Adam Karrillon
O Domina mea
Adam Karrillon

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Siebzehntes Kapitel

Wer nicht allzu fest schlief, der wurde am nächsten Morgen durch Kettengerassel aus dem Schlafe erweckt. Langsam hob sich der Anker aus der Tiefe, schwebte schwerfällig vorm Bugspriet und weinte dicke Abschiedstränen auf den Wasserspiegel hernieder. Die Sirene heulte, als ob die Notwendigkeit, den Golf von Neapel verlassen zu müssen, dem Schiff das Herz brechen wolle. Doch was hilft der Jammer? Die Schraube wühlt hinter dem Achtersteven, und die Steuerkette zwingt den Kiel in seinen Kurs. Am Toppmast stiegt die Signalflagge empor, der Wind macht sich über sie her und läßt sie in der frischen Morgenbrise wie eine Peitsche knallen. Eine schwarze Rauchsäule ringt sich klumpig aus dem Schornstein und strebt, Torre del Greco überschattend, den Hängen des Vesuvs entgegen. Der Dampfer hat die Spitze des Piers hinter sich gebracht und kommt in ein schnelleres Tempo der Fortbewegung. Capo di Monte, das Königsschloß über Neapel, sinkt hinter die Wölbung des Meeres, der Vesuv wird kleiner, sein Aschenkegel ist alles, was von ihm noch über die Wogen schaut. Trüben aber, zur Rechten der Fahrtrichtung, erscheint über Felsenschroffen und Olivenhainen wie ein himmlischer Friedenshort der kleine Gebäudekomplex des Klosters Camaldoli. Das feine Silberstimmchen eines Glöckleins, das die Brüder zur Mette ruft, übertönt das monotone Rauschen der Wellen und dringt zum Ohre Irmas, die, in ihrem Liegestuhl ausgestreckt, auf dem Decke weilt. Sie schlägt die Hände vors Gesicht. Sie will nichts hören und nichts sehen. Ein Gefühl der Scham steigt in ihr auf. Ihre Schwäche von gestern wird ihr Ankläger von heute. Wie soll sie vor sich bestehen, wie vor ihm? Mit welch stolzem Antlitz wird er, der ihr Entgegenkommen nicht ausnützte, heute vor ihr erscheinen? Und wenn er gar wußte, wer sie war! »Was ich scheine, bin ich nicht!« hatte sie dem Geliebten gesagt, aber verschwiegen, was sie war. Ach, wenn sie doch nur wäre, wofür sie gestern von der Patrona zu Camaldoli genommen wurde, die Frau des Arztes, oder es doch werden könnte. Wie gern wollte sie ihm folgen in die Stille des Landlebens zu guten, frommen Menschen, die das Treiben der großen Welt nicht einmal vom Hörensagen kennen und glücklich sind. Aber das alles war ja so verzweifelt aussichtslos. Zerren konnte sie an der Kette, die sie gefesselt hielt, sie zu zerreißen, vermochte sie nicht. Sie mußte zurück in ein verlogen schillerndes Glück, das wie ein sterbender Delphin mit Farbenblendwerk den Tod übertünchte. Ihr fielen die prunkenden Säle ihrer Wohnung ein, ihre Gärten, in denen Papageien sich auf Palmenwedeln schaukelten, ihre plätschernden Fontänen, deren feuchter Staubregen die vielgestaltigen Fratzen der Orchideenblüten ernährte. Wie war dies alles so seelenlos, so aufgepinselt, so langweilig, so weit vom Glück entfernt, das sich ihr gestern in der einfachen Stube der Osteria so beseligend genähert hatte!

Das Glöcklein von Camaldoli, das die Uhr ihrer Gedanken um achtzehn Stunden zurückgestellt hatte, war längst verklungen, aber das junge Weib spann an dem Rocken der Erinnerung weiter und kratzte verzweifelt an der großen Wunde ihres Daseins, bis sich ihr eine starke Faust sanft auf die Schulter legte. Da zuckte sie zusammen, nahm die Hände vom Gesicht und sah mit verschleierten Augen in das Antlitz des Arztes.

Es gibt Augenblicke, wo jeder, selbst der Dumme, zum Gedankenleser wird. Auch Innocenz sah, was weit hinter dem Wolkenschleier dieser Augen sich abgespielt hatte, und wußte Rat. Er rückte einen Klappstuhl neben das Lager Irmas und fing an zu reden, und je länger er redete, um so blanker wurden die Augen des Weibes, um so sonniger das Lächeln, das um ihre feingeschnittenen Mundwinkel spielte. Schon nach einer kleinen Viertelstunde traten die beiden, vor sich selber entsühnt, an die Reling hin und blickten hinauf nach Camaldoli, das eben den Blicken zu entschwinden drohte. Was hatte es jetzt noch zu sagen, daß der Berg mit seinem Kloster und seiner Osteria, mit seinen schweigenden Mönchen und seiner redseligen Wirtin, gestern zwei Schwächlinge auf seinem starken Rücken trug? In ihrer Erinnerung blieb er der gesegnete Stein, unter dem der Born ihrer Liebe hervorgequollen war. – – –

Das Schiff hatte Capri und die Westspitze der Halbinsel von Sorrent hinter sich gebracht und flog stampfend in die aus Meer und Himmel gemengte unendliche Bläue hinein. Die Glocke gab das erste Zeichen zum Dejeuner. Das glückliche Paar überhörte es.

