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XVIII

Wie vergönnte es Hančí der Dorla, dass ihr Mann heimgekehrt ist! Sie hatte sie ja vorher klagen gehört und bedauerte sie vom Herzen. Und nun traf sie selbst plötzlich und unverhofft ein ähnliches Leid. Kozina soll verreisen. O, dieser unglückselige Prozess!

Er bereitet sich vor und macht für seine Abreise Vorkehrungen, er bestimmt und ordnet an, was und wie alles in der Wirtschaft zu geschehen habe. Und die Alte – seine Mutter tut, als schickte er sich an, einen Besuch zu machen. Sie tröstet sie noch, es sei dies eine Ehre für ihn, er werde in einigen Tagen, in einer oder zwei Wochen zurückkehren, und dies werde schon die letzte Reise sein.

Die letzte Reise! Oh, gäbe es doch Gott!

Jiskra hatte gute und richtige Nachrichten gebracht. Knapp nach seiner Ankunft erfolgte durch das Kreisamt in Pilsen die Verständigung von Wien, die Beschwerden der Choden seien dem Appellationsgerichte abgetreten worden. Gleichzeitig ist auch angeordnet worden, dass die Choden ausser der bereits abgesandten Deputation sieben geeignete und wohlverhaltene Vertrauensmänner zum Gerichte nach Prag behufs endgültiger Entscheidung dieser Streitsache zu entsenden haben.

»Warum musste doch auch Kozina dazu gewählt werden?« klagte Hančí im Geiste. »Warum hat er die Wahl nur angenommen!«

Und wie bereitwillig er dies tat! Nach Wien hat er nicht gehen wollen, nach Prag gehe er aber gerne, dort brauche man nicht deutsch zu kennen, dort könne man sprechen, sich verteidigen und etwas erzielen. Jiskras Nachricht und die amtliche Mitteilung erfüllten ihn mit Freude, ihn ebenso wie alle seine Landsleute im Chodengau, wo nun jeder leicht glauben mochte, dass das, was ihnen auf der Chodenschlosser Burg mitgeteilt wurde, falsch, verabredet war und dass Kozina recht gehabt hatte, als er dem Kreishauptmanne widersprach. Dort war schon angeblich alles zu Ende und man drohte noch obendrein mit Strafen! Darum hatten die Herren eine solche Eile und deswegen verlangten sie von ihnen, sie mögen gleich den Untertaneneid und die Angelobung der Leibeigenschaft leisten. Jetzt geht alles wieder an das Appellationsgericht! Was sagt wohl Lomikar dazu? Er dürfte sich kaum darüber freuen, dass es ihm so schlecht gelungen ist, den Bauern beizukommen. Nun, jetzt soll der Streit schon endgültig entschieden werden. Diese Boten werden, so Gott will, aus Prag eine andere Entscheidung heimbringen. Überall freute man sich auf ihre Reise und mit Vertrauen sah man dem Ergebnisse derselben entgegen.

Kozina blieb ruhig, er war im Geiste erfreut und voll guter Hoffnungen. Nur am Tage vor der Abreise bemächtigte sich seiner eine Unruhe. Vormittags war er noch beim alten Onkel in Trasinau, der sein Reisegefährte sein sollte. Den Nachmittag verbrachte er zu Hause. Hančí bereitete ihm, stumm und traurig, alles zur Reise vor. Nichts, nicht einmal der Striezel wollte ihr gelingen, oft vergass sie etwas oder irrte sich. Gegen abend machte Kozina noch einen Sprung zu Syka und begab sich mit demselben zu Matthias Přibek.

Sie trafen ihn gerade, als er auf seinem Baumstamme sitzend, das Abendbrot verzehrte. Die Nachbarn rückten mit den Stühlen zu ihm und der bedächtige Syka lenkte das Gespräch auf die bevorstehende Reise nach Prag. Diesmal dürfte die Geschichte anders ausgehen, meinte er.

