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XXVIII

Es war bereits Herbst und die Herrschaft von Chodenschloss weilte noch immer auf ihrer Burg. In früheren Jahren ging es hier um diese Zeit lustig und geräuschvoll zu, denn es trafen Jagdgäste ein. Heuer gab es noch keine einzige Jagd. Es befremdete, warum der Herr jetzt in seiner stillen Residenz verweile, die jetzt zugleich einem Kloster und einer Festung ähnelte.

In allen ihren Räumen, sowohl in den herrschaftlichen Gemächern als auch im Erdgeschosse und im Burghofe herrschte Stille und alles war wie vor einem Feinde versperrt. Der Torwart rührte sich den ganzen Tag von seinem Platze nicht und in der Nacht hatten jetzt einige Wächter Dienst. Frau von Albenreuth, die fast fortwährend in ihren Zimmern oder in der Schlosskapelle verweilte, hatte schon seit längerer Zeit die Burg nicht verlassen. Der Herr ritt wohl öfter, meistens nach Kaut, aus, doch nie, wie vorhin, allein oder nur mit einem Diener, sondern immer in der Begleitung einiger Reiter. Angst sah man ihm aber nicht an, denn sein Gesicht war ruhig und kalt, wie immer, ob er nun im Schlosse weilte oder eine Ausfahrt unternahm. Es schien fast, als wäre der Gesichtsausdruck ein fröhlicherer, denn man merkte ihm eine gewisse Zufriedenheit an.

Natürlich! Die zweite Ernte ist bereits gut und glücklich ausgefallen, das zweite Jahr verrichteten die Choden bereits neue, härtere Frohnarbeit und überall herrscht Ruhe. Sie gewöhnen sich allmählich. Heuer gab es in keinem Dorfe mehr jenen Trotz und jene Unbotmässigkeit, die noch im Vorjahre dort zum Vorschein kamen. Dieser Sturm verlohnte sich und die Strafen werden gute Früchte tragen. Auch dieses stolze Volk wird zahm, und wird jenem auf allen anderen Herrschaften gleichen. Ohne einen Sturm der Empörung haben sie das Urteil des Halsgerichtes vernommen und in kurzer Zeit haben sich auch jene, die nach Baiern geflohen waren und verurteilt wurden, selbst gestellt. Auch Brychta kam und auch der junge Šerlovský, die beide doch so rechte Dickschädel sind. Jetzt büssen sie für ihre Empörung; jetzt weiss es schon Brychta, was es heisst, die Karbatsche der Obrigkeit von der Walbe herabzuschleudern und dieselbe Erfahrung hat auch der freche Čtverák gemacht, welcher knapp unterhalb der Schlossfenster Spottreden hielt. Sie dürften jetzt, mit ihren Fussketten rasselnd, in Raab und Komorn der wilden Fastnacht gedenken.

Und Kozina! Gut, recht gut und just nach seinem Geschmack hat das Prager Gericht entschieden. Es war der gefährlichste und stolzeste Bauer von allen. Wenn der so Jurist wäre! Und wie beliebt er ist! Aus allen Chodendörfern kamen die ältesten hieher in die Burg, um für ihn Gnade zu erflehen. Und wie sie bettelten und sich demütigten!

Er liess sie zwar in das Schloss vor, doch was mussten sie hören! Er sprach ihnen ins Gewissen, sagte ihnen, wie verblendet sie seien, dass sie sich des Ärgsten, der sie alle in das Unglück gestürzt, noch annehmen.

Und bevor noch diese auf das Schloss kamen, fand sich auch die alte Kozina ein. Auch die erschien am Schlosstor, um für ihren Sohn Um Gnade zu flehen. Doch der Torwart liess sie, wie ihm von seinem Herrn angeordnet wurde, nicht vor. Wie eine Säule harrte sie von Früh bis Abends da, von Zeit zu Zeit hob sie ringend und wehklagend ihre welken Hände gegen die Fenster des Schlosses empor. So stand sie hier vormittags, so auch am Nachmittag, bis die nichts ahnende Schwiegertochter, die junge Kozina, ihr ebenfalls nachkam.

Herzergreifend war der Anblick der bedauernswerten, flehenden Frauen, und selbst der alte Torwart, der das Vorgehen seines Herrn im Stillen tadelte, vertrug dieses Schauspiel nicht. Er wollte nicht mehr herausblicken, musste jedoch auf Befehl seines Herrn nochmals hinaus, um die Weiber fortzujagen. Der Diener sprach ihnen zu, bat sie, sie mögen sich entfernen, dass alles umsonst sei.

