Adam Karrillon
O Domina mea
Adam Karrillon

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Zweites Kapitel

Auf dem Wege nach der Weinstube der Mutter Gutbrot in der Semmelgasse plagte unseren jungen Mann die Neugierde. Er wollte gern wissen, welches Geheimnis er in der Tasche mit sich herumtrug. War es der mutige Plan zur Flucht über eine Strickleiter in die goldene Freiheit, oder war es der feige Schelmenstreich, verriegelte Türen mit einem goldenen Schlüssel zu öffnen? Einerlei, der Gedanke schon, daß ihm in einem gefährlich-kühnen Unternehmen eine Rolle zugedacht sei, erfüllte den Springinsfeld mit Aufregung. So trat er unter eine Straßenlaterne und erbrach das Kuvert. Der Inhalt des Schreibens war nüchtern genug:

»Zu Hause mögen sie jetzt geschlachtet haben. Bringe mir, guter Freund, diesen Brief zu meiner schönen Base Käthchen Sommertag in der Taubhausmühle zu Birkenried. Du wirst Dir einen Gotteslohn verdienen und der Himmel möge Dir einen satten Feldwebel schenken, wenn Du noch nicht gedient hast, damit Du allein essen kannst, was eine gute Seele Dir zusteckt.«

Innocenz war von dem prosaischen Kern seines Verschwörergeheimnisses wie vor den Kopf geschlagen. ›Warum nicht gar,‹ dachte er, ›zwei Stunden über eine kahle Höhe nach Birkenried, um von einem Käthchen Sommertag in einer alten Zeitung zwei Leber- und eine Rotwurst in Empfang zu nehmen! Wenn Innocenz Lorum so gutmütig wäre, dann verdiente er, in Speck gewickelt und gebraten zu werden wie ein Feldhuhn. Daraus wird nichts,‹ und er schob den Brief in die Tasche und ging weiter.

Doch damit war's nicht abgetan. Der süße Name Käthchen Sommertag regte ihn auf, und daß die Trägerin dieses Namens schön sei, das stand ja auch in dem Schreiben. Glich sie wohl der Metzgerstochter aus der Altstadt, oder hatte sie das liebe Gesicht der Gottesmutter in der Nikolauskapelle? Um den Mund herum da brauchte sie nicht gar so himmlisch rein zu sein, dort liebte Innocenz eine kleine Schattierung Sinnlichkeit. Auch vom Kinn nach abwärts bevorzugte er das Irdische. Eine bauschige Schürze, die sich über zwei Lilienhügeln und einem Tale Tempe wölbt, und weiche Hüften, wie die der Venus anadiomene, waren Dinge, die er schätzte. So klebte und leimte seine rege Phantasie alles, was er Schönes und Liebes kannte, um das Skelett der Buchstaben, die den Klang Käthchen Sommertag ausmachten, und wäre vielleicht ein Praxiteles geworden, wenn nicht die Auslage eines Metzgers, mit Schinken und Hammelskeulen geschmackvoll garniert, seine Phantasie in die Prosa des Lebens zurückgerufen hätte.

›Also Leberwürste würde ihm dies Engelsbild überreichen und den Auftrag, dem Vetter auszurichten, daß er ein Taugenichts sei, der wieder einmal für die Folgen eines dummen Streiches büße? Nein, es war doch zu dumm, daß sich Innocenz von den Angelegenheiten fremder Leute narren ließ.‹ Er packte sich an der Brust und schüttelte sich gewaltsam aus der Überspanntheit seiner Träume auf das Straßenpflaster unter hungrige Passanten, die an ihm vorüberrannten und es alle eilig hatten.

Mutter Gutbrot hatte heute im Topfe Kuttelfleck, ein Gericht, das regelmäßig außer der Semmelgasse noch drei benachbarte Straßen zu wilder Begeisterung weckte und einen Kreuzzug emeritierter Subalternbeamter nach dem Gnadenorte ihrer Weinstube in Szene setzte.

