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XXV

An einem hellen, warmen Nachmittag im Monate März führte ein Gefangenwärter Christoph Hrubý aus dem Kerker in den Hofraum des Gefängnisses. Kozinas alter Onkel war sehr schwach und nützte nicht einmal den ihm gewährten Spaziergang aus, sondern liess sich sofort auf eine roh gezimmerte Bank nieder, die im vollen Sonnenscheine, stand. Der Erbrichter von Trasinau war stark herabgekommen. Seit jenem Verhöre beim Appellationsgerichte, bei dem er sich so unwohl fühlte, fand er keine Erleichterung mehr. Der Kerker schlug ihm nicht an, und die vom Chodengau eingetroffenen Neuigkeiten sowie die Sorge, wie es wohl daheim, woher er seitdem keine Nachricht hatte, gehe, trugen das Übrige bei. Jetzt streckte er die Füsse in die Sonne, bedeckte die Knie mit den Händen und blickte zum klaren, hellen Himmel, den er solange nicht sehen durfte. Nach einer Weile schlug er aber die müden, geschwächten Augen nieder und sein weisshaariger Kopf sank ebenfalls. Regungslos sass er in Gedanken versunken da und nur, wenn ihn der Husten plagte, bewegte er sich zeitweise ein wenig. Später hob er den sorgenschweren Kopf. Er hatte nämlich auf der Erde einen vor ihm still stehenden Schatten wahrgenommen.

»Nun, wie geht es, Alter?« fragte den Hrubý ein ernster Herr in kastanienbraunem Rocke, schwarzen Beinkleidern und schwarzen Strümpfen, der in der Rechten einen ungekrümmten Stock mit Silberbeschlag hielt.

»Es ist eben schlecht genug, gnädiger Herr,« antwortete der alte Chode, dem vor ihm stehenden Arzte das Haupt zuwendend. »Die Füsse vermag ich kaum zu schleppen. Mit den Kräften ist es aus. Früher konnte ich wenigstens schlafen, doch jetzt –. Und dieses Reissen in den Gliedern; das greift mich auch stark an.«

»Geduld, Alter, ich gebe dir ein Pulver.«

»Ach, gnädiger Herr, für mich gibt's keine Apotheke mehr. Dieser Frühling rafft mich weg – und es wird besser sein –«

»Nun, Alter, dass du dich doch so nach dem Tode sehnst. Die Welt wird man nie überdrüssig.«

»Nun das ist begreiflich, gnädiger Herr, wenn der Mensch gesund ist – unsereiner aber –«

»Fürchte nichts, du wirst es ja aushalten.«

»Das glaube ich nicht, gnädiger Herr, – doch fiele es schon mit mir wie immer aus – wenn man uns nur unsere Rechte geben würde. Die geben sie uns aber nicht – und hier liegt es, gnädiger Herr –« Der Greis machte eine müde Handbewegung und schon drohte ihn der Husten zu ersticken. Mitleidsvoll betrachtete ihn der Doktor. Als Hrubý sodann zu husten aufgehört, richtete er seine Blicke auf den Arzt und sprach:

»Und, gnädiger Herr, wenn sie schon so gütig sind, wie ist es mit unserem Burschen, mit dem Kozina?«

»Der? Der verharrt dabei, was er gesagt. Man sieht, dass ihr verwandtes Blut habt. Ihr lieben Narren, die ihr seid, wo denkt ihr denn hin? Warum fügt ihr euch nicht?«

Hrubý schüttelte das weisshaarige Haupt.

»Nein, nein, Herr Doktor – schade um jedes Wort – und ist er gesund, ist er nicht krank?«

»Kozina? Nein,« antwortete der Arzt, durch die Unbeugsamkeit des Choden gereizt, etwas schärfer und wollte sich entfernen.

»Noch eine Bitte, gnädiger Herr!« hielt ihn Hrubý zurück. »In welcher Richtung liegt unsere Stadt Taus?«

Verwundert sah der Doktor den Greis an. »Warum willst du es wissen?«

»Nur so, um den Himmel zu sehen, der dort bei uns, über unserer Heimat –«

Der Doktor sah nach der Sonne, deutete dann mit der Hand und sagte:

»Da, in dieser Richtung liegt Taus mit eurer Unglücksgegend, du Dickschädel –«

Seine Stimme klang aber nicht mehr so rauh und beim Abgange wandte er sich noch einmal nach dem alten Choden um. Dieser hatte die Blicke gegen jene Richtung gewendet, wo die Berge des Böhmerwaldes zum Himmel ragten und wo seine unglückliche Heimat, deretwegen er so viel litt und an die er fortwährend dachte, lag.