Da kamen Chrysanthem und Hyazinth auf leisen Katzenpfoten übers Deck geschlichen, um ihre Herrin zu erinnern, daß es Zeit sei, Toilette zu machen. In ehrerbietiger Entfernung blieben die beiden Musmis stehen, die Hände in den weiten Ärmeln bergend. Nur ihr Anblick sollte ihre Gebieterin mahnen, an sich zu denken, nicht ihr Wort durfte so verwegen sein, dies zu wagen. Man hatte nur die Arbeit ihrer Hände gedungen, nicht die ihrer Zungen. So standen sie stumm, die großen Mandelaugen in den runden Gesichtern, bis ein Wink Irmas sie belehrte, daß sie verstanden seien. Da neigten sie die Häupter mit den schwarzen Wollfrisuren zweimal, zuerst vor ihrer Gebieterin, dann vor ihm, den sie als den Herrn ihrer Herrin erkannten. Frauen haben wie die Hunde ein scharfes Auge für das Abhängigkeitsverhältnis der Menschen untereinander.

Nun kamen für die Reisenden an Bord Stunden eines trägen Dämmerlebens. Die Sonne stach vom wolkenlosen Himmel nieder und wärmte Holz und Eisenteile des Schiffes, daß ihre Glut den Händen gefährlich wurde. An einer Messingstange konnte man die Finger verbrennen. Am den Schatten des Schornsteins rangen Dutzende, weniger mit Kampfesmut als mit zäher Ausdauer. Wer nicht den ganzen Körper in seiner Kühle unterzubringen hoffte, stellte seinen Stuhl so, daß wenigstens sein Kopf geschützt war, und schloß die Augen vor dem grausamen, allgegenwärtigen Himmelslicht. Wohin man blickte, strahlte es einem entgegen. Aus jedem Wellental warf es seine goldenen Speere, aus jedem Messingbeschlage, selbst aus dem Schiffsteer des Klüverbaumes. Und dann die Hitze! Jedes Kleidungsstück schien ein Panzer zu sein, in dem der Körper glühte wie der Stahl im Bügeleisen. Der Gedanke an Frost und Winterschnee erzeugte Schauer des Behagens, und der Anblick des Schiffsjungen, dessen Kniee vergnüglich durch die Löcher der Hose guckten, erregte den Neid der Gutgekleideten. Wenn jemand verrückt geworden wäre, er hätte von Gletscherspalten geträumt, in die man sich jubelnd hinunterstürzt, und von Lawinen, unter denen man schläft wie die Katze im Nähkorb. Es kam der Abend, es kam die Nacht und ward von allen begrüßt. Wenn sie auch keine wesentliche Abkühlung brachte, sie entfernte zum mindesten das grelle Licht und gab den Sehnerven die Wohltat der Finsternis, die ihnen tagsüber auch bei geschlossenen Lidern nicht zu vermitteln war. Wenige der Reisenden gingen zur Nachtruhe unter Deck. Die meisten streckten sich auf Bänken und Klappstühlen aus, legten einen weichen Gegenstand unters Haupt, trieben astronomische Studien oder beobachteten den Schiffsjungen, der oben im Mastkorb sich die Stunden seiner Wache mit dem Rauchen aufgelesener Zigarrenstummel verkürzte.

Innocenz war unter tags im Zwischendeck beschäftigt gewesen, dann in der Apotheke. Er hatte bei dem einen Kranken mit einem Witzwort, bei dem andern mit einem Arzneikolben geholfen. Wer an die Wirkung beider Dinge nicht glaubte, der ließ sich vom Schiffsbarbier sympathisch behandeln. So sind nun einmal die Menschen. Wenn sie zwischen zwei Wahrscheinlichkeiten zu wählen haben, so entscheiden sie sich für ein Trittes und glauben das Unwahrscheinliche. So war der Tag, wenn auch nicht unter schwerer, so doch immerhin unter Arbeit für ihn hingegangen, und er hatte die Schikanen des Himmels leichter getragen als die Müßigen. Er hatte sein Mahl mit gutem Appetit eingenommen, eine Zigarre auf Deck geraucht und schaute jetzt in der Abendkühle nach Südwest hinüber, weil die Wache aus dem Mastkorb »Stromboli, Stromboli!« rief. Kein Zweifel, rechts vom Steuerbord hoben sich schwarze Zuckerhutschatten vom Sternenhimmel ab, die Äolischen Inseln. Von einem dieser Gipfel flogen Raketen in die Luft und machten den Sternschnuppen Konkurrenz, die im Schnellzugstempo über das Firmament rasten, obwohl sie nirgends zu spät kommen und Zeit haben wie die Handwerksburschen. Vor dem Vesuv gesehen, hätte der Stromboli alle Beine des Schiffes zum Ausstand gebracht, nach ihm vermochte er kaum einige Köpfe aufzurichten, die sich säumig erhoben, gelangweilt wie auf einen Theatervorhang starrten und wieder zurücksanken. Es genügt nicht, daß man etwas Gewaltiges ist, man muß es auch zu einer Zeit sein, wo man keinen Gewaltigeren vor sich hat, der uns im Lichte steht.