Man muß die Inbrunst gesehen haben, mit der Leute, die nie geklagt haben, auch über schlechte Gehälter nicht, dieses Manna aus Kuhmagen, mit Heurigem vermischt, über die unverwöhnten Zungen rutschen ließen, um zu begreifen, daß Innocenz Lorum von der Stimmung angesteckt wurde, hastig ins Restaurant trat, sich breit niedersetzte und gleich den anderen mit gekrümmtem Rücken wie ein Holzknecht zu futtern begann. Käthchen Sommertag war vom Hunger verjagt. Doch nicht für immer. Sie kam wieder, als Innocenz nach Hause ging, schlief noch nicht, als dieser schlief, sondern wandelte mit frommem Gesicht bis zum Tagesgrauen durch seine Träume. Als der Bursche erwachte, war er sich darüber klar, daß er einen halben Tag seinen Studien abzwacken könne, und daß es Christenpflicht sei, einem armen Gefangenen einen Gefallen zu erweisen.

Also machte er sich am Nachmittag daran und wechselte seine Kleider, nahm den Weg unter die Füße und holte bald einen Wanderer ein, der seine Habe, in ein Sacktuch verpackt, an einem Knotenstock über die Schulter trug.

»Wohin des Weges?« fragte Innocenz.

»Aber Birkenried hinaus nach dem Holderhofe!« war die trockene Antwort des Fremden.

»So könnten wir ein gutes Stück zusammengehen?«

»Ja, wenn Ihr Euch lebhaft vorstellen könnt, wie einem zumute ist, der Blasen an den Füßen hat und in einem Schuhwerk marschieren muß, das durchlöchert ist wie eine Mausefalle,« sagte der Fremde, »sonst nicht.«

Innocenz mäßigte seine Gangart und kam so allmählich mit seinem Reisegenossen auf gleiche Höhe und in ein erträglich nachbarliches Verhältnis. Wer auf der Straße lebt, hat keinen Namen, sondern nur ein Schicksal, das jede Legitimation ersetzt, beim Hunger anfängt und bei der Arbeit endet. So erfuhr Innocenz bald, daß sein Wandergenosse seit drei Tagen nichts Warmes gegessen habe und daß er in dem Holderhof Arbeit suche. Fand sich die, so war's gut; wenn nicht, dann hieß es, den Schmachtriemen um den Leib noch etwas fester anziehen, daß die Magenwände näher aneinander kamen und sich gegenseitig trösten konnten. Diese Dinge, mit Selbstverständlichkeit erzählt, rührten Innocenz, und er bat den Fremden, daß er in der nächsten Herberge sein Gast sein möchte. Der Mann musterte den Studenten mit weiten, hungerigen Augen von oben bis unten, lächelte ein wenig und sagte: »Euer Anerbieten rettet einem Bauer einige Weißrüben, denn wißt, soeben war ich im Begriff, mich in einen Rübenacker zu stürzen, um wie das liebe Vieh bei Mutter Grün zu dinieren. Was mag nur der Schöpfer gedacht haben, als er unsereinem die Fleischzähne wachsen ließ? Doch nun bleibt's dabei. Ich bin Euer Gast, und mein Dank soll sein, daß ich Euch in ein Gasthaus bringe, wie es auf dem Wege von Frankfurt nach Nürnberg kein zweites gibt. Der Wirt heißt Sommertag, und ich würde jeden zu Tode prügeln, der behauptet, daß er diesen Namen nicht verdient.«

Innocenz hörte aufmerksam zu und fragte: »Sommertag heißt der Wirt, seid Ihr dessen sicher?«

»Ich will eine Rübe nicht von einem Kürbis unterscheiden können, wenn dem nicht so ist, und eine Tochter hat er, so klar wie Sonnenschein.«

»Also hinein in den Sommertag und zu dem Mädel, das Euch wohl ins Herz geschienen hat,« scherzte Innocenz und schritt rüstig voran. Der andere schnupperte mit der Nase in der Luft herum, als ob er schon den Duft einer Mahlzeit röche, vergaß seine wunden Füße und folgte dem Studenten auf den Fersen. Ackerlänge um Ackerlänge floh rechts und links hinter die Wanderer und bald saßen beide auf reingescheuerten Bänken in einer getäfelten Wirtsstube, und ihre Schuhe knirschten auf dem weißen Streusand des Bodens.

