Adam Karrillon
O Domina mea
Adam Karrillon

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Neunzehntes Kapitel

Trostlos war der Anblick des menschenleeren, übel zugerichteten Schiffes, als die Nacht schwarz und lautlos zwischen geborstenen Masten und zersplitterten Raaen sich niedersenkte aufs Verdeck. Die zerrissene Reling, die zerdrückten Türen, die eingestürzten Schotten und Schutzwehren, alles sah jetzt, da es von Menschen verlassen war, doppelt traurig aus. Der Rumpf glich den Resten einer erstürmten Feste, in deren gesprungenen Gewölben man Gespenstern begegnet und Totengerippen, die mit den fleischlosen Beinen sich aufgemacht, nach ihren abgeschlagenen Armen zu suchen.

Innocenz schauderte, als er durch weggeworfene Kleiderfetzen, Stroh und zerknittertes Packpapier über das Verdeck schritt, um seine Kabine aufzusuchen. Er fand sie im fahlen Scheine einer Notlampe und erreichte die Tür, indem er über leere Kisten stieg, die man als wertlos zurückgelassen. Als er sich ausgezogen hatte und abriegeln wollte, stellte es sich heraus, daß der Riegel nicht in den Haken zu bringen war. Die Wände hatten sich gezogen, die Hölzer hatten sich gestreckt, jedes Ding war widerhaarig geworden und versagte seinen Dienst. Innocenz gab den Versuch, sich abzuschließen, auf und legte den Revolver über sich in ein kleines Drahtnetz. Ihm war es unheimlich in den mit einem Male so groß und weit gewordenen Räumen. Auch drückte ihn die Stille nach den Stunden so gewaltigen Lärmens, so nervenfressender Aufregung. Er war müde, und doch, wie er auch den Kopf auf seine Kissen legen wollte, nie lag er recht. Bald quetschte eine Falte das Ohr, bald lag der Nacken verdreht und fing an, steif und schmerzhaft zu werden. Vor allem aber störten den Ruhebedürftigen suchende, tastende Geräusche, die von der Außenwand des Schiffes zu kommen schienen, und zuweilen ein verhaltenes, gepreßtes Atmen. Aber es war doch ganz unmöglich. Da draußen an der schwarzen eisernen Wand konnte doch keiner sich ankleben, wie sich die Fledermaus mit dem eigenen Speichel in die Rauchfänge klebt. Sollten etwa Ratten im Zimmer sein? Das war zu unwahrscheinlich, und dann kam auch das Geräusch offenbar von der Außenwand her. Innocenz langte nach der Schußwaffe, hob den Kopf übers Kissen und sah stieren Auges nach der Luke hin, die wie ein Blechdeckel mit mattem Glanz ihr Dasein in die Finsternis schrieb. Der aufgescheuchte Beobachter wußte, daß er die Glasscheibe nicht zugeschraubt hatte, und er fühlte auch den leisen Luftzug, der von der Öffnung her erquicklich nach seinem Bette strich. Das war natürlich, darüber brauchte man sich nicht zu erregen. Aber da drüben war etwas anderes nicht in Ordnung, denn zuweilen wurde der bleiche runde Spiegel schwarz. wie seine Umgebung, und zuweilen leuchtete er wieder traurig und glanzlos wie das Auge eines Sterbenden. Innocenz kniff die Lider zusammen und verengte seine Pupille, daß sie klein und winzig wurde wie die eines Raubvogels, der hungrig aus seiner Wolkenhöhe das Wühlen eines Maulwurfs beobachtet. Nicht umsonst. Er unterschied im metallnen Fensterrahmen zwei funkelnde Katzenaugen und die verzerrten Formen eines menschlichen Gesichts.

›Was mag die Satansfratze wollen?‹ dachte der Arzt. ›Eher wird der Kerl seinen Schädel in eine Tabaksdose zwängen als in diesen Fensterrahmen.‹

Gutes war jedoch nicht zu erwarten. Der Jäger, der die Bestie beobachtete, tat weise daran, wenn er im Anschlag blieb.