Der Stromboli war rasch vergessen. Mit langgezogenen Schattenrissen an Backbord hinstreichend, meldete sich der kalabrische Apennin und verkündete, daß die Straße von Messina näher komme. Das Schiff lief im Mondschein so zaubervoll zwischen Bergen rechts und Bergen links unter einem Firmamente, dessen ungezählte Sterne ihre Legionen im Widerscheine des Wassers verdoppelten, daß es dem Arzt gar seltsam mitleidig ums Herz wurde. Er bedauerte den lieben Gott, der niemand hatte, mit dem er die Freude an seiner Schöpfungsherrlichkeit teilen konnte, während er wußte, wo er hinzugehen habe, um ein teilnehmendes Herz zu finden. Rasch schritt er übers Verdeck durch all die Schläfer, die unberührt von der Herrlichkeit der Nacht wie getrocknete Stockfische da herumlagen, stieg die Treppe hinunter und kam auf den hell erleuchteten Gang, der die Außenkabinen von den nach innen gelegenen schied. Ein kräftiger Zugwind strömte ihm entgegen und belehrte ihn, daß die Schläfer bei offenen Luken in ihren Betten lagen. In dem kleinen Vorraum, der vor der Kabine Irmas sich hinzog, zerrte die Luft an der Portiere und gestattete einem neugierigen Auge, ins Innere zu blicken. In dem Halbdunkel des schmalen Raumes saßen die beiden rundköpfigen Musmis auf kleinen Rohrstühlen, schliefen und hüteten mit ihren Leibern den Eingang zum Schlafgemach ihrer Herrin. Ein Vorhang, der das Antichambre von der Kabine trennte, wölbte sich rhythmisch wie von leichten Atemzügen bewegt und fiel wieder in sich zusammen. Es war, als ob dies Stückchen Zeug durch einen seinen Mechanismus mit der Brust der schönen Schläferin verbunden wäre. Merkwürdig, wie diese Vorstellung die Sinne des jungen Mannes verwirrte. Fast hätte er sich vergessen und hätte den Versuch gewagt, zwischen den beiden Cherubim, die sein Paradies bewachten, hindurchzuschlüpfen.

Während er noch mit sich kämpfte und alle Musmis der Erde an die Ufer der Behringstraße wünschte, huschte der Küchenjunge geräuschlos über den Teppich. Innocenz stellte ihn und gab ihm in einem Kommandotone, wie er zu dieser Stunde und an diesem Orte auf keinem Schiffe üblich ist, Auftrag, ihm auf morgen in der Frühe ein halbes Tausend fertiggesteppter Knopflöcher in seine Kabine zu besorgen.

Der Junge zauberte blitzschnell auf sein verschmitztes Gesicht ein breites »Einverstanden«, nickte und ging.

Innocenz hatte das peinliche Gefühl, daß er sich dem Knaben gegenüber eine Blöße gegeben habe und entfernte sich. Ein leichtes Hüsteln, das hinter ihm herlief, belehrte ihn, daß seine Stimme von den Musmis erkannt worden war. Aber noch eine hatte den Zweck der lauten Rede begriffen und raffte sich auf vom Lager.

O Liebesnächte, da hinten auf dem Achterdeck über dem perlenden Wellenschaum der Schiffsschraube verbracht, wie habt ihr den Himmel mit Sternen übersät, das Meer in Licht getaucht, das Ufer in Silberglanz! Wie habt ihr die Brust mit heißen Wünschen gefüllt, das Hoffen genährt und Unmöglichkeiten spielend aus dem Wege geräumt! Minder schwerfällig denkt sich's auf dem beweglichen Wasser als auf dem klumpigen Land, dessen träge Scholle zudem noch auf jedem Quadratmeter eine Tafel trägt mit der Ausschrift: »Es ist verboten!« Kein Späherauge sieht neidisch auf unser Glück. Nur der Himmel betrachtet mit tausend Augen unser Tun und lächelt mild und verzeihend.

So schwamm das Schiff wie ein Schwan die enge Straße zwischen Reggio und Messina hinunter. Von den Klippen der Scylla und Charybdis blitzten die Leuchtfeuer. Verschlafene Lampen bezeichneten die Städte der Menschen, dunkle Linien am Firmament die Umrisse der Berge. Alles war mehr ein Ahnen als ein Schauen. Auch die Luftschlösser waren's, die Innocenz mit schwärmender Phantasie vor den Augen der Geliebten baute. Ein Glück für ihn, daß er Irmas leise Seufzer überhörte und den Tränensee nicht sah, in dem ihre Augen schwammen. Wer weiß, ob er zum Abschluß seines Tagewerkes den Schlummer gefunden hätte, den seine Nerven brauchten wie die Lampe das Öl.

