Adam Karrillon
O Domina mea
Adam Karrillon

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Neuntes Kapitel

Um etwas Abwechslung ins Leben der Dorfbewohner zu bringen, hatte der Schnee innerhalb weniger Wochen verschiedene Male den Platz geräumt, und an seine Stelle waren zwischen den Häusern und Stallungen feuchte Tümpel getreten, gefüllt mit dem Ablauf der Kuh- und Schweineställe. In Stiefeln von Juchtenleder hatten die Füße des Arztes alles hingenommen wie es kam. Innocenz hatte gelernt, den Spuren zu folgen, die das zum Brunnen getriebene Vieh im Schnee zurückließ, und er verstand es, von Stein zu Stein springend wie ein Seiltänzer, über dem Schmutz der Höfe zu schweben und die Haustüren durch den Vorhang triefender Dachtraufen hindurch zu erreichen.

Schon gab es Menschen, die trotz seiner Behandlung die Beine wieder aus den Betten gebracht hatten und mit den Füßen in der Zeitlichkeit wandelten. Diese herumlungernde Rotte, die zunächst zur Arbeit noch untauglich war und sich frierend in der Nachbarschaft von einem Ofen zum anderen drängte, war es, die unserem Helden das Wort redete. Geschwätzig wie alte Veteranen, zeigten sie jedem, der sie sehen wollte, die Narben ihrer Haut und beteuerten bei allen Heiligen, daß einzig die Kunst des Innocenz Lorum es gewesen sei, die ihre Knochen in geordneter Abhängigkeit voneinander gehalten habe. Den Ruhm des jungen Arztes, der zunächst verzagt um den Herd und den Waschzuber der Häuser kroch, nahm die Aufkäuferin im leeren Korbe mit über Land und verlor ihn brockenweise auf den Nachbardörfern. Ein Mann, der eines Kuhhandels wegen schon einen halben Tag auf der Ofenbank saß und mit dem Schwanz einer jungen Katze spielte, spitzte bei der Erzählung der vielgewanderten Frau die Ohren. Er hatte zu Hause eine kranke Hälfte, die vielleicht noch wert war, daß man einige Reparaturkosten an sie hänge. Grübelnd und mit den Ausgaben rechnend durchschritt er die schmierigen Pfade, die über die Ackerfurchen getreten waren, kam gedankenschwer heim, hütete sich aber der Kranken gegenüber, einen Ton von dem, was ihn bewegte, verlauten zu lassen. Wie leicht hätte es sein können, daß man ein Stürmen und Drängen nach dem Arzt weckte, was zu guter Letzt nur Geld kostete, ohne ein Resultat zu zeitigen. Ehe man sich in Unkosten stürzte, mußte man erst noch mehr und noch Bestimmteres hören. Man konnte gelegentlich noch erst einmal den Steuerboten aushören oder den Briefträger, die ja beide leider Gottes zuweilen ins Dorf kamen. Auch der Samenhändler war in der Gegend fällig, denn bald schon mußte der Feldsalat die schwarzgrünen Blätter über den Boden legen, und die wollüstige Scholle barst und verlangte nach dem Samenkorn.

Während so des jungen Arztes Ruhm wie ein Irrlicht unstet in der Gegend herumflatterte, stand er selber mit dem Rücken gegen seinen Ofen, schaute durchs Fenster und bedauerte im stillen einen jeden Menschen, den das Schicksal zwang, heute als Makler oder Gendarm über Land gehen zu müssen. Einen meterdicken, weißen Mantel hatte die letzte Nacht über die Erde geworfen, und immer noch fielen große, fasrige Flaumfedern vom Himmel nieder, legten sich weich und sachte zu ihren Kameraden, setzten jedem Pfahl ein Käppchen auf und begruben des Nachbars Hundshütte, so daß nichts zu sehen war als ein rundes Loch und in diesem zwei spitze Ohren, die frierend im Winde wackelten. Innocenz rieb die Hände auf seinem Rücken und berechnete, wie hoch die Stiefelschäfte sein müßten, wenn sie heute die Waden schützen sollten vor der Zudringlichkeit des schmelzenden Schnees, als ein Mann, ohne angeklopft zu haben, plötzlich in seine Stube trat.

»Grüß' Gott!« sagte der Eintretende und klopfte am Ofen den Schnee von seiner Pelzkappe, »'s ist ein Wetter, daß man keinen Pflug ins Feld stellen möchte, und doch hat meine Alte mich fortgejagt, aus Übermut, aus reinem Übermut, versichere ich Euch.«

»Und hat sie Euch gerade zu mir gejagt oder wo anders hin?« fragte Innocenz.

Der Bauer nickte. »Einzig zu Euch, und zwar wegen einer Kleinigkeit. Ich soll fragen, ob einer, der im Halse krank ist, krank ist oder nicht?«

Jetzt sah der Bauer dem Arzt lauernd ins Gesicht. In der Antwort auf diese Frage mußte sich zeigen, ob der Angeredete Meister in seinem Handwerk war oder nur Geselle oder gar noch Lehrling.

