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Zweites Kapitel

Die Wiese um Susannas Häuschen wurde grün, im Vorgärtchen platzten die Knospen. In all der Sonne sah das Haus freundlich und hübsch aus. Am Fenster sah man vom Morgen bis zum Abend ein kleines gelbes Gesicht.

Susanna saß den ganzen Tag am Fenster und lächelte.

Sie lächelte, als das erste Trüppchen Vögel über den Himmel steuerte und der Tauwind die Pappeln auf der Brücke schüttelte. Der Schnee sank in den Boden und das Eis zerging, sie lächelte. Es grünte, über Nacht regnete es grüne Flocken über die Pappeln auf der Brücke, an der Landstraße stellte der Frühling eine ganze Postenkette blühender Bäume auf. Susanna lächelte.

Nun konnte man die Fenster öffnen und Susanna trank die Luft, erschauerte und wurde bleich. Fühlst du? sagte sie und griff mit der Hand in die Luft, als greife sie etwas: Das ist die Luft!

Dann sah sie zu wie das Gras wuchs und die Blumen und sie bebte, wie wenn all die Gräser, all die Blumen aus ihrem eigenen Herzen wüchsen. – Aber doch war ihr Herz nicht so wie sie es wünschte:

»Geliebter, mein Geliebter und Freund, du Gütigster und Schönster von allen, ich liebe dich. Mein Geliebter und Freund, Glück in dein Herz, höre mich, du Gütiger mit den goldenen Augen, höre mich und sprich. Wie ist mein Herz? Ich weiß es nicht. Ich habe in den Büchern gelesen und mir mein Herz aus den Büchern gesucht, aber so ist es nicht, nein. Es ist nicht, wie ich will, es ist anders. Ich liebe dich! Es ist schön, es ist Frühling, das Gras wächst, die Blumen leuchten. Die Sonne liegt in meinem Gärtchen und ich danke ihr, daß sie auch an mein Gärtchen denkt, und ich sage mir, wollten sich doch die Schollen lockern und die Sonne hineinlassen, denn da unten will es auch Wärme haben. Ich danke der Luft, so süß ist sie. Ich lache, wenn ein Vogel vorüberfliegt.«

»Aber doch, mein Herz ist nicht so, wie ich es will, es ist anders.«

»Ich habe geweint, ich weine so oft! Ich habe geträumt, ich ginge in einer Wiese, schlank und schön und gesund und ich sang, ich erwachte und mußte weinen. Soll ich es nicht sagen? Soll man dem, den man liebt, seine Schwächen verhüllen, oder ist es ein Recht der Liebe, alles zu gestehen? Sprich! Würdest du nicht du sein, ich würde schweigen, ich könnte dich ja trotzdem lieben, aber ich würde es nicht wagen, dir alles zu gestehen. Aber du verstehst mein Herz und es nennt dich Freund. Ich bin glücklich, so sehr! Ich habe dich, ich bin froh. Ja, das Große ist gekommen, das Seltene ist gekommen, auf das ich so viele Jahre wartete, nun ist es ja doch gekommen, ich bin das glücklichste Mädchen der grünen Erde. Es ist ja gekommen das Seltene, da ich es nicht mehr glaubte und nicht mehr hoffte. Wie wunderlich ist das Leben! Nun ist es da. Ich habe gewünscht, noch einmal das Gras zu sehen und die Blumen. Da ist das Gras und da sind die Blumen. Ich bin glücklich, sehr! Ich sage zu meinem Herzen: Hast du nicht ihn? Und hast du nicht auch den Frühling? Ja, sagt mein Herz, ich bin ja froh. Es ist ja froh, es ist ja voller Freude – aber es ist nicht so, wie ich es will. Es ist traurig zur gleichen Zeit, traurig, traurig und weint in mir. Gibt es solch ein Herz wieder auf der Welt? Es jauchzt und es weint in derselben Stunde. Gütiger Freund, sprich! Es ist ja nicht so, mein Herz, wie ich es gerne möchte –«

»Eines weiß ich nun. Wenn du zu deinem Herzen sagst: Sei so, so, so! – es tut doch was es will, du kannst ihm nicht befehlen.«

»Kannst du zu deinem Herzen sagen: Sei nicht bange! Wenn es aber doch vor Angst zittert? Habe keine Furcht! Wenn es voller Angst ist? Denn die Angst quält mich, die Angst. Hörst du, es pocht, es pocht überall, mein Blut pocht, es pocht in meinen Fingern, es pocht in der Wand, der Decke. Dann schweigt es plötzlich und ich denke: Wollte es doch lieber wieder pochen! Das ist in den Nächten. Ich sage zu meinem Herzen: Sieh die Sterne, sieh den Himmel, fühle die Nacht des Frühlings. Es gibt ja nichts, was ich mehr liebe als die Frühlingsnacht, sagt mein Herz – und vergeht vor Angst. Fühle wie die Erde schläft, sage ich, ein Kind, so tief und schön – aber die Angst quält mich. Ist mein Leben vorüber, vorbei, vorbei, gegangen, gegangen? Sage nein! Denn wie könnte mein Leben vorüber sein, da es eben erst begann? Nein, nein, nein! Sage nein! mein Geliebter.«

