Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel

Der Himmel wurde höher und blauer, die Wolken weißer und schwebender, im Garten schrien die jungen Stare.

Susanna lag geduldig, ohne sich zu regen, denn sie sollte Kräfte zur Reise sammeln. Ihre Augen glänzten in tiefer Schwärze. Sie wurde schöner. Ihre Wangen füllten sich, die gelbe Farbe ihres Gesichtes verschwand, sie sah blaß aus und niemals erschienen ihre Haare so schwarz und ihre Augen so groß. Sie wurde schöner, alle waren überrascht, die sie sahen.

Aber ihre Stimme verfiel. Sie konnte nicht mehr in ihrer hohen singenden Stimme sprechen. Sie sprach leise und heiser und war kaum zu verstehen.

Sie lag ruhig da und horchte auf das Gezwitscher und Pfeifen der Stare. Sie lächelte, wenn die Starenmutter geflogen kam, eine Fliege im Schnabel, und all die kleinen gelben Schnäbelchen der jungen Stare in dem runden Loch des Kobels erschienen und ein kreischendes ungeduldiges Geschrei erhoben.

»Hörst du?« sagte sie leise und heiser. »Wie glücklich diese Vögelchen sind! Hätte ich es mir denn träumen lassen, daß ich noch einmal das Pfeifen der Stare hören werde? Ach, oft weine ich vor Freude, am Morgen, wenn das erste Zwitschern irgendwo fern zu hören ist. Ich liege hier und denke, wie herrlich, wie rührend ist es doch! Die Lerchen trillern, da ist es noch ganz grau auf den Feldern und die Stare kreischen und pfeifen. Dann färbt sich der Himmel und ich rieche das Gras und die Bäche. Und ich kann es kaum erwarten bis es licht wird und ich das Gras sehen kann. Hast du die Knospen gesehen an meinen Rosenstöcken, ja? In ein paar Wochen, da wird alles blühen. Auch der Flieder. Wie ist doch sein Duft? Wie eine süße und traurige Geschichte. Könnte ich doch noch den Flieder blühen sehen und diese Luft einatmen, die dann sein wird! Diese Luft, die so schwer von Duft ist, daß sie sich kaum bewegen kann!«

Ihre Augen leuchteten und sie lächelte.

Geduld, Geduld! süße Susanna.

Es kamen Regentage und Susanna lag still. Sie hatte die Augen halb geöffnet, aber es schien als ob sie schlafe. Sie regte sich nicht, sie sprach kein Wort, lautlos und hastig arbeitete ihre kleine schmale Brust. Sie fieberte leicht und das Fieber legte einen Schleier um ihren Geist.

Aber sobald die Sonne die Wolken zerteilte, erwachte sie, sie öffnete die Augen und ihr Geist war frei. Verdunkelte sich der Himmel wieder, so verdunkelte sich auch ihr Antlitz, ihre Augen erloschen, sie lag ohne Bewegung und ohne Wunsch.

Grau saß immerfort an ihrem Bette. In der Küche sprach Lenz, fast ohne Pause. Es war ihm ganz einerlei mit wem er sprach und wovon, wenn er nur sprechen konnte. War er allein, so sprach er mit sich selbst: Da wären wir glücklich, alter Knabe, da wären wir glücklich, um Kohlen einzunehmen und den alten Kutter frisch zu lackieren. Noch ein paar Tage und wir stechen in das hohe Meer des Lebens hinaus – prosit! Ein schwarzer Panther in einer Küche – haha – bei Hühnern – hole mich der Teufel! Er erzählte sich selbst Geschichten, schmiedete Pläne und baute Luftschlösser. Er kam selten ins Zimmer und immer nur auf einige Minuten, lachte, plauderte und streifte Susanna mit scheuen Blicken. Häufig besuchte ihn Eisenhut, der gegenwärtig einen kleinen Rückfall hatte und schrecklich trank. Neulich waren ihm schon wieder die Kinder nachgelaufen. Er wich Grau aus.