»Ob einer, der im Halse krank ist, krank ist?« wiederholte Innocenz die kitzlige Frage und fuhr fort: »Darüber denke ich so: Ihr könnt zur Not Eure Hand verlieren. Euer Bein oder auch ein Ohr und könnt doch weiter leben. Aber nicht gut einbüßen dürft Ihr Euren Hals. Denn abgesehen davon, daß Ihr dann nichts hättet, wodrum Ihr Euer Halstuch wickeln könntet, wüßt' ich auch nicht recht, was Ihr mit der Pelzkappe anfangen solltet; denn ohne Hals – wie die Dinge liegen – ohne Hals kein Kopf!«

»Ich nehme Euch nichts übel,« sagte der Bauer. »Wem ich meinen Mist verkaufen möchte, dem mach' ich seinen Acker schlecht. Im Handel übertreibt man gern. Aber sagt: Ist für einen kranken Hals unbedingt ein Mittel aus der teuren Apotheke vonnöten? Könnte nicht ein Hausmittel ausreichen, etwa Fenchel- oder Kamillentee oder der Knochenfranzel?«

»Fehlt's dem Kinde an Luft?« schnitt Innocenz die Rede des Bauern kurz ab.

»Das nicht! Wo denken Sie hin, Herr Doktor, bei uns ist Luft genug, nur am Beiziehen fehlt's dem Kind. Es reißt die Nasenflügel auf und schlägt mit den Flanken wie ein dämpfiges Pferd. Das ist alles, und jetzt wißt Ihr so viel von der Sache wie meine Frau weiß und wie ich selber.«

Innocenz war starr über den indolenten Gleichmut dieses Vaters, und um ihn aufzurütteln aus seinem Stumpfsinn, sagte er ihm gerade heraus, so schwer die Worte ihm auch über die Zunge wollten: »Ihr Kind hat die Rachenbräune, da hilft am Ende nur noch das Messer.«

»Das Messer?« wiederholte der Bauer und trat erschrocken einen Schritt zurück. Rasch hatte er sich erholt und avancierte wieder. »Daraus wird nichts. Wenn der Himmel an meinem Kind einen Engel sucht, soll er ihn ganz haben und nicht verstümmelt. Aber, daß Sie hingehen, Herr Doktor, dagegen will ich nicht sein, 's ist der Leute wegen. Manch einer ist neugierig und fragt am Tage der Beerdigung, was wohl dem Kinde gefehlt habe. Da soll man Red' und Antwort geben, und wenn man sich dann auf den Arzt und seine Aussage berufen kann, steht man nicht da wie ein Hornvieh und hat keine Worte. Auch mag man sich nicht nachreden lassen, man hätte seine Schuldigkeit nicht getan.«

Der Redner schnaufte ein paarmal und fuhr fort: »Also ich bin der Hintersteiner, daß Sie wissen, mit wem Sie zu tun haben. Ich will es mit Ihnen probieren. Gehen Sie, Herr Doktor, aber schnell! Ich werde Ihre Rückkehr im ›Ochsen‹ drüben erwarten. Sie sehen ein, ein Bauer hat keine Zeit zu versäumen, namentlich im Winter nicht.«

Innocenz, innerlich über diese Roheit empört, drückte seine besseren Gefühle nieder. War es doch zum ersten Male, daß man ihn über Land begehrte in jene Ortschaften, wo nach des Bürgermeisters Belehrung die Phäaken wohnten, Leute, die mit der goldenen Pflugschar ackerten und den Schmierkäs mit dem Suppenlöffel aßen. Auch jammerte ihn das arme Kind, dessen Leben, ebenso wie sein Sterben schließlich ein Werk des Unverstandes seiner Eltern war. Er wandte sich dem Bauer zu mit den Worten: »Haben Sie den Wagen schon gedreht?«

»Alles besorgt, Herr Doktor! Der Wagen steht im ›Ochsen‹ unterm Vordach wegen der Lederkissen, und die Pferde stehen vor der Raufe am Hafer, bis Sie zurückkommen.«

»So ist das nicht gemeint. Ich dachte Sie fahren mich hinaus nach Ihrem Hofe bei dem hohen Schnee.«

»Ganz unmöglich, mein Bester. Das eine Pferd ist nur noch vier Wochen vorm Fohlen, und das andere ist windreh im Kreuz. Es muß gut gehen, wenn ich beide Tiere wieder heil und ganz in meinen Stall bringe. Wie mich die Ärmsten dauern. Man soll auch einem Pferde nichts Unmögliches zumuten. Übrigens, bis ich sie im Geschirr hätte, sind Sie mit Ihren flinken Beinen ja beinah schon wieder zurück.«

Innocenz ärgerte sich, sprach aber nichts weiter und ging den einen Stiefel im Schnee versenkend, den andern aus dem Schnee herausziehend wie auf Stelzen zum Dorfe hinaus. Der Bauer sah ihm schmunzelnd nach: »Zwei Beine abgenutzt ist besser als achte,« murmelte er vor sich hin und schielte durstig nach dem ›Roten Ochsen‹ hinauf, der in einem runden Reif an einem langen Arm an der Hausecke baumelte. Bald rückte er der Schenke näher auf den Leib und saß behaglich neben dem warmen Kachelofen, während Innocenz Lorum sich durch meterhohe Schneebarrikaden hindurch arbeitete oder sie umging.

