Paul Keller
Drei Brüder suchen das Glück
Paul Keller

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In Konstantinopel

Die beiden Brucknersöhne prüften ihre Brieftaschen und gewahrten mit Schrecken, daß ihre Barmittel unmöglich für die ganze Reise auslangen würden. Sie stiegen nicht im teuren Palace-Hotel ab, sondern im bescheideneren Hotel Bristol. Jeden Morgen aber gingen sie ins Palace, um sich nach Sabine Sabina sowie nach deren Begleitern zu erkundigen. Gewöhnlich wurden sie zum Frühstück eingeladen. Sabine Sabina war von Konstantinopel nicht wegzukriegen. Die ganz unvergleichliche Lage der Stadt begeisterte sie, und die Teppiche und Seidenwaren in den Kaufhäusern waren ihr Entzücken. Der Kommerzienrat überhäufte sie mit Geschenken. Er kaufte ihr zwei herrliche altasiatische Teppiche, wie man sie in solch wundervoller Schönheit in Berlin und Paris nicht bekommt; denn das steht fest, daß die Türken die auserlesenen Stücke in Stambul zurückbehalten, damit der Ruhm der Stadt als dem »Teppichhause der Erde« nie vergehe.

Sabine war von Konstantinopel so bestrickt, daß das Schiff der Reisegesellschaft, die nur drei Tage für die Türkenstadt in Anschlag gebracht hatte, ohne sie nach Ägypten weiter reisen mußte. Natürlich blieben der Kommerzienrat und der Graf auch in Konstantinopel zurück. An der »Neuen Brücke« am Ausgange des »Goldenen Hornes«, das von Galata herkommt, stand das Schiff. Die bisherigen Genossen rüsteten sich in den Hotels zur Abreise.

»Wir werden wohl doch mitfahren müssen,« sagte Richard düster; »das Geld langt nicht, unsere Karten sind bis Alexandrien bezahlt, dieses Geld verlieren wir, wenn wir zurückbleiben.«

»Was geht mich Alexandrien an,« grollte Elmar. »Ich bleibe hier, es gefällt mir in Konstantinopel.«

»Wovon willst du alles bestreiten?«

»Das wird sich finden. Vielleicht hilft Graf Luwowsky aus. Er war stets sehr wohlwollend zu mir.«

»Mir gegenüber auch. Da kommt er eben.«

Der Graf Luwowsky war freundlich wie immer.

»Schön im alten Stambul, nicht wahr? Famoser Gedanke der göttlichen Sabine, noch ein wenig hier zu bleiben. Nur verdammt teuer, viel Nepp! Ich fürchte, ich werde klamm werden. Heute war ich bei der hiesigen Filiale der Deutschen Bank. Ich erkundigte mich, wie lange ein Geldbrief von Deutschland nach Konstantinopel gehe. Nun, wurde mir gesagt, wenn er nicht gestohlen wird, was ja bei den vielen Umleitungen an immer neue Post- und Eisenbahninstanzen (deutsch, tschechisch, österreichisch, ungarisch, jugoslavisch, bulgarisch, türkisch) leicht möglich ist, dann geht so ein Geldbrief etwa acht Wochen.«

»Heiliger Himmel!« rief Elmar.

»Das habe ich auch gesagt. In acht Wochen bin ich öffentlicher Stiefelputzer, um mein Dasein zu fristen, oder ich habe mich im Bosporus ersäuft.« »Ihnen hilft doch der Kommerzienrat aus; er ist doch Ihr Freund.« Der Graf lächelte leise. »Die Freundschaft hat sich stark vermindert; ich will Ihnen auch sagen, warum. Der Kommerzienrat steht im Begriff, eine große Torheit zu begehen; als sein Freund hielt ich mich für verpflichtet, ihn ernstlich zu warnen. Aber mit unerbetenen Warnungen und guten Ratschlägen hat man in Liebesfällen niemals Glück. Man rennt an! Bruckner will sich verloben!« »Verloben? Wie alt ist der Kommerzienrat?« »Dreiundsechzig! Er hat Schwierigkeiten mit seiner Tochter. So hat er sich in den Kopf gesetzt, wieder zu heiraten und hofft auch noch, Kinder zu bekommen; dann will er dem widerspenstigen Mädchen auftrumpfen. Es ist verrückt: er ist dreiundsechzig – sie ist zweiundzwanzig.« »Also doch etwa nicht – wer ist das Mädchen, mit der er sich verbinden will?« Der Graf zündete sich erst ruhig seine Zigarette an, dann sagte er: »Sabine Sabina!« Die beiden Brucknersöhne sprangen in derselben Sekunde auf. Ein Aufschreien wie aus einem Munde:

»Nein!«

»Ja, meine Herren! Noch ist es nicht zur Verlobung gekommen, aber in zwei, drei Tagen wird es so weit sein. Das weiß ich mit ziemlicher Bestimmtheit. Er hat mir gesagt, er wolle so lange mit Sabine Sabina in Konstantinopel bleiben, bis er mit Ihr vom deutschen Konsul vermählt worden sei. Und erst dann wolle er mit der jungen Gattin nach Ägypten fahren.«

»Und deshalb warten wir hier,« sagte Richard gramvoll, sank auf seinen Stuhl zurück und bedeckte sein Gesicht mit den Händen.

»Ich aber werde weiter warten,« rief der leidenschaftliche Elmar, »und wissen Sie, was ich tun werde? Umbringen werde ich den Kerl – umbringen! – Nicht durch irgend einen armenischen oder griechischen Berufsmörder, den man in den Lasterhöhlen von Galata leicht dingen kann, sondern ich will ihn persönlich erwürgen – ich selbst – ich selbst –«

»Beruhigen Sie sich doch, Herr Bruckner.«

»Beruhigen? Beruhigen Sie doch den Vulkan, der ausbricht, reden Sie ihm gut zu, er solle aufhören zu glühen und zu toben, beruhigen Sie den Taifun, der das Schiff der Menschen in grausigen Wirbeln zur Tiefe bohrt, aber machen Sie nicht den Versuch, mich zu beruhigen! Drei Tage! Nach drei Tagen muß ich die Gewißheit haben, daß der Fabrikmensch von Sabine vollständig sich gelöst hat, oder er kann sich auf dem großen Friedhof von Skutari am asiatischen Ufer drüben beerdigen lassen. Bitte richten Sie ihm das in aller Deutlichkeit aus. Erst uns unser Vermögen stehlen und nun auch noch Sabine stehlen. Das ist todeswürdig.« Er lief fort. Der Graf wartete ein Weilchen; dann sagte er: »Nun, Herr Referendar, die Art, wie sich Ihr Herr Bruder hier jetzt geäußert hat, ist freilich nicht geeignet, die Affaire, die uns bewegt, aufzuklären. Er ist viel zu jung, viel zu unreif, viel zu impulsiv, um etwas ausrichten zu können. Mord? Leicht gesagt! Verdammt schwer getan! Nicht ernst zu nehmen! Wahrscheinlich liegt Herr Elmar jetzt oben in seinem Bette und heult. Dieses Lebensalter und seine Kämpfe kenne ich aus eigener Erfahrung. Nein, Herr Referendar, wenn hier etwas Vernünftiges geschehen soll, wenn das entsetzliche Unglück, einen alten Mann zu heiraten, an ihn gekettet zu werden fürs Leben von einem so süßen, goldigen Geschöpfe abgewendet werden soll, dann sind in diesem Falle Sie der einzige, mögliche Retter.«

»Ich? Wieso?« – »Weil Sabine Sie liebt!«

Richard stierte ihn an. Er stammelte:

»Weil sie mich – weil sie mich – woher wollen Sie denn das wissen?«

»Sie hat es mir selbst gesagt. Sie hat zu mir gesagt. Sie seien der einzige Mann, den sie liebt, der einzige, den sie je geliebt habe.«

Richard erschauerte vor Wonne.