»Ungefähr so, wie sie in Wien ausgegangen ist,« fiel ihm Přibek in das Wort. Er sprach scharf und nicht ohne einen spöttischen Anflug. »Es wäre damals auch anders ausgefallen, aber diese Raufereien und der Umzug während der letzten Faschingstage – «

»So?« meinte Přibek. »Diesmal haben wir euch gehorcht und waren mäuschenstille, wir haben uns gar nicht gerührt. Nun, wir werden ja sehen –«

»Ja eben deswegen kommen wir zu dir mit der Bitte, ihr möget diese Zeit noch schweigen, ausharren und abwarten,« sprach Kozina. »Verspreche uns dies, Matthias!«

»Hm, zu mir kommt ihr – ich bin also derjenige – nun, ich rühre mich nicht, wenn man mich in Ruhe lässt. Ich bin neugierig, was ihr ausrichten werdet. Das sage ich euch aber, sollten die Herren anfangen – prügeln lass' ich mich nicht! Sonst, wie gesagt, hier meine Hand. Wir wollen abwarten, was ihr uns heimbringt. Viel Glück!« Er reichte den Männern die Hand.

»Přibek ist ein Mann, der sein Wort hält,« sprach Kozina, als er mit Syka aus des Matthias Hofe ging. »Jetzt bin ich zufrieden!«

Abends verblieb er bei seinen Lieben, mit Weib und Kindern. Auch die alte Mutter kam zu ihnen und verweilte dort lange.

Hančí konnte hierauf lange nicht einschlafen und betete ununterbrochen. Das Erwachen war auch nicht lieblich. Kaum schlug sie die Augen auf, erinnerte sie sich, dass der Mann abreisen werde. Es war ihr bange. Nur auf eine Woche, auf vierzehn Tage entfernt er sich – es kann ihm nichts geschehen – und doch! Als sie aufstand, war er schon auf und irgendwo draussen. Er durchschritt den Stall, blieb eine Weile bei den Pferden, besichtigte alles noch einmal und ging sodann hinter den Bauerngrund in den Garten.

Es war ein früher Julimorgen.

Im Tau erglänzten Gras und Blüten, in der frischen Luft ertönte Vogelgesang. Unwillkürlich stand der junge Bauer stille und betrachtete den heimischen Gebirgsgau. Links am Hügel Dubová horka schimmerten in der Morgenröte die Wipfel des Eichenwaldes, hier gerade im Vordergrunde blaute der grosse, dunkle Ermaut-Wald, dort war Zelenov, vor ihm Havlovic und knapp am Walde Hammer, hinter dem Ermaut nahm man die bläulichen Bergrücken des schlank gestreckten Osek wahr und rundherum mit weiten freien Wäldern reich bestandene Hügel, Anhöhen und Berge – einst Eigentum der Choden.

Die Blicke des Grundherrn schweiften rund umher, bis sie zuletzt am wogenden Getreidemeere hinter dem Bauerngrunde ruhen blieben und ein Seufzer sich der entschlossenen Brust entrang. Als Kozina ernst und in Gedanken versunken in sein Heim zurückkam, war bereits die Mutter dort und die Kinder waren auch schon wach. In diesem Augenblicke fühlte er erst die Wucht der Trennung. Im selben Momente vergass er den grossen Kampf, den Zweck seiner Reise – nur bei den Kindern war sein Herz. Er ermahnte Pavlík, er möge brav sein, streichelte Hanálkas goldiges Haar und beantwortete lächelnd ihre kindlichen Fragen in Bezug auf die Reise und Prag, von dem sie letzter Zeit so viel gehört hatte.

Reisefertig trat Syka ein.

Da gab es keinen Ausweg. Hančí ging und holte dem Manne seinen besten Rock, den er anlegte. Sollte er ja doch vor den Herren erscheinen. Es war dies der lange Hochzeitsrock, aus dessen einem Knopfloche eine lange, schöne Schleife von hochroter Farbe hing, ein liebes Andenken an die Hochzeit und ein Geschenk Hančís aus der Zeit, als sie noch Braut war. Diese Schleife trägt der verheiratete Mann auch nach der Hochzeit fortwährend, »solange er noch ein Stück Rock hat«.

Schon erhoben sie sich vom Tische, als der weisshaarige Onkel von Trasinau reisebereit hereintrat. Er kam her, um sich zu verabschieden.