Plötzlich ward der Wanderer stutzig und blieb stehen, denn ein breiter Schneewall sperrte seinen Weg. ›Sollte das ein verschneites Strohdach sein?‹ so dachte er und umkreiste das Hindernis. Ach, wahrhaftig, da hingen große Eiszapfen aus dem Dachrand nieder und bildeten ein glitzerndes Silbergitter vor kleinen, grünlich schimmernden Fensterscheiben. ›Möglich, daß ich am Ziele bin,‹ kalkulierte Innocenz und drückte an einer Doppeltür die obere Hälfte hinein. Ein Schwarm von Hühnern flog glucksend und protestierend aus der entstandenen Lichtung, und hätte Innocenz sich nicht gebückt, wer weiß, ob er ein Auge im Kopfe behalten hätte.

Wenn man von dem absieht, was die Hühner zurückzulassen pflegen, konnte man sagen: Die Diele war leer, wenigstens war nichts Lebendiges mehr da. Und doch drang ein rauhes, unheimliches Geräusch an des Arztes Ohr. In regelmäßigen Intervallen klang es, als wenn jemand ein Waschseil durch ein Loch in einer Zigarrenkiste zöge, dann war es wieder still. Das Gehörorgan des Arztes hatte die Diagnose gemacht, bevor noch sein Auge den Kranken sah. »O weh!« drängte es sich durch seine Zähne, während seine Hand die Klinke der Türe niederdrückte.

Ein großer Raum mit altersschwarzer Dielung lag vor seinen Blicken, und in dessen dunkelster Ecke etwas, was ein Himmelbett vorstellen konnte. Von dort her drang auch das ominöse Geräusch. Keiner braucht die Geheimnisse, die ein Bettvorhang verschleiert, so wenig zu achten wie der Arzt, und deshalb zog Innocenz entschlossen an dem verschossenen Schirting. Rostige Messingringe, die oben an einer rostigen Eisenstange liefen, kreischten »Ratsch«. Was war's, was nun seine Sinne fesselte? Ein Bild trostloser Verzweiflung. Ein verfallenes Kinderantlitz, in das der Tod mit drei Kreuzen seinen unheimlichen Namen nur allzu leserlich geschrieben hatte. Die Wangen in fahler Marmorzeichnung. Die Lippen blau. Zwischen den Lidern ein kaltes Weiß, wie das Schild im Auge einer antiken Statue und neben dem Kopf des Kindes auf dem Kissen eine schwarze, klumpige Masse, die zu schlafen schien: die Mutter der kleinen Sterbenden. ›Was sollte sie auch anders tun, als ihren Gram verschlafen,‹ dachte der Arzt, ›wo Wachen doch nicht helfen kann? Ein müßiger Gaffer beim Werk der Zerstörung mehr oder weniger, 's ist einerlei. Glücklich jeder, dem der Schlaf übers Abschiednehmen hinüberhilft.‹

Indessen rüttelte er doch an der Schulter der Mutter, und vom Kissen erhob sich mit verwirrtem Haar ein Kopf, der ihn mit fahrigen Blicken mißtrauisch musterte. Dieser stummen Frage antwortete Innocenz: »Ich bin der Arzt, von Eurem Mann geschickt, dem Kinde zu helfen, aber leider – leider« – –

»Was aber leider?« wiederholte die Frau und schnellte empor, als ob sie mit dem Kopf durch die Decke wollte.

»Je nun,« lenkte Innocenz ein, »Sie müssen doch selber sehen, daß menschliche Hilfe hier zu spät kommt.«

»Zu spät?« höhnte das Weib, »das bleibt immer die bequeme Ausrede für jede Dummheit. Wann hätten wir rufen, wann hättet Ihr kommen sollen? Heute ist es erst der fünfte Tag, daß es dem Kinde an Luft fehlt.«

»Beides hätte am ersten Tage geschehen sollen, liebe Frau,« bemerkte Innocenz, sein schroffes Urteil rasch bereuend.

»Was!« schrie die erregte Mutter, »haben wir nicht alles getan? Haben wir ihm nicht heißes Fett in die Kehle gegossen, haben wir nicht Öl in die ewige Lampe geschüttet und die am Blasiustage geweihten Kerzen um seinen Hals gelegt? Hat nicht die Rosenkranzlisbeth die Krankheit besprochen und heilige Zeichen in die Luft gemacht, was hätten wir mehr noch tun sollen?«

»Den Arzt rufen,« sagte Innocenz und genierte sich innerlich, daß er sich selber anpreisen mußte.

