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Vierzehntes Kapitel

Am andern Tage kam Adele zu Grau.

»Ich komme um mit dir zu sprechen,« begann sie hastig und streifte Grau mit einem raschen, scheuen Blick. Ihre Wangen waren gerötet, aber plötzlich erbleichte sie. Sie nahm auf einem Stuhle Platz und beugte den Kopf, so daß ihr Gesicht fast ganz unter dem hellen Sommerhut, der mit großen weißen Federn geschmückt war, verschwand.

»Höre mich an, liebster Freund,« fuhr sie nach einer Weile ruhig fort und wandte Grau den Blick zu, »ich werde dir alles sagen. Unterbrich mich nicht, laß mich sprechen, du wirst mich verstehen. Du hast gewartet, du lieber Freund, viele Nächte – ich konnte aber nicht abkommen. Es war ganz unmöglich. Mama fühlte sich nicht wohl. Und dann hat man mich auch förmlich bewacht. Sie wußten, daß ich nachts fort war, mein Gott, wie sie es herausgebracht haben, das weiß ich nicht. Auch der Baron wußte es, an seinen Blicken konnte ich sehen, daß er es wußte. Aber er machte nicht die kleinste Anspielung. Papa gab eine Einladung – ich konnte ja nicht gut wegbleiben? Jeden Abend gab es etwas anderes und dann fühlte ich mich auch stets bewacht. Einmal da kam das fürchterliche Gewitter. Du sollst alles hören! Du ahnst es gewiß. Ich sah es dir an, auf den ersten Blick. Es war schön, als wir oben im Walde gingen, so schön war es. Ich werde diese Nacht nicht mehr vergessen, nie mehr! Wie herrlich du gesprochen hast, über die Ehe und über alles, ja, ich werde es nicht mehr vergessen. Was für schöne und tiefe Gedanken wohl in deinem Kopfe sein mögen! Ich liebe das! Ich liebe dich auch, glaube nicht, daß ich dich nicht mehr liebe, oder daß ich dich weniger liebe. Nein, nein. Ja, wie wir doch zusammen gingen und sprachen wie wirkliche Freunde. Ich denke immer daran. Als du mir den Tau gabst, da lachte ich, ich fühlte mich so frei. Ja, da war ich glücklich, in diesem Augenblick! – Ich liebe deine Gedanken, ich liebe es wie du fühlst. Du hast mich förmlich berauscht. Und deine Augen! Sie waren so schön, sie sind so schön, wie waren sie doch? Wie am Liederkranzball, du sahst mich an und ich konnte nicht mehr tanzen. Man spricht hier viel von dir. Man sagt, du habest eine solch eigentümliche Macht über die Menschen. Eine Dame hier batest du um ein altes Bett, sie hatte gar kein altes, aber sie gab dir ein neues. Sie selbst hat es mir erzählt, sie konnte nicht anders. Es war dein Blick, sagte sie.«

»Es ist mir schwer zu sprechen, wenn ich in deine Augen sehe.«

»Aber doch muß es sein, doch mußt du alles hören.

Es war so wunderbar in jener Nacht, wie ein Traum war es. Ich liebe dich, es ist wahr. So deutlich empfinde ich es jetzt, da ich dir nahe bin. Ja, wie hast du mich doch geküßt, ich mußte immer daran denken. Du liebst mich, gewiß, aber ob deine Liebe nicht erblassen würde, wer sollte das wissen können. Ob unsere Liebe immer so groß und schön bliebe? Vielleicht würden wir nie wieder so empfinden können wie in jener Nacht. Es ist nicht möglich, denke ich, die Liebe hat ihre Zeit wie alles andere und dann ist sie vorbei. Ich weiß auch nicht, ob ich dich immer so lieben würde. Ich weiß nicht einmal, ob ich wirklich lieben kann? Sage nichts. Es ist wahr, ich liebe Mama, aber eigentlich liebe ich doch nur mich allein.«

Ihre Lippen bebten, sie fuhr fort: »Ich wollte mit dir fliehen, nur weit fort von allem, glaube mir, ich wollte es. Als wir die Abendgesellschaft im Garten hatten, da dachte ich nur an dich. Nun wartet er, dachte ich, er wartet! Ich habe nur an dich gedacht. Am nächsten Abend, da konnte ich nicht fort, weil ich mich bewacht fühlte. Ich habe mir alles überlegt. Es kam mir so schön vor, so wundervoll. Ich wollte jeden Abend zu dir kommen und doch bereitete ich nebenbei alles zur Abreise mit dem Baron vor. Dann dachte ich, ob ich das ertragen würde auf lange Zeit? Du bist du, aber ob ich das ertrage, immer in dieser reinen und schönen Welt zu leben, immer diese Gedanken zu haben? Nein, ich glaube nicht. Du hast mich berauscht, so war es. Schon als ich dich zuerst sah, hatte ich ein so eigentümliches Gefühl. Wenn ich doch wüßte, wie er ist, dachte ich. Es zog mich zu dir. Du hast mich trunken gemacht in jener Nacht. Ja, so könnte es sein, es könnte ja so sein, das wäre das Leben – aber ich bin ja nicht dafür geschaffen. Ich liebe dich, aber auch du bist nicht der Rechte für mich. Ich muß es sagen, verzeihe mir, ich will ja ehrlich sein. Du nicht und auch der Baron nicht. Sprich nichts, laß mich alles sagen.«

