Adam Karrillon
O Domina mea
Adam Karrillon

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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Der Wagen, in der Universitätsstadt angekommen, war am »Fränkischen Hofe« vorgefahren. Da pflegte Käthchens Vater abzusteigen, wenn er auf dem Kornmarkt gute Geschäfte gemacht hatte. Bei solchen Gelegenheiten war die Tochter zuweilen mitgenommen worden, und wenn es auf den Vater Dukaten geregnet hatte, dann hatte es sicher auf den Arm des Kindes eine neue Puppe geträufelt. O welche stolze Seligkeit, mit einem solchen Schatz über die Schwelle des »Fränkischen Hofes« zu schreiten! Und dann das gute Essen, viel besser als zu Hause, kastanienbraune Koteletts und gar ein süßer Nachtisch, von dem auch die Puppe bekam, bis sie die beweglichen Augen zumachte und einschlief. An diese Augenblicke seligen Kinderglückes dachte jetzt das Weib, und ein warmes Heimwehgefühl nach den Kindertagen, die keine andere Sorge kannten, als daß die Puppe nicht zu kurz käme, durchrieselte sie.

Man war ins Zimmer getreten. An der Wand hingen noch die gleichen Bilder, wie vor Jahren. Eine Genoveva, auch mit einem Kind auf dem Knie und doch mit einem so traurigen Angesicht, daß dem Müllerstöchterchen vor Mitleid das Herz zitterte. Was mag ihr nur fehlen, daß sie gar so schmerzvoll um sich blickt? Warum nur die Frau so betrübt ist, und warum doch die Gesichter aller Erwachsenen so ernst und verdrossen aussehen? hatte das kleine Käthchen damals gedacht. Heute wußte das große Käthchen, daß jeder unterm Kleid eine Kette trägt, die ihm die Gelenke wundscheuert, und das Antlitz der verlassenen Genoveva war ihr kein Rätsel mehr.

Die Wirtsleute kamen und grüßten Käthchen mit einem traurigen Lächeln. Sie kannten sie noch und kannten auch ihr Geschick. Deshalb die sauersüße Freundlichkeit. Die Kranke las aus den ehrlichen Gesichtern für ihr Vorhaben viel fromme Wünsche, aber viel mehr bange Zweifel, ob sie sich erfüllen möchten.

Nach einer hinuntergequälten Mahlzeit verließen unsere zwei den Gasthof. Die Straße, auf der sie gingen, war für andere Leute die Semmelgasse, aber für Käthchen Sommertag war sie die Via dolorosa, und an ihrem Ende lag ihr Golgatha, das Spital. Karfreitag, Karfreitag – wer vermag zu sagen, ob dir ein Ostermorgen folgt! –

Am Hause des Jammers angekommen, warf Käthchen einen Blick auf die gemeißelte Gruppe, die über dem Portale prangt. Krüppel, Lahme und Aussätzige heben die steinernen Hände zu einem Bischof empor. Ach, da stand einer von denen, die des Himmels Macht an sich gerissen haben. Daß sie doch helfen könnten! Aber nein, für sie gab es kein: »Nimm dein Bett und gehe!« Sie konnte nicht genesen an der Pforte umkehren. Sie mußte hinein.

Durch das halbgeöffnete Tor warf sie einen Blick in den Hof und wurde noch um eine Nuance bleicher als sie schon war. Da schleppten sich Leute auf einem Bein und einer Stelze übers Pflaster, andere fuschelten mit den Armstummeln in den Rocktaschen herum, als ob man ohne Hände etwas greifen könnte. Welch ein kläglicher Anblick! Hier hatte das Messer gewütet, das schreckliche Messer, das auch ihres Leibes harrte.

Da kam eine unsägliche Angst über die Ärmste. Kalter Schweiß trat auf ihre Stirne, die Verzweiflung griff nach ihrer Seele. Hier erlebte Käthchen Sommertag ihre schwere Stunde von Gethsemane: »Herr, wenn es möglich ist, daß dieser Kelch vorübergehe?« Sie wandte sich ab und drängte gegen die Schulter ihres Begleiters. Sie fand keine Worte, aber wie ein Kind bang vor dem Schornsteinfeger an der Mutter schiebt und drängelt, so schob sie Innocenz, um mit ihm fortzukommen von diesem Trümmerfeld der geschlagenen Menschheit.