»Wozu, damit er die Achsel zucken und sein ›zu spät‹ mit Kopfschütteln vor uns hinwerfen konnte? Ach, daß Ihr Ärzte zu nichts anderem tauglich seid, als den Leuten für schlimme Worte das gute Geld abzunehmen.«

Dieser unverdiente Vorwurf war tief verletzend, aber Innocenz hatte Mitleid mit der Halbverrücken. Er wollte die Erregung nicht durch vorwurfsvolle Gegenrede steigern, sondern sich auf gute Manier aus der Affäre ziehen. Rückwärts schreitend kam er an den Tisch und ließ sich mit einem Seufzer auf die Bank nieder. Vor ihm baumelte am Schlüssel eines Reliquienschreines ein Tintenfaß in der Luft und ein Gänsekiel wiegte sich behaglich auf und nieder, so oft jemand im Zimmer auf die Diele trat. Beides holte der Arzt herunter, blies den Staub vom Stöpsel und machte Anstalten ein Rezept zu schreiben.

»Kostet's was extras, wenn Ihr ein Papier beschreibt?« herrschte die Frau den Arzt an.

»Nein, die Gebühr bleibt dieselbe.«

»Nun, dann schreibt und versucht Eure Kunst, aber wenn Ihr sonst einen Eimer voll zu verordnen pflegt, so laßt es hier bei einem halben sein Bewenden haben. Wenn sie die Katze nicht frißt, wandert ja doch die Brühe zum Fenster hinaus. Auf dem Heimweg übereilt Euch nicht. Ich bin sicher, mein Alter sitzt warm, und er wird Euch nicht höflich empfangen, wenn Ihr ihn hinterm Schoppen stört mit einer bösen Zeitung.«

Innocenz hatte sich derweilen erhoben und war ans Bett getreten, um mit einem Blicke Abschied zu nehmen von einem vernünftigen Kinde, das im Begriffe war, das Klügste zu tun, was es tun konnte, nämlich Ade zu sagen einer solchen Welt und solchen Menschen, deren Geist an einer Kette lag, schwerer als die, mit der man die Maulesel an die Krippe bindet.

Mißmutig und müde gelangte der Arzt im ›Roten Ochsen‹ an, und seine Laune wurde nicht besser, als er den Bauer aus dem goldenen Grund beim Kartenspiel mit dem Knochenfranzel hinterm Tische fand. Jetzt war's ihm doch, als ob er diesem Stier von einem Vater mit einer Stahlfeile die Hörner raspeln müsse, und ohne Umschweife sagte er trocken: »Hintersteiner, wenn Ihr Euer Kind noch einmal lebend sehen wollt, dann tut Ihr gut daran, mit Eueren Trümpfen nicht mehr zu stechen, sondern heim zu fahren, so schnell die Pferde laufen können,« und Innocenz reichte dem Manne das Rezept. Da wurde es dem kühlen Bauer doch ein wenig schwül. Er ließ die Karten fallen, sprang auf und trieb an allen Menschen, daß sie ihm helfen möchten, nach Hause zu kommen. Der Knochenfranzel sollte in die Apotheke laufen. Der Wirt in den Stall. Er selber zwängte die Arme in die Ärmel eines Überziehers. Als sie glücklich drin waren, merkte der Gast, daß er den Rock des Wirtes am Leibe habe, und schlenkerte mit den Armen, bis seine Hände durch die Luft fuhren, wie ein Karpfen an der Angel. Dann stürzte er nach der Tür und warf sie hinter sich ins Schloß. Als er im Gange weiter wollte, waren seine Rockschöße eingeklemmt, und er mußte sich rückwärts wenden, um die Tür zu öffnen. Durch den Spalt sah er den Doktor und nun fiel ihm ein, daß er habe fragen wollen, ob das Kind auch alles essen dürfe. Der Doktor bejahte, und der Hintersteiner gab der Ochsenwirtin den Auftrag, zwei Schwartenmagen und einen Kalbsschlegel im Wagensitz unterzubringen. Dann riß er seine Pelzkappe von der Wand und verschwand nach dem Hofe zu.

Innocenz war allein – und doch nicht allein. Außer ihm war noch ein Wurm da, der an seinem Herzen nagte. Hatte er alles getan, was möglich war, um das Schicksal zu wenden? Hätte er nicht vielleicht dennoch den Erfolg mit der Schneide des Messers suchen sollen? Aber wie konnte er dies, wenn Unverstand und Aberglauben ihm die Hände banden! Ja, diese beiden, die waren's, mit denen er zu kämpfen haben würde, die waren's, die am Ende seinen Willen lahmlegen und aus ihm einen Troddel machen konnten, wie es deren viele gibt, die nichts mehr mit Energie betreiben als Essen und Trinken. Der junge Anfänger fühlte eine drückende Schwere auf der Brust, die ihm den Atem nahm, und er war froh, als nach einer Weile der Knochenfranzel ins Zimmer gehinkt kam und meldete: »Schon ist er überm Bildstock draußen, er fährt wie der Satan und kann jetzt schon beim schwarzen Herrgott sein über der Hasenklamm. Das Arzneiglas hat er in die hintere Rocktasche gesteckt, setzt er sich ungeschickt, so kriegt er die Scherben ins dicke Fleisch, wenn nicht, so kriegt vielleicht von dem braunen Trank sein Kind noch etwas auf die Zunge. Was von beiden das Bessere wäre, wird die Autopsie lehren.« Das fremde Wort war stark betont und mit gewichtiger Miene herausgehoben.

