Adam Karrillon
O Domina mea
Adam Karrillon

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Fünfundzwanzigstes Kapitel

Im abendlichen Wintergespräch der Mägde gab das Rauschen des Birkenrieder Röhrenbrunnens die Untertöne.

»Hat Euch der ›Nierenstück‹ geschlachtet?«

»Nein, der darf nicht mehr über unsere Schwelle. Der hat im vorigen Jahre den Pfeffer mit dem Schnupftabak verwechselt. So kam's, daß der Bauer über jedem Wurstebrot nießen mußte.«

»Ja, ja, über den toten ›Schweinetrögel‹ geht halt keiner, dem konnte man die Augen verbinden und er hat Euch ein Sauohr von einem Fensterleder unterschieden.«

»Das Gute scheint auszusterben im Dorf. Der ›Knochenfranzel‹ ist fort. Ihm folgte der ›Schweinetrögel‹. Wen wird's nun mitnehmen?« seufzte Liese ahnungsschwanger.

»Dich nicht,« sagte Bärbele, »wenn die Guten an der Reihe bleiben. Aber ich kenne eine, die's trifft, ehe der Kuckuck schreit, und die gerade hätte verdient, daß sie dableiben dürfte.«

»Denkst du an Käthchen Sommertag,« nahm eine dritte die Unterhaltung auf, »dann gibt es niemand. der ihr Geschick mehr beklagt als ich. O die Seelengute, was muß sie gelitten haben unter dem schmutzigen Verdacht und was wird sie leiden unter den Händen der Ärzte?«

»Mich schauert's, wenn ich an sie denke,« bemerkte Trude und wickelte ihre nackten Vorderarme in die Schürze. »Wehe übrigens den Ohrwürmern allen, die an dieser Frucht genagt haben. Ich für mein Teil habe noch niemandem die Ehre abgeschnitten.«

Das hatten sie alle nicht getan, weder Anna Meisenpfiff noch Christel Wachtelschlag. Ach all die guten Seelen, sie hatten immer nur zu Käthchens Verteidigung des Wortes Schwert geführt. Die einzige, die dem Verdachte ihre Zunge lieh, war Suse Innigrot, die Fromme, die an einem Überbein litt und heute nicht zum Wasserholen kommen konnte. Ach und von der gerade hätte man sich dessen am wenigsten versehen sollen. Sie hatte doch auf der Hauspostille die Nottaufe erhalten und ging durchs Gartenpförtchen im Pfarrhause aus und ein. Aber man kann sich täuschen. Es gibt Dinge, die poliert sind wie das Blatt des Kirschlorbeers und doch haben sie am Rande Stacheln. Ja sie, die Glatte war's, die das schändliche Gerede in Umlauf gesetzt hatte. Die Mädchen wollten's ihr ins Gesicht hinein sagen und vor ihr ausspucken, wenn sie sich am Brunnen zeigen sollte.

Und in der Tat, am anderen Tage erschien sie und man stellte Suse. Diese wurde fuchtig in ihrem Eigensinn: Man solle nur abwarten, bis der Markt ausgelegt sei. Es gäbe welche, die ihr Kind tragen könnten, solange sie wollten. Ihr schwane, Käthchen Sommertag wäre eine von denen.

Diesen Worten begegnete Pankraz, der zum Brunnen kam, um seine Pferde zu tränken.

»Schade, Suse, daß du nicht als Stockfisch auf die Welt gekommen bist. Vielleicht wäre dann aus deinem Gehirn soviel Öl der Weisheit herauszupressen gewesen, daß man hätte damit ein Paar Fuhrmannsstiefel schmieren können, und der liebe Herrgott wäre nicht in Verlegenheit gekommen, wenn ihn jemand fragte, warum er dich eigentlich geschaffen hätte.«

Die Mädchen lachten und nach ihnen das ganze Dorf auf Kosten der Suse Innigrot. »Sie ist so dumm, daß sie bellt, wenn sie ein Floh beißt, statt sich zu kratzen,« sagten die Leute, »und so eine will einem Käthchen Sommertag die Ehre abschneiden. Man sollte sie totschlagen.«