»Ich bin ein alter Mensch, und wer weiss, was geschieht. Ich wollte dich, Schwester, dich, Hančí, und deine Kinder noch einmal sehen. Gott behüte euch hier!«

Hančí brach in Tränen aus. Die alte Kozina reichte dem Bruder stumm die Hand, ihren trüben Blick auf sein Antlitz heftend. Ihre Lippen und ihr Kinn bebten. Als jedoch ihr Sohn zu ihr trat und ihr »Lebewohl« sagte, stürzten Tränen aus ihren Augen. Sie besprengte ihn mit Weihwasser und segnete ihn mit dem Kreuze. Hančí benetzte ihn mit ihren Tränen. Er tröstete sie, dass er ja nicht für immer scheide; als er sich aber zu den Kindern niederbeugte und sie das letztemal küsste, verstummte er vor innerer Erregung.

Als die Männer im Fortgehen begriffen waren, kam auch Jískra Řehuřek herbeigeeilt, um sich von seinem treuen Genossen und nun auch Taufpaten seines kleinen Georg zu verabschieden. Er geleitete mit den Frauenzimmern und den Kindern Jan aus dem Bauernhofe, wo schon der Wagen bereit stand. Hier warteten auch die Nachbarn, um ihren Verteidigern die Hand zu reichen und sie auf den Weg zu segnen.

Der Wagen fuhr aus. Kozina blickte sich fortwährend um, auch dann noch, als er sein weinendes Weib und die Kinder nicht mehr sah, er blickte düster zurück, solange er nur sein liebes Aujezdl sah. Traten sie ja doch einen ernsten Weg an, der über alles entscheiden wird. Erst in Taus, wo auf sie schon die übrigen erwählten Vertrauensmänner, Georg Peč aus Meigelshof, Němec aus Medaken, der heftige Brychta aus Possigkau und der lustige Adam Ecl-Ctverák aus Klenč warteten, wurden sie gesprächiger. Alle sieben besetzten den Wagen und traten ohne Aufenthalt den Weg nach Prag an. Ein Stück hinter der Stadt holte sie ein herrschaftlicher Kammerwagen, in den vier Rappen mit schönem reichen Riemenzeug gespannt waren, ein. Diesem Wagen folgte ein zweiter mit dem Herrschaftsgesinde. Vier Diener ritten hinten nach. Als die Wagen in die Nähe kamen, erhob sich Kozina, um nachzusehen, wer in dem Wagen fahre. Im selben Momente wurde der Vorhang des ersten Wagens gelüftet und in dem Fenster wurde ein Kopf mit einer Allongeperücke und einem sommersprossigen Gesichte sichtbar.

Das Auge des jungen Bauers begegnete dem kalten und doch stechenden Blick Lammingers. Kozina hielt dem Blicke stand. Der Kopf des Herrn verschwand. Der Vorhang wurde aber nochmals bei Seite geschoben und die Choden sahen im Wagenfenster das schöne Gesichtchen seiner jüngeren Tochter.

»Nun, ob er denn auch genug Gold mitführt,« bemerkte Peč aus Weigelshof.

»Möchte er doch lieber unterwegs das Genick brechen!« meinte Brychta und blickte mit seinen funkelnden dunkeln Augen, düster wie alle, den Herrschaftswagen nach, welche ebenfalls in der Richtung nach Prag entschwanden.

Mit der einzigen Ausnahme des »Prokurators« Syka war noch keiner von den entsendeten Choden in Prag gewesen; sie staunten darum nicht wenig, als sie in der königlichen Stadt anlangten. Was war denn ihre Stadt (Taus) im Vergleiche mit dieser Unzahl von Häusern und Gassen! Was waren die grössten Volksversammlungen ihrer Gebirgsgegend an Feiertagen und an Kirchweihfesten gegen dieses stete Fluten von Passanten selbst an Wochentagen! Am wenigsten gab sich diesen Eindrücken Kozina hin. Er wunderte sich, staunte, er hatte aber keine Ruhe und nichts vermochte seine Aufmerksamkeit auf lange zu fesseln. Er hatte ja nur jene Angelegenheit vor Augen, deretwegen sie hergekommen waren, vor allem aber die Landsleute, die zweite Deputation nämlich, die sie mit Jiskra heimlich nach Wien gesendet hatten und die von Wien nach Prag abgegangen war, um gemeinsam mit ihnen vor dem Appellationsgerichte zu erscheinen. Bald trafen sie mit ihr zusammen. Von der ersten Deputation, die alsbald nach jener verhängnisvollen Kundmachung des Kreishauptmannes im Burghofe zu Chodenschloss zurückgekehrt war, war bloss Pajdar aus Putzeried dabei. Dieser und zwei seiner Genossen erzählten, was sie in Wien ausgerichtet haben und wie es ihnen ausser dem Appellationsgericht noch gelungen sei, einen ausgezeichneten Advokaten, einen Edelmann, Herrn Tunkl von Brnicko, zu gewinnen. Dieser habe so gesprochen und so gedacht wie sie. Er selbst und sein Geschlecht hätten während des dreissigjährigen Krieges viel Schaden erlitten, da ihnen die Regierung den ganzen Grundbesitz konfisziert habe, so dass ihm ausser dem Wappen gar nichts übrig geblieben sei. Über die Choden und ihre Vergangenheit sei er gut unterrichtet gewesen und auch ein lateinisches Buch habe er ihnen gezeigt, wo man von ihnen berichtete, wie sie die Grenze begingen und welche Rechte sie besassen. Als sie ihm alles, auch von den geretteten Privilegien, erzählt hatten und ihn befragten, ob nicht alles schon verjährt sei, habe Herr Tunkl gelacht und versichert, dass solche Rechte nie verjähren.