Eines Tages verlangte Susanna Eisenhut zu sprechen. Eisenhut kam aus der Küche, mit gerötetem unrasierten Gesichte, blinzelnd und in guter Laune, ein wenig unsicher in seinen Bewegungen. »Nun, wie geht es? Vorzüglich, natürlich, hähä – wie zwei Turteltäubchen, ja –«

»Nein,« sagte Susanna leise und heiser, »es geht nicht gut.« Sie gab sich alle Mühe zu sprechen, aber man hörte kaum was sie sagte. »Setzen Sie sich hierher ans Bett, Herr Eisenhut. Ich möchte mit Ihnen sprechen. Ganz nahe, ganz nahe. So, nun sind Sie nahe. Ach, Richard, mein Freund, du sollst dich einstweilen auf den Stuhl neben mich setzen. So, nun ist es gut. Ich wollte Ihnen danken, Herr Eisenhut!«

Eisenhut ertrug ihren Blick nicht. Er blinzelte, stammelte etwas; es sei doch nicht der Rede wert.

»Nein, viel, viel haben Sie getan, Herr Eisenhut!« sagte Susanna und faßte Eisenhuts Hand. »Viel Gutes haben Sie Mütterchen und mir erwiesen. Was wäre wohl aus uns geworden, wenn Sie nicht gewesen wären?«

Eisenhut legte das Gesicht in Falten, so daß es aussah, als beginne er zu weinen, aber er lächelte. »Was habe ich denn getan? Alles in allem, nichts, gleich Null, das ist es, was ich getan habe. Also bitte recht sehr, behalten Sie den Dank für sich. Nein, lassen Sie mich in Ruhe! Ich habe gedacht, dieses Mütterchen kann ich gut brauchen. Diese arme Frau hat nichts zu nagen und zu beißen und wird alles für billiges Geld tun. So habe ich gerechnet, genau so. Ich habe Mütterchen dreißig Mark gegeben und dafür sollte sie meine Mutter pflegen und ernähren. Das ist alles, was ich getan habe. Und dann habe ich zuletzt monatlich fünfunddreißig Mark gegeben. Hier haben sie alles zusammen, fertig!«

Susanna lächelte. »Aber die Wohnung? Sie vergessen ja ganz die Wohnung. Nun? Nein, Herr Eisenhut, Sie waren ja stets so gütig. Es ist wahr, Mütterchen reichte nicht immer, dann mußte sie Schulden machen, beim Krämer, beim Fleischer und beim Bäcker. Und die Schulden wuchsen und wuchsen und Mütterchen verging vor Angst. Sagte ich zu Mütterchen: Sprich doch mit Herrn Eisenhut, er ist ja so gut. Ja, er ist so gut, das ist wahr, sagte Mütterchen und nahm all ihren Mut zusammen und sprach mit Ihnen. Ja, Sie wetterten und donnerten, aber eines Tages da lagen eben doch die zwanzig Mark auf dem Küchentisch und Sie haben kein Wort weiter gesagt, so sind Sie! So unendlich viel Gutes haben Sie uns erwiesen, Sie lieber Freund – ja, so nenne ich Sie – und Mütterchen spricht so oft von Ihnen und dankt Ihnen jeden Tag. Sie spricht nichts zu Ihnen, nein, das tut sie nicht, aber ihr ganzes Herz ist voll von Dank und sie geht hinaus um die Türklinke abzureiben, wenn Sie kommen, damit Sie sich nicht die Hände staubig machen.«

»Eisenhut!« sagte die Baßstimme des Lehrers an der Küchentüre; er klopfte ungeduldig und schob den bärtigen Kopf herein. Die Gläser seien gewärmt. Alles sei bereit, um das Fest zu feiern. Eben sei ihm auch ein Gedanke wie ein Blitz durch den Hirnschädel gefahren, eine geniale Idee, die das Weltenbild total umforme –

»Sofort,« sagte Eisenhut, »ich habe einige Worte mit Susanna zu sprechen.«

»Ja, wenn du mit Susanna sprichst, so kann ich warten, drei Tage und drei Nächte, ohne zu murren,« sagte Lenz und zog sich zurück. Er begann einstweilen ein Lied zu brummen.

»Haben Sie mir alles gesagt, Susanna?«

Nein, es sei erst die Einleitung. »Es handelt sich um etwas sehr Wichtiges. Das Allerwichtigste, das es für mich gibt, Herr Eisenhut. Sie können es nicht erraten?«

Eisenhut versank in tiefes Nachdenken und lauschte auf das Lied, das der Lehrer in der Küche brummte: Es war einmal ein König, der hatt’ einen großen Floh –

»Ich habe in meinem ganzen Leben nichts erraten können,« antwortete Eisenhut, der mühsam seine Ungeduld verbarg.