Er aber legte ihr schmerzdurchwühltes Materdolorosa Antlitz an seine Wange und flüsterte mit tränenerstickter Stimme: »Denke, mein Käthchen, an die Zeit, die dem Schrecken folgen muß! Erhalte dich einer sonnigen Zukunft und mir!«

Da war's, als ob ein elektrischer Funke sie mit Lebenswärme und Kraft durchglühe. Sie wuchs an Innocenz empor, zog ihn am Ärmel hinter sich nach und verschwand in den gewölbten Gängen, hinter deren Wänden rechts und links das Elend wohnt.

So kamen sie ins Zimmer des Chirurgen. Der Mann hieß Wenzel von Linhart, hatte einen gewaltigen Schnauzbart auf der Oberlippe und sah militärisch abgezirkelt aus, wie ein Major vor der Front. Aber wenn er freundlich wurde, dann gewann sein Antlitz einen anderen Charakter und glich einem Gewitterhimmel, in dem schon der Regenbogen steht. Und er war freundlich, freundlich gegen den Kollegen und fast zärtlich gegen Käthchen Sommertag. Im Fluge hatte er das Herz seiner Patientin erobert. Sie wurde zuversichtlich, glaubte an den Mann, der vor ihr stand, an seine Kunst und des Himmels gnädige Hilfe.

»Gehe nun,« sprach sie zu Innocenz, »und gräme dich nicht um mich. Ich werde gesund werden und dann die deine. – O wie gern, wie gern ...«

Innocenz ging aus dem Spital, als schon der Abend dämmerte und die Laternen ihr Licht in die junggrünen Lindenkronen der Anlage streuten. Er ging verwirrt und ohne Ziel und kam in enge Gassen. Ohne daß er es gewollt hatte, stand er plötzlich vor dem Portal der Nikolauskapelle. Da zog es ihn mit Macht hinein nach dem Bilde der Himmelskönigin. Er fand es in farbigen Dämmerschein gehüllt. Im letzten Sonnenstrahle glühten die Scheiben in dem Stab- und Maßwerk gotischer Fenster und im kleinen Spitzbogenchore pendelte das rote Licht einer ewigen Lampe. Alles war so ansprechend und traulich in dem engen Raume. Stille ringsum. Niemand störte die Zwiesprache zwischen einem armen Menschenkind und der Hochgebenedeiten. Innocenz warf sich in die Kniee und legte vor der Himmelskönigin jene Beichte ab, die er an Käthchens Krankenbett begonnen hatte. Es war ein schweres Stück Arbeit, sich so bloßstellen zu müssen vor einer so erlauchten Frau. Aber es mußte geschehen um Käthchens willen. Ehe er für sie eine Bitte wagen konnte, mußte er sich gedemütigt haben. Erst wasche deine Hände und dann erst strecke sie zum Herrn empor für deinen Bruder. Nun war beides geschehen. Der Bekenner hatte sein geliebtes Käthchen dem Schutze der Schmerzensreichen empfohlen und ging, als ob sich nun schon alles zum Guten gewendet hätte, aus dem Gotteshause. In der Orgel spielte der Wind mit Geisterhänden eine leise Melodie. Innocenz glaubte die Weise zu erkennen und flüsterte: »Aus Liebe nur, von keiner Macht gezwungen.«

Ganz zur Ruhe kam übrigens Innocenz trotz des neuerwachten Gottvertrauens doch nicht. Zuviel redete seine Sachkenntnis zwischen seine Hoffnungen hinein, so daß er sein Wissen schier verwünschte, und jene beneidete, die von des Gedankens Blässe ungekränkt an Wunder glauben können. Von Hoffen und Zagen verwirrt trieb er wie Flugsand durch die Straßen, trat in manche Schenke hinein, forderte einen kühlen Trunk, ließ ihn stehen und lief zur nächsten Wirtshaustür. Mitternacht war's, als er im »Fränkischen Hof« ankam und auf dem zertretenen Läufer nach seinem Zimmer schlich. Gegen Morgen erst fand er etwas Schlaf und der war unruhig und mit schweren Phantasien durchflochten. Momente einer süßen Traumseligkeit endeten mit jähem Aufschrei. So wurde es acht Uhr. Innocenz verließ das durchwühlte Lager und machte sich auf nach dem Spital.

