Adam Karrillon
O Domina mea
Adam Karrillon

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Elftes Kapitel

Als der Notabeneoja am nächsten Morgen zum ersten Male seines hohen Amtes waltete und das Doktorpferd putzte, war er nicht in der besten Laune. Es ärgerte ihn, daß der Pferdemetzger ihn im Morgengrauen angeredet und sich für den Bedarfsfall empfohlen hatte. Auch aus der Schmiede waren ihm einige Worte nachgerufen worden, die er wohl heruntergeschluckt hatte, die aber immer wieder hochkamen wie Monatsrettiche. »Vergeßt die Eisen nicht abzumachen,« hatte der besorgte Schmied-Jakobele gemahnt, »es wäre schade, wenn er wie ein Gehenkter in den Schuhen begraben würde.«

Der Pankraz war für seine Person hart geworden gegen alles, was das Dorf redete und die Umgegend, aber er besaß für den Ruf seines Herrn weiche Stellen in seinem Gemüt, die unter den Nadelstichen des Spottes schmerzlich zuckten und aufschrien. Lässig in der Verteidigung seiner eigenen Rechte wäre er für andere, die er schätzte, mit einem Bratspieß gegen den Teufel losgegangen. Es war ganz klar, der Doktor hatte sich unsterblich blamiert. Die Leute, die nun seinen Pferdeverstand unmöglich hoch einschätzen konnten, würden auch von dem übrigen wenig zu rühmen wissen, selbst dann, wenn er einigen von den spottlustigen Lästermäulern die Zähne in den Hals geschlagen hätte. Es war auch zu dumm, daß der Doktor nicht wenigstens einen Sachverständigen zugezogen hatte. Wenn es jetzt noch einem dummen Bauernweib gelang, ihm eine Katz' statt eines Hasenbratens vorzusetzen, so war er um alle Reputation gebracht und konnte gehen. Und Käthchen Sommertag?

Pankraz gab der alten Mähre erst einige Rippenstöße und legte dann den gedankenschweren Kopf wider das Pferdeskelett. Da hörte er aus der Tiefe des Tieres heraus das Schnurren und Pfeifen einer Katzensiesta. »Dämpfig!« sagte Überdies. »Na, dann hält's nicht lange. Ich werde eine Zeitlang von Handkäs leben und den Pferdemetzger überreden, daß er seine nächste Salami in Birkenried und der Umgegend vertreibt. Wenn sie erst die alten Pferdeschinken im Magen haben, werden sie verlernen, über den Doktor zu lachen. Woran ihr gesündigt habt, daran sollt ihr gestraft werden!« korrigierte er lächelnd die Schrift.

Da tönte ein Ruf über die Stalltür: »Pankraz, fleißiger Pankraz, würdest du nicht lieber einen Groschen mitnehmen, der leichter zu verdienen ist als durch Pferdeputzen? Der Baldachin will Jagd machen und braucht Treiber.«

Der Angeredete sah über die Schulter und erkannte das Knechtlein aus dem Holderhof. »Für deinen Herrn bin ich Herr Überdies, ein Fürst, der keinen Frondienst leistet. Willst du übrigens nicht näher kommen?«

Der draußen fand die Einladung höflich, hatte aber Gründe, sie abzulehnen und bemerkte nur: »Dann ist's wohl auch mit einem anderen Vorschlag nichts?«

»Hast du noch eine Laus unterm Kragen, na dann die Finger naß gemacht und heraus damit!«

»Ich fürchte,« stotterte jener, »ich trete deiner fürstlichen Hoheit zu nahe, wenn ich dir zumute, einen Korb auf dem Kopfe zu tragen wie die Eierfrau.«

»Es kommt drauf an was drinnen ist!« erklärte der Angeredete, plötzlich zur Unterhandlung geneigt. »Man kann der Menschheit auf mancherlei Art dienen und sich den Himmel erwerben. Wenn ich in meinen Hosen bleiben darf und keinen Weiberrock zu tragen brauche, so schleppe ich dir einen Waschkorb, der nicht allzu schwer ist, so weit ihr es haben wollt.«

»Was von dir verlangt wird,« schloß das Knechtlein, »ist nicht über deine Kräfte. Ein buckliger Schneider könnte es leisten, darin ist mein' Herr voller Einsicht. Du sollst nur einen Korb mit Eßwaren und einige Flaschen Wein hinaustragen zum ›Hölzlikönig‹. Dort wartest du, bis die Jäger zum Frühstück aus den Schlägen kommen, issest, was übrig bleibt und gehst, so Gott will, mit leerem Korb und vollem Magen vergnügt wieder heim.«

»Sag' deinem Herrn, daß er mit gleicher Sicherheit auf mich rechnen könne wie auf den Steuerboten und den Tod,« brach Pankraz die Unterhaltung ab. »Und nun nimm deine Haxen bei dich und mache, daß du fortkommst, sonst frisiere ich dir deinen Gaunerschädel, daß du aussiehst wie ein Bündel Wirrstroh.«

Als der Stockfischkopf des Männleins aus der Türlichtung verschwunden war, wurde es Pankraz fröhlich zumute und zwischen das Striegeln hinein begann er lustig zu singen:

»Jakobele, Jakobele, es juckt mich was am Bein.
Ich trau' dir net, ich trau' dir net.
Ich glaub', du legst mich rein.«

Zwei Tage später pfiff am »Hölzlikönig« ein Starmatz der Haselmaus, daß sie einmal sehen möge, was am Fuße des Fichtenstammes vor sich gehe. Beide guckten durch die gefiederten Zweige, schüttelten die Köpfe und lachten, und die liebe Herbstsonne, die in gelben Pfeilenbündeln durch die Tannenzweige brach, freute sich des Bildes und lachte mit.

