Paul Keller
Drei Brüder suchen das Glück
Paul Keller

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August

Julia sprach mit August Breise sechs Tage lang kein Wort. Als August einem Bekannten begegnete und dieser ihn fragte, wie es ihm gehe, sagte er: »Schlecht! Meine Julia ist plötzlich taubstumm geworden.«

»Taubstumm? Plötzlich – die Julia? Nicht möglich!«

»Doch!« sagte August. »Seit sechs Tagen hört sie kein Wort mehr, wenn ich etwas zu ihr sage, und spricht auch selbst nicht mehr eine Silbe.«

Da lachte der Bekannte: »Kauf' ihr ein großes Stück ihrer Lieblingstorte, und das wird helfen.«

August Breise kaufte für eine Mark Nußtorte und legte sie morgens, ehe er in sein Hotel ging, heimlich auf Julias Nähtisch. Am Abend war die Taubstummheit der Frau behoben. Allerdings sprach sie anfangs nur in unfreundlichem Tone.

»Daß du das von deinem vermaledeiten Fensterln vor dem Jungen ausgequatscht hast, das vergesse ich dir nicht bis zu unserer goldenen Hochzeit!«

»Laß doch gut sein, Julia, ich werde mich niemals Romeo nennen; ich bleibe immer August.«

»Jawohl, wie der August im Zirkus – der dumme August...«.

»Julia, das ist es ja, daß unsere Zeit den schönen Namen so in Mißkredit gebracht hat. Ich habe heute in unserem Hotellexikon über meinen Namen nachgelesen. Weißt du nicht, daß Augustinus ein großer und allgemein sehr bekannter Kirchenlehrer ist, nicht so berühmt zwar wie Abraham a Sancta Clara, aber doch ein großer Mann? Und dann August der Starke von Sachsen! Der war so stark, daß er zwischen den Fingern einen Silbertaler zerbrechen konnte, und dreihundertfünfzig Kinder hat er gehabt.« Julia rückte die Brille in die Stirn, sah ihren Mann scharf an und sagte: »Das kannst du nicht!«

»Nein, nein,« gab Breise bescheiden zu, »ich spreche ja auch nicht von mir, ich spreche ja nur über die Auguste im allgemeinen. Da war der Kaiser Augustus von Rom. Der war der Herr der ganzen Welt. So berühmt hat er seinen Namen gemacht, daß alle anderen Kaiser nach ihm ihren Namen »Augustus« hinzusetzten, sie mochten sonst heißen, wie sie wollten.«

»Das glaube ich nicht!« sagte Julia. »Ich werde dir den Band A vom Lexikon mitbringen; da kannst du nachlesen, Augustus heißt der Heilige, der Geweihte...«.

»Ach, du Heiliger, ach du Geweihter!«

»Du glaubst es nicht; manche Kaiser haben sich sogar ›Semper Augustus‹ genannt, das heißt ›Immer August‹.«

Da lachte Julia:

»Das gibt's! Immer August – das gibt's! Zu der Sorte gehörst du! Und dann gibt's auch noch den ›lieben Augustin‹.«

Mit dem Weibe war nichts zu machen. August Breise beschloß, das Stück Nußtorte, das er heut um eine Mark fünfundzwanzig Pfennig gekauft hatte und nun in der Rocktasche trug, morgen früh nicht auf den Nähtisch zu legen, sondern in seiner Portierloge selbst zu verzehren und dabei noch einmal im Lexikon nachzulesen, eine wie große Reihe von Männern den schönen, starken, jetzt zu Unrecht verpönten Namen August geführt hätten.


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