»Es ist nicht zu fassen; es ist ein zu übergroßes Glück!«

»Noch ist es kein Glück! Das Glück muß erst erworben, erst erkämpft werden. Kommerzienrat Bruckner ist ein gefährlicher Rivale.«

»Aber wenn sie doch mich liebt, mich allein, wie sie zu Ihnen sagte, was könnte der alte Mann mir dann schaden?«

»Trauen Sie nicht! La donna é mobile. Der Kommerzienrat hat einen großen Vorzug vor Ihnen – er ist reich. Ich bin allerdings über Ihre eigenen Vermögensverhältnisse nicht unterrichtet –«

»Ich besitze so gut wie nichts.«

»Nun, das ist schlimm! Sie sind erst Referendar. Es wird wohl noch geraume Zeit vergehen, ehe Sie in Amt und Würden sind?«

»Allerdings!«

»Sehen Sie, inzwischen kann allerhand Mißliches geschehen! Der Kommerzienrat überhäuft Sabine mit kostspieligen Geschenken, die sie annimmt. Und trotzdem beteuert sie mir, Sie seien der einzige Mann, den sie liebe.« »Wann hat sie es gesagt?« »Vorgestern im Palace-Hotel. Drei Stunden vorher hatte ihr der Kommerzienrat den Täbris geschenkt. Es ist unbegreiflich!« »Bei Frauen ist nichts unbegreiflich – gar nichts !« »Was soll ich denn tun?« »Steigern Sie die Leidenschaft, die sie für Sie hegt, so ins Unwiderstehliche, daß sie gar nicht anders kann, als den Alten laufen zu lassen und Sie zu behalten.« »Das ist leicht gesagt; wie soll ich das anfangen?« »Ja, mein Lieber, über die Methode, wie man eine Frau gewinnt, läßt sich kein Unterricht erteilen. Die muß jeder von selbst finden. Immerhin können wir eine Art Kriegsplan machen. Erklären Sie Sabine Sabina rund heraus Ihre Liebe. Tun Sie das mit Zurückhaltung und Ernst, sie liebt den Ernst in Ihrem Wesen, sowie sie Ihre kraftvolle, hohe und schlanke Gestalt liebt. Das sind auch Reichtümer, die ein Weib locken – haha – ich denke wohl! Wie alt sind Sie? »Siebenundzwanzig!« »Nun, das paßt ja glänzend. Machen Sie Fräulein Sabine klar, daß Sie auf sofortiger Eheschließung mit ihr bestehen.« »Herr Graf, wie könnte ich als vermögensloser Referendar es wagen –« »Sachte! – Wer nach einem Sterne greifen will, muß sich recken. Wenn Sie nicht das alleräußerste wagen, werden Sie das Spiel, das ganz ungleich steht, nicht gewinnen. Lassen Sie das Mädel, wenn sie auf Ihre Frage nach Gegenliebe mit »Ja« antwortet, nicht mehr los, nehmen Sie sie in Ihre Arme, ersticken Sie sie mit Küssen, sagen Sie, es handle sich um Himmel oder Hölle, um Leben oder Sterben. Und dann werden Sie wieder sachlich. Sagen Sie, daß Sie siebenundzwanzig Jahre alt seien, also herrlich zu ihr paßten, daß es vor der Hand nur eine heimliche Ehe sein solle, niemand werde darum erfahren. Sie solle ihrer unsterblichen Kunst weiterleben bis zu dem Tage, wo Sie imstande sein werden, vor aller Welt mit ihr als Ihrer Frau aufzutreten. Und auch dann wollten Sie noch lange nicht sie als eifersüchtiger Ehemann quälen, sondern ihr die goldene Freiheit lassen, ihr eigenes Leben zu leben. Sie würden ihr dann alles bieten, was eine Dame der großen Welt verlangen kann.«

»Wie könnte ich ihr das vorgaukeln?«

»Wir gaukeln ihr nichts vor. Ich habe einen reichen Freund, der weit ausgedehnte Felder, Wälder, Bergwerke besitzt. Er verdankt mir viel und wird sich freuen, mir einmal einen ordentlichen Gefallen erweisen zu können. Mit ihm werde ich ausmachen, Sie sofort, nachdem Sie Assessor sind und den juristischen Doktor haben, als Syndikus anzustellen. Wenn Sie Erfolge erzielen – woran ich nicht zweifle – werden Sie rasch avancieren, dafür lassen Sie mich sorgen. Wenn Sie erst Direktor oder gar Generaldirektor sind, werden Sie Ihrer Frau viel mehr bieten können als dieser Lederhändler.«