Da erschien ein langer Arm in der Luke und eine Hand griff in die Kabine und tastete vorsichtig die Wand ab. ›Er sucht nach Gegenständen, die sich allenfalls bequem durch das Loch hinausbringen ließen, durch welches die Faust unberechtigt eingedrungen ist,‹ dachte der stille Beobachter und überlegte, was er tun solle, als draußen ein Schuß fiel. Dem kurzen, kläffenden Knall folgte ein rauschendes Rutschen an der Schiffswand nieder, dann ein verzagtes Plätschern, als wenn stiebende Ruder tastend ins Wasser greifen, dann war alles still. Nichts regte sich mehr.

Innocenz hatte sich erhoben und war eilig in seine Kleider gefahren. In hastigen Sprungschritten suchte er aufs Verdeck zu kommen. Oben traf er die Schiffswache. Die vermummte Gestalt lehnte mit dem Bauche an der Reling, hatte den Oberkörper vorgebogen und suchte mit stechenden Blicken im Dunkel des Kielwassers nach irgendeinem Gegenstand.

»Was ist vorgegangen, Obermaat?« sprach flüsternd der Schiffsarzt zum Posten.

Der Angeredete hob die Faust mit dem Revolver und sagte trocken: »Wenn's Gottes Wille war, hat einer von den schwarzen Halunken ein Loch im Fell. Wie ein Blutegel hat er an der Schiffswand gehangen und ist herabgefallen, so denke ich, als die blaue Bohne wider ihn flog. Aber ich sehe und höre nichts mehr von ihm. Nicht eine einzige Kapriole hat er gemacht und keinen Laut von sich gegeben. Die Sorte versteht sich aufs Sterben. Ich hab's schon mehr gesehen. Sie verenden schweigend wie die Würmer, nur schlagen sie etwas mit den Armen wie die Affen. Der aber hat auch das nicht getan und ist wie ein Sandsack in die Tiefe geglitten.«

»Oder auch drüberhin!« sagte Innocenz. »Mir war's so, als ob ich hätte Wassertropfen von einem Ruder rinnen hören, und zuweilen war ein Plätschern, als wenn eine Forelle nach Mücken springt.«

»Nun, dann segne ihm der Himmel den Raub,« sagte der Obermaat, »viel wird er nicht mitgenommen haben. Man stiehlt leichter einer Katze die Filzpantoffel, als einem Seemann einen Taler, und unsere Passagiere sind ja fort.«

Der Arzt schwieg und setzte sich auf einen Haufen Schiffstaue. Der Obermaat machte einen kurzen Gang über das Deck, kam dann zurück und setzte sich neben den Doktor.

»Der Alte ist von Bord,« so begann er nach einer Pause nachdenklichen Schweigens ein neues Thema. »Er hat dem Zweiten das Kommando übergeben und pflegt seinen Leib in der kühlen Luft der Berge, während wir hier im Sumpfe festliegen und Chinin fressen können, um uns das Fieber aus den Knochen zu treiben. Man nimmt die bittere Rinde vertrauensvoll in einer Oblate, wie den Leib des Herrn, aber beide haben noch keinen vor der Himmelfahrt beschützt, und ich fürchte, ehe das Schiff ausgebessert ist, wird mancher von uns so weit sein, daß er für den Barbier kein Geld mehr auszugeben braucht. O, ich bin schon manchmal unter dem Äquator durchgekrochen und kenne all die Stationen, wo die Leute ihr Retourbillett verfallen lassen,« sagte er unter Kopfschütteln und betrachtete aufmerksam den Nachthimmel, als ob er hinter dessen blaugestrichener Wölbung ein Zimmer für sich aussuchen wolle.

Ein leichter Wind hatte sich während des Gesprächs aufgemacht und spielte lässig mit ein paar am Maste vergessenen Wimpeln, als ob er vorhätte, sie mitzunehmen, und doch war er wieder zu matt, sie loszureißen. Goldgeränderte verirrte Wolken zogen am Firmament hin nach dem Hintergrund schwarzer Berge. Es war, als ob sie es eilig hätten, aus dieser Gegend herauszukommen.

Innocenz sah ihnen nach und fröstelte leise von innen heraus. Dem Frösteln folgte eine rasche, warme Blutwelle, die von den Füßen nach aufwärts lief und in den Ohren heiß verglühte. Ein Brennen und Prickeln trieb in der Haut sein Wesen und erzeugte Empfindungswellen, die einander nachliefen bis in die Kopfhaare und diese aufrichteten, daß sie starr standen wie vom elektrischen Strome getroffene Eisenspäne. Der Doktor wehrte sich gegen diese ihm selber fremde Erscheinung, indem er seine Joppe fester an sich heranzog und den Kragen stellte.