»Ich höre Stimmen in der Küche,« sagte der Stromer, »doch die des Mädels nicht. Wenn sie nicht kocht, dann ist es, als ob das Essen nur halb geschmälzt wäre. Ich will lieber auf eine Sonntagspredigt verzichten, als auf ihre Gegenwart am Herde, wenn der Kochtopf singt.«

Während sie noch so sprachen, kam von der Küche her zuerst ein leiser Luftzug, dann das Geräusch wallender Röcke, und mit einem Male stand vor den Augen der Gäste Käthchen Sommertag, schlank wie eine Fichte und blühend wie das junge Morgenrot. Innocenz Lorum erschrak erst vor so viel Schönheit, wurde aber dann ganz Auge. Alle seine Sinne drängten sich in demselben zusammen, machten es verlangend und fast gefährlich. Also doch, da stand sie ja leibhaftig, die Allerseligste aus der Nikolauskapelle, nur nicht ganz so anbetungswürdig, mehr angrifflich, mehr herzens- und küssenswert. Und doch konnte Innocenz den Mund nicht bewegen, bis ein Rippenstoß des hungerigen Gesellen an seiner Seite die Starrheit seines Wesens löste. Er machte eine Bestellung.

Auch dem Mädchen war die Zeit nicht lange geworden. Ihr hungerndes Auge ging in den männlich starken Zügen des Innocenz Lorum auf einer fetten Weide. Nur ungern und zögernd wendete sie sich ab, ihre Gäste zu bedienen, und selbst beim Weggehen klebte ihre zarte Hand noch an der Tischkante, während ihre Füße dem Schenktisch zustrebten.

Man hörte in der Küche Teller klappern, und bald dufteten Schüsseln vor unseren Wanderern. Junge Liebe und alter Kummer sind Feinde des Appetites. Innocenz bekam von der ganzen Mahlzeit kaum mehr in sich hinein, als eine klare Vorstellung, daß Käthchen eine gute Köchin sei. Je weniger seine Zähne arbeiteten, um so eifriger schuf seine Phantasie an einem Bilde, in dessen Mitte ein trauliches Herdfeuer eine dunkle Küche erleuchtete und einen Rosaschimmer auf ein allerliebstes Gesicht warf – auf das Gesicht von Käthchen Sommertag, die ihren arbeitsmüden Mann erwartete. Abendstimmung lag über dem Ganzen. Noch ein Gespräch auf der Bank vor dem Hause und ein Hinaushorchen in das weite Land, aus dem von fernher das Sensendengeln rief, dann der Weg zu zweien in die stille Kammer.

Während Innocenz träumte, wachte sein Begleiter für zwei und aß für fünf. Dem Konsistenten folgte das Flüssige literweise nach und erregte ein weithin hörbares Plätschern in dem geräumigen Stromermagen. Es schien, als ob der Vielfraß es auf die Vernichtung alles Bestehenden abgesehen habe. Innocenz mußte dem Greuel ein Ende machen, oder um seinen Geldbeutel zum mindesten war es geschehen. Daß das hors d 'œuvre einiger Weißrüben nicht zustande gekommen war, mußte dem Studenten teuer zu stehen kommen. Verlegen neigte sich Innocenz ein wenig nach der Seite und suchte mit der Hand in der rechten Hosentasche. Er fand nichts. Als er das gleiche Manöver auf der linken Seite seines Körpers mit dem gleichen negativen Resultat ausgeführt hatte, verfärbte er sich einen Augenblick und fuhr mit verlegenen Griffen an seinen Rocktaschen herum.