Unbekümmert um Tag und Nacht, um Lust oder Leid der Reisenden, arbeitete tief unterm Meeresspiegel der Dampf. Er warf die sausenden Räder um die Achsen, stieß die Kolbenstange vor und zurück, griff mit Zähnen und Haken ins Getriebe. Ohne Ruhe muß die Schraube in den Fluten wühlen und den Kiel durchs Wasser drücken. Im Rücken geblieben sind der schöne, schimmernde Gipfel des Ätna und die zerrissene Silhouette des Aspromonte. Kreta mit seinen weißen Bergen schwimmt wie ein Schwan heran und schwindet wieder. Nach drei weiteren Tagen kommt auf niederem Vorland ein Haufen Häuser in Sicht, über deren roten Dächern ein Leuchtturm in eine rohrbestandene Landschaft blickt. Alles so nüchtern, so simpel, und doch gehört dieser versumpfte Strand zum alten herdenreichen Lande Gosen.

Das Schiff ist vor dem Eingang zum Suezkanal. Rechts die Wüste, links die Wüste, der Kiel langsam fortrutschend auf einem dünnen Wasserfaden. Man verspürt Lust, über die Reling zu springen und im Sande nebenherzulaufen. Ja, wenn die Hitze nicht wäre, die alle Energie lähmt und die Menschenleiber auf eine Pritsche wirft wie auf einen glühenden Rost!

Nach dem Kanal die Glutpfanne des Roten Meeres, ein ungeheurer Kratersee mit leuchtenden, ausgetrockneten Kalkwänden, die den Sonnenstrahl fangen und ihn, schneidend wie eine Messerklinge, ins Auge des Beschauers zurückwerfen. Und nun das Meer. Am Tage eine bleifarbene, träge Masse, über der die Hitze flimmert wie über den Ähren eines Kornfeldes, in der Nacht ein roter Feuerofen, dessen Gluten wie Zungen aus dem Bugwasser nach dem Kiele lecken. An den Mast- und Raaenspitzen leuchtende Flammenbüschel. Allüberall eine gespenstische Helle. Ein feenhafter, überwältigender Anblick, das Schiff durch die offene Hölle schwimmend. Ja, wenn nur die Hitze nicht wäre, die schreckliche Hitze, die unsere Gefühle frißt bis auf ein unsagbares Lechzen nach einem kühlen Luftzug und nach einer Spur von Schatten. Endlich ist Aden erreicht und frische Kohlen sind an Bord genommen. Nun wird das Steuer festgebunden, nur immer vorwärts, ostwärts, ein Knoten nach dem andern an der Logleine herunter.

Die Tage sind warm, doch ist die Hitze nicht mehr so drückend wie im Roten Meere. Die Nächte sind hell, und ihre frische Brise weckt die Reisenden zu neuem Leben und bevölkert das Deck mit schwatzenden und rauchenden Menschen. So geht es der Küste von Ceylon entgegen.

»Es können kaum mehr als zweihundert Seemeilen bis Colombo sein,« bemerkte einer der Kajütenpassagiere. »Wenn der Alte mehr Dampf machen läßt, können wir bis übermorgen in der Frühe an Land gehen.«

An Land gehen! Der Gedanke hatte für alle etwas Entzückendes. Wer immer die Worte gehört hatte, streckte den Kopf über die Brustwehr und suchte mit hungrigen Augen nach einem schwarzen Schatten am Horizont. Nirgends war etwas dergleichen zu entdecken. Aber ein weißer Klumpen, nicht größer als ein Bündel Wolle, wie es der Hirt von der Schafschur trägt, stieg da unten im Süden auf. Der Ball wuchs rasch. Bald war er so groß wie ein geladener Heuwagen und schien nun auch die Offiziere auf der Kommandobrücke zu beschäftigen. Man richtete die Gläser auf die Erscheinung. Noch wehte kein Lüftchen, aber der Kapitän nahm das Sturmband von seiner Mütze und legte es unter seinen grauen Backenbart. Dann neigte er seinen Mund dem Schallbecher des Sprachrohres und schickte kurz abgebrochene Befehle hinunter in den Maschinenraum und nach dem Steuerhäuschen. Schon gab es ein Laufen, Hasten der Matrosen über dem Deck, ein Steigen und Klettern an den Masten und Strickleitern. Jeder Fetzen von Segel wurde niedergeholt, jeder Wimpel senkte sich vom Besanmast hernieder. Gepäckstücke, Taue, Stühle, alles verschwand unter Deck und machte schweren eisernen Deckeln Platz, womit man die Luken wasserdicht schließen konnte.