Auch der Wirt kam wieder und brachte den Schmied-Jakobel mit, der beim Einspannen geholfen hatte. Der Hintersteiner hatte ihn gebeten, einstweilen seine Karte weiter zu spielen. »Wenn die Sache gut abläuft,« hatte er gesagt, »so bin ich bald zurück, und wir teilen den Gewinn.«

Über Mischen und Kartengeben, über Spitz und Spartil war bald der Hintersteiner vergessen mit samt dem sterbenden Kinde, selbst von Innocenz Lorum, der seinen Stuhl so gerückt hatte, daß er dem Knochenfranzel in die Karten sehen konnte. Mit dem nichtigen Ausrechnen der Gewinn- und Verlustziffern wischte er wie mit einem Staubtuch den Trübsinn von seiner Seele, und während der stillen Beobachtung der Spieler begann eine heitere Sorglosigkeit in seinem Gemüte sich ihr Nest zu bauen, und wie Finkenschlag lockte ihr Lied zu frohem Lebensgenuß.

Da ging die Türe auf und der Hintersteiner stand wieder im Zimmer. Sein Gesicht hatte sich seit anderthalb Stunden ein wenig verändert. Von den Nasenflügeln hingen über die beiden Mundwinkeln herüber zwei klägliche Ausrufezeichen, während über den Augenbrauen einige kummervolle Gedankenstriche lagen. Beide Dinge aber waren wie mit dünner Wasserfarbe aufgetragen und man hatte den Eindruck, daß es nur weniger Feuchtigkeit bedürfe, um sie wegzuwischen. Der Bauer goß diese aus einem Schoppenglase rasch in sich hinein und war im Handumdrehen ein anderer. Die Trauer war fort und ein frecher Mut, mit irgendeinem Menschen anzubinden, sprühte aus seinen Augen. Man sah, er hatte Steine in der Tasche und er suchte nach einem Hund, auf den er sie werfen könne.

Da tat ihm der Schmied-Jakobel den Gefallen und redete ihn an: »Schon so schnell zurück, Hintersteiner, dann steht es gut mit dem kranken Kinde.«

»Es steht nicht, es liegt und steht auch nimmer auf. Mein Kind zertritt keine Sohlen mehr, wennschon es seinen letzten Weg in seinen Sonntagsstiefeln machen soll. Wir geben ihm sein Bestes mit an Kleidern. Was hätte das Zeugs für uns für einen Wert?«

Innocenz hatte der Rede des Bauern zugehört und fragte voller Mitleid: »So habt Ihr gar Euer Kind nicht mehr am Leben getroffen?«

»Das schon, aber vielleicht hätte ich es nie erlebt, es tot zu sehen, wenn ich ihm Eure Arzenei nicht gegeben hätte. Ein Löffel voll und hin war's.«

» Moritus est,« warf der Knochenfranzel mit aufgeblasenen Backen gelehrt dazwischen.

»Nichts moritus,« erboste sich der Bauer, »gestorben ist's und an der Arzenei, behaupt' ich. Die Brühe hinunter und der Atem war weg. Da liegt doch der Zusammenhang klar auf der Hand. Da braucht man kein Professor zu sein, um das einzusehen, und kein Latein braucht's, um die Molke von dem Käs zu scheiden.«

» Contra vim mortis,« brummelte der Knochenfranzel und erreichte seinen Zweck, den Hintersteiner mit lateinischen Sprüchen in die Wut hineinzureden, nur zu gut.

»Wirf deine Brocken vor die Hühner, daß sie Eier legen. Wenn du aber denkst, daß sie einem ehrlichen Menschen den Kopf verdrehen könnten, so bist du auf dem Holzweg. Was ich denke, sag' ich heraus und ich sag: die Teufelsbrüh hat mein Kind auf die Streu gelegt! So sag ich, der Hintersteiner. Wen's beißt, der mag sich kratzen.«

Lorum hatte, während der Schlammvulkan des Bauern überkochte, schweigend das Lokal verlassen und war einsam in die Nacht hinausgeschritten. Als der Doktor weg war, nahm der Strom der Rede mit munterm Plätschern eine seitliche Richtung.