»Möge er nur nicht wie jener Straus in Wien sein!« meinte Hrubý.

»Nun, diesmal kann er uns nicht mehr so viel schaden. Wir stehen ja schon mit einem Fusse vor dem Gerichte und müssen uns selbst verteidigen,« sagte Kozina. »Und das Recht ist auf unserer Seite,« fügte er in der unerschütterlichen Überzeugung von der Ehrlichkeit und Richtigkeit seines Prozesses, in dessen Ausgang er volles Vertrauen hatte, bei.

Ungeduldig erwarteten sie den Herrn Tunkl, einen herabgekommenen adeligen Advokaten, der nach der getroffenen Vereinbarung jede Weile kommen musste. Sie hätten sich vor ihrem Erscheinen beim Gerichte gerne mit ihm über das weitere Vorgehen beraten – ehe aber Herr Tunkl eintraf, mussten sie schon zum Appellationsgerichte.

Zeitlich früh gingen sie insgesamt auf den Hradcin. Als sie nun da, voll Verwunderung um sich blickend, die Burghöfe des königlichen Schlosses durchschritten, stand plötzlich der weisshaarige Christoph Hrubý stille, deutete mit der Čakane um sich und sagte: »Hier waren unsere Herren – unsere Könige, und niemand anderer hatte uns zu befehlen. Dies war unsere einzige Obrigkeit.«

»Und eine andere Obrigkeit als dieser Chodenschlosser Schinder,« setzte der Possigkauer Brychta hinzu. Sie gingen zur hl. Messe in den St. Veitsdom und warteten sodann vor dem gegenüberstehenden Gebäude, wo das Appellationsgericht tagte. Nêmec aus Medaken und der Meigelshofer Pec sprachen nicht ein Wort; Prag, die königliche Burg und alles rundherum wirkte berauschend auf sie. Kozina war durch die gespannte Erwartung der bevorstehenden Dinge ganz aufgeregt. Er sprach wenig, leuchtenden Blickes, aber unstät betrachtete er alles um sich und wartete ungeduldig auf die Ankunft der Richter. Brychta bohrte die Eisenspitze seiner Čakane in die Spalten zwischen den Pflastersteinen, Ecl machte halblaut eine scherzhafte Bemerkung über ihn, da jedoch niemand lachte, hörte er mit seinen Spässen auf. Er war ohnehin nicht dazu aufgelegt. Am ruhigsten waren der alte Hrubý und der langhaarige »Pokurator« Syka, die ein ernstes Gespräch führten.

Weile um Weile verstrich. Es erschienen verschiedene Leute, Soldaten, Diener, goldbetresste Lakaien kamen und gingen oder erschienen in einer Tür, um in der anderen zu verschwinden. Es gingen einige Herren in schwarzen steifschössigen Röcken, schwarzen Strümpfen und Schuhen mit grossen Schnallen an ihnen vorbei.

»Das sind sie,« meinten die Choden, unverwandt die ernsten, gestrengen Gesichter der Männer, die sie für Beisitzende des Appellationsgerichtes hielten, betrachtend. Dann fuhren lärmend einige Wagen vor. Diener sassen auf dem Kutschbocke und standen hinten am Trittbrett. Alle Umstehenden verbeugten sich tief vor den dem Wagen entsteigenden, namentlich vor einem, von dem »Prokurator« Syka erfuhr, dass es der Vorsitzende des Appellationsgerichtshofes, Graf von Sternberg, sei. –

Erst nach einer hübschen Weile kam ein Diener, um die Choden über eine breite Stiege in eine lichte und einfache, nur dürftig möblierte Stube einzuführen.

