Paul Keller
Drei Brüder suchen das Glück
Paul Keller

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Bosporus

Den Bosporus als eine stillstehende Meeresenge anzusehen, ist ein Irrtum. Der Bosporus ist ein gewaltiger Strom, der vom schwarzen Meere aus in einer Breite bis zu einer deutschen Meile nach dem niedlichsten Meere der Welt, dem Marmarameere, mit einer Stundengeschwindigkeit von vier Kilometern dahinfließt. Seinem landschaftlichen Charakter nach ist der Bosporus am ehesten mit unserem deutschen Rheine vergleichbar: blaues Wasser, an den Ufern modernes Leben: Paläste, Villen, freundliche Dörfer, aber auch alte Türme, verbrannte oder verkommene Schlösser. Eine Dampferfahrt auf dem Bosporus nach dem Schwarzen Meere hin ist der schönste Ausflug von Konstantinopel aus, vielleicht einer der schönsten Ausflüge der Welt.

Auf dem Vergnügungsdampfer waren vereinigt: der Kommerzienrat, Richard Bruckner, Sabine Sabina, Graf Luwowsky. Elmar fehlte; der Graf hatte recht gehabt, der völlig zerbrochene Jüngling hatte sich zu Bette gelegt, wo er abwechselnd heulte, betete, fluchte, drohte, schimpfte und sich todelend fühlte.

Eine hohe einflußreiche Person war auf dem Schiff, so daß der Kommerzienrat sich lange mit ihr beschäftigte, da er sich gerade zu dieser Zeit um einen Konsultitel bemühte. So war ihn Sabine auf ein Weilchen los, und in dieser kurzen Zeit erfüllte sich Richard Bruckners Geschick. Zitternd vor Aufregung gestand er ihr seine Liebe. Freilich konnte er sie hier nicht an sich pressen, wie es der Graf empfohlen hatte, dafür waren zuviel Leute an Bord, aber sonst war alles dazu angetan, der größten Szene seines Lebens, da er dem ersten Weib sein Herz und sein Leben anbot, einen würdigen, ja einen köstlichen Rahmen zu geben: der tiefblaue Strom, der ebenso tiefblaue Himmel, die phantastischen Ufer, die asiatischen Gelände mit den orientalischen Häusern, im Hintergrunde die Weltstadt mit den hochragenden Kuppeln, Moscheen, Minaretten und weißen Marmorpalästen.

Sabine schwieg eine Weile, dann blieb sie stehen und sah Richard in tiefem Ernste an:

»Richard, ich liebe Sie auch. Sie sehen, ich erkläre es Ihnen rund heraus mit kurzen nüchternen Worten, es bedarf keiner großen Beteuerungen von mir. Meine Liebe zu Ihnen ist etwas ganz Selbstverständliches. Aber heiraten können wir uns nicht.«

»Warum denn nicht, warum denn um Gottes willen nicht?« stieß er heraus.

»Wir sind zu arm. Arme Leute sollten nicht heiraten. Sehen Sie, mein Vater und meine Mutter führten anfangs eine ganz glückliche Ehe, aber als der Geldmangel nicht aufhörte, wurde die Ehe sehr unglücklich. Ach, wie oft habe ich meine Mutter sagen hören: wenn die Sorge kommt ins Haus, fliegt die Liebe zum Fenster hinaus.«

»Sabine, wenn Sie mich nur wirklich lieben, könnten Sie sich nicht mit einem etwas bescheideneren Leben begnügen?«

»Ich könnte vielleicht auf Luxus verzichten, obwohl mein ganzes Naturell nach ihm hindrängt; auf behaglichen, absolut gesicherten Wohlstand kann ich nicht verzichten. Ich schaudere vor dem Armsein, vor aller Dürftigkeit. Das Wort: ›Raum ist in der kleinsten Hütte für ein glücklich liebend Paar‹ ist schön, aber es ist nicht wahr, wenigstens nicht für lange. Vielleicht für zwei Jahre. Nein, nein, wenn ich auch beim Theater bin, so bin ich doch eine Realistin. Das bin ich geworden durch die harte Schule meiner Jugend.«

