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Alles stand wieder in prachtvoller Blüte und das dicht wogende Getreide auf den Feldern wurde reif für die Sense. Zu dieser Zeit kam, das erste mal nach jenen unglückseligen Begebenheiten, die Herrschaft nach Chodenschloss. Freifrau Lamminger von Albenreuth fuhr auch diesmal noch mit Widerwillen. Ihr Gatte wollte schon im Vorjahre hieher kommen, damals besiegte sie aber seinen Willen. Heuer war sie es nicht mehr im stande.
»Fürchten sie nichts, meine Liebe,« sprach er ruhig und kalt. »Das sind nicht mehr die früheren Choden. Sehen sie, wie ich sie zahm gemacht habe. Wie die Schafe sind sie.«
Die Freifrau glaubte dies ihrem Gatten auf das Wort, das war es aber eben, was sie verdross.
Diese traurige Todesstille im herrlichen Böhmerwaldgau schreckte sie ebenso, wie die Überzeugung, dass ihr Herr die Geduldsaite dieses Volkes allzustraff spanne. Aus diesem Grunde fuhr sie nach ihrer Ankunft auf dem weissen Schloss, das man jetzt wegen der dichten Bäume, die es umgaben, kaum sah, sehr selten aus und verbrachte fast ihre ganze Zeit im schattigen Garten. Sie verweilte hier kaum einige Tage und schon war ihr bange. Früher, als sie die Töchter mit hatte, war es ihr doch fröhlicher zu Mute. Jetzt vermählte sich auch ihre zweite Tochter und begab sich im Frühjahr auf die Güter ihres Gatten, des Grafen von Vrtba und Freudenthal.
Sie vergönnte es ihr. Sie erinnerte sich sehr oft, wie es dem jungen lustigen Mädchen hier auf der einsamen Burg immer bange war. Jetzt würde sie sich erst recht von hier wegsehnen!
An einem Sonntagsnachmittage las Frau von Albenreuth im Schlossgarten unter der zugestutzten Krone einer Hagenbuche einen Brief. Er traf vormittags ein; sie hatte ihn seit der Zeit schon einigemal durchgeblickt. Mit Spannung folgte sie einer Zeile nach der anderen und wie sie ihn früh in freudiger Ungeduld durchflog, so prüfte sie jetzt achtsam jedes Wort auf seine Bedeutung hin. Das ernste Antlitz der Edelfrau erhellte ein stiller Freudenstrahl. Bevor sie aber zu Ende gelesen, hielt sie plötzlich inne, und, den Brief in der Hand, wendete sie sich der Seite zu, von der sie Schritte vernahm.
Sie erwartete den Gatten; statt dessen trat aus einem Gässchen zwischen den zugestutzten Büschen der alte Peter, der Kammerdiener des Herrn hervor.
»Ah, du bist es Peter!« sprach ihn die Dame freundlich an. »Was macht der Herr?«
»Er arbeitet noch.«
»Ist etwas geschehen?«
»Nichts, Euer Gnaden, das Tor ist geschlossen, und, sonderbar, eine Bäuerin kam doch hinein. Sie musste den Augenblick abgewartet haben, als die kleine Pforte geöffnet wurde.
»Und was wollte sie?«
»Sie frug nach Euer Gnaden. Man jagte sie fort. Ich gehe jetzt nachsehen, ob auch die Gartenpforte –«
Er hatte nicht ausgesprochen und fuhr zusammen. Die Schritte, die sich hinter den Arkaden auf dem mit feinem Sand bestreuten Pfade vernehmen liessen, hatten den alten Helden aufgeschreckt. Frau Lamminger wendete sich ebenfalls dahin. Das ist gewiss diese Bäuerin. In einem Trauerrocke Derselbe pflegt von dunkelblauer Farbe zu sein. mit einer schneeweissen Schürze bekleidet, das Haupt kunstvoll mit einem gestickten, kreideweissen Kopftuche umwunden, näherte sie sich zaghaften Schrittes. Sie hatte zwei festtäglich gekleidete Kinder mit sorgfältig zugekämmten Haaren, einen Knaben und ein Mädchen, mit.