Kaum hatte der Doktor das Neustädter Rathaus verlassen, als er dem Appellations-Rat Paroubek begegnete, der ihn mit der Frage, wo er war, anhielt.

Der Doktor beantwortete die Frage und erwähnte auch, dass er sich bei dem alten Choden aufgehalten hatte.

Der Rat Paroubek blinzelte mit seinem ein wenig schielenden Auge und sprach: »Wissen sie, was unser Rat Knecht über ihn und seinen Neffen gesagt hat? ›Ein echter böhmischer Dickschädel‹ – dabei sah er aber mich an,« und Paroubek verzog das Gesicht so, dass alle Runzeln beim linken schielenden Auge zusammenliefen. »Sie sind es aber auch« – fuhr er fort; »bevor sie das, was sie in Bezug auf ihre Rechte behaupten, widerrufen würden, lassen sie sich lieber von Pferden vierteln. Kozina sagte unlängst, warum man ihn zwinge zu widerrufen, wenn ihre Rechte nicht mehr Geltung haben? Er spreche nach Gewissen und Überzeugung und anders könne er nicht handeln.«

»Und ihr habt sie noch ziemlich sanft behandelt,« meinte der Doktor.

»Haha, sie haben wohl den Galgen und das Rad erwartet! Vergessen sie aber nicht, dass die armen Schlucker verführt wurden. Ihr hochgeborener Advokat ist ein hochgeborener Charlatan, ein Schwindler. Wie viel Geld er ihnen entlockt hat, auf Pferde, Equipage und alles mögliche! Welch' Wunder, dass sie das, was einst gewesen, nicht vergessen können. Was für Privilegien haben sie doch gehabt! Übrigens wird jetzt Ruhe sein. Bis auf die zwei – haben alle die Leibeigenschaft angelobt –«

»Nun, und in einem Jahre wird Kozina auch weicher werden. Der alte wird es kaum aushalten –«

»Hm, ich weiss nicht – und selbst wenn –«

»Wie so?«

»So. Dem Lamminger hat unser Urteil keine besondere Freude gemacht. Wie ich höre, will er die Berufung einbringen. Er will die ganze Angelegenheit vom Appellationsgerichte zum Kriminalgerichte bringen.«

»Und wird er es durchsetzen?«

»Hm, es ist ja eben ein Lamminger. Mit den Choden stand es ja ursprünglich in Wien ganz hübsch und dieser Prokurator Straus brachte den Prozess in das richtige Geleise. Und Lamminger hat doch alles oberst zu unterst gekehrt. Er hat viele Freunde und dann weiss er, dass man oben Bauernprozesse und Rebellionen nicht gerne sieht.«

»Und sollte es zum Kriminalgerichte kommen?« fiel ihm der Doktor in das Wort.

»Dann wird es als Rebellion aufgefasst und –«

»Dann wird Paragraph über Paragraph gefunden, bis dabei der Galgen herauskommt,« ergänzte der Doktor.

»Ganz richtig, just so, wie wenn ihr eine Tinktur nach der anderen zur Anwendung bringt, bis ihr den Patienten ins Jenseits expediert habt. Ist das eine Gelehrsamkeit, diese Doktorenweisheit, nicht wahr?« – –

 

Manka wirtschaftete noch immer allein. Dem Namen nach war allerdings der alte Přibek, ihr Grossvater, da, aber der kümmerte sich blutwenig um die Wirtschaft. Für ein Weib, und ein so junges Weib, gab es der Sorgen viel zu viel. Und auch sonst fand das wackere Mädchen keine Erleichterung. Der Bräutigam weilte noch immer in der Verbannung in Baiern.

Er sehnte sich schon nach der Heimat und sendete jede Weile einen Boten zu den Eltern, ob er wohl doch schon heimkehren könne? Sein alter Vater liess ihm aber immer wieder sagen, er möge sich lieber noch gedulden, es sei nicht geheuer und die Herren spähen immer noch nach ihm. So verbrachte der junge Chode unfreie und trübe Tage im Dienste auf einem einsamen deutschen Bauernhofe nahe an der Grenze.