»Sabine, möchten Sie in meiner Angelegenheit einmal dem Grafen Luwowsky eine Unterredung gewähren? Er ist mir äußerst gewogen, hat weitausschauende Pläne für mich, zeigt mir sehr gute Aussichten –«

»Was geht den Grafen Luwowsky unsere Sache an?«

»Er ist ein ungeheuer einflußreicher Mann. So hat er mir z. B. gesagt, es würde ihm nicht schwer fallen, Ihnen, Sabine, große stolze Gastspiele in Berlin, Wien, Warschau, Paris, London und in den Hauptstädten der Union zu vermitteln.«

»Hat er das gesagt? Hat er das gesagt? Das wäre herrlich!«

Sie war plötzlich ganz gierig. Der glühende Ehrgeiz der Schauspielerin brach durch.

»Wo ist er? – Wo ist er?«

»Da drüben an Bord lehnt er. Soll ich ihn herrufen?«

»Ja, aber lassen Sie mich mit ihm allein!«

*

Richard war entlassen. Wie wenn er schwer getrunken hätte, so schwankte er dahin, Himmel und Hölle in der Brust.

»Nun?« fragte Graf Luwowsky, »schon fertig? War es eine Himmelfahrt? Oder war es ein Absturz zur Hölle?«

»Beides! Sie sagt, daß sie mich liebe, ja, daß ihre Liebe zu mir eine Selbstverständlichkeit sei, aber daß sie mich nicht heiraten wolle.«

»Weil Sie ihr zu arm sind.« »Ja! Sie will auf Luxus und Wohlstand nicht verzichten.«

»Ich habe es mir gedacht. Nun komme ich an die Reihe. Wollen sehen, ob ich erfolgreicher verhandeln kann als Sie.«

»Herr Graf, ich bin Ihnen auf Lebenszeit zu Dank verpflichtet.«

»Schon gut. Auf Wiedersehen.« –

Richard setzte sich irgendwo auf eine Bank. Es war jenes Wirbeln in ihm, jene entsetzliche Bangigkeit, die alle Menschen quält, die vor einer lebenswichtigen Entscheidung stehen, deren Ausfall zweifelhaft ist, die in der Brandung schwimmen mit der furchtbaren Frage: Landest du oder gehst du unter? Seine Nerven fieberten. Was nützte ihm der Bosporus? Er sah nicht nach den Ufern, er starrte auf den Fußboden oder auf seine in sich geschlungenen Hände. Ein junges, hübsches Weib, das einen schwarzen Schleier trug, aber ein unverhülltes Gesicht hatte, faßte ihn plötzlich an der Hand, sah in deren Linien und sagte in kümmerlichem Deutsch: »Sie lieben sehr – wiedergeliebt! Nicht bald glücklich – später! Hüten vor falschen Freunden! Warten!« Es war eine junge Zigeunerin, deren es in Konstantinopel viele gibt. Sie sind dort unten der aufdringlichste und unzuverlässigste Teil der Bevölkerung. Richard gab dem Weibe eine Münze und rückte von ihr ab.

Jetzt war wohl der Kommerzienrat mit der hoch stehenden Persönlichkeit, deren er für die Beschaffung des Konsultitels bedurfte, fertig, er verabschiedete sich mit tiefer Verbeugung.

»Nun hat ihn Sabine wieder auf dem Halse,« sagte sich Richard, »jetzt ist es mit vertraulichen Aussprachen vorbei.«

Und so war es. Sie saßen dann später zusammen.

»Nun, darf man wissen, wie die Unterredung mit Sr. Exzellenz ausgefallen ist, wie es mit dem Konsul steht?« fragte der Graf.

»Nicht Konsul – das ist was für kleine Kaufleute. Da ist ja Kommerzienrat viel besser. O nein, Generalkonsul! Das ist etwas! Deren gibt es selbst bei Großmächten nicht viele. Haha! Konsul von Guatemala oder Honduras, was das schon ist! Lächerlich! Aber Generalkonsul – klingt das, göttliche Sabine Sabina?«

»Es klingt wunderschön.«

Der bedeutungslose Referendar Bruckner saß still und steif da.