Schon hinderte das Herumstehen der Passagiere die Mannschaften. Aber noch war kein Befehl gegeben, die Reisenden unter Deck zu weisen. So standen sie denn, sahen mit verschüchterten Blicken in das drohende Wachsen der Wolke hinein und bald auf die Rettungsgürtel, die mit Stricken an der Reling befestigt waren. Mancher suchte mit der Hand das Messer in der Hosentasche. Vorsicht konnte nicht schaden. Wer weiß, ob Zeit blieb, den Knoten zu lösen, der die Boje hielt. Noch war eigentlich nichts geschehen, was die allgemeine Erregung rechtfertigen konnte; und doch, sie war da. Mancher zitterte wie ein Pferd, das man an einer Abdeckerei vorbeiführen will.

Nun kam etwas Neues. Ohne daß sich der Wind noch erhoben hatte, fing das Meer mit dumpfem Tosen zu rollen an. Lange grüne Wellen kamen gelaufen, wollten vorüber, wurden zornig, daß ihnen die Schiffswand in die Quere kam, und warfen schaumige Wasserklumpen wie Schneebälle auf das Deck. Wer Rücksicht auf seine Kleider zu nehmen hatte, stieg eine Treppe tiefer und setzte sich im Salon auf die Polster, neben andere seinesgleichen mit verängsteten Gesichtern. Die wenigen, die noch oben waren, drückten sich unter der schützenden Kommandobrücke wie vom Wolfe gehetzte Schafe zusammen. Kein Apfel hätte zwischen ihnen zur Erde fallen können. Aber sie waren tapfer, oder sie wollten es wenigstens scheinen und wollten der Gefahr ins Auge sehen. Derweilen war der helle Wolkenberg ins Riesenhafte gewachsen. Er nahm den ganzen südlichen Horizont ein und hatte lehmiggraue, klumpige Flecken bekommen, die aussahen, als ob sie mit einem schmutzigen Reisigbesen in eine mattweiße Folie hineingestupft wären. Irrende Lichter huschten hinter dieser Kulisse her und zeichneten ihre Konturen noch deutlicher, indem sie auf Augenblicke die Ränder vergoldeten.

Jetzt lief etwas wie eine kühle Feuchtigkeit über die Gesichter der Zuschauer hin. Kam sie aus dem Meere, fiel sie vom Himmel nieder? Wer vermöchte es zu sagen?

»Es wird dicker kommen!« wagte einer zu prophezeien, als ein Matrose in der Teerjacke, den Südwester über den Ohren, vorbeihuschte.

Und es kam dicker. Der Wind war erwacht. Er pfiff in den Spieren der Mäste und klatschte mit den Wanten wider die Schornsteine. Er wickelte das Gaffelsegel auf, rollte es wie ein Faß über Deck und warf es über Bord.

Jetzt leuchteten nur noch die weißen Köpfe des Wolkenberges, der Fuß war in Dunkel gehüllt und in seinem Schatten lief eine schwarze Schraffierung wie eine riesige Erdlawine schweigend aber mit unheimlicher Schnelle auf das Schiff zu. Schon hatten die ersten schweren Regentropfen das Deck erreicht, schlugen in die Gesichter der Menschen, platzten und hinterließen eine trockene weiße Stelle da, wo sie aufgefahren waren. Ein Prasseln setzte ein, als ob Erbsen auf ein Blechdach geworfen würden. Bald schwammen die Einzelgeräusche ineinander, und es gab ein gespenstisches Rauschen, das die Ohren mit dumpfem Schrecken füllte, die Rede der Menschen verschlang und jede Klage verstummen ließ.

Dazu die Finsternis. Keiner sah mehr den andern. Das Tastgefühl war der einzige Orientierungssinn geworden. Wer es wagte, die Fäuste loszulassen und nach seinem Nachbar zu greifen, fand die Stelle leer, wo er ihn vermutet hatte. Auf Händen und Füßen war einer nach dem andern zur Schiffstreppe gekrochen. Den letzten hatte eine Matrosenfaust im Genick gepackt und unter Deck gestoßen. Krachend fuhr über seinem Haupte der eiserne Verschluß in seine Fugen. Wer über Deck nicht helfen konnte, war unter Deck wie in einem Sarg verschlossen.

Da standen, lagen, hockten die Menschen mit bleichen, angstverzerrten Zügen herum. Jeder las die Gefahr im Gesichte des andern. Ein Renommist, der hinter den dünnen Rauchwölkchen einer Zigarette seine zitternde Seele zu verbergen suchte, war allen eher ein Greuel als ein Trost. Hier konnte, sollte es keine Ausnahmen mehr geben. Das gleiche Los war dem Mutigen und dem Feigling beschieden. Passivität war die Parole. Die Hände in den Schoß legen und das Schicksal walten lassen! Es war schon ein Vorteil, wenn stille Ergebung die Angst ablöste. Einige waren schon so weit. Das monotone Rauschen der niederströmenden Regengüsse beruhigte beinahe die Sinne.