Neugierig betrachtete die Edelfrau die junge, hübsche Bäuerin. Es fiel ihr aber sofort auf, dass die Angekommene blass und abgehärmt ist. Als Peter die Fassung wieder gewonnen, wollte er der Bäuerin sofort entgegengehen und sie fortführen, unterliess es aber auf den Wink seiner Gebieterin. Als die Bäuerin eine schön und reichgekleidete Dame sah, fuhr sie zusammen. Sie beugte sich jedoch sofort zu den Kindern und lispelte ihnen etwas zu; der Knabe fing zu laufen an und, ehe man sich dessen versah, küsste er der Edeldame die Hand. Das Schwesterchen, ein etwa vierjähriges Mädchen mit schönem goldigem Haar, blieb aber, kaum dass sie einige Schritte zur Dame gewagt hatte, rot wie Klatschmohn, stehen. Der alte Peter betrachtete den mutigen Knaben und sein verschämtes hübsches Schwesterlein, an dem die Edelfrau offenbar Wohlgefallen fand, vergnügten Blickes.
»Wer und woher bist du?« frug die Edelfrau. »Aus Aujezdl, die Kozina.« Ein Schatten überzog die weisse Stirne der hochgeborenen Frau. Der alte Peter fuhr zusammen.
»Was willst du?«
Der jungen Bäuerin brachen die Tränen aus den Augen; unfähig zu sprechen, fiel sie auf die Kniee.
»Gnade, hochgeborene Frau,« presste sie heraus, »Gnade!«
»Stehe auf und sprich, was du willst.« »Ihr werdet es wohl, hochgeborene Frau, wissen. Das zweite Jahr ist mein Mann schon im Kerker. Er ist am ärgsten daran und hat am wenigsten verbrochen. Immer beschwichtigte er die Männer und suchte sie an der Ausführung ihrer Pläne zu hindern und bat sie, sie mögen diesen Aufruhr lassen. Und bei dieser Rebellion war er auch nicht, da war er schon eingesperrt. Hochgeborene Frau, möchten Sie doch bei ihrem Herrn für ihn Fürsprache einlegen, dass man ihn doch schon freilasse. Wir sind schon so lange allein, alles geht bei uns zu Grunde, und er, der Arme! Und diese Kinder, hochgeborene Frau! Ihr wisst ja selber, was die Kinder sind! Und wenn der Bauer etwas angestellt hat, so sind wir ja alle dafür auf Wasser und Brot gesetzt, und er ist bereits genug gestraft. Um des lieben Gottes willen: Erbarmen, hochgeborene Frau –«
Die Edelfrau unterbrach die arme Bittstellerin nicht. Ihre Worte und ihre Tränen rührten sie; aber noch mehr rührte sie und machte ihr Herz erbeben, als ihr in diesem Augenblicke die Worte einfielen, die sie gestern von ihrem Gatten vernahm, als man über den Chodenprozess sprach: der Aujezdler Kozina werde wahrscheinlich zum Tode verurteilt werden. Es war ein Wunder, dass sich ihr Blick nicht trübte, denn er ruhte lange auf dem hübschen, pausbäckigen Knäblein und seinem goldhaarigen Schwesterchen, zwei unschuldigen Kindern, die ihr und ihrer Eltern Unglück nicht fassend, voll Verwunderung und Angst zugleich, von der weinenden Mutter zu der edlen, schön gekleideten Frau blickten.
»Weine nicht, du Ärmste!« sprach die Edelfrau die Bäuerin an. »Mir ist leid um dich, gerne möchte ich dir helfen und ich würde es dir und den Kindern wünschen, dass ihr nicht ohne den Vater seid, aber ich kann nichts machen –«
»Aber Euer hochgeborener Herr –«
»Du irrst, er sitzt nicht über deinen Mann zu Gerichte, sondern das Gericht zu Prag, von dem hängt alles ab. Ich werde sehen, was sich machen lässt –«
Sie schrak zusammen, beendete den Satz nicht, nahe Schritte machten sie stutzig. Auch Peter erschrak und wich unwillkürlich gegen die Büsche zurück. Er ahnte es ja eben so wie die Frau, wer sich da nähere. Und Lamminger stand auch schon hier. Seine kalten, durchdringenden Blicke betrachteten die Gruppe, die er nicht zu sehen erwartet hatte. Hanči, die den Worten seiner Frau lauschte, hatte ihn nicht wahrgenommen.