In dem Gange vor dem Operationssaale herrschte geschäftige Eile. Schwestern in weißen Schürzen liefen über die Steinplatten und trugen Eimer mit dampfendem Wasser herbei. Andere schleppten in Servietten verpackte Instrumente und ganze Berge von Verbandstoffen. Assistenzärzte in weißen, flatternden Operationsmänteln flogen mehr, als sie gingen. Man hörte Vorhänge in ihren Ringen rascheln, und Fenster wurden geöffnet und geschlossen. Innocenz kannte diesen Lärm der Vorbereitungen, er hatte ihn oft gehört und nicht beachtet, als es sich um fremde Kranke handelte. Heute aber schnürte er ihm das Herz zusammen. Er bebte vor innerer Unruhe, bebte noch mehr, als dazumal, als er hier stand und auf den Examinator wartete.

In all dem geschäftigen Treiben fühlte er sich überflüssig. Ihm war, als ob jemand über ihn stolpern und fallen könnte. Deshalb trat er in das Direktionszimmer und sah durch die Scheiben in den Hof, wo einige Tauben dienerten und nach Krümeln suchten, die man ihnen aus den Krankensälen zuwarf. Er stand und trommelte mit den Fingern an die Scheiben, um seine Angst zu übertäuben.

Da merkte er, daß es hinter ihm lebhafter wurde. Er drehte sich um und sah durch die offene Tür. Ach da kamen sie den Gang herab, eine traurige Prozession. Schwestern, ganz in Weiß gekleidet, hatten Käthchen Sommertag zwischen sich in weißem Morgenkleide. Ein Zug von Himmelsbräuten. Innocenz legte die Hand vor die Augen, um nicht sehen zu müssen. Aber Käthchen hatte ihn bemerkt. Sie trat rasch ins Zimmer und legte ihr pochendes Herz an die Brust des Freundes, für einen Augenblick, für einen kurzen, süßen Augenblick. Der Jüngling umschlang noch einmal die sammetweiche, liebe Gestalt unter herzzerbrechendem Schluchzen. »Nicht doch,« sagte Käthchen. »Weißt du, was mich tröstet? Hast du mir nicht erzählt, daß im fernen Lande, wo die Lotosblume blüht, Menschen wohnen, die eine liebe Verheißung haben? Ihnen ist gesagt: ›Hab' Geduld, liebe Seele, durch sieben Himmel kannst du warten, bis der kommt, den deine Sehnsucht ruft. Aber er wird kommen.‹ Sieh, das ist so schön, das ist mein Trost. Geliebter, ich warte auf dich.«

So sprach sie und wand sich los aus seinen Armen. Auf der Schwelle drehte sie sich noch einmal nach dem Verlassenen um, und ihre schmale, bleiche Hand winkte den letzten Scheidegruß.

Die weißen Schwestern umdrängten die weiße Himmelsbraut und fort ging's, wie in das geheimnisvolle Schweigen eines Zypressenhaines nach dem Operationssaale.

Innocenz war allein, schrecklich allein, wie ein Verirrter im Polareis. Draußen am Hause vorbei flutete der Strom der Menschen, aber was waren sie ihm? Treibende Eisschollen, kalt und gefühllos. Da drinnen aber, hinter der Wand, da schlug für ihn ein warmes Herz. Ja schlug es noch, oder hatte der erschlaffte Muskel seinen Dienst versagt und Käthchen war den Sternen zugeflogen? Der Gedanke war unerträglich. Innocenz hätte die Tür aufreißen und eintreten mögen. Aber die Arbeit des Chirurgen kann keine Sentimentalitäten brauchen, das wußte der Arzt und bezwang sich. Und doch, was hätte er nicht für einen einzigen Laut gegeben, der ihm sagte, daß die Geliebte noch lebe!

Er legte sein Ohr an die Tür und fing an zu lauschen. Verworrene Töne aus Käthchens Munde, die nichts sagen konnten, drangen zu ihm, aber sie kamen doch von ihr. ›Das ist der Chloroformrausch,‹ dachte er, ›nun Gott sei Dank, sie ist schon jenseits von jedem Erdenschmerz und das Messer, das blutige Messer hat für sie seine Schrecken verloren.‹

Und es ward still, unheimlich still. Innocenz hatte sich in eine Fensternische gesetzt, maß die Minuten an dem Schlage seines Herzens und wunderte sich, zu welcher Ewigkeit sich eine Stunde dehnen kann.