Um die Zeit weinte oben im Zimmer die Edelfrau, während ihr Gatte erzürnt im Gemach auf und abging. Diese Bäuerinnen, die sich nicht abfertigen lassen wollten, brachten ihn in Wut, und seine Gattin, die das Wehklagen derselben nicht mehr anhören konnte und Fürsprache für sie einlegte, reizte ihn noch obendrein.

Später kam niemand mehr zur Chodenschlosser Burg. Stille herrschte wieder wie vorher überall, nichts änderte sich. Nur der Herr war mehr auf der Hut und sah darauf, dass die Nachtwachen recht wachsam und aufmerksam bleiben. Seit dem Augenblicke, in welchem der Tag der Hinrichtung Kozinas festgesetzt wurde, traute Herr von Albenreuth den Choden nicht recht. Er fürchtete, dass sie an ihm vielleicht für Kozina Rache nehmen könnten.

 

Die Vorzeichen, die Kozina in jener Nacht zweimal befragte, hatten nicht gelogen. Die Ungewissheit des jungen Choden war vorüber. Das Urteil des Halsgerichtes fiel nach der Ahnung des Häftlings aus. Denn die Befürchtung, seine Angelegenheit werde jenen Ausgang nehmen, den sie jetzt tatsächlich nahm, überkam ihn öfter als die Hoffnung auf eine glückliche Wendung. Diese Entscheidung erschütterte seine Seele. Doch dauerte dies nicht lange, eine gewisse stumpfe Ruhe bemächtigte sich seiner. Er atmete erleichtert auf; die peinliche Ungewissheit hatte ein Ende gefunden; sie hatte ihn ermüdet, und doch liessen ihre Nadelstiche und Marterqualen bei Tag und Nacht nicht nach.

Als der Kerkermeister kurz darauf seine Zelle betrat, um ihn abzuholen und ihm zu vermelden, dass er nach Pilsen überführt werden soll, empfand Kozina ob dieser Nachricht Freude, obzwar er wohl ahnte, warum man ihn in die Kreisstadt überführen wird: damit seine Strafe warnend und abschreckend auf seine Landsleute wirke, da die Hinrichtung in Pilsen einen mächtigeren Eindruck üben werde, als wenn sie in Prag vor sich ginge. Doch auch das war ihm lieb: es wird wenigstens jedermann zu Hause und auch anderswo erkennen, wie sie Lomikar behandelte und noch behandelt. Überdies weiss es ja jedermann, dass Kozina von Aujezdl kein Schurke und kein Mörder ist, jedem ist es bekannt, warum er diesen schmachvollen Tod erleidet. Weder ihm noch seinem Geschlechte kann es zur Schande gereichen und die Choden werden es auch nie vergessen, dass er für ihre Rechte kämpfend starb; sie werden dieser Rechte ebenso wenig vergessen, wie Lomikars, der ihn falsch beschuldigt hat und ungerecht verurteilen liess. Er, er! Wider ihn gab es keinen Schutz, ihm zuliebe wurde Recht und Gerechtigkeit zu nichte gemacht. Dies ist allgemein bekannt und wird auch anerkannt. Eine freudige Erregung durchzuckte sein Gemüt: wird er doch Weib, Kinder und Mutter sehen!

Der Transport von Prag nach Pilsen dauerte einige Tage. Es war ein trauriger, peinlicher Weg, musste er doch bei düsterem umwölkten Himmel während der ersten regnerischen und windigen Novembertage auf einem elenden Wagen in Ketten angetreten werden. Doch nach einer Woche seiner Kerkerhaft im Pilsner Rathause ging unverhofft sein sehnlichster Wunsch in Erfüllung. In den ersten Nachmittagsstunden öffnete sich zu einer ungewohnten Zeit die Kerkertür und es traten – heilige Jungfrau Maria! – Hančí mit Hanálka und die Mutter mit dem kleinen Paul ein – –

Im düsteren Gewölbe ertönten Aufschreie von Leid und Freude, Weinen und Schluchzen, einzelne Worte und ein unterbrochenes Gespräch: wie konnten sie nur die Gefühle zum Ausdrucke bringen, die sich im stürmisch erregten Busen rasch ablösten! Mutter und Weib lagen weinend an der Brust des stattlichen Choden. Er umarmte, drückte sie an seine Brust, und schon beugte er sich wieder zu den Kindern, die ihn nicht mehr kannten. Verwundert und bestürzt blickten sie den blassen Mann im schäbigen Scherkenrock an, der sie mit dem Geklirre seiner Fussketten schreckte. Eines nach dem anderen hob die Mutter zum Vater empor, die bebende tränenerstickte Stimme erklärte ihnen, dies sei der Vater, ihr Vater – – Und er drückte sie an sich und küsste sie. – –

Aus dem finsteren Hintergrunde trat jemand hervor, den die Eintretenden vergessen und den Kozina im Freudentaumel übersehen hatte: Řehůřek Jiskra. Er trat näher und reichte dem Häftling gerührt die Hand. Und als dieser des alten, treuen Genossen ansichtig wurde, füllten sich seine Augen wiederum mit Tränen.