Zwischen den Wurzeln des Riesenstammes lag der Pankraz in einem Rausche, der sich mit jenem messen konnte, den die Weltgeschichte als allerersten aufgezeichnet hat, und lappiger als der Notabeneoja konnte der Erzvater Noah auch nicht dagelegen haben. Neben ihm schlief Hannibal, der Hofhund aus der Taubhausmühle. Der Starmatz war ein frecher Kerl, er hüpfte von Zweig zu Zweig vorsichtig dem Boden zu. Die Haselmaus lief an der borkigen Rinde des Stammes herunter, guckte zuweilen um die Rundung des Baumes nach dem Pankraz und langte mit dem Starmatz gleichzeitig bei dem Korbe an, der wie ein gestrandetes Schiff auf den Rippen lag. Was die zwei Neugierigen übrigens fanden, war wenig mehr als Wursthäute und Käspapier. So gründlich hatten Pankraz und Hannibal gearbeitet, daß auch in den umherliegenden Flaschen kaum noch ein Tröpfchen Feuchtigkeit zu finden war. »Ich wasche meine Hände in Unschuld, das kann gut werden, wenn der Baldachin kommt!« sagte ein Igel, den sein Weg vorüberführte, und machte, daß er fortkam. Und es wurde gut.

»Daß ein Millionendonnerwetter diesen Quadratlackel, diesen Zentnerfresser, dieses unersättliche Bullenkalb in den Kern der Erde hineinschlagen möchte! Daß er geröstet würde wie eine Bratkartoffel, daß er mit Glasscherben ausgestopft und gespickt wäre wie ein Rehziemer!« so und ähnlich tönte es abwechslungsreich im lauten Chorus, den der Baldachin dirigierte, als die Jagdgesellschaft allmählich um das unerhörte Ereignis versammelt war. Dieser stieß hungrigen Magens den Flintenkolben ärgerlich auf den Boden. Jener hob eine leere Flasche auf, roch hinein und warf sie verdrießlich wider einen Stamm, daß es klirrend Scherben regnete. Die Klügsten schnallten ihren Leibriemen fester und bequemten sich dazu, einige Bucheckern aufzulesen und wie die Eichhörnchen mit den Fingernägeln zu schälen. Im Gegensatz zu diesen Zufriedenen gebürdete sich Hebenstreit wie ein Besessener. Unflätige Schimpfworte und Verwünschungen, untermischt mit Flüchen, quollen glühend aus seinem Munde. Er nahm einen Anlauf und wollte den Schläfer am Kragen packen. Aber der Hannibal stellte die Füße auf die Brust des Überdies und kräuselte die Lippen. Da fiel dem Baldachin das Herz durchs Zwerchfell in den Unterleib. Er wurde blaß. Da er aber doch noch etwas Außerordentliches vollbringen mußte, hob er die Flinte hoch und tat so, als ob er schießen wolle. Aber es war nur so getan. Er war herzlich froh, daß einer seiner Spießgesellen ihm in den Arm fiel, ihn bat, sich nicht unglücklich zu machen und ihn fortzog von dem »Hölzlikönig« und seinem betrunkenen Gaste, der indessen anhub, melodisch zu schnarchen.

Als der Schwarm der Jäger verlaufen war, kam der Igel wieder hervor und beschnupperte den Korb und den Boden rings umher noch einmal nach zurückgebliebenen Resten. Hannibal äugte beständig nach dem armen Hungerleider, hütete sich aber wohl, auch nur mit dem Ohre zu wackeln oder mit einer Muskel zu zucken. Er war keiner von den Neidhammeln, die, wenn sie selber auch den Ranzen noch so voll haben, doch nicht sehen können, daß ein anderer kaut.

Als der Abend kam, kam auch ein leichter Wind. Der schüttelte den »Hölzlikönig«, so daß er einen Tannenzapfen fallen ließ. Dieser sprang über einige Äste und fiel schließlich dem Pankraz auf die Brust, so daß er erwachte, aufsprang und sich streckte. Der Hund tat das gleiche, und dann wanderten beide dem Dorfe zu.

Am ersten Hause stand ein Scherenschleifer und ließ sein Rädchen schnurren, daß die Funken stoben. Als er des Paares ansichtig wurde, legte er die Scherenhälfte, an der er schliff, beiseite und rief vergnügt: »Pankraz, für dich ist jetzt gesorgt. Wenn an der Heidingsfelder Uhr der Kindlifresser kaput geht, kommst du ins Zifferblatt. Übrigens laß dir in der Schmiede einen Reif um den Bauch legen. Schade wär's, wenn du aus den Dauben brächest.« Der Angeredete warf seine Mütze in die Luft und lachte, und um ihn lachte es aus hundert Kehlen. Nun war eine neue Sensation im Dorfe, die des Doktors Pferdehandel zurückdrängen mußte. Der Pankraz kannte die Leute von Birkenried. Er wußte, daß sie die Fenster aufreißen, so oft ein Esel durchs Dorf springt und daß sie sich freuen, wenn er Kapriolen macht. So wirkte öfters dieser verachtete Pankraz als der Diener einer ausgleichenden Gerechtigkeit, holte sich in ihrem Dienst einen Schnupfen, eine Tracht Prügel und zuweilen, wenn auch selten, einen verdorbenen Magen.


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