»Es ist so schwer, es zu sagen!« flüsterte Susanna und streichelte Eisenhuts Hand. Sie streichelte die ganze Hand und dann jeden einzelnen Finger. »Nun?« fragte sie und blickte ihn mit feuchten, pechschwarzen Augen an.

Nein, niemals könne er es erraten.

»Wir knicken und ersticken – doch gleich, wenn einer sticht –« brummte Lenz in der Küche. »Bravo, bravo, das war schön! – So soll es jedem Floh ergehn!«

Susanna nahm Eisenhuts Hand in beide Hände und liebkoste sie auf beiden Seiten. Es handele sich um Mütterchen. »Seien Sie gut zu Mütterchen,« flüsterte sie.

Eisenhut nickte.

Und Susanna fuhr flüsternd fort: »Mütterchen darf es nie erfahren, daß ich Sie darum gebeten habe, und auch Sie müssen verzeihen, daß ich es tat, lieber, guter Herr Eisenhut. Aber Sie wissen ja, Mütterchen kann nicht sprechen, sie kann nicht bitten. Sie kann nur hungern, leiden und in ihre Schürze weinen. Und Sie, ach, auch Sie, Herr Eisenhut, Sie sind ja gut, aber Sie wissen gar nie, wo es einem fehlt und wie Sie ihm helfen könnten. Was soll aus Mütterchen werden, wenn Sie ihr nicht etwas helfen?«

Grau sagte leise: »Mütterchen soll es gut haben. Dafür werden wir beide sorgen. Und du, sobald es besser geht –«

Das wisse sie, das beruhige sie. »Aber nun, wenn Herrn Eisenhuts Mutter stirbt – wir setzen den Fall, wolle sie noch recht lange leben, – ja – aber wir setzen den Fall – was dann?« Sie habe nun gedacht, Herr Eisenhut habe ja doch ihre Reise nach dem Süden bezahlen wollen – das sei ja so fraglich, ob sie reise – ob er nicht das Geld vielleicht –

In der Küche brummte der Lehrer – ha! sie pfeift auf dem letzten Loch, als hätte sie Lieb’ im Leibe. – Als hätte sie Lieb’ im Leibe, wiederholte er im tiefsten Baß.

Eisenhut versprach, Mütterchen eine Rente fürs ganze Leben auszusetzen. »Hier, er ist Zeuge, Grau, ich habe es gesagt, morgen gehen wir zum Notar.«

Susanna nickte, sie zog Eisenhuts Hand an die Lippen und küßte sie inbrünstig, wobei sie die Augen schloß.

»Ja, nun ist alles gut!« sagte sie und nickte und lächelte. –

Die Freundinnen kamen und brachten große Sträuße von Blumen mit, süße Weine und Kuchen. Sie kamen herein, jung und frisch und duftend, mit roten Lippen und den Schein der Sonne in den Augen. Sie lächelten, sprachen mit gedämpfter Stimme, aber sobald sie ein paar Minuten da waren, sprachen sie laut und lachten und erzählten wie schön es heute sei, Spaziergänge, Tennis, Radpartien, eine Leiterwagenpartie sollte gemacht werden –

»Ja?« Susanna lachte und hustete. »Viel Vergnügen,« sagte sie und lachte wieder und hustete mehr. »Recht viel Vergnügen!«

»Oh, ich liebe euch, viel Vergnügen, ja!«

Adele und Grau sahen einander an und sie erröteten beide.

»Komme zu mir, Adele,« sagte Susanna. »Laß mich dein Kleid befühlen. Wie fein ist der Stoff, so zart und dünn. Laß mich deine Haut befühlen. Wie fein ist deine Hand, Adele. Aber wenn ich in deine Hand blicke – siehst du, Adele, warum ist Unfriede in deiner Hand? Ich blicke in Richards Hand. So viel Friede ist darin. Nun, was bedeutet es schließlich und was schadet es? Nicht wahr? Großer Unfriede, das ist das Leben und großer Friede, das ist das Leben. Aber was dazwischen liegt, das ist nicht des Lebens wert. Aber vielleicht – wer weiß es denn! – vielleicht ist es auch schön, im Grase zu liegen, zufrieden zu sein und nur eine Kuh zu sein, etwa. Oder es ist auch schön, in einem Gefängnis zu sitzen und zu leben. Nur zu leben. Oh, wie du duftest! Oh, wie du duftest! Es ist die Luft, es ist der Frühling und so jung bist du, das ist es auch!«