Der Schnurrant, der jede dieser Bewegungen mit Kennerblick verfolgt hatte, flüsterte halblaut durch die Zähne: »Aha, in denen Hosen kein Geld, und zu Haus keine Hosen! Nun serviert uns der Hausknecht den Nachtisch mit ungegerbter Lohrinde direkt auf den Buckel, wenn sich Käthchen nicht erbarmt. Es ist eine nichtsnutzige Welt. Kaum hat man sich vollgestopft, so klopfen sie einen wieder leer. Eine halbe Meile von hier auf dem Holderhof ist zur Stunde ein gesünderes Klima. Ich wollte, ich wäre dort,« und er warf einen flüchtigen Blick nach seinem Bündel, das in der Nähe der Stubentür hing, während seine Mütze fast von selber unter seinem Wams den Buckel hinaufkroch.

»Sollte nicht eine Kuh bei Euch sich losgemacht haben?« rief er besorgt dem Käthchen Sommertag zu. »Mich dünkt, ich höre eine Kette rascheln.«

In der Tat, das Mädchen verließ seinen Sitz am Schenktisch und eilte durch die Hintertür.

»Ich denke, es genügt von jetzt ab einer, um die Gesellschaft mit beschränkter Haftpflicht würdig zu repräsentieren,« sagte der Stromer gespreizt. »Notabene, über mein Anteil an der Dividende mögt Ihr beliebig verfügen. O ja, mit Großartigkeit gelingt manches. Hochzeit gemacht, und dem Pfarrer einen Knopf in den Klingelbeutel. Ich empfehl' mich Euer Gnaden!« und er erhob sich, langte sein Bündel herunter und verschwand auf weichen Sohlen hinter der Tür, die keinen Laut von sich gab und unhörbar ins Schloß klappte.

Diese Rede beschämte den Studenten, das ›Notabene‹ aber in seiner öfteren Wiederholung machte ihn stutzig. Das Wort war ihm gestern abend an dem Pennbruder aufgefallen. Sollte jener und der Entschwundene ein und dieselbe Person sein?

Käthchen Sommertag war unbemerkt näher getreten und sagte, um die Aufmerksamkeit ihres Gastes zu erregen: »Sie sind allein?«

»Ja,« war die schüchterne Antwort, »aber wer war es, der hier bei mir saß?«

»Ich denke, er hat es Ihnen selbst gesagt. Die Leute nennen ihn den Notabeneoja, eigentlich heißt er Pankraz Überdies. Er ist ein halber Künstler und ein halber Tunichtgut, von vielem etwas, doch nichts ganz, aber treu wie ein Hund. Von Zeit zu Zeit muß er ein Paar Sohlen auf der Landstraße zertreten, dann kommt er heim und arbeitet für drei. Nun wird er wohl auf dem Holderhof Arbeit suchen und willkommen sein. Balduin Hebenstreit, mein Vetter, dem das Gut gehört, dient in der Garnisonstadt sein Jahr ab.«

»Dann hab' ich einen Brief von seinem Herrn an Ihre Adresse, mein Fräulein!« sagte Innocenz, »und das ist alles, was ich besitze, abgesehen von einem Herzen, das Ihnen gut ist; denn ich habe leider meine Geldbörse zu Hause gelassen und muß Ihr Schuldner bleiben.«

»Ihr habt ein Schelmengesicht und seht schon so aus, als ob Ihr ein töricht Mädchen zweimal betrügen könntet. Ihr seid ein Schmeichler, doch verzeih' ich Euch, und daß Ihr in meinem Schuldbuch bleibt, ist mir angenehm, weil Ihr dann wiederkommen müßt.«

Diese Worte machten Innocenz kühner. Er stellte sich und goß schimmernden Blickes die ganze zitternde Sehnsucht seines Herzens zum ersten Male in ein mondscheinweiches Mädchenauge.