Da mit einem Male ein Krachen draußen in der uferlosen Finsternis, als ob Weltteile in meilentiefe Schachte fielen, Länder sich in Abgründe stürzten und Eilande hinter ihnen herrollten. Ein Grollen, das sich um sich selber wälzte und dort anfing, wo es aufzuhören schien. Dann zwischen hinein von Zeit zu Zeit ein hartes Krachen, als ob Schwerter auf Harnische schlügen, Hämmer auf granitne Stufen. Ach, wer doch die Ohren verschließen könnte vor solchen Tönen und das Auge vor dem phosphoreszierenden Leuchten, das durch die Luken drang. Das war ein ewiges, unruhiges Zucken und Flimmern. Dagegen bot das Schließen der Lider keinen Schutz, und selbst die Faust vor dem Auge sperrte nicht den Weg zu den Enden der Sehnerven. Und dazwischen hinein das weiße Aufleuchten glühender Speere, die ihren Zickzackweg durch die Lüfte nahmen. Wohin? Ja, gibt es denn in der weiten Wasserwüste irgendein anderes Objekt, nach dem es sie gelüsten könnte, als das Schiff? Gibt es irgendeine Spitze, die Blitze abzufangen vermöchte, als den Mast? Im nächsten Augenblick, jetzt, wo ich daran denke, muß das Gefürchtete Ereignis werden, müssen die Splitter der gewaltigen Fichte wie Kaffeeholz auf das Deck niederprasseln, muß sich die getroffene Schiffswand spalten bis zum Kielschwein hinunter und ein Wasserstrom hereinstürzen, der alles erstickt, was Atem hat.

Doch das alles waren ja nur drohende Möglichkeiten. Geschehen war zunächst an dem Schiffe nichts. Noch schwamm es auf dem Rücken der Wogen. Noch hatte es seine Not durch keinen Schmerzensschrei zu erkennen gegeben. Da mit einem Male änderte der Salon seine Lage. Wer an Backbord saß, fiel ins Zimmer, die am Steuerbord schlugen mit dem Rücken an die Polster. Der Spiegel stieg in die Höhe, die Tür sank in die Tiefe.

»Allgütiger Himmel!« löste sich ein Schrei von allen Lippen, und ihn begleitete als Untergeräusch ein trockenes, klapperndes Rasseln, wie wenn eine Äpfelmühle leer läuft.

Was war geschehen? Der Bug hat sich geneigt, sein schwarzes Grab zu küssen, das Achterteil war über Wasser gekommen. Die Schraube peitscht die Luft. Die Menschen zittern wie das Weizenkorn auf dem Siebe.

Nur Bruchteile von Minuten verstreichen, und alles ist wieder wie's war. Aber welche Ewigkeiten sind solche Sekunden! Wer weiß denn, ob sich der Bugspriet wieder erhebt, ob er nicht im nächsten Moment wie ein Schwert dem Meeresgrunde in den Bauch fährt, und dann kommen die Wasser? Von oben herunter kommen sie, füllen den Raum, heben die Leichen der Erstickten an die Decke, drücken sie platt an der Vertäfelung. Und dann kommt die große Stille, die Stille, die von keinem Klagelaut mehr unterbrochen wird und auch von keinem Posaunenton durchschnitten.

Jetzt heult die Sirene. Warum nur? Hat sie denn Aussicht, von irgend jemand, der Hilfe bringen könnte, gehört zu werden in dieser Wasserwüste? Ruft sie die Haifische herbei, daß sie Toilette machen zur fetten Mahlzeit, oder ist sie nur die überlaute Stimme des Kapitäns, der Hilfe braucht für sich auf seiner Brücke?

Innocenz, der seither im Salon an der Seite Irmas geweilt hatte, taumelte schwankenden Schrittes der Tür zu und wurde auf den Gang geworfen. Dort tappte er wider einen Menschen, der eilig vorüber wollte, und stellte ihn.

»Wohin, Herr Maschinist?«

»Haben Sie nicht die Sirene gehört? Der Alte ruft auf die Brücke. Wer weiß, was ihm begegnet ist. Wenn wir uns nicht wiedersehen, dann Adieu, Herr Doktor!«

»Steht es so um uns?«

»Das Schiff kann sich gegen den Wind nicht halten. Das Steuer versagt. Ich glaube, wir müssen die Feuer löschen, und dann treiben wir, der Himmel mag wissen, wohin.«

Der Mann, der dies gesprochen, kletterte eilig, mit der Sekunde geizend, an eisernen Klammern einen Schacht hinauf, hob einen Deckel und verschwand oben im Dunkel. Ein Gießbach kam von da hernieder, wo er zuletzt gesehen wurde, und klebriges Seewasser mit seinem häßlichen Fischgeruch schwappte auf dem Gange hin und her. Innocenz fühlte, wie es ihm durch die leichten Schuhe drang und seine Füße naß machte, er fühlte es an der Holzführung, an der seine Hände fortrutschten. Ha, dieses ekelhafte Wasser mit seinem schlammigen Duft, sollte das ihm den Mund, die Nase und die Lunge füllen, wie es ihm die Schuhe füllte? Er schauderte bei dem Gedanken und eilte weiter. Hinunter ins Zwischendeck, aus dem Hilferufe drangen.