»Liebe Freundinnen, meine lieben Freundinnen, ihr guten Herzen! Wißt ihr was schön ist? Es ist schön euch anzusehen. Es wäre schön, mit euch Arm in Arm zu gehen. Nun kommt der Sommer, dann der Herbst, und sie singen in den Weinbergen, dann kommt der Winter und sie spielen in hellen Zimmern und tanzen, dann kommt wieder der Frühling, der Sommer, der Herbst, der Winter, der Frühling wieder, und wieder singen sie in den Weinbergen: Und ihr werdet leben! Euer Leben wird schön sein, deines Maria und deines Klara und deines Adele! Ach, Adele, wenn ich dich so ansehe, dir wird es ja nicht so leicht werden, ich fühle es, aber euch allen wird es ja nicht so leicht werden, vielleicht wird euch einmal ein Kind sterben und ihr werdet euch in Schwarz kleiden und man wird nichts von euerm Kopfe sehen als schwarze Schleier. Schmerzen werdet ihr haben, ja, aber auch das ist ja das Leben, nicht? Nur wenn nichts geschieht, auch kein Schmerz mehr – das ist der Tod. Ja, euer Leben wird schön sein und ich wünsche es so. Und wenn ich es verhindern kann, daß euer Kindchen stirbt – wenn ich da etwas vermag – nichts soll mir zuviel sein – oh, ihr Guten – so schön wird es sein, wenn ein Mann euch liebt – ich weiß es ja wohl und auch Adele weiß es – seht, sie wird rot, seht es, nein sei nicht böse. Adele – schön wird es sein, all die Geheimnisse, wie schön – und euere Kinder! Denn sicher werdet ihr Kinder haben, werdet sie waschen, baden, küssen, werdet sie kleiden und schlafen legen, all das. Es wird regnen und das wird euch gefallen, die Sonne wird scheinen und ihr werdet froh sein im Herzen. Ihr werdet fortgehen, hinaus und viele neue Menschen sehen und neue Länder, Blumen und Sitten, Tiere. Ich hätte so gerne einmal einen Löwen gesehen, hatte nie Gelegenheit, einen Löwen! Alles werdet ihr sehen. Da wird ein großer, heller Saal sein und alle kommen in Festtagskleidern, auch ihr seid dabei. Ich wünsche es. Konzerte werdet ihr hören und Theaterstücke werdet ihr sehen, Bücher werdet ihr lesen, schöne und kluge Bücher – ja, möge es so sein, möge es so sein. Es geschehen so viele herrliche Dinge in der Welt, heldenhafte und poetische Dinge, ihr werdet davon hören. Ich wünsche es! Ich wünsche es! Möge es so sein!«

»Nun Susanna, bald wirst du reisen und ebenfalls viel Schönes erleben.«

Susanna lächelte und sah mit eigentümlichen Augen auf die Freundinnen.

»Ja,« sagte sie, »wie recht sie doch hat! Bald werde ich reisen, aber ich weiß nicht wohin. Du nimmst ein Billet nach Genf, du setzt dich in den Zug und steigst aus und bist in Genf. Aber ich werde nicht wissen, wo ich aussteige.«

Niemand wagte zu sprechen, so eigentümlich klang das, was Susanna sagte.

»Drum adieu!« fuhr Susanna fort und im Augenblick hatte sie sich im Bette aufgerichtet. »Drum adieu, adieu!«

Sie winkte mit beiden Händen den Freundinnen zu, die Hände bewegten sich matt in den Gelenken.

»Drum adieu, adieu!« sagte Susanna und lächelte und ihre Stimme klang, als sänge sie. »Drum adieu, adieu?« wiederholte sie und winkte hinaus zum Fenster und hinauf zum blauen Himmel.

»Sagt allen Leuten, die ich kenne, adieu!«

Klara und Maria hatten Tränen in den Augen, Adele zog die Brauen zusammen und lächelte voller Pein.

»Aber Susanna –« begann Klara.

Susanna lächelte und winkte mit der Hand ab.