Mit beiden Kindern auf den Knien liess er sich auf der ärmlichen Bettstätte nieder. Sie gewöhnen sich bereits an ihn, sie fürchten ihn nicht mehr und es scheint, dass sich der kleine Paul bereits des Vaters erinnere. Er streichelt sie, fragt sie aus, wendet sich von neuem Hančí, der Mutter zu. Die junge Bäuerin beruhigte sich auf eine Weile. Die Fusskette klirrte jetzt, da der Mann sass, nicht, und bei ihm, der seine Kinder an sich schmiegte, vergass sie den Kerker und alles. Doch sofort empfand sie wieder einen Stich im Herzen; ein schrecklicher Gedanke weckte von neuem den betäubten Schmerz und machte ihr Herz erbeben. Hančí brach in Wehklagen aus und zu ihren Tränen gesellte sich das Weinen und Klagen der alten Mutter.

Der seitwärts in einer Ecke stehende Kerkermeister erinnert daran, dass es Zeit sei, den Gefangenen zu verlassen, dass die Stunde, die ihnen zum Besuche gewährt wurde, bereits verflossen sei. Alle staunen. Kaum hatten sie sich wiedergesehen, kaum einige Worte gewechselt und schon trennt man sie wieder! Und sie wollten sich doch so viel sagen! Die Weiber hatten kaum flüchtig erwähnt, wie es daheim zugehe, welche Qualen sie gelitten, seit sie erfuhren, was mit ihm geschehen sei, und wie sie vergeblich bei Lomikar für ihn um Gnade gefleht hätten, er erwähnte kaum mit einigen Worten seiner Gefühle beim Tode des alten Onkels Jiskra hatte, vom Freunde über den unglückseligen Aufstand befragt, nur ganz kurz ihm mitteilen können, wie traurig das Ende der Revolte und jenes des Matthias Přibek war, und schon sollten sie sich wieder trennen.

Ihr einziger Trost war, dass ihnen bewilligt wurde, sich morgen wieder einzufinden. – Der Gefangene war wieder allein. Jetzt erst, als ihm die Teuersten nicht mehr an der Seite standen, als er seine lieben Kinder, an denen er sich früher nicht satt sehen konnte, nicht mehr auf den Knien wiegte, als ihn wieder das öde Dunkel des düsteren Kerkers umgab, ergriff ihn ein Schrecken, und er fühlte, wie schrecklich das sei, was da seiner harrte.

Tags darauf sah Kozina seine Lieben wieder – und wieder entschwand ihnen, ehe sie es ahnten, die bewilligte Zeit. Sodann verabschiedete er sich von ihnen und segnete sie, weil sie fort mussten; die Herren wollten es so haben. Es war Hoffnung vorhanden, dass sie sich noch einmal wiedersehen werden. Nämlich am Tage – –

So flog ein Tag nach dem anderen traurig dahin und schon brach der unglückselige achtundzwanzigste November heran.

Kozina wurde daran am lebhaftesten erinnert, als seinen Kerker der Geistliche betrat, um ihn auf den weiten Weg vorzubereiten. Er empfing ihn ehrfurchtsvoll und seine Worte flössten dem andächtigen Choden viel Trost ein.

Er hörte ihm aufmerksam zu und willfahrte ihm in allem, als aber der Priester auf die Obrigkeit zu sprechen kam, schüttelte er unwillkürlich das Haupt und runzelte die Stirne.

»Hochwürden! Wer ist der Schuldige: derjenige, der seine Rechte verteidigt, oder jener, der Hunderte von Menschen bestiehlt, martert und sie zu Sklaven macht, der den Weibern den Mann und den Kindern den Vater mordet?«

Als der Priester die felsenfeste Überzeugung des Gefangenen sah, sprach er ihm nicht mehr zu und entgegnete nur:

»Überlasse das alles, lieber Sohn, unserem Herrgott; er ist der beste und gerechteste Richter.«

»Richtig, Gott wird auch dieses entscheiden« war die feste Antwort des finster blickenden Choden.


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