»Hintersteiner,« ergriff der Franzel das Wort, »die Hauptfach' ist, daß doch jetzt die Krankheit lateinisch auf den Totenschein kommt; seid gescheit. Ihr habt noch mehr Kinder und ein gesundes Weib. Wo Holz gemacht wird, gibt's Späne. Seid Ihr der erste, dem man einen Sarg ins Haus bringt?«

Da beruhigte sich der Alte, und als der Knochenfranzel sich erbot, die nötigen Gänge beim Pfarrer und Leichenbeschauer für ihn zu verlaufen, da war er so weit getröstet, daß er sich an den freigewordenen Platz setzen und die Karten wieder aufnehmen konnte. –

Innocenz war derweilen im Schnee seiner Wohnung zugeschritten. Vor ihm her schwankte von einer Laterne ausgehend ein lichter Kreis über das weiße Bahrtuch hin. In der blendenden Helle baumelten wie Glocken auf dem Stuhle zwei Weiberröcke mit plumpen Bewegungen hin und her.

»Hast du den Teig schon eingesäuert?« sagte eine flüsternde Stimme, »nimm nicht zu wenig Mehl. Wer vom Hofe Hinterstein seinen ersten oder letzten Gang ins Dorf macht, pflegt nicht allein zu kommen. Halb Birkenried und der goldene Grund wird übermorgen auf den Beinen sein.«

»Laß mich nur sorgen,« hallte es da entgegen, »an Mehl und Milch da fehlt es nicht, aber die Butter zu den weißen Stullen ist etwas knapp.«

»Mach's wie ich,« sagte die erste Stimme. »Ich stelle die Butter unter die Backmulde, was dann hinauftropft, das sollen sie haben, die Fresser. Daß doch außer dem neuen Doktor auch noch die Pest über diese Nimmersatte käme! Sie verlangen viel und zahlen wenig. Keiner im Dorf hat eine Freude an ihnen ausgenommen die Schulbuben, denen sie mit ihrem Leichenzug die Rodelbahn treten.« Jetzt hörte man ein verdrücktes Lachen, das durch ein heiseres Husten abgelöst wurde, dann ging die Türe zur Backstube auf, und ein breiter Lichtstrom flutete über die Straße bis ans gegenüberliegende Scheunentor.

»Wetter für die Holzschuhmacher,« hörte Innocenz noch aus der Stube, dann klappte die Türe ins Schloß. Zu hören war nichts mehr, und er konnte ja auch genug haben, nachdem er wußte, daß man seine Gefährlichkeit so hoch einschätzte wie die der Pest.

Indessen war er vor seinem Hause angekommen. Auf der Steinschwelle standen die gefrorenen Abdrücke mehrerer Stiefel. Das waren im Winter die Visitenkarten, die in Birkenried der Besucher zurückließ, im Sommer taten's einige Kilo Ackererde. Leute waren also dagewesen. Was konnten sie wohl gewollt haben? Dem Arzte war es gleichgültig. Für heute hatte er in seinem Berufe genug gearbeitet.

Trotzdem sah er neugierig zum Fenster empor, es war dunkel. Wer zum Teufel hätte auch Licht machen sollen? Er hatte keinen Vater, keine Mutter, niemand, der in seiner Abwesenheit sein Heim besorgte. Das war's ja, weshalb alles bei ihm so kahl war, so fremd, so unheimlich, so nüchtern wie eine protestantische Kirche. Innocenz hatte zur Dekoration seiner Wände Postkarten in die Stuben genagelt, aber sie waren damit noch keine vatikanischen Gemächer geworden. Um die Armseligkeit kleiner Landschaften gähnte eine kalkige Leere, wie die Sandwüste der Sahara um eine winzige Oase. Der junge Mann schauerte zusammen. Dann erst recht, als ihm das Gedenken kam an seinen kalten Ofen und an sein Bett, in dem er wie eine Fastenbrezel liegen mußte, um warm zu werden. Nein, es war ausgemacht, in diese bellende Leere hinein brachte ihn vorerst noch kein Teufel. Da mußte es doch in dem Dorfe noch etwas anderes geben. Er müßte sich nur einmal besinnen.

Und siehe, es stahl sich heimlich ein liebes Bild in seine Seele, das Bild von Käthchen Sommertag, die ihm jetzt so nahe wohnte und doch – wie ihm dünkte – ferner als je. Vieles und Schmutziges hatte sich zwischen ihn und das Mädchen gedrängt, aber sie konnten sich wieder näher kommen, wenn er erst eine gesicherte Position hatte. Doch da fehlte der Schlüssel ins Loch. Die Leute von Birkenried und aus dem goldenen Grunde ließen den lieben Herrgott walten, der war billiger als der Arzt. Wie's dann auch ging, sein Wille war geschehen.

Innocenz fürchtete nicht ohne Grund, daß Birkenried der Ast nicht sei, der sein Nest tragen könne. Was sollte er da mit Käthchen Sommertag beginnen?

Und doch gerade heute, gerade in diesem Augenblick zog es ihn mit tausend Stricken nach der Taubhausmühle hin. Ihm war's, als ob er wieder einmal einen Menschen sehen müsse und dort, nur dort einen finden könne.