»Wer hat sie eingelassen?« Er fragte, ohne die Bäuerin eines Blickes zu würdigen, ruhig, eisig, aber gleichzeitig rügend. Hanči gab es einen Stich, als sie ihn sah und hörte. Zu dieser hohen Frau hatte sie Vertrauen, vor der fühlte sie keine Angst, aber vor diesem da! Das ist er, Lamminger! Als wenn ein Lerchenfalke erschienen wäre. Die Kehle zog sich ihr zusammen und unwillkürlich drückte sie die sich wie ein scheues Hühnchen in ihre Rockfalten duckende, kleine Hanálka fest an sich.
»Hochgeborener Herr!« brachte sie mit zitternder Stimme hervor.
»Was willst du?« fragte Lamminger.
»Es ist die Kozina,« sprach seine Gattin, beide ängstlich betrachtend.
»So? Und was will sie?« fragte er gleichgültig.
Hanči antwortete statt der Edelfrau:
»Gnade, hochgeborener Herr! Mein Jan ist schon so lange im Arreste.«
»Hat er dich bitten geschickt?«
»Ach, ich konnte, hochgeborener Herr, mit ihm nicht sprechen. Ich suchte ihn auf, aber man liess mich nicht zu ihm.«
»Und hätten sie dich auch vorgelassen, er hätte dich kaum hergeschickt. Übrigens hast du zu Hause bleiben können. Ich urteile nicht über ihn, sondern das Gericht in Prag. »Gnädiger Herr, wenn Sie wollten, Sie vermögen ja alles. Auf ihr Wort ist das geschehen, auf ihr Wort wird er wieder freigelassen. Gnädiger Herr, um Gottes willen und dieser Kinder wegen!«
»An die hätte er denken sollen, bevor er daran ging, die Obrigkeit zu stürzen,« antwortete Lamminger in eisigem Tone. Eine peinliche Stille trat für einen Augenblick ein. Diese harten Worte benahmen Hančí die weitere Sprache; Frau Lamminger schauderte.
»Und wann wird, gnädiger Herr, Jan frei?« fragte Hančí, die um eine Gnade weiter nicht zu bitten wagte, mit stiller betrübter Stimme.
Ein sonderbares Lächeln glitt über Lammingers Lippen. Bevor er diese Frage beantwortete, sagte seine Gattin rasch mit bewegter, bebender Stimme französisch zu ihm:
»Um Gottes willen, sagen sie ihr nichts, ich würde dies nicht ertragen – verschonen sie mich!« Voll Erregung hing sie an den Lippen ihres Gatten, was sie wohl vorbringen werden.
»Ich bin kein Richter, ich weiss nichts – höchstens das, dass das Urteil sehr bald, schon in den nächsten Tagen kund gemacht wird. Damit du aber nicht eine Enttäuschung erfährst, sage ich dir, dass es ziemlich streng lauten wird. Gegen die Obrigkeit zu rebellieren, das geht nicht nur so an. Es bedarf eines Beispieles, dass es auf ewige Zeiten niemandem mehr einfalle, die Obrigkeit stürzen zu wollen. Und namentlich bei deinem Manne ist Strenge am Platze. Der hat alle entflammt. Lassen wir ihn heute laufen, so wird er morgen alle rebellisch machen. Da würde er erst Reden halten. Weil er gefährlich ist, muss er büssen. Geh' mit Gott!«
Diese harten, herzlosen Worte, die mit der harten deutschen Aussprache vorgebracht wurden, schmetterten die junge Bäuerin nieder. Sie wagte keine Silbe mehr zu sagen, wagte auch nicht mehr zu ihm aufzublicken. Sie erhob sich und nahm die erschrockenen Kinder bei der Hand. Wie sie sich umkehrte, begegneten ihre Augen dem mitleidsvollen Blick der Freifrau.
Hančí machte kaum einen Schritt und brach in heftiges Weinen aus.