»Es klingt alles wie eine Utopie, wie ein schönes Märchen. Soll ich denn diese schöne Geschichte, diese glänzende Fata morgana Sabinen erzählen?«

»Nein, diese Geschichte werde ich selbst ihr erzählen und noch viel anderes dazu, z.B. daß ich ihr Gelegenheit verschaffen werde, ihr großes Talent in Berlin, in Wien, in Paris, in Warschau, in London, in den großen Kulturzentren Amerikas wirken zu lassen. Im Vertrauen gesagt, auch bei dem Engagement nach Kairo hatte ich meine Hand mit im Spiele. Ja, verehrter Herr Referendarius, mit einer nach Regeln und Paragraphen beherrschten Laufbahn kommt man nicht weit. Die Fußgänger des Lebens sind heutzutage schlecht dran. Nein, nein, mein Lieber, diese Fußwanderer, die ausgehen, um das Glück zu suchen, haben in unserer Zeit nicht mehr das rechte Tempo. Die Romantik ist tot, die alten Burgen sind zerfallen, die alten Remter vergraut, wo die Mühle im stillen Grunde ihr Rad drehte, raucht jetzt eine Zellulosefabrik; auf der alten stillen Wanderstraße fauchen die Autos; der Fußgänger muß oft in den Straßengraben springen, sein Leben zu retten, und hat die Augen voll Staub. Auf solche Weise findet man heutigen Tages das Glück nicht mehr!«

»Ich bewundere Sie, Herr Graf! Sie müssen ungeheuer reich sein –«

»Ich bin nicht reich. Ich besitze das, was man zu einem standesgemäßen Leben braucht – nicht mehr.«

»Aber äußerst einflußreich! Wie könnten Sie sonst so ungeheure Pläne wie Sie für Sabine und mich hegen, ins Auge fassen?«

»Bitte, zerbrechen Sie sich nicht meinen Kopf! Woher ich diesen Einfluß habe, ist meine Sache; Ihre Sache ist, ihn zu benützen. Denn, Herr Referendar, ohne Protektion wird nichts; Sie bleiben schließlich auf einem Kaff sitzen. Gehen Sie heraus aus dem verstaubten Straßengraben, steigen Sie in ein erstklassiges Auto! Tippeln Sie nicht los nach dem Ziele des Glücks, sondern fahren Sie mit hundert Pferdekräften, bis Sie rasch und meist auch ganz bequem da sind, wohin Sie streben! Anprallen, Überschlagen, Halsbrechen, plötzlicher Tod – das ist natürlich alles leicht möglich! Diese Fatalitäten muß man in Kauf nehmen, wenn man heutzutage nach dem Glücke aus ist. Dem Fußwanderer droht so etwas nicht! Der reibt sich den Staub aus den Augen, schimpft, ballt ganz unnützerweise die Faust hinter dem Auto her und bleibt auf dem alten Flecke torkeln. Na? Geht Ihnen meine Lebensphilosophie ein? Oder bin ich Ihnen unheimlich?«

Richard wischte sich die Stirn ab.

»Ich frage mich, Herr Graf, aus welchem Grunde Sie ein so lebhaftes Interesse an mir, einem nur zufälligen Bekannten nehmen können.«

»Nun, da könnte ich Ihnen wieder antworten: Zerbrechen Sie sich doch nicht meinen Kopf! Ich weiß schon, was ich tue. Glitzern Sie mich nicht an mit dem Mikroskopenblick der deutschen Juristen, die in jedem Wesen, ob es nun ein Schwein ist oder nicht, Trichinen vermuten, die erst dann völlig an einen Mitmenschen glauben, wenn fünfzehn Jahre nach dessen Tode sich nichts gefunden hat, was ihn ›hinreichend‹ verdächtig hätte machen können.« »Sie schwärmen nicht gerade für Juristen?«

»Nein, durchaus nicht!«

»Ich liebe die Juristerei als freierwählten Lebensberuf. Und so muß ich denn doch die gerade Gedankenlinie innehalten und mir die Frage erlauben: Weshalb, Herr Graf, nehmen Sie an dem Schicksal Sabinens und an meinem eigenen Schicksal solch auffallendes Interesse?«