»Ich habe mich neulich auch über den Baron geäußert, ich habe gesagt, er ist beschränkt und in mancher Beziehung roh, das tut mir nun leid, denn er hat mir und meiner Familie nur Gutes erwiesen. Er hat andere Gedanken und vielleicht sind sie nicht so schön und groß wie die deinigen, er ist auch nicht herzlos, er verbirgt nur sein Herz. Doch wozu sage ich all das? Er ist mir nicht unsympathisch, das wolle ich sagen.«

Sie schwieg und wandte die hellen, von den schwarzen Wimpern umsäumten Augen dem Fenster zu und sah hinaus in den Garten. In Eisenhuts Kirschbäumen lärmten die Vögel. Ihr Blick ging in die Leere, sie sah nichts. Sie nagte an der Lippe. Dann wandte sie das Gesicht Grau zu und sah ihn mit halbgeschlossenen Augen an. Sie lächelte schmerzlich. »Ich habe meinen Entschluß gefaßt,« fuhr sie leise fort, »er ist nicht mehr zu ändern. Ich will dir sagen, warum du nicht der Rechte für mich bist. Du bist zu gut und fein. Du würdest mich nie zu etwas zwingen und ich würde nie Furcht vor dir haben. Ich sage ja nicht, daß ich das wünsche, aber du solltest ein starker Mann sein, vor dem man Furcht haben könnte! Verzeihe mir, es ist ja so schwer für mich, die richtigen Worte zu finden. Es wäre schön mit dir, ich fühle es, ich habe geträumt und geträumt, aber du bist doch nicht der Rechte.«

»So bleich bist du, totenbleich, aber du bist doch ruhig. Ich liebe dich, ach, glaube doch nicht, daß ich dich nicht mehr liebe! Du hast vielleicht größere Kräfte in dir und bist vielleicht viel stärker als all die andern, die sich so stark und hart gebärden. Du gebrauchst deine Kraft nur nicht. Aber trotzdem bist du nicht der Rechte – auch der Baron nicht. Aber es muß ja sein! Du sollst mein Freund sein, ja immer, immer werde ich an dich denken und davon träumen, wie es wäre, bei dir zu sein! Aber es ist ja unmöglich.«

»Ich sagte, ich will dein sein und vielleicht sollte ich es auch. Aber du bist nicht ganz der Richtige, nun sollte ich auch keinem andern gehören. Aber das geht ja nicht. – Ich kann dir ja nicht alles sagen! Wie es bei mir zu Hause steht! Mama sollte in Bäder, aber wir sind ja nicht so reich, mein Bruder verdient nichts, die Pension meines Vaters reicht nicht weit. Und ich, auch ich koste Geld – so töricht ist das Leben, alles, alles kostet Geld – und die Bäder, die Mama aufsuchen soll – es kann ja nicht sein. Versprich mir, es ruhig zu ertragen, sei groß und stolz! Es muß ja sein. Sage kein Wort dagegen, ich habe alles überdacht. Du selbst hast ja gesagt, der Baron sei ein sympathischer und guter Mann, nicht wahr. Er liebt mich, er wird alles für mich tun, vielleicht wäre ich ja mit dir glücklicher geworden. Aber es ist ja nicht möglich.«

»Es war nicht leicht für mich zu dir zu gehen und all das zu sagen – beinahe hätte ich dir nur einen Brief geschrieben. Ja, ich habe es getan, drei Tage schrieb ich daran – aber dann habe ich so große Sehnsucht gehabt, dich noch einmal zu sehen. Du bist so schön, das habe ich gedacht, als ich dich zum ersten Male sah. Wie deine Augen glänzen. Sie glänzen genau wie Susannas Augen, wenn sie Fieber hatte. Wie gut bist du auch gegen Susanna gewesen!«

Adeles Lippen bebten. »Lebe wohl!« sagte sie.

»Es gibt ja keinen Ausweg. Du weißt nicht alles. Was könnte ich tun? Nichts würde etwas helfen. Es hat nichts geholfen, daß ich zu Eisenhut ging und mich vor ihm demütigte und ihn streichelte – wie ein Tropfen auf einen heißen Stein war es ja – es hat auch nichts geholfen, daß das Haus abbrannte – es mußte ja brennen! – es mußte ja brennen! – auch das hat nichts geholfen. Ich liebe Mama. Aber das ist nicht alles. Ich liebe mich! Ich habe Furcht vor der Armut, schreckliche Furcht vor der Dürftigkeit, das ist die Wahrheit. Ich habe auch den Wunsch alles zu zerstören und auch mich. Du bist so gut und schön, ich werde immer, immer an dich denken – aber es gibt keinen, keinen Ausweg mehr. Sage nichts, ich beschwöre dich, sage kein Wort dagegen, es gibt nichts anderes mehr. Um dich ist es mir schrecklich leid, um dich. Ich gewöhne mich an alles. Lebe wohl!«

Sie umschlang Grau und preßte ihm einen langen Kuß auf den Mund.

»Lebe wohl, Adele!«

Sie ging. Sie winkte noch den ganzen Zaun entlang, sie ging rückwärts und winkte. Sie war gegangen.

Grau war allein. Er setzte sich auf einen Stuhl. Da saß er und es wurde dunkel, er regte sich nicht. Die Glocken läuteten schrecklich.

Sein Gesicht hatte den Ausdruck des Staunens angenommen. Die Brauen waren in die Höhe gezogen, die Augen waren groß, der Mund stand halb offen.

Die ganze Nacht saß er so und als der Morgen kam, saß er immer noch auf dem Stuhl und sein Gesicht staunte.


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