So ging sie heim. Lamminger, der sich nach ihr gar nicht umsah, heftete seinen kalten Blick auf seine Gattin und sprach:
»Bitte mich künftighin mit solchen Audienzen zu verschonen!«
Er ging auf einem zweiten Steg fort und verschwand bald zwischen den Bäumen und Gesträuchen. Seine noch ganz aufgeregte und sprachlose Frau blickte ihm mit ihren vor Erregung glänzenden Augen nach und ihre empörte Seele rief:
»Tyrann du!«
Der ganze Himmel war mit Wolken überzogen. Ihr Schatten ruhte auf der stille Befeuchtung erwartenden Gebirgsgegend. Es war eben wieder Sonntag Nachmittags und eine Woche nach jenem, an welchem Hančí Kozina bei der Herrschaft um Gnade gebeten hat. In Aujezdl herrschte tiefe Stille. Sie würde auch ohne das herannahende Gewitter herrschen. Alles war schweigsam, bestürzt. Man erwartete hier, wie überall im Chodengaue, in banger Spannung die Entscheidung sowohl bezüglich jener, die aufs neue eingesperrt wurden, als auch jener, die schon so lange im Kerker sassen, nämlich Kozina und Čtverák. Wie über die zwei entschieden werden soll, wusste und ahnte man nirgends. Wer könnte auch eine so strenge Strafe ahnen?
Nur vom alten Hrubý verbreitete sich überall rasch die Nachricht, er habe todeskrank nach Hause geschrieben und sei sodann in die Ewigkeit eingegangen. Man sprach eben auch bei Kozinas von ihm.
Im Hofe unter der Linde sass Hančí mit der Schwiegermutter, Řehůřek Jiskra und einem Gast. Es war des verstorbenen Hrubý ältester Sohn, der zu den Verwandten auf Besuch kam und ihnen anzeigte, dass er nach Prag gehen werde, um zu erfahren, wie dies alles mit dem Vater zugegangen sei, gleichzeitig werde er bestrebt sein, zu Jan, zu Kozina, zu gelangen. Hančí flössten diese Worte wieder Leben ein. Sie konnte sich seit jenem Besuche im Schloss nicht aufraffen. Der Gedanke, dass ihr Mann zu einer schweren Strafe verurteilt werden soll und viele Jahre im Kerker wird zubringen müssen, drückte sie ganz nieder und sie liess sich von niemandem trösten, auch von Jiskra nicht, der da meinte, Lomikar habe nur so gedroht, um sich auch an dem Weibe Jans zu rächen. Der sonst so lustige, aber jetzt ernste Dudelsackpfeifer begründete seine Behauptung damit, dass eine derartige Verurteilung ja ganz unmöglich sei, da ja doch Jan weder eine Čakane noch eine Büchse in die Hand nahm.
Welch' eine Freude hatte damals Hančí und allen dieser Gruss bereitet, den Jan im Briefe des verstorbenen Hrubý übermittelte! Jetzt freute sie sich im Geiste, dass der junge Hrubý vielleicht auch welche Nachrichten überbringen werde und, sollte man ihn zu Jan in den Kerker lassen, werde sie den Weg nach Prag von neuem antreten; so nahm sie sich es im Geiste vor.
Ein dumpfes Getöse entstand und alle dachten, es wäre Donnergerolle. Aber es war kein Gewitterdonner, sondern Trommelwirbel.
Jiskra erhob sich und wollte rasch zum Tor; durch dasselbe kam aber schon der kleine Paul gerannt und flog pfeilschnell direkt zur Linde. Er meldete, dass im Dorfe die Trommel gerührt werde und dass dort Reiter seien.
Alle eilten hinaus. Ihr erster Gedanke war, es sei Militär hier. So glaubten auch alle jene, die aus den Gebäuden, aus den Gärten, dem Schatten der Bäume oder vom Rasen, wo sie Erholung suchten, auf den Dorfplatz liefen.
Sie sahen kein Militär, sondern nur zwei Reiter und Bekannte. Es war der Schreiber aus der Chodenschlosser Burg und ein unermüdlich trommelnder Musketier, der die ganze Welt herbeirufen wollte. Es gelang ihm, das ganze Dorf zusammenzutrommeln. Beide Reiter waren in einer Weile von jungen und alten Leuten umringt. War ja doch alles voll Neugierde, was die Herrschaftsboten auf diese so aussergewöhnliche Weise kundmachen werden.