»Aha! – Trotz aller Freundlichkeit meinerseits, trotz allen guten Willens immerhin ›hinreichend verdächtig‹. Nun, wir müßten eigentlich jetzt diese Konferenz abbrechen, ich könnte Ihnen sagen: ich bewundere Fräulein Sabine, daher wünsche ich nicht, daß sie sich an einen halben Greis fesselt; ich hatte auch für Sie eine gewisse Sympathie, die sich allerdings nun etwas vermindert hat. Aber diese Argumente würden ja dem Juristen gegenüber nicht verfangen, der Jurist wittert immer selbstsüchtige Beweggründe, und damit hat seine sonst fragwürdige Psychologie ja oft recht. Also, jetzt will ich's Ihnen sagen: ich liebe die Tochter von Kommerzienrat Bruckner–«

»Irene heißt sie –«

»Ach, Sie kennen sie, Herr Referendar?«

»Ich bin ihr einmal begegnet, sie ist eine edle und sehr schöne Erscheinung. Sie muß ganz nach ihrer Mutter sein.«

»Ganz sicher! Nach dem Lederhändler artet sie keineswegs. Und nun die Tragik, Herr Referendar, die in Ihr eigenes Leben eingreift: Irene ist von einem so reinen Rechtsgefühl, daß sie es nicht überwindet, zu wissen, daß Ihre Mutter, Herr Referendar, und damit Sie und Ihre Brüder um ein Vermögen gekommen sind.«

Richard Bruckner zuckte die Achseln.

»Zeitverhältnisse! Vom juristischen Standpunkt läßt sich da nichts machen.«

»Das sieht fest; darauf fußt der Alte! Irene aber, meine angebetete Irene, kennt als höchstes Gesetz nur das, das der ewige Gesetzgeber ihr ins Herz geschrieben hat, Gott, für den es keine andere Inflation auf Erden gibt als die Entwertung der Seelen.«

»Das ist schön gesagt.«

»Schöne Worte richten nichts aus, nur kräftige Entschlüsse und Taten. Es ist der so grundverschiedenen Auffassung wegen zu einer Auseinandersetzung zwischen Vater und Tochter gekommen, die so heftig war, daß Irene das väterliche Haus verlassen hat.«

»Ich habe davon gehört.«

»Das tapfere Mädchen will lieber auf ein behagliches Leben verzichten als an einem Anrecht teilhaben. Sie will als Korrespondentin, als Schreibfräulein sich ihren Unterhalt verdienen. Darüber wurde der Alte rasend. Er sann auf Rache. Er beschloß, sich noch einmal zu vermählen, hofft, noch Kinder zu bekommen und dadurch die widerspenstige Tochter kalt zu stellen. Irene, meine Geliebte, meine Braut! Begreifen Sie nun, Herr Jurist, warum mir daran liegt, diese Heirat zu verhindern? Haben Sie nun das Motiv zur Tat gefunden? Bin ich Ihnen noch weiterhin hinreichend verdächtig?«

Richard streckte dem Grafen seine Hand hin.

»Herr Graf, bitte nehmen Sie meine Hand. Ihre Absichten sind über jeden Verdacht erhaben und ich verdanke Ihnen viel, ja vielleicht alles. Nur zürnen Sie mir nicht – ich kann den goldenen Glückstraum, in den Sie mich wiegen, noch immer nicht dafür halten, was man realisierbar nennt.«

»Naja! Sie sind Jurist! Die Juristen sind nur für das, was augenblicklich absolut nachweisbar ist. Phantasie haben sie nicht, Vertrauen noch viel weniger, und deshalb verlieren sie leicht den Blick für das, was jenseits des augenblicklich betrachtbaren Horizontes liegt. Was dahinter liegt, meist die Wahrheit – die ist ihren scharfen Augen und ihren noch schärferen Brillen nicht immer erkennbar. Haha! Nein, ein Freund der Juristen bin ich nicht; bitte um Entschuldigung. Herr Referendar! Aber Ihr Freund bin ich.«

»Das weiß ich nun und freue mich dessen und bin dankbar – aber – aber – er ist reich – ich bin ein blutarmer Schlucker! – Wie hoch schätzen Sie den Wert dessen, was er ihr allein in Konstantinopel schon geschenkt hat in deutschem Gelde?«

