Adam Karrillon
O Domina mea
Adam Karrillon

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Viertes Kapitel

Ein unerhört heißer August brütete über dem Lande.

Es war, als wenn die Sonne den Bierbrauern die Malzdarre ersparen wolle. Der Stengel trug die schwer geladene Gerstenähre nicht mehr und sie brach ab, sobald der Binder sie in Garben raffte. Der Bauer kam zu kurz, aber die Stare hatten es gut. Ganze Wolken schmausten in den Feldern und löschten ihren Durst in den strotzenden Weinbergen.

In den Straßen der Stadt glühte das Pflaster wie ein ausgespieener Lavastrom, die Schiefer flimmerten und die Katzen liefen auf den Krallen, wenn ihr Räuberhandwerk sie zwang, über die Dächer zu wandern. Ein Drittel der städtischen Bevölkerung lag in dem halb ausgetrockneten Fluß und machte Barben und Schleien den Besitz des Schlammes streitig.

Innocenz in seiner Mansardenwohnung litt unsäglich. Der leichteste Schirting war der Haut noch zu warm. Nur die frühen Morgen- und späten Abendstunden brachten einige Erleichterung und sie wurden eifrig benutzt, um das Gehirn bis in den vierten Ventrikel hinein mit anatomischen und pathologischen Bildern vollzustopfen. Über Tag weilte der Student in den kühlen Kreuzgewölben des Spitals. Wenn des Abends die lechzenden Trinker nach den Kellern strebten, wagte er es, seine Sternwarte aufzusuchen. Da saß er vor dem Tisch in einer wahren Einsiedelei. Nicht den Verwegensten konnte die Lust anwandeln, zu ihm emporzusteigen. Vor dieses Wagnis hatten die Götter den Schweiß gestellt.

Trotzdem. Eines Abends klopfte es und der Student rief: »Herein!«

Die Tür sprang so weit auf, daß man ein Petroleumfaß hätte hereinwälzen können, und doch auf der Schwelle erschien nur ein schmales Kerlchen in Chevauxlegeruniform mit dem Einjährigenschnürchen an der Achselklappe. Der Miles gloriosus schlug die Hacken stramm widereinander, hob die Hand an die Mütze und sagte in militärisch kurzem Ton: »Balduin Hebenstreit, Einjährig-Freiwilliger beim Königlich« ...

»Schon recht,« unterbrach ihn Innocenz, »und was verschafft mir die Ehre?«

»Ich bin gekommen, um mich zu entschuldigen, daß ich Sie vor einigen Wochen so respektlos auf mich aufmerksam gemacht habe und zu danken dafür, daß Ihre gefahrvolle Güte mir seither Dienste geleistet hat, die ich nie von Ihnen hätte verlangen sollen.«

Innocenz lachte, drückte den Krieger auf einen Stuhl nieder und sagte belustigt: »Ja wissen Sie denn nicht, mein Lieber, daß Armeelieferanten als Kommerzienräte zu endigen pflegen? Vielleicht waren meine Dienste garnicht so selbstlos, wie sie Ihnen scheinen. Könnte ich nicht vielleicht einen erheblichen Prozentsatz der gelieferten Ware als Zwischenhändler in die Tasche gesteckt haben?«

»Tut nichts,« sagte der Soldat, »ein richtiger Kaufmann nimmt Skonto und Gratifikation, wie es fällt, und macht am Ende des Geschäftsjahres noch auf Kosten der Aktionäre ein Essen mit Austern, Kaviar und dergleichen mit; nicht wahr, mein Verehrtester? Sehen Sie, so denke ich und weil ich so denke, so habe ich mir erlaubt, Sie zu überraschen.«

Ohne nun eine Antwort weiter abzuwarten, ging der Krieger vor die Tür und kam mit zwei Flaschen Wein wieder und einer Zeitung, die aber diesmal Substantielleres enthielt als die Weisheit eines Redakteurs oder den Witz irgendeines Feuilletonisten.

Das Bemühen des Soldaten, einen Pfropfenzieher aus seiner Tasche zu holen, um eine der Flaschen zu entkorken, lehnte Innocenz ab, doch nicht so energisch, daß jener von seinem Beginnen abgestanden wäre.