Hier sassen sie, und zwar nur sie allein, auf Holzstühlen und warteten eine Weile, bis sich die in das Nebengemach führende Tür öffnete. Es erschien in der Tür ein hoher hagerer Mann im roten Rocke und rief laut und klar:

»Georg Pec, Erbrichter aus Meigelshof, trete ein!«

Alle fuhren zusammen, alle waren überrascht. Sie erwarteten, man werde sie alle gemeinschaftlich rufen.

»Ei!« rief Syka halblaut Kozina zu. »Was soll das wieder bedeuten?«

Als er sich umsah, erblickte er eine Gerichtsperson, die zu ihnen still eingetreten war und nun stumm mit finsterem Gesichte unter ihnen stand. Der ist sicherlich nur deswegen da, um sie zu belauschen und zu beobachten! Nach Pec, der bald rückkehrte, wurde Nêmec aus Medaken vorgerufen.

»Was hat man von dir gewollt?« fragte Brychta den Meigelshofer Erbrichter. »Ich wurde über die Raufereien und die letzten Faschingstage einvernommen –«

»Genug!« liess sich eine tiefe, dumpfe Stimme hören. Alle wendeten sich dem roten Manne zu, der, den Zeigefinger seiner Rechten emporgestreckt, alle strenge anblickte. Nach Nêmec kam Jakob Brychta an die Reihe, nach Brychta Ctverák aus Klenc, sodann der alte Christoph Hrubý und nach ihm wurde sein Neffe vorgerufen.

Rasch erhob sich Kozina und eiligen Schrittes, als könnte er es nicht erwarten, begab er sich in den Gerichtssaal. Seine Wangen glühten vor Erregung. Kaum hatte er die Schwelle überschritten, stutzte er wegen des sich ihm darbietenden ungewöhnlichen Anblickes. Der Gerichtshof sass ihm gegenüber. Er sah hier schwarz gekleidete Herren in grossen Allonge-Perücken, deren Locken ihnen bis auf den Rücken und die Schultern herabhingen. In der Mitte sass, auf einer erhöhten Stelle, der Appellations-Präsident, Wenzel Adalbert Graf von Sternberg, ein älterer Herr mit scharfen Gesichtszügen, ihm zur Rechten auf der Herrenbank: Max Norbert Graf Kolovrat-Krakovský, ein Mann mit edlem Gesichtsausdrucke, Ferdinand Oktavian Graf von Vrbna und der unlängst zum Richter ernannte Johann Wenzel Graf Vratislav von Mitrovic. Dem Präsidenten zur Linken auf der Ritterbahk: Daniel Mirabel von Freyhof und Franz Nikolaus Asterle Ritter von Astfeld. Mehr unten auf der Doktorenbank sassen Johann Christian Paroubek, Gabriel Marius, Johann Michael Knecht und Peter Birelly, Doktoren der Rechte. In ihrer Nähe sass in einer mächtigen Perücke mit einem Federkiel in der Hand und Brillen auf der Nase Kaspar Johann Kupec, der böhmische Sekretär. Sie sassen hinter dunklen mit grünem Tuche überzogenen Tischen, auf denen es eine Menge von Tintenfässern, Kielfedern, Papier und Büchern gab. Alle richteten ihre Blicke auf den jungen stattlichen Choden, der so sicher eintrat. Besonders ein Herr, der sicherlich kein Richter war, denn er stand seitwärts, betrachtete ihn sorgfältig. Kozina bemerkte ihn auch, ohne zu ahnen, dass es der Vertreter seines Feindes, Lammingers Prokurator, sei. Das Verhör begann.

Die Herren hörten zu, Kozina und den Präsidenten beachtend. Einige liessen jedoch die Köpfe hängen, als beachteten sie all' dies nicht – und einer der Beisitzer auf der Bank der Doktoren, Johann Christian Paroubek, der etwas schielte, spielte mit der langen Kanzleischere, ihre Schärfe mit dem Daumen prüfend, wobei er auch seinen breiten Mund ein wenig verzog.

