«

»Das ist meine Sache!«

»Ei, ei! Oho! Und Ihre Zusage in Konstantinopel?«

»Bezog sich lediglich darauf, daß ich Kommerzienrat Bruckner nie verraten würde, daß Sie mich in meinem unseligen Kampfe um jene Sabine unterstützten. Weiter habe ich nichts versprochen. Dieses Versprechen werde ich selbstverständlich halten.« »Und darüber hinaus?«

»Darüber hinaus – nichts!«

Der Graf geriet in jähen Zorn. »Ja, ist das nicht eine infame Schiebung ? Es ging doch um mein Mädel, nicht um einen Nebenweg.«

»Ich war nur für den Nebenweg verpflichtet. Es steht Ihnen frei, sich unbeirrt durch mich um Fräulein Irene zu bemühen. Durch eine Mitteilung an ihren Vater wird Ihr Weg durch mich nicht durchkreuzt werden. Ist das klar? Sind wir quitt?«

»Klar ist es. Quitt sind wir noch lange nicht, Herr Rechtsbeflissener!«

Richard zuckte die Achseln. Sie saßen sich einige Sekunden verbissen gegenüber. Sie erkannten sich als Rivalen und haßten sich von Minute an.

»Und nun, wenn es so steht, so sind wir wohl miteinander fertig, Herr Referendar. Ich wünsche Ihnen bei Fräulein Irene Bruckner denselben stolzen Erfolg, den Sie bei Ihrer angebeteten Sabine gehabt haben.«

Richard entfernte sich ohne Gruß.

*

Der Graf läutete. Kurt erschien.

»Na, Kellner, Sie sind ja wohl der leibhaftige Bruder von diesem Referendarius?«

»Jawohl, sein Bruder.«

»Und Sie sind Kellnerbursche?« »Ich bin zunächst Eleve im Dessauer!«

»Feine Familie!« »Sehr feine Familie, darauf können der Herr Graf Gift nehmen!«

»Was macht die Rechnung aus; fünfzehn Pfennig Trinkgeld werde ich Ihnen geben. Mehr haben Sie nicht verdient.«

»Die Rechnung ist draußen von Herrn Referendar Bruckner beglichen worden. Trinkgelder sind im Dessauer verpönt!«

Sensationen

In der Stadt mehrten sich die Kriminalfälle. Fast täglich berichteten die Zeitungen über schwere Einbrüche in vornehme Haushaltungen, meist in solche, deren Besitzer zurzeit verreist waren. Eines Tages wurde berichtet:

Die Wohnung des Kommerzienrats Bruckner geplündert. Gestohlen der ganze Silberschatz, fast die gesamte Wäsche, Pelze, Mäntel, alle echten Teppiche und Kunstgegenstände. Geld, Schmucksachen befanden sich zum Glück im Tresor einer Bank. Der Kommerzienrat und dessen einzige Tochter sind abwesend. Das muß den Verbrechern bekannt gewesen sein. Sie sind von der Gartenseite in das Brucknersche Haus eingedrungen, haben das Hauspersonal, das zurzeit nur aus vier Personen bestand, überwältigt und in eine Hinterstube eingeschlossen, die ohne Telefon ist und außer Rufweite liegt. Die Ausplünderung der Wohnung ist so vollständig, daß sie Stunden in Anspruch genommen haben muß. Den Raub haben die Banditen natürlich nur auf Wagen davon bringen können, auf einem von der Polizei nicht bewachten, an der Rückseite des Brucknerschen Gartens vorbeiführenden Nebenwege. Der in den Morgenstunden niedergegangene heftige Regen hat die Spuren leider verwaschen.