Welch ein Anblick! Im trüben Schein des elektrischen Lichtes wälzten sich Bettdecken, Koffer, Gepäckstücke, Kannen und Flaschen in einer unbeschreiblichen Flüssigkeit am Boden hin. Alles war lebendig geworden und kugelte von einer Wand des Raumes zur andern. Die Menschen aber hingen in Klumpen aneinander. Ganze Familien waren ein von hilfesuchenden Armen wie von Stricken umschnürtes Kolli. So schwankten sie in Massen hin, schwankten her, fielen auf die eisernen Bettstellen, erhoben sich und fielen wieder. Dazu das Schreien der Kinder, die Hilferufe der Erwachsenen zu allen Heiligen. Verletzte allerart heulten ihren physischen Schmerz in allen Klagelauten in das Jammerkonzert hinein, während die Seelenangst vor dem, was noch kommen mußte, die Luft mit unendlichem Seufzen und Stöhnen füllte.

Plötzlich erlosch das Licht. Innocenz wußte, was das zu bedeuten hatte und erbebte. Die Menge ahnte es – die Feuer waren herausgerissen – und sie schrie auf wie eine Schar Besessener. In diesem Geheul lag nichts Menschliches, sogar nichts Irdisches mehr. Wer für diese Symphonie einen Vergleich sucht, muß schon zur Hölle steigen. Und doch, man hörte zwischendurch Namen rufen. Leute, die getrennt worden waren, wollten noch einmal zusammen, noch einmal vor dem großen Abschied für immer.

›Wie stark müssen doch die Bande des Blutes sein, daß sie selbst bei dem Gange in den Tod noch nicht reißen,‹ dachte Innocenz, denn auch ihn zog es nach einem Wesen, mit dem er gemeinsam sterben wollte, wenn alle Hoffnung geschwunden war. Er hätte zu Irma gehen mögen. Und doch, ihn hält die Pflicht zurück am Orte der Verzweiflung. Wer weiß, dieser Zelle voller Wahnsinnigen konnte er vielleicht noch etwas sein.

So tappte er in dem Phosphorschein des Wetterleuchtens durch den Saal, um womöglich eine Notlampe zu entzünden. Da plötzlich fuhr draußen eine Feuergarbe mit knöchernem Geprassel nieder. Markerschütternde Angstschreie, noch packender, gräßlicher als alles, was seither dagewesen. Innocenz fuhr mit dem Ärmel vor die Augen. Die feurige Lohe hinterließ ein Nachbild auf seiner Netzhaut, als ob ein Schmelzofen vor ihm brenne. Auch drückte die Furcht auf seine Augendeckel. Die Furcht, daß er die Schiffswand zerrissen finden würde und in dem klaffenden Spalt einen gurgelnden Wasserstrom. Schon stieg eine frostige Kühle an seinen Schenkeln herauf und umfaßte seine Kniee. Da griff er tastend an sich nieder: Es war nichts. Er hatte sich getäuscht, und er fand den Mut, um sich zu schauen, voranzuschreiten, und er entdeckte die Lampe. Ihr Glanz, noch so mager, brachte doch allen einigen Trost, weil er in etwas das geisterhaft graue Licht dämpfte, das zwinkernd durch die Luken drang und eine Gestalt umfloß, die wie ein Gespenst riesengroß an der Wand lehnte. Innocenz mußte hinsehen, ob er wollte oder nicht, und er erkannte den Master Samson, den Mann, der gehofft hatte, der Champion einer halben Welt zu werden. Er trug den rechten Vorderarm auf der linken Hand und hielt beides dem Arzt vors Gesicht.

»Gebrochen,« sagte er traurig. »Aber wenn wir hier wie Ratten in der Falle ersäuft werden sollen, so hat es wohl keinen Zweck, daß ich Ihnen lästig falle. Ich wollte nur, es wäre erst so weit, daß meine Knochen in dem Haifischmagen lägen. Dann wäre ich meine Sorge los, woher ich fünf Lire nehmen soll. Denn wißt, mich drückt mein Gewissen, daß ich aus der Welt gehen und dem Bezirksamt Neapel das Geld für meinen Lizenzschein schuldig bleiben soll. Ihr erinnert Euch doch der Vorstellung in Santa Lucia? 's war nicht schön. Aber lieber möchte ich nun doch wieder in einem Salatregen stehen wie hier in dieser Käsekiste.«

Mit diesen Worten hatte der arme Gaukler dem Arzt mehr gegeben, als dieser durch irgendeinen Dienst bezahlen konnte: Lebensverachtung und Trotz in der Not. Nun schwand sein Zagen und sein Kleinmut, er wurde stark und konnte anderen eine Stütze sein, von deren Mut und Entschlossenheit das Schicksal vieler abhängig war. Innocenz wollte herauf auf Deck, womöglich auf die Kommandobrücke, um durch seine innere Festigkeit und Ruhe den Lenkern des Schiffes Vertrauen einzuflößen und die Kraft zum Ausharren im Kampfe gegen die toll gewordenen Elemente. Als er sich aber an den Wänden des Kesselhauses hintastete, stieß er auf den zweiten Offizier.