Da flog die Tür auf und ein Assistenzarzt eilte flüchtigen Schrittes durchs Zimmer. Schnell wie ein Gedanke kam er wieder zurück und trug einen Gegenstand in seinen Händen. »Komplikationen, schwere Komplikationen, leider, Herr Kollege,« hauchte er nach dem Platze hin, wo Innocenz saß und war verschwunden. Der Wartende, mit dem Euphemismus der Ärztesprache wohlvertraut, ahnte schaudernd, was das Wort Komplikationen zu bedeuten habe und suchte sein Herz zu wappnen gegen einen harten Schlag, der bereits über seinem Haupte sausend die klagende Luft durchschnitt.

Da trat Linhart ins Zimmer und streckte dem Kollegen die beiden Hände entgegen. Ein bitterer Ernst lag in dem sonst so gutmütig fröhlichen Gesichte und ein nervöses Zucken hob und senkte den buschigen Schnurrbart.

»Im Sturm greift die Eiche mit den Wurzeln tiefer in den Fels, und dichter wird die borkige Rinde um ihren Kern. Sich mit Pflastern und Narben eine starke Wetterseite bilden, das ist's, was den Kämpfer ausmacht und den Mann,« sagte er nach langem, verlegenem Schweigen.

Innocenz senkte die Stirn und fragte: »Ist sie sanft hinübergeschritten?«

»Leise, wie eine Feder nach den Wolken schwebt,« war die Antwort.

Da drückte der vereinsamte Schüler seinem Lehrer die Hand und verließ mit schwankenden Schritten das Spital.

Drei Tage später stand ein Kreis von Leidtragenden um den Grabstein des Ehepaares Lorum. Die Entschlafenen hatten seinerzeit reichlich Platz gekauft. Vielleicht hatten sie gedacht, daß ihr Sohn einmal ein Einspänner bleiben und neben sie kommen könne. Nun kam ihnen vielbeweint eine Tochter, und über den dreien wölbte sich ein Berg von Rosen und Vergißmeinnicht. Am Tage nach der Beerdigung war Innocenz Lorum verschwunden und niemand konnte sagen wohin.

 

Pankraz Überdies wartete in Birkenried acht Monate – notabene es können auch neun gewesen sein – auf die Rückkehr des Doktor Lorum. Seine Fuhrmannspeitsche hatte er über seinem Bette aufgehängt und betrachtete sie von Zeit zu Zeit mit brennender Sehnsucht nach jenem Winde, der dem Kutscher durch den Pfeifendeckel streicht und glühende Fünkchen mit sich reißt, die wie Sternschnuppenschwärme die Nacht durchfunkeln. Als aber Innocenz immer nicht kommen wollte, und bereits ein Nachfolger im Amte aufgezogen war, da suchte er seinen Schleifstein wieder hervor und schob ihn vor sich her beherzt ins Leben hinein. Er ließ das Rädchen schnurren und sang seine Weise an den Straßenecken. Die Mägde kamen und brachten ihm Arbeit und Geld, aber er hatte keine rechte Ruhe; er brauchte die Abwechselung. Sein Mut und seine Anstelligkeit verhalfen ihm leicht zu anderen hohen Stellungen. Er fand Arbeit bei einem Schieferdecker, einem Schornsteinfeger, einem Dachkandelfabrikanten und zuletzt bei Mister Samson, einem Menageriebesitzer.

In der erlauchten Gesellschaft von Wüstenkönigen und Affen machte er nun weite Reisen durch vielerlei Länder unter kalten und warmen Breitengraden.

Einst hatte die Truppe der Fahrenden ihr Leinwandzelt in einem Städtchen an der Donau aufgeschlagen, auf einem freien Platze, gerade vor dem reichgegliederten Spitzbogenportal der Kirche unserer lieben Frau von der immerwährenden Hilfe. Man hatte mit schwankenden Kamelen und possierlichen Meerschweinchen einen königlich pompösen Umzug durch die Straßen veranstaltet, und Depeschen an die Telegraphenstangen geklebt, daß ein gefräßiger Tiger heute einen Handwerksburschen zerreißen werde. Doch die Bude blieb am Abend trotz der Magnesiafackeln leer. Vergeblich heulte der Pistonbläser wie eine Schiffssirene. Alles zog nicht.