*

In der ausgeplünderten Wohnung stand, noch ehe die Zeitungsnotiz erscheinen konnte, die weinende Irene. In ihrer Gesellschaft waren Frau Julia und Referendar Bruckner. Auch hatte Irene ihr Lieblingstier zur Seite, einen prachtvollen deutschen Schäferhund. Sie hatte sich bald nach der Abreise des Vaters das Tier in ihre Mietswohnung bringen lassen. Damit der Hund in dem engen Raume nicht immer allein sei, während Irene ihrem Beruf nachging, holte Julia den »Argos« jeden Morgen ab, nahm ihn mit auf den Markt und dann nach Haufe. Abends holte Julia Irene vom Büro ab und brachte ihr den Hund zurück. Neuerdings bat sie Richard manchmal, ihr diese Arbeit abzunehmen, eine Aufgabe, die dieser immer ohne Murren übernahm; merkwürdig war, daß er auch immer Zeit für eine Hundepromenade übrig hatte.

Argos war ein bildschönes und sehr kluges Tier. Seine Klugheit ging so weit, daß er, nachdem ihn Julia zweimal mit ins »Continental« genommen hatte, nun solche Besuche daselbst auf eigene Faust, oder richtiger gesagt, eigene Pfote bewerkstelligte, weil ihm bekannt geworden war, daß unweit von Vater Breises Loge die Hotelküche lag, wo es für einen braven Hund allerlei bemerkenswerte Dinge gab.

Argos war als Jungtier zum Polizeihund erzogen worden und hatte sein Staatsexamen mit »V«, das bedeutet in Hundezeugnissen »vorzüglich«, bestanden. Manches hatte er ja inzwischen von seinen umfangreichen Kenntnissen und Künsten aus Mangel an Übung verschwitzt, aber ein gut Teil polizeilicher Schlauheit steckte immer noch in ihm.

Das zeigte sich jetzt in der Brucknerschen Wohnung. Als der Hund die Verwüstung in den ihm doch so wohlbekannten Räumen sah, geriet er außer sich. Er raste aufgeregt in den Zimmern umher, schnüffelte, jaulte, bellte, kurz er wußte, daß sich hier Unerhörtes ereignet hatte. Der alte Krug, Diener und Hausverwalter, erstattete Bericht. Sie waren nachts gegen 12 Uhr aus den Betten herausgeholt worden. Vier Männer standen da, alle mit Revolvern bewaffnet, alle schwarz maskiert. An Widerstand war nicht zu denken. Die Telefondrähte waren durchschnitten, die Fenster des Hinterzimmers, in das sie gesperrt wurden, haben die Einbrecher zugenagelt, damit niemand hinaus klettern oder rufen konnte. Sie hörten es die ganze Nacht rumoren, hatten alle vier geweint, waren indes für Widerstand ganz ohnmächtig. Gegen vier Uhr früh wurde es ruhig, die Räuber zogen ab und überließen die Eingeschlossenen ihrem Schicksal. Das hätte sich in dem seitwärts gelegenen unbewachten Hause für die Überfallenen in dem entlegenen Zimmer recht tragisch, ja zum Verschmachtungstode gestalten können. Glücklicherweise gibt es Milchmänner, Briefträger, Zeitungsträgerinnen. Milchmann, Briefträger und Zeitungsfrau begegneten sich und sprachen über die befremdliche Tatsache, daß es heut nicht möglich sei, ins Brucknersche Haus zu kommen. Da müsse etwas passiert sein, sagte der Milchmann. Sie verständigten einen Schutzmann. Dieser ging mit den dreien zur Parkpforte der Brucknerschen Villa. Als alles Läuten vergeblich blieb, obwohl man die schrille Hausglocke deutlich hörte, sagte der Schutzmann kategorisch: »Hier ist was passiert!«

Er strengte seinen kriminalistischen Spürsinn an. Der Briefträger sagte: »Versuchen wir's mal von hinten.« Die kleine Rettungsexpedition setzte sich in Bewegung, der Schupo mit seinem Revolver, die Zeitungsfrau mit hundert Zeitungen, der Briefträger mit gefüllter Tasche, der Milchhändler mit seinem Handwagen. Richtig! Die Gartentür an der Rückseite der Villa stand offen. Auf lautes Rufen erschienen blasse Gesichter an einem Fenster; verängstigte Menschen machten durch Zeichensprache klar, daß sie Gefangene seien.