Vor der Mühle angekommen, sah er des Lichtes einladende Flamme durch die Ritzen der Läden gucken und bemerkte einen blauen Dunst, der wie Armekinderseelchen mit schwachem Leuchten zum Sternenhimmel hinaufflog. Warum mußte Innocenz an arme Kinderseelchen denken? Saß das Tote des Hintersteiners so tief in seiner Seele? Hatte er sich Vorwürfe zu machen? Ach nein, er hätte mit ihm zusammen vor Gottes Richterstuhl treten können. Und doch, und doch, der Fall hätte anders enden können, wenn manches anders lag. Ob sich wohl mit Käthchen Sommertag über so was reden ließe? Er wollte es versuchen. Also voran. In den Hausgang getreten, stolperte Innocenz über irgend etwas. Er bückte sich und fühlte auf dem Boden den steifgefrorenen Körper eines Hasen. Jäger waren da. O weh, das war nicht nach seinem Sinn. Nun mußte er sich mit anderen Gästen in das Lächeln des guten Käthchens teilen.

Doch er öffnete die Tür und trat ein. Beim Ofen schlief der Pankraz Überdies, den Kopf auf einen toten Hasen gebettet. Am seine Füße lag ein Rudel müder Jagdhunde, die mit knappernden Zähnen das Eis zwischen ihren Zehen herausfraßen. Rechts, an einem runden Tisch, saß eine Anzahl Gäste in Gamaschen über den plumpen Schuhen, Lodenjacken mit Quetschfalten am Rücken und auf dem Kopfe Hubertusmützen von hohen Reiherfedern überragt.

Alle diese Hasennimrode hörten mitten im Lügen auf, als der junge Arzt ins Zimmer trat, warfen lauernde Blicke über ihre Schultern und steckten dann die Köpfe mit den Reiherfedern zusammen. Innocenz grüßte und ging, vorsichtig den Hundebeinen ausweichend, einem leeren Tische zu. Ehe er diesen noch erreicht hatte, kam Käthchen Sommertag ihm entgegen, neigte ein wenig das Haupt dem wogenden Busen zu, bot ihrem Gaste die weichen Finger und zog ihn an dem Schenktisch vorüber nach der Tür eines anstoßenden Zimmers. Dort glühte mit verschämten Backen ein kleiner Ofen, baumelte von der Decke nieder die Lampe, und war ein kleiner Tisch gedeckt, als ob er in guter Livree jemanden erwartet habe. Käthchen rückte ihrem Gast einen Stuhl zurecht, breitete einen selbstgefertigten Teppich vor seinen Füßen aus und stand nun da die Arme vor der Schürze gekreuzt, als ob sie hätte sagen wollen: ›Rede, Herr, dein Diener hört.‹ Aber Innocenz kam nicht zum Reden, obwohl ihm das Herz zum Brechen voll war, viel eher hätte er weinen mögen. Weinen an diesem weichen Busen und sein Gesicht verstecken in der Nähe eines Herzens, von dem er annehmen mußte, daß es ihm gut sei. War da wohl ein Versteck, in das man sich flüchten konnte, wenn hinter einem die wütende Meute brüllte? Gab es da eine befreiende Antwort auf manchen Zweifel, der einen quälte? Innocenz glaubte es fast und doch auch wieder nicht. Aber er fühlte einen schimmernden Stern über sich leuchten, und sein Sinn wurde ruhiger und wollte sich weit öffnen, wie die Lotosblume ihren Kelch erschließt, als draußen ein Glas klirrend in Scherben flog und ein erbärmliches Geschrei der Hunde den Raum füllte.

Das träumende Käthchen fuhr zusammen, als ob der Blitz vor ihr in die Erde geschlagen hätte. Innocenz aber schnellte in die Höhe und riß einen Stuhl vom Boden auf. Wie ein Peitschenknall war es ihm durch's Gehirn gefahren: ›Der Wurf hat nicht den jammernden Hunden gegolten, sondern dir.‹ Hatte er doch unter den Hubertusmützen das Gesicht des Balduin Hebenstreit erkannt und den haßerfüllten Blick abgefangen, den dieser nach ihm schickte. Nicht gewohnt einer Provokation auszuweichen, drängte Innocenz nach der Türe. Aber Käthchen, flinker als er, hatte bereits abgeschlossen und den Schlüssel in ihrem Mieder geborgen. Der Arzt war gefangen und von weichen Armen umstrickt, die ihn rückwärts schoben, in die Tiefe des Zimmers hinein.

»Sie haben nichts zu tun mit diesen Leuten. Was hier geschehen muß, besorgen Hände, die nicht schwärzer werden als sie sind, auch wenn sie sich an einem rußigen Kessel reiben.«

Und in der Tat hörte man durch die verschlossene Tür, daß draußen kräftige Fäuste an der Arbeit waren. Der Schläfer auf der Hasenleiche hatte eine Glasscherbe ins Ohr bekommen, und obwohl er wußte, daß er nicht der Eber war, nach dem man schoß, so sträubte er doch die Borsten. Wild fuhr er aus dem Lager empor, faßte den Balg der Hasenleiche überm Rücken und tat mit ihr zunächst einen Schlag nach der Hängelampe. Das Licht erlosch, und in tausend Splittern hagelten Glasscherben hernieder untermischt mit Hasenkrallen, die, wo sie auch auf Menschenleiber niederfuhren, kleine Blutgeschwülste in der Form von Erdbeeren aus der Haut lockten.