Nachdem der See der öffentlichen Meinung lange genug das Schifflein Käthchens auf seinen schmutzigen Wogen erbarmungslos umhergeworfen hatte, wiegte er nun mit Behagen das leichte Wassergeschiebe der Suse Innigrot. Die Knaben schnitten ihr Fratzen, wenn sie zur Kirche ging, und kleine Mädchen faßten mit den Händchen ihre Röckchen und schwänzelten mit Grazie, so wie Suse schwänzelte, wenn sie im Vollbewußtsein ihrer Vortrefflichkeit über die Straße schritt. Kurzum, Suse wurde das Schwarze einer Scheibe, in dem jeder Pfeil sein Ziel sah.

Unterdessen war die Taubhausmühle auf den Rat des Innocenz Lorum verkauft worden. »Die Welt wird anderswo für uns ein freundliches Tal haben. Wir müssen die Fortsetzung unseres Lebens auf ein frisches Blatt schreiben,« hatte er zu Käthchen gesagt, und sie war es zufrieden.

Nun, wo der Tag der Operation näher und näher rückte, wuchs in Käthchens banger Seele das Grauen vor den blutigen Schlächterhänden der Ärzte. Ihr war's wie einem, der sich in Felsenschroffen und Kaminen verstiegen hat. Es gab kein Zurück mehr. Nur noch ein Vorwärtsklimmen, ein ängstliches Tasten und Greifen nach dürren Grasbüscheln und scharfen, die Hand zerschneidenden Kanten. Hinter ihr die Welt so klein. Alles in seiner Winzigkeit so unterschiedlos und ähnlich; der Palast und die Schäferhütte gleich, der König nicht größer als der Bettler. Vor ihr eine steile, scharfkantige Wand, über die sie mit blutigen Knieen hinüber mußte. Da hing sie zwischen Himmel und Erde, für das eine zu tief, für das andere zu hoch. Es war zum Erbarmen.

Daß es keine Wahl mehr für sie gab, das war es, was sie schier verzweifeln ließ, aber dies war es auch, was ihren Willen stählte und ihre Kraft verdoppelte. Sie wurde allmählich Herr über sich selber. Die Seele wuchs und kämpfte das Widerstreben nieder. Ein inneres Licht strahlte sternenklar über einem fernen Vaterhaus. Wachen Auges und mit klaren Sinnen sah sie mutvoll hinein in des Geschicks geheimnisvolle Urne.

»Ich bin bereit, mein Lieber,« sagte sie eines Abends, als Innocenz eine seiner Erzählungen aus Kaschmir, mit denen er sie zu zerstreuen suchte, beendet hatte. Da erschrak der Arzt über ihren plötzlichen Entschluß. Er war Käthchen gegenüber noch etwas im Rückstand. Ihr Leben lag klar und übersichtlich vor ihm wie die Quadrate eines Schachbrettes, aber das seine hatte noch eine Stelle, wo unter Springen und Rissen der Schmutz des Alltags lagerte. Innocenz wünschte, sein Gewissen durch eine Generalbeichte zu erleichtern und er begann seine Bekenntnisse mit den stammelnden Worten: »Du weißt, mein Käthchen, daß ich einst im Zorne vor dir geflohen bin. Meine Liebe hatte ich aus dem Herzen gerissen, da gähnte in mir eine große, große Leere.« – – –

»Schweig,« sprach sie und schloß ihm den Mund mit ihrer bleichen schmalen Hand. »Ich ahne, daß du mir sagen willst, du seiest nicht mehr gewesen, als ein Mensch. Schweig, ich bitte dich und laß mich an dich glauben.«

Da verstummte der Arzt, warf noch einen langen Blick in dies milde, müde Antlitz, dessen Züge die Krankheit mit einem Trauerflor überschleierte und ging, ihr unter Tränen einen letzten Liebesdienst zu besorgen, – ein Fuhrwerk, das sie dem großen Wagnis entgegenführen sollte.