Aber der Graf schob ihm einen Zettel zu. Darauf stand: »Heute Abend 6 Uhr – Palace Hotel.«

*

Im Bristol Hotel fand Richard seinen Bruder Elmar nicht vor. Ausgegangen, sagte der dicke Portier. Dem jungen Herrn sei anscheinend nicht ganz wohl gewesen. Er hätte ihm einen guten Rat geben wollen, aber den hätte der Herr unwirsch abgewiesen.

Richard hörte nur halb auf diesen Bericht. Um ½ 5 Uhr waren sie von dem Bosporusausflug zurückgekommen; auf 6 Uhr lautete die heimliche Bestellung des Grafen.

*

»Ja, Herr Referendar, Ihre Sache steht nicht recht günstig. Daß ich mir alle Mühe gegeben habe, darauf können Sie sich verlassen. Schließlich, als ich Ihre Aussichten für die Zukunft so rosig geschildert hatte, daß mir das – ich will es gestehen – schon selbst etwas wie Übertreibung vorkam, glaubte ich mich am Ziel. Aber sie sagte:

›Ach, wenn er doch reich wäre, wenn er doch wenigstens so viel hätte wie der Kommerzienrat. Freilich, wenn er Generaldirektor eines großen Betriebes würde, wenn er mich nicht festhielte bei seinen Gruben und Fabriken, sondern mich losließe in die Freiheit, ins bunte Leben, dann würde ich ihn vielleicht heiraten, denn er gefällt mir gut. Aber, Herr Graf, Ihre Forderung einer sofortigen Eheschließung mit Einschluß der Ehegeheimhaltung kann ich nicht ernst nehmen. Lassen Sie mich, wenn Sie soviel Einfluß haben, in den Hauptstädten der Welt auftreten, und wenn ich viel, viel Geld verdient habe, so daß ich zunächst auf eigene Rechnung das gewohnte Leben fortsetzen kann, dann will ich warten, bis Herr Bruckner Generaldirektor eines großen Betriebes ist, und dann werde ich ihn heiraten. Eher nicht!‹ Also, das ist immerhin keine endgültige Absage.

Sabine fuhr fort: ›Der Kommerzienrat ist freilich auch nicht reich, er ist nur annähernd wohlhabend. Ich habe im alten Serail den Sultanthron gesehen, einen schweren Lehnsessel aus purem Golde, Rückenlehne, Armstützen, selbst die Stuhlbeine mit vierfachen Schnüren erlesenster Perlen geschmückt, der ganze Sessel mit den edelsten Steinen übersät. Das Britische Museum hat Kemal Pascha für diesen Stuhl eine Summe angeboten, die in unserem Gelde 500 Millionen Goldmark ausmacht. Kemal Pascha hat das Angebot lächelnd abgelehnt. Das nenne ich Reichtum! Die alten Sultane waren reich. Wie Götter haben sie hier gethront am blauen Bosporus, keinem Maß, keinem Hemmnis unterworfen, Herren über Leben und Tod, überstrahlt von Licht und Pracht, Gebieter über alle Freuden der Welt. Diese Sultane waren reich! Das, was der Kommerzienrat besitzt, ist bescheidener bürgerlicher Wohlstand. Jetzt sind nur noch ein paar amerikanische Industrielle reich und einige Maharadschas in Indien. Alles andere ist Marke ›Reichtum Verschnitt‹.«

Richard sagte kein Wort. Der Graf machte eine kleine Pause. Dann fuhr er fort:

»Also unser schöner Serailplan ist auch zu Wasser geworden. Sie war schon dreimal oben. Sie ist so versessen auf alles, was blinkt und gleißt. Mit Abscheu denkt sie an ihre Kindheit zurück, an die Klagen der Mutter, wenn kein Geld da war für Brot und Kohle; sie haßt das Armsein; Reichwerden, Reichsein ist ihr leidenschaftlicher Wunsch.«

»Und sie sagte, daß sie mich liebe, mich, den vermögenslosen, armen Referendar,« sagte Richard dumpf.