»Soweit ich diese Schenkungen beobachten konnte, auf rund zwanzigtausend Mark.«

»Das ist eine unerhörte Summe!«

»Nein, mein Lieber, das ist gar nichts! Kommen Sie doch aus Ihrem Straßengraben heraus, an dessen verstaubtem Rande Sie nach dem Glück aus sind! Steigen Sie ins Auto! Halt, mir kommt ein famoser Gedanke. Waren Sie schon im Serail? Sie wissen selbstverständlich, was der Serail ist?«

»Der alte Sultanspalast. Ich kenne ihn eigentlich nur von der Mozartoper her – Die Entführung aus dem Serail.«

»Also, dort wird's geschafft! Wir fahren alle nach dem Serail! Was einstmals unter grausamster Todesstrafe zu betreten verboten war, kann man jetzt gegen mäßiges Eintrittsgeld besichtigen, sogar den Harem des Sultans. Na, Sie werden von der Anlage dieses – sagen wir – Etablissements nicht sehr überwältigt sein. Dickstes Mittelalter! Ein paar Höfe mit sehr mäßiger Umrahmung von Häusern, die wir nimmermehr als ›Paläste‹ ansprechen würden, kleine Gartenanlagen mit uralten schönen Bäumen. Aber doch die Erinnerung an uralte Zeiten, was hier einmal war: an diese Orgien von Wollust und Blutrausch, an gefangene junge schöne Frauen, die, wenn sie auch nur einmal den Verschluß des Fensters hoben, um einen Blick hinunterzuwerfen in die prangende Welt am Bosporus, ›gesackt‹ wurden, das heißt, das junge Ding wurde in einen mit Bleigewichten beschwerten Sack gesteckt und im Bosporus versenkt. ›Da sieh dir an, wie schön es da unten ist‹! Das alles, was ja historisch ist, werde ich Sabine erzählen, werde hinzusetzen: der Sultan war meist ein verbrauchter, greiser Trottel, Sein Opfer immer ein junges, glückheischendes Weib. Stellen Sie sich bei Sabinens Phantasie und Temperament die Wirkung vor! Und dann: so ärmlich uns moderne Menschen die ganze Anlage des Serails anmuten muß, etwas ist neuerdings im Serail enthalten: die kostbarste Schatzkammer der Welt! Kemal Pascha, der Diktator der heutigen Türkei, hat alle Kostbarkeiten aus Sultans- und Prinzenschlössern entfernen und im Serail zu einem Museum zusammenfassen lassen. Andere Schatzkammern des Abendlandes sind ärmliche Krämerauslagen gegen diesen unfaßbaren Reichtum. Nun, Sie werden ja alles sehen! Nur ein Prunkstück will ich Ihnen kurz schildern, weil gerade vor diesem Kleinod unser Plan gelingen muß. Es ist ein Sultansthron, ein schwerer, mächtiger Armsessel, der auch den dicksten Mann tragen kann. Ganz aus Golde. Die Rückenlehne, die Armlehnen, die Beine des Stuhlkolosses, ja sogar seine Hinterseite, das Fußkissen, alles aus purem Golde, alles massiv. Aber das wäre ja noch nichts. Gold ist schon heute lange nicht mehr das kostbarste Metall der Welt, Radium, Osminium und wie das alles heißt, ist ja ungeheurer kostbarer. Also dieser Stuhl ist nur aus überfaustdickem Gold. Aber – um die Rücklehne, die Armlehnen, die Stuhlbeine, die Fußbank, die Rückfront selbst ranken sich vierfache Schnüre von Perlen erlesenster Art. Ich will's kurz machen: das Britische Museum in London hat für den Sultansthron die bescheidene Summe von – in deutschem Gelde berechnet – fünfhundert Millionen Mark geboten – also, eine halbe Milliarde. Kemal Pascha hat das Angebot abgelehnt, einmal aus nationalem Stolz und dann, weil das Angebot lächerlich niedrig war.«