Der junge Bauer war gleich nach den ersten Fragen überrascht, nicht nur darum, dass man ihn über diese Sachen befragte, aber auch durch die Gründlichkeit, mit der man darüber unterrichtet war. Er wurde über alle Ausschreitungen, die im Chodengau vorgekommen waren, und die er selbst, doch vergebens, zu verhüten trachtete, über die Raufereien mit den Hegern und Förstern, über die Streitigkeiten mit dem herrschaftlichen Musketier und anderes befragt. Kozina antwortete, dass er nicht Zeuge dieser Vorfälle war und bemerkte, dass solche Sachen auf allen Herrschaften vorzukommen pflegen, und dass, wenn jede Obrigkeit deswegen in Prag die Klage einbringen wollte, Ihre Gnaden, die Herren Richter, ununterbrochene Sitzungen abhalten müssten.

Lammingers Prokurator zuckte zusammen, der protokollführende Sekretär Kupec wandte sich Kozina zu und der die Schneide der Schere prüfende Doktor der Rechte Johann Paroubek verzog seinen Mund so gegen das linke Ohr, dass ihm dorten alle Runzeln zusammenliefen.

Kozina fuhr aber in seiner Aussage fort. Er klärte die Handlungsweise seiner Landsleute auf. Sie seien von ihrem Rechte überzeugt, sie hätten in Erfahrung gebracht, wie günstig ihre Abgesandten in Wien aufgenommen wurden und Prokurator Štraus habe sie alle in seinen Briefen des Sieges versichert. Als er dies sprach, erhob Graf Kolovrat seinen etwas vorgeneigten Kopf und sah seinen Nachbarn, den Grafen Vratislav, an. Dieser nickte, wie zum Beweis, dass er ihn verstanden habe, einigemale mit dem Kopfe.

Der Präsident erteilte jedoch Kozina eine strenge Rüge und fügte hinzu, dass nach allem, was bisher sichergestellt wurde, die Choden sich ihrer Obrigkeit gegenüber wie Rebellen benommen haben, und insbesondere er, Kozina, möge bedenken, was hier auf dem Spiele stehe. Er habe es mehr als andere nötig, demütig aufzutreten, da er sich Gröberes als andere zu Schulden kommen liess. Und nun folgte eine Frage der anderen: Wie sei es mit der alten Grenzlinde und dem Kampfe unter ihr gewesen, warum er den Besitz der in seinem Bauerngrunde verborgen gehaltenen Privilegien in Abrede gestellt habe. Er soll widerspenstige Reden gehalten und durch dieselben andere zum Widerstande aufgewiegelt haben, auch hätte er einen hervorragenden Anteil an diesem Faschingsmaskenzuge, der der Obrigkeit zum Spotte veranstaltet wurde, gehabt.

Zorn erfasste den jungen Choden. Zu allen Drangsalierungen also auch das noch, nachdem man sie beraubt, verklagt man sie noch! Dies alles hat Lamminger und noch dazu wie verdreht und entstellt angezeigt! Für alles Unrecht, das er ihm und allen angetan, will er sie noch strafen lassen! Auch vor Lügen schreckt er nicht zurück!

Vor den Herren wusste sich jedoch Kozina noch zu bemeistern. Seine Stimme zitterte aber vor innerer Erregung, als er zu seiner eigenen und seiner Landsleute Verteidigung das Wort ergriff. Er leugnete in Bezug auf die alte Linde nicht eine Silbe ab, berief sich auf seine Familienrechte und auf die von den Königen erlassenen alten Privilegien, die zu verteidigen jedem Choden die Pflicht gebietet.

»Unsere Altvordern waren frei, und wir wollen die Freiheit ebenfalls, wie uns dieselbe die Majestätsbriefe verbürgen. Um nichts und wieder nichts hat man aus uns Leibeigene gemacht. Hochgeborene Herren! Wie würde Euer Gnaden zu Mute sein, wenn man aus Dero Gnaden plötzlich mir nichts dir nichts Bauern machen würde.«« –

Jetzt wandten sich bereits alle nach dem jungen Choden um. Einige verfinsterten das Gesicht, andere staunten und Doktor Paroubek, der auf einen Moment die Schere in Ruhe liess, verzog das Gesicht und warf auf den kühnen Verteidiger der Chodenrechte einen schielenden Seitenblick.