Die Leute kamen wohl in Scharen vors Zelt, begafften ein wenig die blutrünstigen Szenen am Eingang, dann gingen sie vorbei und durch eine Seitentür in die Kirche hinein. Das war eine ärgerliche Sache für Mister Samson, dem der Pferdeschlächter den Kredit gekündigt hatte. Welcher Apostel- oder Heiligenknochen mochte nur die Menge an seinem Kunstinstitut vorbei in die Kirche führen? So was war ja noch nicht dagewesen. Er wollte Aufklärung haben und hauchte den Pankraz an: »Was zum Teufel haben wir da neben uns für eine Konkurrenz?«

»Ein Grauer ist es aus dem Kloster Himmelspforte,« sagte dieser. »Mit Fastenpredigten füttert er das Volk und bringt die Schankwirte an den Bankrott. Mehr noch als in der Kirche gebetet wird, wird in den leeren Kneipen geflucht. So hat das Jenseits seinen gemischten Salat, an dem auch der Teufel seinen Hunger stillt.«

»Ja aber zum Kuckuck, wo bleiben wir,« donnerte Samson los. »Gesetzt wir schnallten für unsre Person den Schmachtriemen ein paar Löcher enger, was fangen wir mit den Biestern an? Bis auf einen klapperdürren Milchhändlersgaul und zwei alte Hammelböcke sind für sie die ägyptischen Fleischtöpfe geleert. Wandel müssen wir schaffen, bis mir aber der gute Gedanken kommt, wieso und wie, möchte ich mir den Teufelsknochen von Pfaffen einmal aus der Nähe ansehen. Zwischen heute und morgen hat schon manches Huhn sein Ei gelegt.«

»Versäumen können wir nicht viel, und das Känguruh stiehlt uns keiner,« sagte Pankraz, »wenn's Euch recht ist, Direktor, gehen wir zusammen.«

An einen gelehrten Pudel erging der Auftrag die Lampen auszuhusten. Der tat's, die Bude lag in Finsternis.

Die Inhaber der Firma gingen und kamen in das Halbdunkel einer übervollen Kapelle. Von hinten betrachtet sah man rechts vom Gange einen langen Fahrdamm, der mit spiegeligen Kahlköpfen gepflastert schien. Links eine dunkle Schonung, auf der die Schwänze des unterschiedlichsten Federviehs zutraulich nickten. Es dauerte eine Weile, bis man sich überzeugt hatte, daß man's auf beiden Seiten mit Menschenköpfen zu tun habe, denn das Langhaus war dunkel. Aller Glanz und alles Licht war im Chore vereinigt. Hunderte von Kerzen flammten auf und umrahmten in strahlendem Oval ein Muttergottesbild. Es war nicht möglich, den Blick von ihm zu wenden. Der süße Liebreiz des jungfräulichen Antlitzes hielt das Auge in seinem festen Bann.

Und doch – man sah noch etwas weiteres. Zu den Füßen der Hochgebenedeiten bewegte sich etwas. Es war ein geschorener Schädel, der zur Hälfte in einer rauhen Kapuze versteckt war. Das mußte der Kopf des frommen Paters sein, der Wirt und Dirnen um den Verdienst brachte. Den mußte man sich näher besehen.

Die beiden drängten nach dem Chore. Die Gestalt in der Kutte erhob sich derweilen aus den Knieen, stieg zwei bis drei Stufen höher und wandte ihr Gesicht dem Langhaus zu. Die andächtige Menge nahm dies als Zeichen, daß sie sich setzen dürfe und tat's.