»Sie liebt Sie. Sie sagte, wenn ich ihr wirklich die Gastspielrollen in den großen Städten und Ihnen eine Generaldirektorstelle verschaffen könne, dann wolle sie eine Vermählung mit Ihnen in ernsteste Erwägung ziehen. Eher aber nicht. Nun, das ist für mich ja wertlos. Auf eine sofortige Eheschließung, sei es auch nur eine Geheimehe, ginge sie nicht ein. Das war für mich die Hauptsache, das habe ich Ihnen ganz aufrichtig gesagt. Sie sind natürlich schwer enttäuscht. Immerhin: die Verlobung zwischen dem Kommerzienrat und Sabine ist hier in Konstantinopel nicht zustande gekommen.«

Richard saß still da. Sein Gesicht verzog sich zu einem schmerzlichen Lächeln. Er erhob sich.

»Herr Graf, ich bitte, mich mit einem tief ergebenen Dank für alle Ihre Bemühungen für mich, die leider vergebens gewesen sind, von Ihnen verabschieden zu dürfen.«

Auch der Graf sprang auf.

»Wieso waren meine Bemühungen vergebens? Ist das nichts, wenn die Verlobung Sabinens mit dem Kommerzienrat bisher hintan gehalten wurde? Es ist beschlossen, morgen Konstantinopel zu verlassen und nach Ägypten zu reisen. Wenn die Abfahrt nicht morgen früh um neun Ahr an der Neuen Brücke erfolgt, dann ist keine Fahrgelegenheit mehr bis nach einer Woche. Fahren Sie doch mit, Herr Referendar!«

Richards Gesicht verzerrte sich.

»Ich habe nicht das Geld dazu.«

Der Graf zuckte die Achseln.

»Katastrophe! Ich würde Ihnen das Geld leihen, – wahrhaftig – aber ich weiß ja selbst nicht, wie ich jetzt auskommen werde.«

»Ich danke, Herr Graf, für den guten Willen!«

»Und was unser persönliches Verhältnis anlangt, Herr Referendar, so sind Sie zwar leider schwer enttäuscht. Aber auch ich bin enttäuscht; denn auch mir ist ein Lebensplan gescheitert, oder doch fast gescheitert. Vielleicht haben Sie es falsch angefangen, Herr Referendar. Der Bosporusdampfer war nicht der richtige Platz für Ihre Liebeswerbung. Das Weib braucht Gewalt, es will erobert, im Sturm genommen werden. Doch das ist nun vorbei. Ihre Heimatadresse habe ich mir notiert: Salzstraße 15 bei Breise. Ich werde Ihnen schriftliche Berichte geben. Herr Referendar, wenn es mir nun leider auch nicht möglich gewesen ist, Sie ans Ziel Ihrer Wünsche zu führen, so werden Sie mir nicht zürnen?«

»Niemals, Herr Graf, wie könnte ich es denn?«

»Und wenn wir uns in Deutschland wieder begegnen, werden Sie mir niemals bei Kommerzienrat Bruckner entgegentreten, wenn ich mich um seine Tochter Irene bewerbe?«

»Niemals!«

»O, der Kommerzienrat argwöhnt, daß ich in dieser Angelegenheit an Ihrer Seite gegen ihn war. Sie werden diesen Argwohn niemals bestätigen, auch nicht durch eine Unvorsichtigkeit?«

»Niemals, das verspreche ich Ihnen!«

»Leben Sie wohl. Sie sind ein kluger, starker Mann, Sie werden es tragen. And dann – wie schon gesagt – es ist ja durchaus noch nicht alles aus für Sie!«

»Es ist aus, Herr Graf! Ich habe heute die ganze Oberflächlichkeit von Fräulein Sabine Sabina mit Schaudern erkannt; ich begehre sie nicht mehr. Ich stelle es in Ihr Ermessen, ihr diesen Verzicht mitzuteilen oder nicht.«

»Nanu?«

»Ja!«


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