»Pankraz!« rief eine verzweifelte Stimme aus dem Dunkel, »keiner von uns will was von dir.«

»Ich aber von Euch!« schrie der Bursche, »hab' ich Euch durch zehn Stunden den Treiber gemacht, damit Ihr mich mit Glasscherben ausbezahlt? Hasenhenker, die Ihr seid, ich will Euch Respekt vor meinen Knochen beibringen.« Und wieder fuhr Meister Lampe wie ein Schmiedehammer geschäftig auf und nieder.

An den Wänden des Zimmers hin gab es ein großes Schieben. Jeder aber, der das Glück hatte, in die Nähe der Tür zu kommen, fühlte sich geborgen und hatte keine Lust, umzukehren. Schließlich war der Pankraz allein zwischen den vier Wänden. Da öffnete er das Ofentürchen und stellte seine nassen Füße in den warmen Schein des Holzfeuers, sein Gesäß vertraute er einem Stuhle an und seinen Kopf legte er wieder auf die Hasenleiche, die ihm jetzt kommoder vorkam als vorher. So saß er voll Seelenruhe und döste, als die Tür des Nebenzimmers aufging, und Käthe und Innocenz heraustraten. Da fuhr ihm ein Gedanke durch den Kopf. Er schlüpfte eilig in den Pelzrock des Doktors hinein, der am Nagel hing, und war verschwunden.

Käthchen suchte Licht zu machen. Während sie sich bemühte, ein Streichholz zu entzünden, war es ihr, als ob eine bärtige Lippe den Versuch wagte, sie zu küssen. Erschrocken fuhr sie mit der Hand vor der Nase herunter. Da hatte sie den Verwegenen. Es war ein Bündel Hasenhaare, das sich von der Anziehungskraft der Mutter Erde nicht hatte imponieren lassen und auf eigene Rechnung und Gefahr eine Reise durch das Zimmer machte.

Innocenz war mit dem Fuß in eine Lodenmütze hineingetreten und schleppte diese mit wie einen Pirmasenser Pantoffel. Stühle mußten überstiegen oder an ihren Platz gebracht werden, kurzum mancherlei war zu ordnen, bevor Innocenz Anstalten machen konnte, sich zu entfernen. Als er endlich so weit war, ging die Tür auf, und der Notabeneoja erschien großartig wie eine geborene Exzellenz in des Doktors Pelzmantel auf der Schwelle. Käthchen Sommertag errötete verlegen. Der Arzt aber fuhr den Pankraz an: »Was fällt dir ein, wozu die Mummerei? Wenn du irgendeinen Schelmenstreich auszuführen hast, dann tu's in deinen Häuten und nicht in meinen.«

Pankraz erwiderte nichts, sondern hängte den Mantel über des Doktors Schulter, setzte sich, legte den Kopf auf die Hasenleiche und versuchte zu schlafen. Käthchen Sommertag begleitete ihren Gast, wie schicklich, bis zur Tür, ja, um es recht zu sagen, trotz der Kälte bis auf den Hausgang und nahm von ihm zögernd einen ziemlich umständlichen Abschied.

Als sie wieder ins Zimmer kam, hob Pankraz ein wenig den Kopf und sah das Mädchen mit zwinkernden Augen betrübt an. »Käthchen,« sagte er zutraulich, »einen Dummen wie den kriegst du noch alle Tage, aber du mußt keinen dummen Kerl heiraten; das Sitzfleisch deiner Buben, wenn sie erst einmal in die Schule gehn, wird dir für diese Schwachheit wenig Dank wissen.«

»Ach Pankraz, guter Pankraz,« sagte Käthchen weich, »ich verstehe dich. Du dachtest gewiß, aus dem Astloch eines Scheuertores könnte ein Flintenlauf gucken und auf ihn warten, und da hast du – und da bist du – und hast dein eigenes Leben nicht geschont. O du, du Guter! Wenn die Leute einmal wissen, wer du bist, werden sie dein Bild über die Haustür stellen und des Nachts eine Lampe davor brennen.«

»Ja, oder sie füllen mich in einen Hammeldarm und verzehren mich als Samstagskost zu sauren Linsen. Ich möchte nicht in einen Hammeldarm. Schon lieber in einen Kachelofen oder neben ihn,« entgegnete Pankraz mit schnatternder Stimme.

»Das soll dir gerne werden,« sagte Käthchen Sommertag, holte einen Teppich und bereitete ihrem Gaste eine Ruhestätte auf der Ofenbank. Da lag und schlief er, der Mann mit dem großen Herzen, die Füße in nassen Schuhen und den Kopf auf der Hasenleiche, die heute sein Verdienst und seine Waffe war und nun sein Kopfkissen wurde.


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