Während dieser Zeit, es war fast ein Jahr vergangen, hatte er zweimal sich und seiner Braut eine Freude bereitet. Er war heimlich durch die Wälder nach Böhmen gekommen und wagte sich in der Nacht bis nach Aujezdl vor, worauf er wieder nachts heimlich verschwand. Das letztemal, es war zu Ostern, beteuerte er schon, er könne es in Baiern nicht mehr aushalten, lasse sich lieber auf ein Jahr einsperren und werde lieber in Eisen auf die Robot gehen, als dass er noch länger unter fremden Leuten in der Fremde bleiben würde.

Manka tröstete, besänftigte und bat ihn, er möge sich doch besinnen, bis er ihr schliesslich selbst noch einige Zeit abzuwarten versprach. Sie war aber trotzdem unbefriedigt, denn sie fürchtete, ihr Geliebter werde dem Heimweh doch nicht widerstehen können. – So gerne sie ihn aber auch schon zu Hause und als ihren Mann gesehen hätte, so wies sie dennoch den Rat einer alten Nachbarin, sie möge, bis die Herrschaft ankommen werde, nach Chodenschloss gehen, um dort Gnade für ihren Bräutigam zu erflehen, zurück.

»Der Vater würde sich im Grabe umdrehen – nein, das tue ich nie.«

Hančí erkundigte sich dagegen unaufhörlich, ob die Herrschaft schon da sei. Kaum war der Frühling da, brach die junge Bäuerin nach Prag auf, um ihren Jan und den alten Onkel im Gefängnis aufzusuchen. Rasch eilte sie dahin voll Freude und wieder vor dem Augenblicke zurückschreckend, in dem sie ihren Mann wiedersehen sollte. Sie erinnerte sich freilich, dass man Jiskra im Herbste den Zutritt zu Jan verwehrt hat.

Der Dudelsackpfeifer war aber doch ein fremder Mann, sie dagegen ist das Weib und die Mutter der Kinder des Häftlings. Es wird wohl niemand so starrsinnig und herzlos sein, um sie von seiner Tür fortzujagen. Und doch war dem so. Sie richtete eben so viel als Jiskra Řehůřek aus. Vergebens flehte sie, vergebens weinte sie und bot umsonst alles Geld, das sie bei sich hatte, den Gefangenaufsehern an. Sie liessen sie nicht vor und sie erlangte nur das, dass man Jan wenigstens sagte, dass sie da war.

Kozina, an die strenge Behandlung, die ihm zu teil wurde, schon gewohnt, wollte dessen ungeachtet nicht glauben, dass man ihm selbst den Augenblick einer kurzen Rücksprache mit seinem Weibe nicht vergönnen könnte. So nahe war sie ihm! Tiefe Beklemmung bemächtigte sich seiner, aber sofort brauste er in Zorn auf: im Geiste begleitete er die arme, von der Kerkerschwelle sich entfernende und unverrichteter Dinge heimkehrende Hančí. Er sah nicht, wie sie niedergeschlagen war, wie sie fast auf dem ganzen Heimweg weinte und wie sie aufs neue in Tränen ausbrach, als ihr die Kinder mit der Grossmutter entgegenkamen, um die Mutter zu begrüssen und zu hören, was ihnen der Vater sagen lässt.