»So darf ich wiederkommen!« sagte er und preßte die Hand von Käthchen Sommertag in der seinen, »wiederkommen, auch wenn die Botschaft, die ich von Eurem Vetter bringe, keine gute scheint?«

»Ich hoffe, es wird nichts Arges sein, um meines Vaters willen, der sein Vormund ist.«

»Nicht gerade. Er ist mein Nachbar geworden und hat wie ich eine hübsche Aussicht über viele Dächer, wennschon seine Sehachse erst durch eiserne Gardinen muß.«

»So hat man ihn eingesteckt. Ach, es war ja zu erwarten, daß er die strenge Ordnung des Kasernenlebens nicht ertragen werde. Wißt Ihr, was er verbrochen hat?«

»Was wird's wohl sein? Zwei Minuten nach dem Zapfenstreich am Kasernentor, oder die Knöpfe nicht blank geputzt, oder einem, der im Wege stand, auf die Hühneraugen getreten. Beim Soldaten braucht's nicht viel, um ihn ins Loch zu bringen.«

»Oder einem andern auf die Hühneraugen getreten, mit dem Absatz den Rücken massiert oder mit der Faust die Wange gestreichelt, bis ein Ohr herunterhing. Da haben wir's. Ihm hängen die Hände zu lose am Körper. Was wird der Vater sagen? Nein, es ist unerhört, was er dem guten, kranken Vater nicht alles für Sorge bereitet. Und dann die Schande für die Familie.« Käthchen seufzte bedrückt und verließ die Stube.

Innocenz blieb allein zurück, verdrossen und ärgerlich, daß Käthchen ihn verlassen hatte. ›Was doch die Leute für einen Kultus treiben mit ihrer Familienehre, als ob heutzutage nicht jeder zum mindesten einen Kommerzienrat und einen Zuchthäusler in der Verwandtschaft hätte,‹ dachte er. ›Nun sieht sie ihren Vetter wohl schon vor geladenen Flinten Abschied nehmen von Vollheringen und Rollmöpsen, die seine Zeitgenossen waren, und sich und ihre Kindeskinder geschändet bis ins vierte Glied. Sie wird nicht wiederkommen.‹ Der Gedanke machte ihn bitter. Er hätte die Welt vergiften mögen, und doch öffnete er das Fenster und ließ eine Wespe hinaus, damit sie in ihrer Sehnsucht nach der Ätherbläue sich nicht das Hirn einrenne.

Vielleicht, daß der Bruder Studio doch noch eine Zeitlang auf die Rückkehr des Mädchens gewartet hätte. Aber da kam hinter ihm lärmend und tobend ein Dackel ins Zimmer gerannt, tat so, als ob er Handwerksburschen verschlingen könne, trampelte auf sein Recht pochend mit den Vorderfüßen auf, behauptete laut bellend allerlei und stolperte darüber, schimpfte, drehte sich um den eigenen Schwanz und schien durchaus nicht einsehen zu können, welchen Zweck die Gegenwart eines geputzten Städters in der Taubhausmühle haben könne.

Da beschloß Innocenz nachzugeben und er nahm seinen Hut vom Nagel. Als er aus dem Zimmer wollte, vertrat ihm eine Magd mit einem Paket in der Hand den Weg. »Das Fräulein läßt bitten,« sprach sie mit einer linkischen Verbeugung.

›Statt des Mädchens die Würste,‹ dachte der Student und er hätte sie am liebsten dem Köter ins Genick geworfen. Doch er besann sich noch rechtzeitig. Er durfte den Faden nicht durchschneiden, an dem ihn das Geschick nach Birkenried geführt hatte und noch führen konnte. Käthchen Sommertag konnte nach trüben Stunden wieder heiter und freundlich werden. Mit diesem Troste trat er den Rückweg nach der Stadt an.

Ein Trupp Soldaten kam von einer Felddienstübung und stolperte verstaubt und müde an dem Studenten vorüber. Da war nicht einer, der nicht die Wurst gerochen hätte. Alle hoben sie die Nasen wie Hühnerhunde vor einer Rebhuhnkette.