Die Trommel verstummte, der Musketier steckte die Trommelschlägel ein. Der Schreiber holte unter dem Rocke ein Papier hervor, entfaltete es und begann zu lesen:
»Auf Befehl Sr. kais. Gnaden ordnen die königlichen Hauptleute des Pilsner Kreises an, es möge, so wie in der Hauptstadt Prag und in der königlichen Stadt Pilsen und allen Kreisstädten des Königreiches Böhmen, das Urteil des obersten Kriminal- und Halsgerichtes, wie es Sr. kais. Gnaden zu bestätigen geruhten, publiziert werden und das schon genannte Urteil über die unfolgsamen und rebellierenden Choden auch in allen Chodendörfern auf den Herrschaften Sr. Excell. des hochgeborenen Herrn Maxmilian Lamminger von Albenreuth besonders kundgemacht und öffentlich gelesen werden, wie es hiemit geschieht.«
Das Stimmengewirre, das man noch vernahm, als schon der Schreiber zu lesen begonnen hatte, legte sich bald; als der Schreiber den Gegenstand seiner Kundmachung bekannt gab, hörte man höchstens einen Ruf der Überraschung und Bestürzung. Sofort trat rundumher tiefe Stille ein. Aller Augen waren erwartungsvoll auf die Lippen des Vorlesers geheftet. Der alte, weisshaarige Přibek drängte sich fast bis zum Pferde des Schreibers vor und hörte gesenkten Hauptes zu. Manka stand in einiger Entfernung, brannte vor Begierde und zitterte vor Angst über das ihrem Bräutigam geltende Urteil.
Unter den ersten in der Menge war Řehůřek Jiskra, neben dem Hančí stand; sie wurde immer bleicher und zitterte. Alles um sie, die Kinder, den Gast, hatte sie in banger Erwartung der verhängnisvollen Nachricht vergessen. Die alte Kozina stand etwas weiter und hielt den kleinen Paul an der Hand. Ihr runzeliges, in letzter Zeit gelbliches Gesicht wurde in diesem Augenblicke fahl. Die Augen der Greisin glühten vor Erregung.
Mit gehobener Stimme las der Schreiber das umfangreiche Urteil, in dem hie und da auch die Gründe angeführt und die sichergestellten Vergehen angegeben wurden. Er machte kund, das Halsgericht habe erkannt, die drei Haupträdelsführer und gefährlichsten Anstifter der Rebellion und zwar: Čtverák aus Klenč, Hrubý aus Trasinau und Jan Sladký aus Aujezdl seien zum Tode verurteilt, nichts desto weniger geruhe Sr. Majestät in seiner Clementia und Gnade zu bestimmen, dass nur einer von ihnen hingerichtet werde; das Gericht habe nun, da genannter Christoph Hrubý mit natürlichem Tode abging, entschieden, es solle Jan Sladký aus Aujezdl, genannt Kozina, gehängt werden. Das löbliche Kriminal- und Halsgericht entschied so aus dem Grunde, weil genannter Sladký oder Kozina ein sehr beredter und darum gefährlicher Bauer, sowie von allen der unbeugsamste sei, da er nicht um Pardon bitten wollte.
Hančí hörte diese schreckliche Motivierung nicht mehr. Bei der Erwähnung der Todesstrafe begann sie wie Espenlaub zu zittern, als wäre sie von Schüttelfrost ergriffen, und ehe noch der Vorleser das Urteil über ihren Mann zu Ende gelesen, brach sie mit einem Schrei, wie von einem Sensenhiebe gefällt, zusammen.
Dieser Unfall unterbrach die weitere Urteilsverlesung. Alles drängte sich an die unglückliche Kozina heran. Die Weiber begannen zu wehklagen und zu jammern und in diese Klagetöne mengte sich das Geschrei des kleinen Paul und der Hanálka, die sich zu ihrer bewusstlos auf der Erde liegenden Mutter durchdrängten. Jiskra Řehůřek nahm unter Mithilfe einer Nachbarin Hančí unter den Armen und trug die Unglückliche in das nächste Gebäude, um sie wieder zum Bewusstsein zu bringen. Matten, unsicheren Schrittes wankte ihnen die alte Kozina nach. Ein grauer Nebelschleier hatte ihre Augen verhüllt. Brust und Kehle waren so krampfhaft beengt, dass sie sich weder durch einen Aufschrei noch durch Klage Erleichterung verschaffen konnte. Der unerwartete furchtbare Donnerschlag hatte sie betäubt.