»Sie wären imstande gewesen, mir ein Trinkgeld anzubieten,« sprach der Student, »wenn Sie mich für fähig gehalten hätten, es anzunehmen. Nun kommen Sie mit Mundvorrat als Versucher, um mir den Lohn abzuhandeln, der jeder guten Tat versprochen ist. Doch, ich sage Ihnen, daß ich bereits ausbezahlt bin, mehr wie reichlich. Bin ich doch durch Sie zu Menschen gekommen, deren Bekanntschaft mir mehr wert ist als Geld und der Inhalt der besten Flasche.«

»Sie haben recht,« sagte der Soldat schmunzelnd, »meine Base ist ein vortreffliches Mädchen, denn ich nehme an, daß deren Bekanntschaft Sie entzückt hat und nicht die des Notabeneojas, der mehr originell als entzückend ist. In das schöne Kind aber können wir beide uns nicht teilen, wie in eine Flasche Wein. Die Base muß ich ganz für mich verlangen. Ich glaube, sie kann mich vorläufig ausstehen, das genügt für den Anfang. Schwerer wiegt, daß unsere Güter aneinanderstoßen. Wenn erst der Pfarrer unsere Hände ineinandergelegt hat, dann liegen Gewannen lang hingestreckt aneinander, daß ein Pferd gut beschlagen sein muß, wenn es von einem Gang von Vorend zu Vorend alle vier Hufeisen mit nach Hause bringt.« Der Krieger lachte bei dieser Erklärung glückselig, und der Stöpsel half ihm lachen, als er lustig aus der Flasche sprang.

Dem Studenten legte sich ein tiefes Mitleid mit dem armen Käthchen, dem ein solch hochherziger Gatte zugedacht war, in das Herz, aber er griff aus Höflichkeit nach einem der vollgeschenkten Gläser und stieß mit seinem Besuche an. »Ihre Gesundheit,« sagte er, »denn ich kann mir nicht denken, daß Sie sonst noch etwas brauchen, um bei solchen Aussichten der glücklichste Mensch der Erde zu sein.«

Beide tranken. Dem Studenten lief der Wein wie Wermut über die Zunge. Dem andern aber verweilte er wie Hybleahonig in behaglicher Breite auf den Geschmacksnerven. Die Wangen fingen an zu glühen. Die Augen leuchteten in verklärtem Scheine. Die ganze Physiognomie wurde zu einem Preislied des Weines so gut wie ein Gedicht von Anakreon.

Innocenz, der etwas verärgert dieses Genießergesicht betrachtete, sagte nicht ohne Spitze: »Ich sehe, Sie verstehen sich vortrefflich auf Weib und Wein; wenn Sie nun noch singen können, so muß ich gestehen, daß ich kaum noch einen Frommen gefunden habe, der das Geheimnis von der heiligen Dreifaltigkeit der guten Dinge so begriffen hätte wie Sie.«

»Singen,« entgegnete der Chevauxleger, »und ob. Bewundern Sie in mir einstweilen den Vorstand der Liedertafel und des Feuerwehrgesangvereins, dem späterhin der Schützenkönig folgen wird und, so Gott will, der Bürgermeister. In wessen Händen wäre auch das Wohl der Gemeinde besser gewahrt als in denen des Großgrundbesitzers? Wenn der Reiche für die Gemeinde spart, so spart er auch für sich. An diesem Punkte greifen eigener und fremder Vorteil wunderbar ineinander ein. Damit soll nicht gesagt sein,« bemerkte er gönnerhaft, »daß man das Kalb nicht auch durch die Zinken einer Mistgabel mustern könne. Sie verstehen, Pfarrherren, Nachtwächter und Kassenärzte werden durch Leute von meiner Sorte gemacht.«

»Ich könnte also späterhin auf Ihre hohe Protektion rechnen?« sagte Innocenz mit leichter Ironie.

»Unbedingt, unbedingt,« bemerkte herablassend der zukünftige Ortsgewaltige und goß sich und seinem Gegenüber aufs neue die Gläser voll.

›Ein unverschämtes Großmaul,‹ dachte der Student und hätschelte einen Augenblick den Gedanken, aufzustehen und den Mann in Waffen die Treppe hinunter zu befördern, bevor er noch die Machtfülle eines Dorfschulzen in seiner Person vereinigte, als am offenen Fenster mit leisem Maunzen der gefleckte Kater erschien und in den Formen des gewandtesten Höflings einen alleruntertänigsten Buckel machte.

»Gott zum Gruß!« rief ihm Innocenz zu, »Euer Gnaden kommen wie gerufen, um die Huldbeweise unseres hohen Gönners entgegenzunehmen.«

Der Kater rieb sich geschmeichelt die Flanken am Fensterrahmen und fegte mit dem Schwanz die Scheibe rein, maunzte ein wenig, blinzelte begehrlich nach den Delikatessen, die derweilen aus der Zeitung gerollt waren, machte aber keine weiteren Anstalten den Herrschaften näher zu kommen.