»Bei Muttern gewesen und den Ranzen geflickt!« rief einer aus dem Glied.

»Heh, Alter, das hält wohl bis zum Barbaratag und macht gut Wetter bei den Vorgesetzten,« bemerkte ein anderer.

»Wenn das der Feldwebel riecht, steigt der Kasernenbarometer auf ›heiter‹,« so kreischte ein dritter.

Wer keinen Einfall hatte, um ihn auszuspielen, lachte im vielstimmigen Chorus mit auf Kosten Lorums, der sich recht klein und geschlagen vorkam. Es gehört schon ein gutes Stück Lebensphilosophie dazu, das Lachen seiner Mitmenschen zu ertragen. Bis jetzt hatte ihm die Gutmütigkeit noch wenig schöne Früchte getragen. Innocenz zog sich verärgert aus der Staubwolke zurück, die sich unter den Soldatentritten hervorwölbte und das fahle Licht verdunkelte, das von der schmalen Silbersichel des Neumondes sparsam über die Felder rieselte.

›Wenn nur der Balduin Hebenstreit nicht zu lange eingesperrt bleibt,‹ dachte er, nachdem er seine Gedanken wieder gesammelt hatte, ›sonst werde ich mir ein Hundefuhrwerk anschaffen müssen wie eine Botenfrau und ein Paternosterwerk wie ein Bauunternehmer.‹

›Geschieht dir übrigens recht‹ bemerkte boshaft eine fremde Stimme in ihm, ›was brauchst du dich um Dinge zu kümmern, die dich nichts angehn.‹

›Nichts angehn,‹ antwortete eine andere ›als ob einen der Vetter seiner Braut nichts anginge.‹

Der Halbverliebte lachte über den dummen Einfall, aber er dachte doch mit warmer Innigkeit darüber nach, daß es eine schöne Sache sei, so ein Käthchen Sommertag alle Tage um sich zu haben, mit den Ellenbogen ihre Taille zu streifen und zu fühlen, wie ihre Röcke einem um die eigenen Knöchel fächeln.

Innocenz war auf der Höhe über der Stadt angekommen und sah aus dem wallenden Brodem, der sie umwogte, einige Lichter wie verliebte Mädchenaugen lockend zu sich heraufblinzeln, wurde zielsicher und ging mit rascheren Schritten die Steige hinunter. Nicht lange, so brannten drei Weihnachtskerzen auf einer Semmel, die Semaphorlaterne stand auf »freie Fahrt« und Blut- und Leberwürste stiegen andachtsvoll und schweigend empor zu dem, der über dem Getriebe des Lebens in Einsamkeit im Äther schmachtete.

Als Innocenz nach vollbrachter Tat im Bette lag, war es ihm wie einem Kätzchen, das den Kanarienvogel verspeist hat. Er wußte, daß er etwas Unrechtes getan, etwas, was gegen die gottgewollte Ordnung schwer verstieß, und doch er konnte keine rechte Reue finden, und auch der Vorsatz, es nicht wieder zu tun, war wie ein Anker, der keinen Boden findet, nutzlos in die Tiefe geworfen. Sein Schifflein schaukelte auf den gaukelnden Wellen der Liebe an einer Lurelei vorüber, die ihn mit magischen Kräften an sich zog, auch da, wo sie ihn scheinbar floh, und er hatte das Steuer losgelassen und trieb stromab ohne die Warnungstafeln zu beachten, die von der strompolizeilichen Vorsehung zu seinem Schutze errichtet waren. Innocenz versuchte es zuletzt mit Beten. Aber als er das Gebet sprach: »O domina mea, o mater mea, tibi me totum offero,« drängte sich in seine Vorstellung herein das Bild von Käthchen Sommertag und der Sinn der Worte nahm etwas trivial Albernes an und klang fast wie ein Heiratsantrag.


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