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Sechzehntes Kapitel

Es regnete, als man Grau begrub. Viele Leute waren gekommen, auch Fremde, die man noch nie gesehen hatte. Eine Menge Kränze und Blumen bedeckten Graus Sarg und noch Tage, ja Wochen nach seinem Tode trafen Kränze ein. Ein Gärtner hatte einen wunderbaren Kranz mitgebracht, man hatte noch nie zuvor solch einen Kranz in der Stadt gesehen. Auch Adele war gekommen.

Der Dekan von Weinberg hielt die Rede. Es war ein schöner Mann mit blondem Vollbart, der sich selbst stets einen echten Germanen nannte. Er prüfte, ob das Brett fest sei, das man wegen des Schmutzes gelegt hatte, und der Kirchner mußte die ganze Zeit einen Regenschirm über ihn halten.

Dicht am Grabe standen zwei fremde Offiziere, die Helme in der Hand. Sie hatten rötliches Haar und helle Augen und jeder sah, daß sie Graus Brüder waren.

Der Dekan sprach, er sprach von dem jugendlichen Eifer Graus, seiner großen Nächstenliebe, den himmlischen Herrschern und vielem anderen. Je mehr er sprach, desto spöttischer lächelte Eisenhut, schließlich räusperte er sich unverschämt und endlich hustete er. Der Dekan mit dem blonden Vollbart warf ihm zornige Blicke zu.

Der Dekan hatte geendigt, da trat Eisenhut ans Grab. Er hob die Hand, zum Zeichen, daß er sprechen wolle. Dann sprach er.

»Hochverehrte Anwesende –« so sprach Eisenhut – »dieser Mensch, den wir heute begraben – er ist –«

Er konnte nicht fortfahren. Eisenhut war kein Redner. Die Leute sahen ihn erstaunt an und unterdrückten ein Lächeln.

Adele ging hinaus zu Mütterchen. Mütterchen saß allein in der Stube, die Hände im Schoß.

»Welche Freude!« sagte sie. »Wenn Susanna wüßte, daß Sie mich besuchen!«

Adele setzte sich in den Sessel.

Sie sagte: »Wer hätte denn denken können, daß er krank war und daß es so schnell mit ihm zu Ende gehen könnte.«

Mütterchen seufzte. »Sie war immer ein schwächliches Kind.«

Nach einer Weile sagte Adele: »Hat er viel leiden müssen?«

Mütterchen antwortete lange nicht. Dann sagte sie: »Nein, sie hat einen sanften Tod gehabt. Sie wußte gar nicht, daß sie sterben sollte.« Darauf nickte sie mit dem Kopfe und sagte mit leiser singender Stimme: »Susanna? Susanna?«

Adele schauerte zusammen; sie ging.

Auf der Brücke stand Eisenhut und wartete. Er zog den Hut, verbeugte sich und nahm einen Brief aus der Tasche.

»Ich habe einen Brief an Sie abzugeben, gnädige Frau,« sagte er, »außerdem hätte ich es ja nicht gewagt Sie anzusprechen.«

Adele lächelte und gab ihm die Hand. »Sie sind es, Herr Eisenhut! Ich freue mich Sie zu sehen. Es war schön von Ihnen, daß Sie heute eine Rede – –«

Eisenhut sah sie überrascht an. Sie hatte sich sehr verändert, bleich sah sie aus und gleichsam um viele Jahre älter, auch ihre Stimme klang ganz anders. Sie begann laut zu sprechen, aber ihre Stimme sank rasch zu einem Flüstern herab, so daß man die letzten Worte nicht mehr verstehen konnte.

Sie nahm den Brief an sich.

»Er ist ja offen?« sagte sie.

»Ja,« entgegnete Eisenhut, »so hat er ihn mir gegeben.«

»Ah! Er tat es absichtlich. Aber sehen Sie doch, in dem Brief ist ja noch ein Brief? An meinen Bruder, ein solch dicker Brief! Was mag er doch mit meinem Bruder zu tun haben? Auch Maria Sinding erzählte mir, daß er sie einmal vor ihm warnte. Aber – nun gehen Sie mit mir und erzählen Sie mir von ihm. Sie sind ja um ihn gewesen, Sie waren ja sein Freund!«

Eisenhut erzählte was er wußte.

»Er hat auch einigemal Ihren Namen genannt, gnädige Frau.«

Adele lächelte und errötete flüchtig. »Wie hat er mich genannt?« fragte sie.

»Er nannte Ihren Vornamen, gnädige Frau.«

Adele schwieg lange. Dann sagte sie: »Wer hätte denn denken können, daß es so kommen könnte!«

»Der Arzt sagt, Grau hätte die Krankheit von Susanna bekommen,« sagte Eisenhut.

Sie standen am Gitter des Parkes und Adele gab Eisenhut die Hand. »Vielleicht sehen wir uns einmal irgendwo,« sagte sie, »da Sie nun doch auf Reisen gehen. Vielen Dank noch. Vergessen Sie, daß ich Sie einst kränkte, ich denke jetzt ganz anders. Ich hoffe, es wird Ihnen gut ergehen, ein wenig besser vielleicht als mir. Leben Sie wohl!« Sie hielt inne, dann fügte sie leise hinzu: »Er war ein solch guter Mensch!«

Sie lächelte und reichte Eisenhut die Hand zum Kusse und Eisenhut küßte ehrfürchtig ihre weiße Hand. Dann ging sie langsam hinein in den Park und es dauerte lange Zeit, bis sie an die Stufen kam, die sie langsam emporstieg.

Eisenhut reiste am andern Tage mit seinen Lederkoffern nach dem Süden ab. –

Das aber ist der Brief, den Grau an Adele geschrieben hatte:

»Hüte Deine Seele, meine Freundin, sie ist das Einzige, was Du besitzt, unerforscht ist das Leben, unerforschter der Tod. Es gibt kein Ende. Wieder und wieder werden wir einander begegnen in den Reichen.«

 

Ende

 

Druck von Wilhelm Hecker in Gräfenhainichen.

 


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