»Wenn der Prophet nicht zum Berge will, so wird der Berg sich zum Propheten bemühen,« sagte Innocenz. »Herr Hebenstreit, Sie handeln nur gerecht und billig, wenn Sie diesen erhabenen Vierfüßler zur Tafel ziehen. Er war's, der Ihre Finger entdeckte und den Verkehr anbahnte zwischen uns beiden. Seither hat er sich mit den Wursthäuten begnügt, die Sie gütigst durchs Fenster warfen. Sie gestatten, daß ich ihm nun etwas Substantielleres vorsetze.«

Innocenz nahm sein Messer, schnitt ein gutes Stück von der Wurst herunter und überreichte es dem Kater, der mit gefülltem Maule hocherfreut über die Dächer lief.

Balduin sah ihm verlegen nach. »Es ist hausgemachte,« sagte er betrübt, »einer von seiner Sorte wäre auch mit dem Fabrikat der städtischen Freibank zufrieden gewesen. Herr Studiosus, Sie würdigen schlecht, was man Ihnen bietet,« und er fing langsam an, den Rest der Mahlzeit wieder einzupacken.

»Unsere Beziehungen werden nun weniger rege werden,« setzte nach einer Verlegenheitspause Innocenz Lorum die Unterhaltung fort. »Sie sind dem Käfige entsprungen und werden sich ohne meine Beihilfe zu verproviantieren wissen.«

»Freilich, freilich, erst aus dem Käfig, dann aus dem Haus und der Fink fängt wieder an zu pfeifen,« sagte der Soldat, »am ersten Oktober stelle ich den fiskalischen Schießprügel in die Ecke und hänge die Jagdflinte über die Schulter. Am Tag schießen wir die Feldhühner, am Abend essen wir sie mit Sauerkraut. Käthchen Sommertag bereitet sie und sieht zu, wie sie gegessen werden. Das ist so eine probate Methode, wie man sich die Braut zur Frau erzieht. Ein wenig kurz halten muß man die Weiber. Sie müssen frühzeitig einsehen lernen, daß der beste Bissen für den Mann ist. Übrigens, nicht daß ich ein Schubjack wäre, der keinem was gönnt, im Gegenteil, Herr Lorum, wenn Sie bei den Jagdessen unser Gast sein wollten, Sie würden sich überzeugen, daß es auf einen Vogel mehr oder minder nicht ankommt.«

»Schönen Dank auch für die Einladung,« schmunzelte Innocenz, »und damit ich keinen Metzgersgang mache, so werde ich zuweilen auf den Höhen der Stadt spazieren gehen und, wenn ich hinterm Walde ein Rottenfeuer höre, so kann ich wohl annehmen, daß es Euch geglückt ist, ein Huhn zur Strecke zu bringen, und werde gegen Abend in der Taubhausmühle sein.«

»Bravo!« replizierte der Soldat, »ein Mann, ein Wort. Ihr kennt Euch auf dem Lande aus und wißt, daß es zum Abendmahl geht, wenn die Glocken läuten. Also auf Wiedersehen in Birkenried!« sagte er und erhob sich, indem er den Wurstrest an sich heranzog.

»Vergeßt ja nicht Eure Wurst mitzunehmen!« bemerkte Innocenz überflüssigerweise.

»Eigentlich wollte ich sie dalassen,« sagte jener verlegen, »allein Ihr unterschätzt die Gabe. Wenn der Bauer sagt: ›Dies und jenes ist für die Katz‹, dann könnt Ihr sicher sein, daß dieses Dies und Jenes kein Schwein mehr frißt. Ihr aber gebt dem Mausejäger Leckerbissen, nach denen einer Pfaffenköchin das Maul wässern würde. Also nichts für ungut, Herr Lorum, wenn ich einpacke, und auf Wiedersehen in der Taubhausmühle am Tage, wo die Büchse knallt,« und er wandte sich unter Bücklingen der Tür zu.

Der Student hielt ihn nicht zurück und, wenn andere Dinge so durchs Holz gingen wie Röntgenstrahlen, so wäre dem Abziehenden ein Pantoffel ins Genick geflogen. So sauste das preiswerte Produkt der Pirmasenser Industrie nur wider die Türfüllung, überschlug sich und fiel in den dunklen Schaft eines alten Kanonenstiefels, aus dessen Tiefe ihn der Student mühsam genug herausarbeitete.

Nach dem plump vertraulichen Annäherungsversuch dieses Balduin Hebenstreit nun noch die Heimtücke dieses Pantoffels, das war um aus der Haut zu fahren. Innocenz tat dies zwar nicht, aber aus dem Häuschen kam er wenigstens. Er zog sich nämlich an und ging nach einem Biergarten. Sein Weg führte an der Nikolauskapelle vorbei, deren Fenster mit rötlichem Leuchten in die dunkle Straße blinzelten. »O domina,« begann er gedankenlos, aber er setzte ab. Das Bild seiner Herrin war ihm unsympathisch, seitdem statt der Kuhköpfe dieser Schafskopf Balduin Hebenstreit neben ihr stand.


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