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Drittes Kapitel

Wie erstaunt war doch Susanna, als sich die Türe immer wieder und wieder öffnete und immer mehr junge Mädchen eintraten. Es wollte gar kein Ende nehmen. Noch mehr erstaunt war Mütterchen, die sich fein hergerichtet hatte. Ihre Augen standen immer voller Tränen und sie verlegte zum Unglück fortwährend die Brille. »Welche Freude – daß sie uns die Ehre schenken – an Susannas Ehrentage.« – Vor der Türe hing ein Willkomm-Kranz – anders hatte es Mütterchen nicht getan. »Willkommen« stand darauf und Mütterchen hatte darunter geschrieben: Zum Verlobungsfeste von Susanna Lenz. Sie war immer unterwegs, konnte sich keinen Augenblick niedersetzen, dazu hatte sie keine Zeit, immer flatterte ihre weiße Schürze aus und ein.

Aber es nahm ja kein Ende. Auf der Brücke gingen wiederum drei Mädchen. Grau hatte es gut verstanden, die jungen Mädchen an ihr Versprechen, zu einem kleinen Feste bei Susanna zu kommen, zu erinnern. Auch Fräulein Sperling kam, die »ewige Braut«. Grau hatte sie ganz besonders eingeladen. Sie kam mit Tränen in den Augen und lächelnden Lippen und nickte immerzu gerührt mit dem Kopfe.

Die Mädchen kamen in hellen Frühlingskleidern und glänzenden Augen und roten Wangen, und alle waren guter Laune. Sie zwitscherten und kicherten soviel wie ein ganzer Wald voller Vögel, wenn die Sonne aufgeht. Sie brachten alle Blumen mit, ganz als ob sie es ausgemacht hätten, und füllten das Zimmer damit an. Susanna saß in einem Garten. Auch Adele brachte Blumen, sie brachte einen großen Strauß von weißen Rosen. Die Schwestern Sinding hatten einen Kranz aus Veilchen geflochten, den sie Susanna auf den Kopf setzten und alle Mädchen klatschten in die Hände.

Außer Eisenhut waren noch ein Onkel und eine Tante gekommen, aus Weinberg. Die Tante war klein und rund, eine Schwester Mütterchens, sie sprach kreischend und hielt sich den dicken Leib beim Lachen. Sie hatte ein kleines und ein großes glotzendes Auge, das alle vergnügt anstarrte. Der Onkel kam im schwarzen Rock, mit einem hohen Zylinder. Er war Aushilfsbriefbote in Weinberg. Er war mürrisch und sah ärgerlich aus. Er sprach kein Wort und bewegte auch keine Miene, aber die Mädchen kümmerten sich nicht um ihn.

Das Zimmer war zu klein und Grau und Eisenhut zerlegten Mütterchens Bett und schafften es in die Küche. Aber als immer mehr Gäste kamen, mußte auch Susannas Bett hinausgeschafft werden. Die Gesellschaft nahm um den Tisch herum Platz auf Stühlen, Bänken, Hockern, Koffern. Endlich war alles in Ordnung und das Fest konnte beginnen.

Es begann. Es begann mit Kaffee und Kuchen, Lachen und Gesang. Hin und her gingen die Worte und das Lachen ging rings im Kreise. Was man sprach, das hätte niemand später sagen können, aber man unterhielt sich gut und ohne jede Pause.

Wie Susanna fühlte! Sie saß da mit strahlenden schwarzen Augen, inmitten all der Blumen, den Kranz auf den Haaren, inmitten all der jungen lachenden Mädchen. Sie blickte ringsum im Kreise, von einem Gesichte zum andern, lauschte, lächelte. Sie blickte Grau strahlend an und legte den Kopf an seine Schulter.

Er drückte ihr die Hand.

Als man die Weinflaschen entkorkte, stieß Mütterchen plötzlich einen Schrei aus: Ein bärtiger, wilder Kopf erschien am Fenster und eine tiefe Baßstimme sagte: »Guten Tag, allerseits!« Es war der Lehrer.

Mütterchen rannte zur Türe hinaus und hing an seinem Halse.

Wie kam er doch hierher? »Ja, das ist ein Geheimnis, sozusagen! Ich habe eben ein Engagement von einem Theater gehabt – als König Lear zu gastieren – habe aber die Lumperei im Stiche gelassen, als ich von dem Feste hörte!« Es war ihm glänzend gegangen auf seiner Wanderschaft, glänzend und fürstlich wie immer hatte er gelebt. Auf einem Herrensitz, bei einem Baron hatte er förmliche Festtage gehabt, eine Stadt, besser gesagt eine Art Marktflecken, wollte ihn zum Bürgermeister haben. Als ob das so einfach wäre –!

