Paul Keller
Drei Brüder suchen das Glück
Paul Keller

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Heimfahrt

Richard hatte indes nach Hause um Geld telegraphiert.

Nach 24 Stunden lag das Geld auf der Deutschen Bank, und zwar um einen ganz kuriosen Mehrbetrag erhöht, der sich durch den Begleittext aufklärte: »Breise wünscht zweiter Klasse zu fahren, Julia.«

»Verstehst du das, Elmar? Unsere brave Julia ist nach einer Auskunftstelle, wahrscheinlich zum Lloyd oder zur Hamburg-Amerika-Linie gegangen und hat sich dort erkundigt, wieviel zwei Fahrkarten von Konstantinopel nach hause kosten würden. Da hat sie gemerkt, daß wir dritter Klasse fahren wollen, wohl auch erfahren, daß die Fahrt sehr langwierig ist. Allein von Konstantinopel nach Budapest, eine Strecke, die gar keine Riesenentfernung ausmacht, mit dem schnellsten Zuge 156 Stunden. Na, und da hat August Breise zweiter Klasse für uns gewünscht. Haha, unsere Julia. Als ob August was zu wünschen hätte!« Er sprang auf.

»Siehst du, Bruder Elmar, das sind Menschen! Das sind Edelmenschen! Das ist personifizierte Treue! Das andere – bah – was ist es? Tand! Gaukelei! Betrug! Weißt du, was meine Liebe zu der göttlichen Sabine Sabina war? Was war aus mir geworden? Ein kranker Hund, der am vergifteten Wasser sich durstig vollsog und ans Krepieren kam. Und weißt du, was deine Liebe zu der göttlichen Sabine Sabina war, was aus dir geworden war? Ein verrückt gewordener Singvogel, der das vergiftete Wasser anzirpte, bis er durch dessen ausströmende Dünste betäubt zur Erde fiel. Ach, Elmar, ich rette mich durch das stets wirksame Zaubermittel der Verachtung, nicht der Verachtung gegen jenes eitle, geldgierige Mädchen, das meinetwegen nun hinfahren kann, wohin sie will, und tun und lassen kann, was sie will, sondern durch die Verachtung meiner selbst, daß ich einer solchen Gaukelei erliegen konnte, daß ich diesem Firlefanz nachjagte. Wie war es nur möglich? Elmar, wenn doch auch du es einsähest, wie falsch das alles war!«

Elmar sagte:

»Es ist mir bei schärferem Nachdenken eingekommen, daß sie doch keine echte Koryphäe, daß sie nur eine etwas über das Mittelmaß hinaufragende Schauspielerin zweiter Klasse ist.«

»Nun,« sagte Richard befriedigt, »das ist ein gediegener Ansatz zur Genesung.«

Darauf bestellte er eine Flasche türkischen Weines.

Sie kostete acht Mark, der Wein war so schwarz und so dick wie Tinte, schmeckte auch wie Tinte und war daher nicht zu genießen.

»Schade ums Geld!« sagte Elmar.

»Schade um die ganze Reise!« sagte Richard.

Und die beiden Brucknerjungen lächelten sich an, ein bißchen verlegen, ein bißchen unwahr, aber sie lächelten.

*

Fern im nordischen Heimatlande legte Julia Breise indes die siebente Patience, ob »ihre Jungen« auch glücklich heimkommen würden.

August Breise sagte: »Werden schon! Auf Nummer 13 ist heute ein kleines Mädchen geboren worden. Das ist ein gutes Zeichen. Ich habe mit der Hebamme verhandelt.«

»Du Filou!« sagte Julia grimmig. »Ich werde dich behebammen!«

*

Sie fuhren den endlosen Weg von Konstantinopel nach Deutschland mit der Bahn heim. Die kürzeren, schnelleren Verbindungen haben uns die Feinde gesperrt; der Orientexpreß führt längst nicht mehr über Wien, er geht von Paris über Agram. Die Fahrt von Konstantinopel durch Bulgarien und Serbien nach Budapest, eine verhältnismäßig lächerlich kurze Strecke, braucht mit dem schnellsten Zuge tatsächlich 156 Stunden Fahrzeit, also zwei volle Tage, zwei volle Nächte und noch einen Tag. Die Bahnstrecke ist trostlos. In dem kurzen türkischen Teil bis Adrianopel öde vegetationslose Hügelreihen; die bulgarische Zollstation von erschütternder Ärmlichkeit; die serbische ebenso; Strohkaten in die Erde hineingezwängt wie bei den primitiven Naturvölkern. Sofia, die Bulgarenstadt, ist allerdings sehr schön gelegen. Eine alpine Stadt. Auch Belgrad liegt recht malerisch am Donauufer. Das ist das Gute, was gerechterweise gesagt werden muß, alles andere ist von entsetzlicher Ärmlichkeit.

So hatten die Brucknerjungen in der endlosen Fahrzeit Muße genug, sich auf sich selbst zu besinnen. Von Sabine sprachen sie nicht. Die landete jetzt in Ägypten, umtanzt vom Kommerzienrat. Ja, wer das Geld hat! Die ums Erbe Gebrachten grämten sich; aber sie sprachen darüber nicht.

Am heimischen Bahnhof wurden sie von Julia empfangen.

»Na, kommt nur! Habt Ihr auch im Coupé nichts liegen gelassen? Habt ihr euch auch nicht erkältet? Kommt heim! Ich koche euch einen extrastarken Kaffee!«

Und alles war wieder gut!


 << zurück weiter >>