»Ich weiß es nun,« sagte sie und lächelte, »ich weiß es nun ganz bestimmt. Mit der Reise nach dem Süden ist es nichts, ich habe auch nie recht daran geglaubt, es ist zu spät. Seit heute nacht weiß ich es. Ja, da erwachte ich und siehe da, wie schön waren doch die Sterne! Wie schön und ich mußte weinen, denn ich sah drei Sterne, die mir besonders gefielen, weil sie so friedlich zusammen da droben wandelten. Ich öffnete das Fenster und sah ein Kind im Garten stehen. Wie kommt das Kind hierher? dachte ich und wunderte mich nur, denn vor Kindern fürchtet man sich ja nie. Das Kind hatte lange Beine, dünne hübsche Beine, es war ein Mädchen von acht, neun Jahren. Das Kind hatte gekräuseltes Haar, lauter winzige Löckchen, silberblond. Es stand bei dem Rosenstock dort und hauchte auf die Knospen. Ich sah ihm zu und dachte, was tut es? Ich sog die Luft ein, da roch ich Erde, Tau, Pfefferminzkraut und den Flieder. Denkt euch, ich roch ihn so deutlich und freute mich so sehr, bald wird er blühen. Nun, das Kind stand und hauchte auf die Rosenknospe, auf die oberste des Stockes in der Ecke, dann kam es auf mich zu und ich sah, daß es wirklich silberblonde Löckchen hatte. Es sah mich an mit hellen Augen, lächelte und grüßte mich, indem es den Kopf neigte, so langsam und stolz wie ein Mädchen von acht Jahren es tut. Dann verschwand es und ich blickte hinauf zu den drei Sternen. Heute morgen sagte mir Mütterchen, daß eine Rose aufgeblüht sei. Ja, sagte ich, ohne hinzusehen, die oberste Rose des Stocks in der Ecke. Ja, sagte Mütterchen und sie wunderte sich gar nicht, woher ich es wußte.«

Susanna schwieg und lächelte.

»Wie sonderbar der Traum ist!« sagte Maria zu Adele.

Susanna schüttelte den Kopf. »Es ist ja gar kein Traum, es ist ja Wirklichkeit,« sagte sie, sonst nichts.

»Wir müssen jetzt gehen.«

»Adieu, adieu! lebt wohl, alles Herrliche wünsche ich euch, ihr lieben Menschen. Ja, so viel Glück sollt ihr haben! Und vergebt mir, wenn ich ungerecht und launisch war und gelogen habe. Vergib besonders du mir, Adele!«

»Ach, Susanna –«

»Doch, doch, ich beneidete euch, besonders Adele beneidete ich, weil sie reich und vornehm und schön ist. Ich wünschte in meinem Herzen, es möge euch recht schlecht gehen, eine Woche nur, einen Tag nur, damit ihr fühlt wie es ist. Oft, oft! Aber nun wünsche ich euch ja Glück! Hört ihr es denn nicht?«

Sie sah Adele tief an. »Du bist mir so fremd!« sagte sie zögernd. »Und erst seit einigen Tagen verstehe ich dich besser, ich fühle es, du bist nicht glücklich. Du bist zu stolz, um glücklich zu sein. Dein Leben freut dich nicht, nein. Du gehst wie betäubt und mit geschlossenen Augen deiner Zukunft entgegen. Glück, Glück sollst du haben! Ich danke dir, daß du nicht zu stolz warst, zu mir armem kranken Mädchen zu kommen. Glück! Glück!«

Adele küßte Susannas Hände.

»O, wie gut du bist!« seufzte Susanna. »Ja, denkt alle nicht mehr an das Böse, das ich euch zufügte.«

Niemals habe sie ihnen Böses zugefügt.

»In Gedanken! In Gedanken fügen wir einander ja alle Böses zu. Und auch ich tat es. Gerade in den letzten Tagen habe ich einen bösen Gedanken gehabt. Ich habe gedacht, ja, auch sie werden einmal sterben müssen, auch sie. Nun sind sie jung und schön, aber einmal wird es auch an sie kommen. Das habe ich gedacht und es tat so gut das zu denken. Ich freute mich darüber – haha – ich habe gelacht dabei – auch sie, auch sie, alle, alle, alle werden sterben müssen! Vergebt mir! Lebt wohl, Lebt wohl!«

Die Freundinnen küßten ihr die Hand, Maria weinte in das Taschentuch.

»Wie lieb sie mich haben, die guten Geschöpfe, sieh nur!« sagte Susanna zu Mütterchen, die mit einem Glase aus der Küche kam. Und sie drückte die Fingerspitzen in die Wangen und ihre Augen wurden noch größer und strahlender.

»Da gehen sie dahin!« sagte sie und blickte den Freundinnen nach, die in hellen Kleidern durch die sonnige Wiese gingen.

»Lebt wohl!«


 << zurück weiter >>