»Der Alte sitzt oben im Kartenhaus, den Revolver neben sich,« sagte dieser. »Wir treiben schon seit einer Stunde. Wenn wir erst noch einige Zeit in der Waschschüssel des Persischen Golfes herumgeirrt sind, dann wird der Kasten schon irgendwo an der Malabarküste auseinanderfallen.«

Mit diesen Worten ging der Mann weiter, und Innocenz sah noch, wie er sich aus dem Inhalt einer Kognakflasche eine Betäubung holte, die ihm über die Schrecken des Sterbens hinweghelfen sollte.

Sieh einmal zu, da war ja der Arzt inmitten des Flachlandes feiger Erbärmlichkeit auf einmal auf drei Hochgipfel gestoßen. Da waren drei, die das Leben schon fast von sich geworfen hatten, während andere es mit Geschrei und Stöhnen festzuhalten suchten. Warum konnten sie nicht irgendwo ruhig sitzen, ihre Rechnung mit der Erde abschließen und den Himmel erwarten, der ja jedem von ihnen durch tausend Koran- und Bibelstellen versprochen war? Innocenz fühlte, daß da irgend etwas nicht klappte, daß die Religion doch wohl nicht ausreichend war, dem Tode seine Schrecken zu nehmen, aber gleichwohl griff er nach der Medaille auf seiner Brust und betete mechanisch sein » O domina mea« herunter. Gestärkt ging er dann im Dunkel weiter, indem er mit den Füßen allerlei Gegenstände aus dem Wege räumte, die der Sturm umhergestreut hatte, und kam vor Irmas Kabine.

Aus dem Vorraum waren die beiden Musmis verschwunden. Wer weiß, in welche Ecke sie die Furcht verschlagen hatte. Die allgemeine Not hatte das Verhältnis von Herr und Diener aufgehoben und jeden auf sich selbst gestellt. Die Begriffe Befehlen und Gehorchen hatten gleichzeitig ihren Sinn verloren. Der Arzt durchschritt den Vorraum und kam in die Kabine seiner Herzenskönigin. Daß er am Ziele war, sagte ihm nicht das Auge, sondern der Geruchssinn. Allerlei Flaschen und Gläser mit kostbaren Essenzen waren von den Gestellen herabgeworfen worden und hatten ihre Wohlgerüche auf den Boden gestreut. Innocenz kannte diesen Duft, er machte einen Teil der Wesenheit Irmas aus und war von ihr nicht wegzudenken, so wenig wie die schwarze Glut ihrer Augen oder das zarte Oval ihres Gesichtes. Ach, daß er sie noch einmal sehen könnte! Doch seinem Gesichtssinn war sie jetzt und wohl für immer gestorben, nur seinen Tastnerven war sie noch erreichbar. Aus tausend dargereichten Händen hätte er die zarte Weichheit ihrer Finger herausgefühlt, die sanfte Wärme ihres Atems. Den wollte er trinken, noch einmal sich an ihm berauschen und dann sich wegschleichen vom Tische des Lebens. Und er neigte sich über sie. Da legten sich zwei starke Arme um seinen Nacken. Er sank aufs Bett an Irmas schwellende Brust. –

Wild schwankte das Schiff und kehrte das Unterste nach oben. Nichts blieb in Ruhe, was sich um irgendeine Achse drehen konnte. Jedes Ding war in Bewegung und suchte Hilfe und Stütze bei seinem Nachbar. In das Rollen, Stampfen und Ächzen des Schiffskörpers mischte sich das Klirren und Rasseln zersplitterter Gläser und herumgeworfener Porzellanscherben. Und doch war's bei all dem Lärme mit einem Male so friedlich um die Ohren der Liebenden. Es war, als ob dies alles für sie nicht mehr da wäre, nachdem ihre Arme sich umschlungen hielten und Brust an Brust in sanftem Rhythmus aneinander auf- und niederglitten. Im Angesicht des Todes war ein beseligender Gleichmut über sie gekommen. Es gab kein Zittern mehr vor den Folgen der Sünde; keine Sitte, die der Leidenschaft bändigend in die Arme fällt. Sie gehorchten nur mehr der Macht eines instinktiven Verlangens, sich vor dem Tode noch zu geben, was Menschen sich geben können. So genossen sie ihre Liebe wie eine Henkermahlzeit, und mitten im Wüten, der entfesselten Elemente feierten sie ihre Hochzeit.

Dann kam eine große Müdigkeit über sie. Wie Kinder, die einschlafen wollen, formten sie den Lärm um sich her zu Musik. Die Augenlider wurden schwerer und schwerer. Die Realitäten lösten sich auf in verworrenen Traumbildern. Bald schwanden auch die. Der Morgentau, den die Sonne zu Tode küßt, kann nicht schmerzloser sterben als Menschen, deren Sinne das Höchste gekostet haben in Schrecken und Lust. Nun tobe und stürme immerzu, du grüne Salzflut, und wirf das Schiff an das Korallenriff. Ein leichtes Aufschnappen wird alles sein, was noch herauszupressen ist, wenn der Tod seinen Bruder Schlaf ablöst und den in Liebe Vereinten das bißchen Odem vorm Munde wegbläst.


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