Der Schupo sagte: »Ich habe es mir sofort gedacht, daß da etwas Polizeiwidriges passiert ist! Ich bedarf Ihrer Hilfe nicht mehr.« Er eilte fort zur Wache. Die andern drei blieben indes im Garten stehen; sie waren zu neugierig, was nun geschehen werde. So hatte an diesem Morgen manche Familie keine Milch zum Kaffee, Rentier Schulze fluchte, daß die Zeitung nicht kam, in der er die Kurse überprüfen wollte, Jungfrau Helene fand die neuesten Sportberichte nicht; es gab viel Ärger und Geschimpfe. Der Briefträger blieb ruhig und gelassen. Er wollte überall nur das eine Wort sagen: »Zugverspätung!« Post und Eisenbahn haben sich alle Zeit das Mißliebige gegenseitig in die Schuhe geschoben.

Eine halbe Stunde später waren die Gefangenen befreit, es begann die Besichtigung des Schauplatzes, es begann »die Feststellung des Tatbestandes.«

*

Richard, der ja nicht in amtlicher Eigenschaft anwesend war, stellte trotzdem einige Fragen an die vier Personen des Hauspersonals; er fragte nach dem Aussehen der Einbrecher, ob groß, ob dick, ob nach Haltung jung oder alt, ob etwas Auffallendes an den Stimmen, ob irgendwie an den unmaskierten Teilen des Gesichts, am Halse oder an den Händen etwas Besonderes zu bemerken sei.

»Einer hatte einen Fingerring.«

»Wie sah der Ring aus?«

»Das weiß ich nicht, es war halt ein Fingerring.«

»Ja, und einer hatte schief gelaufene Stiefelabsätze.«

»Und einer mußte sieben mal niesen, der hatte den Schnupfen.«

»Und einer sagte: Ihr könnt mir nichts vormachen. Also er sagte mir statt mich. Das fiel mich auf.«

Diese letzte Zeugin stammte aus Neukölln bei Berlin. Es kam also bei diesem Privatverhör nicht viel Aufklärendes über den Einbruch heraus. Da sagte das jüngere Stubenmädchen:: »Einer hatte hinter dem rechten Ohr eine rote Warze.«

Das notierte sich Richard.

Beamte durchforschten das Haus, suchten nach Fußspuren und Fingerabdrücken, vernahmen erneut das Hauspersonal. Inzwischen setzte Argos seine Nachforschungen auf seine eigene Art und Weise fort. Die Beamten suchten sich des Tieres zu bedienen, führten den Hund durch den Garten auf den Hinterweg, Argos schnüffelte zwar, aber die Spur war vom Regen so verwaschen, daß er nach dem Hause zurückrannte. –

Inzwischen war Graf Luwowsky eingetroffen. Er trug eine schwarze Kopfbinde, küßte Irene die Hand, Richard und Julia beachtete er nicht.

»Ich komme, um Ihnen, meine Gnädigste, den Schrecken zu schildern, den ich soeben beim Lesen des Extrablattes bekommen habe, Ihnen meine tiefe Empörung über die gemeine Tat auszusprechen, die Ihr schönes Vaterhaus verwüstete, und Ihnen meinen Beistand anzubieten, soweit er Ihnen irgendwie nützlich sein kann.«

»Ich danke Ihnen, Herr Graf.«

»Es ist, als ob die Welt voller Teufel wäre. Tag für Tag Überfälle, Einbrüche, Mord, Körperverletzung, Raub. Das ist die schlappe Haltung unserer jetzigen Polizei, unserer jetzigen Gerichte – das ist die Humanitätsduselei! Wann wird ein Retter kommen diesem Lande? Gestern abend, es war noch nicht 11 Uhr, bin ich auf der Straße auf dem Heimweg nach meinem Hotel von drei Banditen angefallen worden. Einer schlug mich mit einer eisernen Waffe hinter's rechte Ohr, daß ich wie betäubt war; die Kerle entrissen mir meine Uhr, ehe sie mir aber die Brieftasche rauben konnten, hatte ich meinen Gummiknüppel gezogen und Zeit gehabt, nach der Polizei zu rufen. Da rückten die Raubgesellen aus. Was habe ich davon? Ich habe meinen Kopfhieb, bin meine Uhr los, die ein teures Andenken an meinen seligen Vater war, und bin gewiß, daß man die Räuber niemals erwischen wird.«

*

Da erschien der Hund Argos im Zimmer. Er stutzte, schnüffelte, kam an den Grafen heran, beroch ihn, begann zu stöhnen, stieß ein heiseres Geheul aus, sprang an dem Grafen empor, der erschreckt aufsprang, und fuhr ihm an die Kehle.