»Das ist alles hochinteressant, aber –«

»Das Aber kommt gleich. Wir führen Sabine in Begleitung des Kommerzienrats nach dem Serail vor dieses kostbarste Kleinod der Welt. Sabine wird alle Wunder Golkondas, alle Märchen von Tausend und eine Nacht plötzlich vor sich enthüllt sehen, sie wird erschauern, vielleicht wird sie gar ohnmächtig werden. Kurz, sie wird in einen Taumel geraten. Denn sie ist – schön wie sie selbst ist – aller Schönheit verfallen. Diejenigen, die von der Göttin der Schönheit wieder getauft sind, müssen alle, sei es nun zum Guten oder Bösen, ihr Leben lang der Schönheit huldigen. Ich merke, daß ich ins Poetische gerate. Das ist niemals gut. Also, reden wir wieder praktisch! Sie steht da, sieht das sinnbetörende Gefunkel edelster Steine, sternhellster Brillanten, größer als der Jupiter ist, der am Winterhimmel funkelt, Rubine, heilig, groß wie aus dem Blut von Märtyrern zusammengeronnen, Opale von so weicher Zärtlichkeit wie das wechselnde Mondlicht im Mai ist, Saphire, so tief blau wie die Seele des Meeres ist.«

»Sie sind ein Dichter, Herr Graf!«

»Nein, ich berichte nur Eindrücke. Ich bin jetzt zum zehnten Male in Konstantinopel; ich weiß Bescheid. Und nun zur Sache: vor diesem Wunderwerk, das Sabine Sabina völlig hingerissen, völlig aller klaren Besinnung beraubt, betrachten wird, da sie für das Glitzernde, Funkelnde, Wertvolle ist, machen Sie, Herr Referendar einen ganz brutalen Vorschlag. Sie sagen: Herr Kommerzienrat, wie wäre es, wenn Sie bei Ihrem ungeheuren Reichtum diesen Stuhl der türkischen Regierung abkauften und ihn unserer göttlichen Sabine schenkten? Eine Göttin paßt hierher auf diesen Stuhl besser als ein fetter, häßlicher Sultan.«

»Sie würde mich mit Recht furchtbar verlachen.«

»Natürlich werden Sie ob dieses Blödsinns verlacht! Aber, was schadet das? Sie lachen mit! Und ich halte mir die Seiten und sage: famoser Witz.«

»Was bezweckt das?«

»Es bezweckt, daß Sabine die Geschenke, die Bruckner ihr gemacht hat, lächerlich werden. Zwanzigtausend Mark, solch ein Quark! Der Teppich, auf dem der Stuhl steht, ist zehnmal mehr wert. Sabine wird klar gemacht: der Lederhändler ist gar nicht reich, kann mir nicht eine einzige Schnur dieses Stuhles schenken! Lieber Freund: die Perle stammt von einer Muschel im Meer, die sterben muß, wenn die Perle vollendet ist. Unsere Frauen sind wie die Perlen. Wenn sie Perlen bekommen, stirbt vieles in ihnen, oft sogar ihre Ehre. Sabine soll erkennen, daß sie um des bißchen Krames, der ihr geschenkt worden ist, um die lumpigen zwanzigtausend Mark, ihren schönen Leib, ihre schöne Zukunft an einen Lederhändler, der sich für reich hält, in Wahrheit aber ein alter, grämlicher Spießer ist, der eben genug hat, behaglich zu leben, niemals dahingehen darf.«

»Großartig! Aber wie stehe ich selbst vor diesem goldenen Stuhl? Ich junger Mensch, der nicht einmal die Mittel hat, nach der Heimat zurückzureisen.«

»Sie stehen gut da! Ein Geldbrief von Deutschland nach Konstantinopel geht günstigenfalls acht Wochen, aber eine telegraphische Geldanweisung von einer Bank, bei der man ein Konto hat, nur vierundzwanzig Stunden. Haben Sie ein Bankkonto in Deutschland?«

»Nein, nur eine Privatadresse, durch die ich etwas Geld telegraphisch bekommen könnte. Sowohl mein Bruder als ich –«

»Das soll uns nicht aufhalten! Ich habe längst eine Geldanweisung telegraphisch angefordert. Sie wird mir an der Bankstelle der Deutschen Bank in Konstantinopel morgen ausgezahlt werden. Machen Sie es auch so!«

»Ja, ich danke für den guten Rat!«


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