Ja, trotzdem er in zerrissenen Kleidern daher kam und eine bedenkliche Schramme an der Stirne hatte, war es ihm nie so gut gegangen, niemals hatten ihn seine Freunde so fürstlich aufgenommen. Hahaha!

Nun gab es leider einen kleinen Zwischenfall. Der Aushilfsbriefbote nämlich tat, als sehe er nicht, als Lenz ihm die Hand zum Gruße hinstreckte.

»Mein Name ist Pracht!« sagte er. »Ich habe nie das Vergnügen gehabt, Sie zu kennen.«

»Oho! Du kennst mich nicht! Seht an! Mein Schwager! Seht an. Hier ist meine Hand!«

Aber Herr Pracht kannte ihn nicht.

Lenz streckte ihm die Hand hin.

»Genug, genug!« sagte er und lachte herzlich. »Hier ist meine Hand! Frieden wollen wir schließen.«

Nein, Herr Pracht kannte Leute seines Schlages nicht. Hätte er gewußt –

»Unsinn!« sagte Lenz und lachte. »Ich stelle mich also vor, Lenz ist mein Name, Herr Pracht!«

Herr Pracht lehnte ab. Er bedaure.

»Gut!« sagte Lenz und lachte. »Die Herrschaften haben gesehen, daß ich diesen Herrn Pracht hier, diesen prächtigen Herrn ein Dutzendmal meine Hand hinstreckte und meine Gastfreundschaft anbot. Herr Pracht zieht es vor ins Freie zu gehen. Darf ich bitten, Herr Pracht!«

Lenz nahm den Aushilfsbriefträger am Genick, führte ihn hinaus durch den Garten, er öffnete ihm höflich die Türe und gab ihm einen Schwung, daß Herr Pracht in die Wiese flog und sein hoher Zylinder in das Gras kollerte.

Dann kam Lenz herein, lachte, rieb sich die Hände und bat die Gesellschaft wegen der kleinen Störung um Entschuldigung.

Er sprach und sprach, stand auf und sang, das Glas in der Hand, mit herrlicher Baßstimme ein Lied: Im tiefen Keller sitz’ ich hier. – Niemand konnte wie er im tiefen Keller sitzen, da war der Modergeruch des Kellers, der Widerhall riesiger Fässer – alles. Niemand konnte wie er den Wein im Glase anlächeln, mit einem verliebten gönnerhaften Lächeln, niemand konnte wie er mit solch königlicher Geste das Glas erheben.

Hierauf erzählte er eine absolut unglaubliche Geschichte von zehn Schwestern mit eisernen Nasen – sie machten dem Vater Stiefel aus Eisen und sandten ihn nach Freiern aus – eine Hexe vollständig aus Eisen – niemand könnte diese Geschichte wiedererzählen. Die Gesellschaft lachte herzlich und der unangenehme Zwischenfall war vollständig vergessen. Die Mädchen tranken und ihre Wangen wurden röter, ihre Augen glänzender. Sie sangen. Sie sangen alle Lieder, die sie kannten: Am Brunnen vor dem Tore – Als ich noch im Flügelkleide – Der Mai ist gekommen – Mütterchen hörte andächtig zu. Als die Fröhlichkeit den Höhepunkt erreicht hatte, sangen sie: Ich weiß nicht was soll es bedeuten –

Auch die »ewige Braut« fühlte sich zu Hause unter den jungen Mädchen, sie sang indem sie den blondweißen Kopf hin und her auf den Schultern wiegte und man hörte sie stets noch die letzte Silbe hinausziehen, wenn alle schon zu Ende waren.

Dann lachte sie.

Eisenhut sang nicht, aber er lächelte.

»Singen Sie doch mit, Herr Eisenhut!« rief Adele und sah ihn an. Eisenhut kam in Verlegenheit. »Ich habe Ihnen seinerzeit auf dem Balle so sehr unrecht getan,« fuhr Adele laut fort, daß alle es hören mußten, »vergeben Sie mir!«

Eisenhut sagte: »Ach, das ist ja – haha – schon – so lange her – wie?« Später erbot er sich ganz von selbst, die Kosten von Susannas Aufenthalt im Süden zu bezahlen, im Falle sie reisen sollte. Er flüsterte es Grau ins Ohr.

Es ging fröhlich in dem kleinen Häuschen her und als die Sonne unterging blendete sie all den jungen Mädchen ins Gesicht. All die singenden Lippen und strahlenden Augen glänzten und die Zähne der jungen Mädchen blitzten.

Susanna lächelte und während sie lächelte, schlief sie ein.

Die Gesellschaft schlich sich davon. Mütterchen steckte Grau ein kleines Paketchen in die Tasche. »Nimm!« sagte sie geheimnisvoll. »Wie soll ich dir doch danken? Ein solch herrlicher Tag! Für mich und Susanna! Wie glücklich sie war!«


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