Paul Keller
Drei Brüder suchen das Glück
Paul Keller

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Romeo und Julia.

Ein Göttlicher spricht nur Göttliches und Göttliches kann nur von einer göttlichen Person wiedergegeben werden. Sabine Sabina, unsere große Sabine Sabina ist eine Göttin! Daher kann sie Shakespeare, den Göttlichen, uns Armen vermitteln. Was sie am letzten Dienstag als Julia bot, war nichts Irdisches mehr. Wenn ich sagte, es sei allerhöchste Schauspielkunst gewesen, dann wäre das eine Herabwürdigung. Nein! Ein Wunder war's, ein unbegreiflich hohes Wunder. Sabine Sabina! Der Name ist nicht nur ein Programm, er ist eine Offenbarung, ein Evangelium. In diesem Namen liegt die Vermählung germanisch-keltischen Geistes mit der herrlichen Kultur des Lateinertums, mit den großartigsten Überlieferungen frühester Römergeschichte und klassischer mittelalterlicher Renaissance. Sabine germanisch-keltisch, herb; Sabina eingetaucht in den Wohllaut lateinischer Kultursprache. So eine Frau kann Shakespeare spielen, kann eine Julia sein. 1579 ist Romeo und Julia erstmalig erschienen und jetzt, da William Shakespeare seit 1616 in der Kirche von Stratford begraben ruht, erweckt diese Göttin seine unsterbliche Dichtung zum Leben. O, Sabine Sabina! Um dich allein lohnte es sich, von Rom aus einen Krieg mit dem Bergvolk der Sabiner zu führen, um dich – dich ganz allein zu rauben, um dich als hellsten Stern an den Himmel des größten Kulturzentrums zu setzen. Ach, Sabine Sabina, wenn dich doch Giovanni da Bologna in Florenz gekannt hätte, ehe er seine unsterbliche Marmorgruppe »Raub der Sabinerinnen« schuf. Nur wer dich gesehen, göttliche Sabine Sabina, begreift, wie Romeo zu Benvolio sagen konnte:

Ein schön'res Weib als sie?
Seit Welten steh'n, hat die allseh'nde
Sonne es nicht geseh'n.«

*

»Na, was sagst du, August?«

»Ach, es ist ziemlich großartig!« antwortete August.

»Ich will dir sagen, lieber August, daß du ein ziemlich großartiger Schafskopf bist. Das, was ich dir aus der Feder unseres Elmar vorgelesen habe, ist Stuß! Stuß! Stuß und noch einmal Stuß!«

»Sie schätzen ihn in der Zeitung,« wandte August ein. »Sie wollen ihn doch vielleicht mal fest anstellen.«

»Weil er Turkel hat, weil sein Vorgänger wahrscheinlich an der Schwindsucht sterben wird. Und warum wird er sterben? Wegen des ewigen Theaterlaufens und was da bei den vielen Frauenzimmern mit drum und dran hängt, Saufereien und so. Und wegen der Nachtkritiken! Deswegen wird er mit siebenunddreißig Jahren sterben! Und dem Elmar wird's auch so ergeh'n!«

»Nun,« sagte August, »Elmar macht ja einen ziemlich rüstigen und lebensfähigen Eindruck.«

»Mit deinem ›ziemlich‹ bleib mir vom Leibe. Ich will nie etwas, was nur ›ziemlich‹ ist; ich mag nur, was ganz ist.«

»Ganz meine Meinung,« sagte August. Ach, er war der moralisch Schwächere und damit überhaupt der Schwächere.

»Und nun gehen wir ins Theater,« entschied die Frau. »Dieses Weib, was so mir nichts dir nichts Julia heißt wie ich und über die unser Elmar einen solchen Stuß in die Zeitung setzt, will ich doch einmal besichtigen.«

»Ganz meine Meinung!« sagte August. »Ich bin ziemlich gespannt.«

*

Breises gingen ins Theater. Romeo und Julia. Galerie Sitzplatz. Der Platz fünfundsiebzig Pfennig. Leider zweite Reihe. Richard hatte abgelehnt mitzugehen, er hätte für Theaterbesuche kein Geld. Aber für Tennislaufigel hat er zwei Mark Trinkgeld übrig, dachte Julia empört. Nun, er schämte sich, auf die Galerie zu gehen. Elmar sagte, für diesen Wiederholungsabend seien leider seine Freikarten nicht frei. Nur Kurt sagte, er mache sich frei, er gehe mit, und warf klirrend einen blanken Taler auf den Tisch, den ihm die Emmy vom Buffet »vorgestreckt« hatte.