»Gibt es Menschen, die die Sprache der Vögel verstehen? Vielleicht verstehst du die Sprache der Vögel und es ist eines deiner vielen Geheimnisse, die dir das Lächeln geben, das man nie auf andern Menschenlippen sieht! Ich liege hier und die Stare sitzen auf dem Kobel, den du mit Herrn Eisenhut gezimmert hast, sie sitzen da, blicken zu mir her und unterhalten sich über mich. Sieh doch die Stare, wie sie glänzen! sage ich zu meinem Herzen, höre sie, wie sie pfeifen – aber mein Herz lauscht starr vor Angst. Ist es denn möglich, daß die Stare wissen, wie schlimm es um mich steht? Ist es denn möglich, daß sie wissen, was in den nächsten Wochen sein wird? Nein, nein, bei Gott, all das ist ja unmöglich! Und doch? Es muß, es muß unmöglich sein, denn es ist schrecklich, was die Stare sagen!«

»Es ist nicht das allein! Wäre es nur das allein. Auch der Wind spricht, auch die Luft spricht. Der Wind flüstert und ich verstehe wohl, was er sagt. Er sagt dasselbe wie die Stare. Ich sage zu meinem Herzen: Fühle, wie fein der Wind schmeichelt, aber mein Herz glaubt es nicht: Höre was er spricht, sagt mein Herz. Ach, alles, alles sagt das gleiche, es ist ja immer das gleiche, selbst die Uhr sagt es, wenn sie ticktackt. Und der Wind sagt es in jeder Nacht. Hast du den Wind schon gesehen? Nicht laufen, nicht im Laub, im Getreide. So, eine Person, eine Gestalt. Ich habe ihn gesehen wie er am Fenster stand, ein graues dürres Männchen in weitem Mantel, voller Buckel und Höcker. Er hat einen Höcker auf der Brust, auf dem Rücken, seine Nase, seine Stirn, sein Ellbogen, alles ist ausgezogen zu Höckern.«

»Wärest du hier! Wenn du hier bist, so hat die Angst keine Macht über mich.«

»Ich sehe Gestalten. Oft stehen viele Gestalten in meinem Zimmer und sie blicken mich alle mit ihren fahlen Augen an, ohne Gefühl, ohne Interesse, gleichgültig. Sie regen sich nicht, sie sagen nichts, sie sagen auch nichts zu einander. Sie stehen und warten. Niemals könnte ich sagen, wo sie beginnen und wo sie aufhören, aber sie sind da. Merkwürdig – ich fürchte mich nicht vor ihnen. Es ist als müßten sie dastehen. Ja, ich habe zu ihnen gesprochen. Ich habe allen Mut zusammengenommen und habe gesagt: Was wollt ihr von mir? Seid ihr dahingeschiedene Seelen, wollt ihr mich begleiten, wenn ich von der Erde fortgehe? Aber sie regten sich nicht, sie standen wie zuvor und sahen mich an. Ich weinte. Denn ich kam mir so verlassen vor.«

»Zuweilen geht auch ein Schritt ums Haus und es ist mir, als ob jemand am Fenster stehen bliebe. Einmal erwachte ich mitten in der Nacht, ich hörte wie der Schritt anhielt und eine Stimme am Fenster hauchte: Bald –«

»Ich habe nachgedacht und ich fand es fürchterlich. All die Knaben, die am Morgen über die Brücke zur Schule gehen, all die Bauern, die Freundinnen, Klara und Maria und auch Adele – ja, auch sie! – und auch Mütterchen und auch du, mein Liebling – alle, alle! All die Menschen, die jetzt schlafen oder wachen, in einem Zuge fahren oder auf Schiffen segeln – alle werden eines Tages still liegen und sich nicht mehr regen. Auch du. Auch Mütterchen. Auch Adele. Und plötzlich stellte ich mir alle gestorben vor. Auch Adele. Sie sah so schön aus.«

»So sind meine Nächte und auch meine Tage sind so.«

»Es ist das Fieber, es ist die Angst –«

»So klein bin ich, so schwach. Ich bin glücklich! Glaube es mir. Adele sagte zu mir: Es muß dich glücklich machen, daß er dich liebt. Ja, ja, ja! sagte ich und es ist wahr. Aber mein Herz ist ja nicht so, wie ich will. Ich hatte mir vorgenommen mutig zu sterben, denn es muß ja sein, ich hatte mir vorgenommen zu lächeln und zu sprechen: Es ist leicht und süß zu sterben – aber nun – die Angst – die Angst!«

»Du aber sollst kommen und mir die Hand auf die Stirn legen, daß ich Ruhe habe!«

»Du kommst und mein Herz ist wie früher, da ich ein Kind und ohne Angst war. Ich höre die Vögel, ich sehe die Wiesen, ich lache. Sage nein, nein, nein! Du sagst es ja immer, du bist die Hoffnung und du bringst Mut. Die Ärzte wissen nichts, sagst du, ich glaube dir. Aber weshalb lächelt der Arzt, wenn er mit mir spricht? Brauchte er denn zu lächeln? Aber ich glaube dir, solange du bei mir bist, glaubt es mein Herz: Das macht mich ja gesund, wenn es mein Herz glaubt –«

»Süß ist es, an dich zu schreiben und ein Glück. Ich denke, ich darf ihm schreiben. Es gehen viele in der Straße und sehen sich nach ihm um. Liebt er Maria, liebt er Klara, liebt er Adele? Er liebt mich. Ich kenne dich nicht. Du klagst nie, wie sollte ich dich also kennen. Es fiel mir erst jetzt auf, daß du nie mit einem Worte geklagt hast, du sprichst nie von dir. Die Leute sagen, du seist ein Tor, ich aber weiß wohl, daß Sie Leute töricht sind. Oft erschrecke ich, denn ich kann dein Bild nicht festhalten, ich weiß nicht, wer du bist. Nur wenn du mir nahe bist, da weiß ich es, da frage ich nicht danach, da frage ich nichts, denn du bist gut: Komm und nimm die Angst von meinem Herzen – Susanna –«


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