Es herrschte eine weihevolle Stille, aber nicht lange, denn die sonore Stimme des Mönches stieg hinauf zu den Stichkappen des Kreuzgewölbes und fiel wie Glockentöne von oben auf die Zuhörer nieder. Das ganze Haus war von Prophetenklängen erfüllt. Die Luft erzitterte unter den Worten der Verheißungen und die Fenster klirrten ängstlich in den Verbleiungen unter dem Donnerwort rächenden Fluches, der den Sünder traf. Die Menschen aber fröstelten bald und schrumpften dem Boden zu, bald hoben sie die Köpfe wie die Weiden und schienen in den Himmel hinein wachsen zu wollen, denn bald zog ein drohendes Schrecken an den Säulenkapitälen hin wie Gewitterschwüle, bald ein sanftes Locken wie Wachtelschlag aus dem Ährenfelde.

Als der Mönch mit seiner Predigt fertig war, stieg er noch einige Altarstufen höher und sein verliebter Blick senkte sich tief in das schöne Antlitz des Madonnenbildes. Ein Licht aus anderen Welten umstrahlte den bärtigen Kapuzinerkopf und seine Stimme klang in zitternder Sehnsucht als er das Gebet begann: »O domina mea, o mater mea.« Die Menge nahm das Antiphon auf und nun hallte und jubelte durch Langhaus und Seitenschiffe das fromme Gelöbnis: »Tibi me totum offero – –«

Der Kopf des Paters war demütig in die Kapuze versunken, Herr Samson aber richtete den seinen energisch auf, als er zu Pankraz sagte: »Wir gehen und brechen unsere Bude nieder – noch heute nacht. Wohl dem, der mehr wie einen Kamm hat, wenn die Zeiten lausig werden. Der Pfaffe macht noch lange ein volles Haus. Sehen wir zu, ob nicht auch hinterm Berge Menschen wohnen.«

Es gingen die zwei und kamen an dem Opferstock vorüber. Ein Zinnteller vermochte kaum den Berg der Münzen zu fassen, den fromme Einfalt hier geschichtet hatte. Herr Samson machte eine Adlerkralle und langte nach dem schlecht gehüteten Schatz.

»Nicht doch,« begegnete Pankraz seinen Raubgelüsten. »Ehrlich, wenn's auch schwer fällt. Sind erst alle Stränge gerissen, so bleibt uns noch der Riemen um den Schleifstein.«

»Schon gut. Du hast ein Sakrileg verhindert und kannst dir dafür einen Heiligenschein ausbedingen. Mir aber wäre die Mutter Kirche fünfzig Prozent von ihrem Reingewinn schuldig; denn ohne meine Groschen wäre er, der nun so erfolgreich für die Firma reist, wahrscheinlich zu Kolombo unter einer Kaffeebohnenstaude verscharrt.«

»Den Rest des Geldes für mich und eine braune Zigeunerin,« sagte Pankraz trocken. »Für diesen Gottesmann stak schon einmal eine Kugel in einem Revolverlauf. Mit meiner Weisheit hielt den damaligen Doktor ein zerlumptes Weib eine Stunde hin. Indessen hatte ein eifersüchtiger Narr sein Pulver verschossen und die Vorsehung erntet nun den Dank, den die Sibylle verdient hat.«

»Was du nicht sagst,« entgegnete Samson, »wohl eine Weibergeschichte. Daß doch keiner von uns um dieses Fußeisen herumkommt; die frömmsten Menschen nicht einmal. Der Pater da drinnen war auch nicht immer ausschließlich in die Madonna verliebt. Ich kenne in Indien eine, die keine Heilige war und ihn doch zu fesseln wußte.«

»Und ich kenne eine Heilige,« spann Pankraz den Gedanken weiter, »vor der er hätte niederknieen und sie verehren sollen, statt vor ihr zu fliehen. Meister, wenn er das getan hätte, wäre ich heute ein Kutscher und er da – steckte nicht in jener Kutte!«

»Der Zufall regiert die Welt mit einer Narrenpritsche,« sagte Samson. »Manch einer geht an einem Bett vorbei und legt sich in die Nesseln. Wer von diesen Pechvögeln klug ist, der kratzt sich wenigstens hinterm Ohr und sonstwo, aber es gibt welche, die fangen an zu beten und hoffen auf ein Kanapee im Himmel. Ach daß nicht alle Kreaturen diesen letzteren gleichen! Hörst du, Pankraz, wie unsere Löwen heulen? Ich wollte, ich könnte diese Fresser damit satt machen, daß ich ihnen sage, ihrer warteten im Jenseits ganze Gazellenherden.«


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