»Sie frieren!« sagte der Obermaat, »damit fängt's an. Bald werden Sie da hinter der Stirne ein Hämmern hören, als ob Sie Ihre Schädelhöhle an einen Nagelschmied verpachtet hätten. Dann laufen Ihnen die Gedanken herüber und hinüber, wie die Makler auf einem Viehmarkt, und zuletzt wissen Sie nicht mehr, was rechts oder links ist, müssen gefüttert werden und wachen eines Tages in einem Spital auf, wohlgemerkt – wenn Sie überhaupt aufwachen. – Ich kenne das alles und habe es durchgemacht, als ich ein lausiger Schiffsjunge war, mit, der ›Felicitas‹ in der Gangesmündung lag und die Kraniche zählte, die von einem Ufer nach dem anderen wechselten. Damals roch die Luft wie eine Gerberschürze, und hier riecht sie geradeso. Doktor, Ihr werdet sehen, in einigen Tagen haben wir das gelbe Fieber an Bord. Es würde mir leid tun, wenn Ihr derjenige wäret, der den Anfang macht. Aber ich rate Euch, geht schlafen und schließt die Luke und den Mund. Doch was soll's? In dieser verdammten Pfütze hier kriecht einem der Tod durch die Nasenlöcher.«

Damit stand er auf und ging. Innocenz sah ihm nach und erhob sich, um schlafen zu gehen. Da waren ihm die Beine so steif geworden, und es war so verwunderlich, daß seine Schritte so kurz gerieten. Auch stolperte er auf ebenem Plan, und als er die Treppe hinabstieg, kam ihm die Vorstellung, daß er eine Stufe übertreten müsse, ohne die folgende ganz erreichen zu können. Er nahm seine Hände zur Hilfe, um sich vor dem Fallen zu schützen und erfaßte das Geländer. So kam er in seine Kabine, warf den Kopf mit den halbbetrunkenen Gedanken aufs Lager und schlief ein.

Als er am nächsten Morgen erwachte, hatte ein duftiger, leichter Schweiß die lästige Spannung gelöst, die seinen Brustkorb am Abend vorher wie mit Stricken gebunden hielt. Nun hatte er wieder Platz in seiner Haut, konnte tief atmen und die Beine von sich strecken. Nur im Kopf war noch eine sehr unordentliche Haushaltung. Da lagen Erinnerungsbilder in Haufen aufeinander, aber trüb, verrußt und zugestaubt. Sie fügten sich schwer zu geordneten Vorstellungen.

Ihm, dem Neuerwachten, war es, als ob er durch Wischen an der Stirne Ordnung in den Gedankenwirrwarr bringen könne. Er rieb und rieb, und rieb in der Tat den Seelenspiegel so blank, daß ihn daraus ein schlankes, schönes Weib mit Abschiedstränen zwischen den zitternden Wimpern verlockend anschaute. Da entschwand für Augenblicke alles Verwirrte aus dem Schädel, und es erwachte in dem Kranken ein wildes Sehnen, die Fliehende noch einmal zu fassen und in seine Arme zu schließen. Vielleicht war sie seiner Sehnsucht noch einmal erreichbar. Irgendein Zufall konnte die Abfahrt des Dampfers verzögert haben. Hastig sprang Innocenz aus dem Bette und eilte an die Luke.

Die Morgensonne sah dem Tanzen einiger Korkstücke auf dem blasigen Wasser zu. Möwen schossen nieder und fingen irgendeine Beute auf der Meeresfläche ab. Der Platz aber, an dem der Dampfer gelegen hatte, war leer, und nun grinsten tausend öde Tage, jeder genau gerechnet vierundzwanzig Stunden lang, der Liebessehnsucht ins Gesicht und fragten mit grausamer Schadenfreude: Sollen wir etwa deiner Narrheit wegen kürzer werden als wir sind? Siehe du zu, wie du mit dem zwiefachen Pfeile in deinem Fleische fertig wirst und gib acht, daß du den Tag des Wiederfindens nicht verschläfst.