Darum erkundigte sie sich jetzt, als der Mai schon gekommen war und im Tale und auf den Abhängen alles grün ward und prächtig blühte, ob die Herrschaft bereits angekommen sei. In den vorigen Jahren pflegten die Herrschaften um diese Zeit schon auf der Chodenschlosser Burg zu weilen, heuer hatten sie sich aus irgend einem Grunde verspätet. Vielleicht traut Lomikar dem Volke, das man so gedemütigt, noch nicht, vielleicht fürchtet er, dass ein neuer Sturm bei seiner Ankunft losbrechen könnte – so erwogen die Männer hie und da. Doch niemand gereute es, dass er nicht kam. Hančí allein hätte es gerne gehört, dass die Herrschaft angekommen sei. Sie hatte im Geiste beschlossen, doch vertraute sie dies niemandem an, in das Schloss zur hochgeborenen Frau zu gehen und dort für Jan zu bitten, um seine endliche Entlassung zu erwirken. Sie hatte zur Freifrau Vertrauen, denn sie vernahm, sie sei nicht so hartherzig wie der Herr; und dann glaubte sie an ihr Gefühl – war ja doch die hochgeborene Frau auch selbst Weib und Mutter. Und sollte sie auch seine Entlassung nicht beschleunigen, so hoffte sie doch mit Bestimmtheit, dass sie sich den Einlass in das Gefängnis erwirken werde. Sie war entschlossen, sofort wieder den Weg nach Prag anzutreten und den kleinen Paul mit zu nehmen, um dem Manne eine freudige Überraschung zu bereiten.

Doch der Frühling war schon vergangen, und auch die Erntezeit war vorüber, doch die Herrschaft kam nicht nach Chodenschloss. Hančí dachte auch nicht mehr an sie, denn nach ihrer Berechnung wird bald ein Jahr seit Jans Verurteilung verflossen sein, und er wird daher bald zurückkehren. Ihre Beklommenheit wich, das Antlitz der jungen Hausfrau heiterte sich auf und sie besprach jetzt mit Jiskra und Dorla nichts anderes als Jans Rückkehr. Und als sich dieselben entfernten, erzählte sie wieder dem kleinen Paul und der Hanálka vom Vater, er werde jetzt schon bald von Prag heimkehren, sie erzählte ihnen von ihm Sonntag, wenn sie mit ihnen allein war, und zu jeder freien Zeit, namentlich wenn sie sie zu Bette brachte und sie ermahnte, für ihn zu beten.

Die herbeigesehnte Zeit kam endlich heran. Täglich, stündlich erwartete sie ihn voll Ungeduld und Aufregung mit Bestimmtheit und oft ging sie ihm allein oder mit den Kindern entgegen. Unterdessen kam der Herbst und es war schon mehr als ein Jahr, seit Jan das Haus verlassen, und mehr als ein Jahr, seit er verurteilt war. Da begann ihre feste beglückende Hoffnung zu schwanken und die frühere Angst und Beklemmung bemächtigten sich des Herzens, welches die Hoffnung neu zu beleben begann. – – Es war ein unfreundlicher Herbstabend, als sie aus der Stadt in ihr Heimatsdorf heimkehrte. Sie war in einer Wirtschaftsangelegenheit mit der geheimen Hoffnung auf eine mögliche Zusammenkunft mit Jan ausgegangen.

Als sie nun jetzt allein rückkehrte, und die Trauer sich so auf ihre Seele gesenkt hatte, wie die düstere Dämmerung dieses Herbstabendes auf die ganze Umgebung, bemerkte sie knapp am Ortseingange einen Haufen von Menschen, die einer Nachricht lauschten.

»Dem Lomikar genügt es nicht – das Gefängnis ist ihm zu wenig!« liess sich eine Stimme aus der Menge vernehmen. »Es wird eine neue Gerichtsverhandlung stattfinden. Habt ihr's schon gehört? Nach Klenč kamen Leute vom Schloss und nahmen bereits Čtverák und Syka mit – sie sollen nach Pilsen abgeführt werden.«

Hančí erblasste und ihr Herz stand plötzlich stille. Man sprach zwar nicht von ihrem Manne, die vernommene Nachricht erschreckte und bestürzte sie aber doch!

Als am nächsten Tage eingehendere, gleichzeitig eingelaufene Nachrichten bekannt wurden, erfuhr man, dass plötzlich nicht nur Syka und Čtverák, sondern auch der Putzerieder Pajdar, der alte Šerlovský, Peč aus Meigelshof und Němec aus Medaken, sowie alle, die in den Wiener Deputationen und in Prag waren, ausgehoben und gefesselt nach Wien abgeführt wurden. Die händeringende Hančí wusste nun, warum ihr Mann, trotzdem er die ihm zuerkannte Strafe bereits abgebüsst, nicht heimkehrte, und als der ganz bestürzte Jiskra Řehůřek ängstlich die Stube betrat, rief sie ihm, ganz ausser sich, zu:

»Jiskra, er wird nicht mehr wiederkommen!« –


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