Der Urteilsverkünder setzte nach einer Weile die Verlesung seines schrecklichen Verzeichnisses fort. Er begann nun mit Čtverák aus Klenč, der auf diese Weise dem Tode entrann und zu zehn Jahren in der Festung Komorn verurteilt wurde. Der abwesende Brychta bekam zwei Jahre Zwangsarbeit in Raab, Syka und der junge Šerlovský ein Jahr schweren Kerkers, die übrigen, die vom Kriminal- und Halsgerichte zu einigen Monaten schweren Kerkers verurteilt wurden – und es war ihrer eine stattliche Reihe – wurden dagegen durch kaiserliche Entscheidung begnadigt. Lamminger war von der Einschüchterung und Bezähmung der Choden so fest überzeugt, dass er mit diesem schrecklichen Urteile den Schreiber ohne jede Bedeckung mit einem einzigen Musketier entsendete. Und siehe da – es erhob sich in der das Urteil anhörenden Menge keine einzige Faust, und die herrschaftlichen Verkünder konnten eben so ungeschoren, als sie gekommen, wieder abziehen. Nirgends ein Hindernis, nirgends ein Unfall. Einzelne blickten den Boten lautlos und bestürzt nach, andere fanden erst jetzt die Sprache wieder und suchten durch laute Klagen ihren betäubten Geist wieder zu wecken. Die meisten eilten aber jenem Gebäude zu, in das man die Kozina getragen hatte.
Alle Frauenzimmer brachen über ihr in Tränen aus; auch die Männer betrachteten ergriffen und teilnahmsvoll das junge, aus der Ohnmacht zur grässlichen Wirklichkeit erwachende Weib. Andere kamen nicht einmal bis in die Stube, sondern blieben gleich in der Vorhalle, wo die alte Kozina auf der Stiege zusammengebrochen war. Sie starrte vor sich zu Boden, sah nichts und hörte nichts, was um sie vorging. Mit verweinten Augen kehrte Manka Přibek aus dem Hause heim und sah sich noch einigemal nach dem traurigen Zuge um. Zwei Bäuerinnen führten die junge Kozina und ihre Mutter auf das Bauerngut; neben ihnen trug Jiskra Řehůřek die Hanálka und führte den weinenden kleinen Paul an der Hand.
Was bedeutet das ihrem Bräutigame zuerkannte Jahr gegen das, was Kozina beschieden ist!
Um diese Zeit fing es allmählich zu regnen an, im Garten schüttelte der Wind plötzlich die Bäume und der vorhin ferne Donner rollte nun über dem Dorfe. Die soeben in die Stube heimkehrende Manka sah sich sofort nach dem Grossvater um. Er war weder hier, noch im Hofe, noch beim Nachbarn. Sie erkundigte sich nach ihm im Hoftürl und erfuhr hier, dass er in der Richtung gegen Chodenschloss fortgegangen sei.
Was könnte er jetzt dort suchen? Er verlässt ja kaum das Gebäude, um zum nächsten Nachbarn zu gehen. Und nach Chodenschloss sollte er? Zu wem? Eilig folgte sie dem Grossvater. Sie kam nicht weit. Auf der Anhöhe, von der aus man Chodenschloss sehen konnte, stand der alte Přibek vorgebeugt, im weissen Scherkenrock und stützte sich auf die Čakane. Der Wind brauste durch die den Pfad neben ihm begrenzenden Gesträuche und spielte mit dem langen, weissen Haare des Greises. Er achtete darauf aber eben so wenig, wie auf die Regentropfen und das Donnergerolle. So oft jedoch der Blitz mit seinem blassroten Strahl des Sturmes Dämmerung durchzuckte, machte der Greis eine Bewegung, als wollte er der Richtung des Blitzes folgen.
»Was macht ihr da?« rief Manka.
Der Greis blickte sie an und zeigte sodann mit seiner dürren, sehnigen Hand in der Richtung gegen Chodenschloss.
»Ich warte, bis der Blitz als Gottes Sendbote dort hineinfährt. Diesen Schurken von Chodenschloss kann der Donner nicht verschonen –«
»Aber Grossväterchen!«
»Vielleicht gibt es noch, Mädel, einen Herrgott, es wird vielleicht auch noch eine Gerechtigkeit im Himmel geben, wenn es schon hier auf Erden keine gibt!«
Manka graute es fast. Sie wusste es ja, was auf seinem Geiste so lastete, was ihn quälte und sein Inneres empörte. Möge er nur bei Sinnen bleiben! Sie blieb ihm an der Seite. Der Sturm brauste über ihre Köpfe dahin, Blitz auf Blitz durchzuckte die finstere Luft, doch keiner fuhr in den, dort unten am Rande der einst freien und den Choden gehörigen Forste gelegenen, weissen Herrensitz!