»Hilfe! – die Bestie zerreißt mir die Gurgel!«

Irene, Julia und Richard Bruckner hatten alle Mühe, den wütenden Hund von dem Grafen loszulösen. Das Hauspersonal eilte herbei; nur mit größter Mühe konnte Argos abgeschleppt und in eine Kammer gesperrt werden, wo er rasend an der Tür kratzte, heulte und bellte... ... ... ... ... Graf Luwowsky wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn. Zu Irene sagte er: »Ein schönes Tier! Preisgekrönt – nicht wahr? Aber doch eine unkontrollierbare Bestie! Ich weiß, daß mich der Hund wütend haßt. Er kann Musik nicht vertragen. Wenn ich früher Chopin hier spielte, heulte er dazu so erbärmlich, daß er immer hinaus nach dem Hundezwinger gebracht werden mußte. Das hat er mir gewaltig übel genommen, das wird er mir nicht verzeihen. Um ein Haar hätte er mir jetzt den Kehlkopf herausgerissen. Eine ungemütliche Situation.« Irene drückte ihr Bedauern über den Vorfall aus, Julia sagte, Argos sei seiner Gemütsart nach überhaupt kein Hund, sondern ein gutmütiges Schaf, ein Schaf im Wolfspelz, sie könne sich diese Entgleisung ihres vierbeinigen Schützlings durchaus nicht erklären. Referendar Bruckner sagte kein Wort. Graf Luwowsky begehrte, sich zu verabschieden.

»Der Überfall auf der Straße von gestern abend und jetzt der Überfall dieses musikfeindlichen Hundes waren doch geeignet, dazu beizutragen, daß auch einmal ein kräftiger, kerngesunder Mensch, wie ich gottlob bin, an seine Nerven denken muß. Nur etwas, gnädiges Fräulein, möchte ich noch sagen, ehe ich mich entferne: ich habe an Ihren Herrn Vater, der ja doch mein Freund ist, ein dringendes Telegramm gerichtet und ihm den schändlichen Einbruch in diese Wohnung mitgeteilt.« Irene beugte tief das Haupt.

»Mein Vater ist –«

»Ihr Vater ist gar nicht! Er war in Haft genommen durch eine ganz unglaubliche Tölpelei der Neapeler Polizei, er ist längst wieder in Freiheit. Was hatte er mit dem altägyptischen Schmuck zu tun, den Mehmed Omar der Sabine Sabina schenkte, was hatte er mit dem Raub des Schmuckes zu tun? Nichts! Ebensowenig wie Sie und ich! Dieser angebliche Prinz Mehmed Omar, der uns in Kairo in den Weg lief, benutzt augenscheinlich einen ererbten oder gestohlenen altägyptischen Schmuck, um damit auf Frauenfang auszugehen. Er schenkt den Schmuck, und wenn er damit bei der Dame keinen Erfolg hat oder ihrer überdrüssig wird, stiehlt er das geschenkte Kleinod wieder, um es auf gewohnte Art weiter zu verwenden. Hoffentlich wird der üble Kerl bald erwischt. Aber Ihr Herr Vater, gnädiges Fräulein, hat mit dieser Angelegenheit nicht das mindeste zu tun. Das ist ganz selbstverständlich.«

»Wird mein Vater nun nach Hause kommen?« »Ich hoffe es, gnädiges Fräulein. Ich arbeite unausgesetzt an seiner Trennung von dieser nicht einwandfreien, jedenfalls aber höchst kapriziösen und verschwenderischen Sabine Sabina.«


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