Die drei hockten auf der Galerie und sahen der Liebestragödie von Verona zu. Sie sprachen gar nicht. Zwei- oder dreimal bei einer besonders rührenden Szene wischte sich Julia eine Träne ab, August grunzte dann leise, und Kurt gähnte. Er war nicht für Tragisches, und die Julia war sicher nicht vierzehn Jahre alt, wie die Amme behauptete, sondern gut und gern ihre sechsundzwanzig. So was darf beim Theater nicht vorkommen. Das ist Schiebung. Da soll sich nur der Elmar nicht so unnütz aufregen mit seiner Göttin.

Ehe sie nach Hause gingen, kehrten sie erst noch im »Zuckerhut« ein. Nun besprachen sie das Stück. Julia sagte: »Manches war ergreifend; aber ich muß sagen: ›Mein Leopold, mein Sohn‹ hat mich mehr gerührt.« August sagte, gegen das »Weiße Rössel« käme dieses Stück nicht auf, wie es ja überhaupt amüsanter und gesünder sei, zu lachen als zu heulen. Kurt sagte, ins Theater ginge er nie wieder. Sein Geld dafür ausgeben, daß er immerfort winseln höre, das fiele ihm nie wieder ein. Das einzige wäre, daß einer 'ne Strickleiter raufkletterte. Aber was das schon sei! Gar nichts sei das! Im Zirkus kletterten sie ganz andere Leitern rauf. Und gegen Harry Piel sei das bißchen Fassadenkletterei Stuß. »Nee, nee,« sagte August Breise unbesonnen, »das bißchen Fensterln hat mir auch gar nicht imponiert; wie ich noch um meine Alte ging in meinen jungen Jahren, um meine Julia, da habe ich ganz anders gefensterlt.«

Nun war's aus. Julia sprang auf, sagte, es sei unerhört von August, vor den unschuldigen Ohren eines solchen unreifen Burschen solch unerhörte Dinge verlogenerweise auszukramen, schrillte nach dem Kellner, und es gab Aufbruch. Als letzter verließ August Breise das Lokal. Was er da wieder einmal verschuldet haben sollte, darüber war er sich nicht im mindesten klar.

Sehr schlimm benahm sich auf dem Heimwege der Schlingel Kurt. Er hielt sich ständig den Leib, lachte wie ein Irrsinniger und krähte: »Er hat gefensterlt, er hat gefensterlt! Er muß nicht mehr August heißen, er muß Romeo heißen! – Romeo und Julia – ich – ich lach' mich tot – o – o, ich lach' mich tot!«

Julia und auch August fuhren ihn beide mächtig an und drohten ihm mit ihrer Ungnade. Da drückte er sich in eine Türfüllung und tastete sich an eine Mauer an.

»Er hat gefensterlt bei der Julia – er muß Romeo heißen ...«

Als der Nichtsnutz zu Hause anlangte, verabfolgte ihm Julia zunächst eine kräftige Ohrfeige.

»Das ist für das blöde Benehmen auf der Straße! Du Strolch bist erst achtzehn und bist schon verderbt! Ich war nie verderbt, das merke dir! Wenn du nicht ein Brucknerjunge und wenn du nicht ein so hilfloses Kalb wärst, würfe ich dich diese Nacht noch aus dem Hause. Ja, glaubst du denn, daß ich mir je was habe zuschulden kommen lassen, du nichtsnutziger Frechling?«

»Er hat – hat gefen...« sagte Kurt und erhielt eine zweite Ohrfeige.

»Jawohl! Das hat er behauptet, und er hat auch zweimal eine Leiter an mein Fenster gelehnt, das Schwatzmaul. Das eine Mal habe ich ihm sämtliches Parfüm von meiner Gnädigen in die Augen gespritzt, das zweite Mal habe ich ihm mit meinem Wasserkrug eine Nottaufe gegeben. So war es!

Und wenn du jetzt nicht augenblicklich verschwindest, und wenn du je noch etwas von Romeo und Julia sagst, dann...«

Sie konnte den Satz nicht vollenden, denn Kurt war fort.


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