In der nächsten Morgenfrühe hielt ein Wagen mit weichen Lederpolstern vor dem Tore des Kreuzhofes. Käthchen trat schwankenden Schrittes unter die Tür und sog den kühlen Duft des jungen Maientages in ihre Lungen. Ihr Auge war groß und staunend wie ein Kinderauge vorm Weihnachtstische. Wie war das alles doch heute so schön, so neu, so verändert. Da stand die Birke im Hof und zitterte so verlegen mit den Blättern an den langen Stielen, als ob sie erbebe vor Schmerz oder Lust. Wer mochte ihr Geheimnis kennen? Vom frischgeschnittenen Rebstock am Dachgesims fiel eine Träne nieder und benetzte die Hand der Scheidenden. Das war schon verständlicher. Die Rebe weinte. Um eignes oder fremdes Weh? Käthchen erschrak und hob das feuchtschimmernde Auge nach oben. ›Wem immer dein Herbst reifen mag,‹ so dachte sie, ›sei fruchtbar, alte Rebe und sei bedankt für dein Mitleid und jede süße Labe, die du dem Käthchen Sommertag geboten hast,‹

Sie war zwei Stufen tiefer getreten und hatte sich umgedreht. Ihre Augen wurden größer. Es war, als ob sie wie in einem Spiegel das Haus, in dem die Verfolgte Aufnahme gefunden, aufsaugen, aber auch fest halten wollte.

Da merkte Innocenz, wie schwer die Geliebte an der Last der Erinnerungen trug, er trat näher und stützte sie.

»Da es sein muß, so mache, daß wir eilig fortkommen,« flüsterte sie leise. Da trug er sie sanft auf starken Armen nach dem Wagen hin.

Ihr krankes Haupt ruhte auf seiner Schulter. Ihre Hand hing müde zur Erde nieder. Der Hofhund sah's und kam zum Abschiednehmen. Käthchen fühlte seine warme Zunge an ihren kühlen Fingern. Sie wußte, was Cäsar sagen wollte, und fuhr ihm kraulend durch das Fell. Dankbar ging das Tier nach seiner Hütte und sah, die Vorderpfoten wie zum Gebete übereinandergelegt, den Veranstaltungen der Reise traurig zu.

Käthchen saß im Wagen und ihre Finger umschlangen einen Maiblumenstrauß, den Innocenz mitgebracht hatte. Der Duft der Blumen löste in etwas die Klammern der Furcht, die ihre Seele umkrallt hatte. Jetzt zogen die Pferde an, und bald klapperten ihre Hufe über die harte Landstraße hin. Man erreichte die Höhe, an deren Fuß sich Birkenried behäbig ausstreckte. Da lag es, Käthchens Heimatsdorf, im Schaum der Kirschenblüte wie in einer weißen Federboa, schön und verführerisch für ein Auge vor allem, das diese Pracht vielleicht zum letzten Male sah.

Schon kam man an die ersten Häuser. Leute hingen die Oberkörper aus den Fenstern oder standen unter den Türen. Es war, als ob man im Dorf seit Stunden auf etwas gewartet hätte. Und in der Tat, Käthchens Schulkameraden wollten sie noch einmal sehen, dies mutige Käthchen, das sich in die Messer der Ärzte warf, wie in die Zähne eines Raubtiers. Ein schmerzliches Bedauern schüttelte die Menschen, als sie das bleiche Antlitz sahen mit den niedergeschlagenen Lidern, und an ihren Herzen nagte die späte Reue. Aber was war schuld, daß man dies Engelsbild vor Monden noch aus sonnigen Höhen in den Schmutz gezogen hatte? Suse Innigrot war es, der Gott gnädig sein mag am Tage des Gerichts. Sie und keine andere. Möchte ihr die Zunge im Munde verdorren!

So hat jedes Dorf, jede Stadt, jedes Volk seine Suse Innigrot, auf die man die Schuld der Gesamtheit ablädt. Wehe dem, der als Sündenbock in die Wüste gejagt wird. Zweierlei ist es, was ihm noch zur Seite schreitet: Menschenverachtung und Widerwillen gegen ihre scheinheilige Selbstgerechtigkeit.

Eine Staubwolke lagerte sich zwischen Käthchen und ihr Heimatsdorf. Verziehen, verweht, verschwunden. –


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