Die im Vorzimmer Wartenden wunderten sich, dass man Kozina so lange verhört. Als er endlich zurückkam, war sein Antlitz gerötet, seine Augen flammten und feine Schweisstropfen glänzten auf seiner Stirne. Er nahm neben Syka Platz und machte eine heftige Handbewegung. Er sprach kein Wort, man sah ihm aber seine hochgradige Erregung an. Gleich nach ihm wurde Syka, sodann Pajdar aus Putzeried und die wenigen übrigen vorgerufen. Mit Ausnahme Sykas verweilte jedoch keiner so lange dort wie Kozina.

Alle atmeten erleichtert auf, als endlich wieder jener Mann im roten Rocke erschien und ihnen mitteilte, dass sie sich entfernen können. Als sie draussen auf dem Burghofe anlangten, hatte die Sonne bereits den Zenith überschritten. Bestürzt schlugen die Choden den Weg vom Hradcin hinab in die Stadt ein.

Syka war der erste, der die Situation beleuchtete.

»Um die Majestätsbriefe zu verteidigen, sind wir hergekommen, und jetzt sollen wir uns selbst verantworten. Dieser Lomikar hat die Sache hübsch einzufädeln gewusst und hat uns hier fein dargestellt!«

»Ich erwähnte unserer Majestätsbriefe,« sprach der alte Hruby. »Aber sie taten, als hörten sie nicht! Alles drehte sich stets nur um die letzten Faschingstage –«

»Und um Gottes willen habe ich euch gebeten,« sagte Kozina vorwurfsvoll und richtete seine düsteren Blicke auf Brychta und Ctverák. Brychta verwünschte den Lamminger.

»Und immer wieder erkundigten sie sich über dieses Schreiben von Just und Straus!« berichtete Nemec aus Medaken. Es stellte sich heraus, dass ein jeder von ihnen darüber befragt wurde.

Wenig erfreut, kehrten sie in ihr Gasthaus zurück. Die grösste Bestürzung sah man Syka und Kozina an.

In der Hradciner »Gerichts-Stube« machten die Herren Richter Anstalten zum Fortgehen. Der Doktor der Rechte Peter Birelly hatte bereits die Bank verlassen und bemerkte seinem Kollegen Michael Knecht gegenüber, es gebe gewiss im ganzen Königreiche Böhmen keine solchen Bauern mehr, wie diese Choden.

»Und so einen Redner, wie dieser Kozina, gibt es ebenfalls nicht,« fügte Doktor Paroubek bei, indem er sich den beiden zugesellte. »Das wäre ein Gerichtsredner! Habet ihr seine Apostrophe beachtet?« und grinsend schielte er nach der Bank der Herren und Ritter hinüber, wo sich die adeligen Beisitzenden um den Präsidenten, Grafen von Sternberg, gruppierten. Die Gruppe der Adeligen sprach ebenfalls von den Choden.

»Arme Schlucker!« meinte Graf Vratislav.

»Sie sind betrogen worden. – Dieser Wiener Prokurator ist ein Spitzbube,« meinte Graf Kolovrat. »Das Blaue vom Himmel hat er ihnen versprochen. Kein Wunder, dass sie dann so felsenfest von ihrem Rechte überzeugt waren.«

»Wie ich bereits erwähnte: wir werden den Kreishauptmann ersuchen, er möge uns die Štraus'schen Briefe verschaffen,« sprach der Präsident.

»Einer von ihnen hat sich auch auf ihren neuen Advokaten berufen, der von ihrem Rechte ebenfalls überzeugt sein soll,« bemerkte mit einem Lächeln Herr Asterle von Astfeld.

»Mit Verlaub,« und Doktor Paroubek wendete sich dabei an die Adeligen. »Ich kenne ihn sehr gut. Es ist Blasius Tunkl von Brničko –« Doktor Paroubek lächelte.

»Ah! – der Herr Tunkl!« rief Graf Vratislav. »Also auch solche Prozesse übernimmt er schon!«

»Und was denn erst, wie er sie führt! Armer Chodenbeutel!« Es war Doktor Paroubek, der diesen Ausdruck des Bedauerns fallen liess. Er blinzelte dabei so sonderbar mit den Augen, dass keiner von den gestrengen Herren in den ernsten Allonge-Perücken sich des Lachens zu erwehren vermochte.


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