Eine bange Verzagtheit fuhr dem Arzt in die Beine. Das Stehen wurde ihm plötzlich wieder schwer. Er taumelte zurück, setzte sich auf den Rand seiner Bettstelle und stierte auf die Kokosmatte, die den Boden seiner Kabine bedeckte. Da gewahrte er einen Brief, der wohl durch die Luke hereingeflogen sein mußte. Er hob ihn auf, legte seinen Kopf auf dem Kissen so, daß er ein gutes Licht hatte und fing an zu lesen:

»Geliebter meines Herzens!

Ach, daß ich die Hoffnungen zerstören muß, die ich wie Blumen in dem Garten Deines Herzens säte. Wehe mir, daß ich sie nicht pflegen und mit meinen Tränen begießen darf. Als ich Dich, Traum meiner Liebessehnsucht, zum ersten Male sah, da war es mir, als fiele in stiller Nacht ein Stern nieder. Du kennst den schönen Glauben, daß der erhört wird, der sich beim Fallen einer Sternschnuppe etwas wünscht. Sieh, so wünschte ich mir damals, daß Du mein Eigentum werden möchtest. Mir war's, als ob ich wieder ein Kind wäre auf dem Schoße des Vaters und nur die Hand auszustrecken brauchte, um zu erlangen, was ich wünschte. Doch das war ich nicht. Wie zerreißt es mir das Herz, daß ich Dir sagen muß: Ich habe Dich getäuscht. Ich bin gebunden, und zu der Last meiner Sklavenketten trage ich fernerhin noch den schweren Gedanken, daß Du mich verachten wirft. Sei gütig und vergib einer Hungrigen, daß sie es versucht hat, sich an die Tafel des Lebens zu setzen, einer Durstigen, daß sie einmal aus reiner Quelle trinken wollte. Und nun ein letztes Lebewohl für diese Welt! Ich bin so verwegen, mir einzubilden, außer Dir wird noch ein Höherer mir verzeihen und mich auf einem besseren Stern an Deine liebe Seite führen.

In Träumen
Deine ...«

Die Augen des jungen Arztes hatten den Brief schneller gelesen, als sein Verstand seinen Inhalt zu erfassen vermochte. ›Waren's denn Tatsachen, was hier stand? Konnte wirklich die Lüge mit Irmas Zunge reden, und wenn schon, konnte dann die Sprache dieser treuen Augen eine falsche sein? Wenn dem so ist, daß Falschheit hinter Schönheit sich versteckt, dann herunter, trügerische Maske vom Menschenantlitz. Sei, was du bist, Medusenhaupt, und ringle deine Schlangen.‹ So redete eine empörte Stimme immerzu aus dem Doktor heraus, bis ein starkes Schütteln seinen Körper streckte und ihn platt auf den Rücken warf.

›Ha, das Fieber!‹ dachte Innocenz. ›Sei mir willkommen, Abgesandter der Verwesung!‹ Und dies war die letzte klare Vorstellung, die er überhaupt hatte. Denn nun schlugen die Strudel wilder, ungezügelter Phantasien über ihm zusammen. Ein Januskopf mit drei Gesichtern drehte sich auf einer Windmühle. Ein kleines Ferkelschwein mit gelben Kinderschuhen an den Füßen saß auf dem Schoß des Jankel Navratil und trank aus einer Saugflasche. Dann kam ein Hermelin mit weichem Fell und legte sich schmeichelnd an die Brust seines Wärters. Und Innocenz streichelte es, bis die Bestie auffuhr und ihm in die Kehle biß. Da schrie er auf in seiner Not, wollte entfliehen, schlug mit den Händen gegen die Schiffswand und schrie wieder, schrie, daß die Wände gellten und die Schiffsbemannung zusammenlief.

»Dem sitzt der gelbe Teufel im Genick,« sagte der Obermaat zu den Matrosen, die mit ihm um das Bett des Arztes standen. »Wir bringen ihn in ein Spital am Land. Dort wird's schon Leute geben, die zusehen, wie er stirbt und die hernach dafür sorgen, daß er tief genug eingescharrt wird, damit nicht die Affen in den Kokospalmen sich mit seinen Knochen prügeln. Er war ein guter Kerl und hat ein paar Fuß Erde mit einer Trauerweide drin über seiner Nase verdient.«


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