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XI

Um diese Zeit weilte der Dudelsackpfeifer Řehůřek Jiskra mit seinem blinden Vater allein zu Hause auf ihrer Einschichte. Der Greis sass am Herde und der Sohn ging, wie es schien, ungeduldig in der Stube auf und ab. Jede Weile richtete er das brennende Kienholz im schwarzen Holzleuchter, obzwar es gar nicht notwendig war. Die Art und Weise, wie er die Kohle abputzte und den Kienspan vorschob, verriet ebenfalls, dass er an etwas ganz anderes denke. Kaum hatte er die Flamme geregelt, ging er wieder auf und ab, blieb sodann wiederholt am Fenster stehen und blickte in die Finsternis hinaus, wo der Wind im Schneegestöber heulte, die tiefen Seufzer des nahen Waldes auf seinen Schwingen tragend.

Plötzlich fuhr der Alte am Herde zusammen und sprach:

»Es ist jemand da –«

Auch Jiskra hatte ein Pochen an die Tür vernommen. Sofort war er hinaus geeilt und frug im Vorhause, wer da sei?

»Ich, Němec, aus Medaken.«

Ein noch ziemlich junger Chode von nicht allzugrosser Statur mit munteren, schelmischen Augen trat in die Stube und frug sofort heiter:

»Bist du allein, Dudelsackpfeifer?«

»Allein, Schulze, mein Weib treibt sich irgendwo herum –«

»An deiner Statt? –«

»Nun, sie soll's nur verkosten, wie es schmeckt. Sie wirft mir's ja ohnehin fortwährend vor,« setzte er mit schelmischem Lächeln hinzu.

»Sie versteht sich also aufs Pfeifen?« scherzte der Erbrichter.

»Pfeifen? Das trifft sie wohl, aber meine Mutter pflegte zu sagen, ein vernünftiger Mann brauche nicht zu tanzen, wenn ihm das Weib etwas vorpfeift!«

»Haha – nun da geht's bei dir lustig zu! Warum hast du geheiratet?«

»Das haben unsere Leute gemacht.«

Der Bauer lachte von neuem und fragte:

»Wer denn?«

»Unser Vater.«

»Ha, du Bursche,« liess sich jetzt der blinde Vater vom Herde vernehmen, »reisst du schon wieder schlechte Witze?«

»Nun, das schadet ja nicht« – meinte der Erbrichter.

»Und warum sollten wir nicht lustig sein?« setzte der Pfeifer hinzu. »Das Lachen ist doch das beste Gewürz. Lomikar lacht ja zu Chodenschloss auch. Es ist ja auch lächerlich, um welchen Spottpreis er uns gekauft hat!«

»Und den Rest hat er gestohlen,« ergänzte der Schulze.

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als schon wieder jemand an die Türe klopfte. Und wieder erkundigte sich der Dudelsackpfeifer, wer draussen sei, bevor er öffnete.

»Psůtka,« antwortete eine klangvolle Stimme und gleich darauf brummte jemand wie ein Bär:

»Brychta.«

»Ei, die Putzerieder! Willkommen, nur herein,« lud der Dudelsackpfeifer bei geöffneter Tür seine Gäste zum Eintritte ein und führte sie in die Stube. Psůtka, der unlängst, als die Kürassiere Mathias Přibek und dessen alten Vater abführten, mit Pajdar von Putzeried und dem jungen Šerlovský bei den Přibekischen war, trat zuerst ein. Sein Genosse war der Erbrichter von Possigkau, Brychta, ein hoher knochiger und muskulöser Mann, schwarze, dichte und struppige Augenbrauen wölbten sich unter der niedrigen Stirne und unterhalb derselben funkelten seine schwarzen, unsteten Augen. Das von der Sonne gebräunte Gesicht war von einem verwegenen, ja wilden Ausdruck, den die breite rote Stirnnarbe nicht zu mildern vermochte. Jakob Brychta war aber auch im ganzen Chodenlande bekannt, ja man kannte ihn auch in ferneren Gegenden, sowohl in Böhmen als auch unter den bairischen Nachbarn jenseits der Berge. In Baiern kannte man ihn und sein fürchterliches Raufmesser, das er manchmal namentlich unter diesen bairischen »Frackröcken« nach wenigen Worten schon aus den Stiefelröhren hervorholte.

Er liess sich auf die Bank neben Němec aus Medaken nieder und schimpfte, mit der Endspitze seiner Čakane den gefrorenen Schnee von seinen hohen Stiefeln abkratzend, über das Unwetter. Da öffnete der Dudelsackpfeifer abermals die Tür, um neue Gäste einzuführen: es war Mathias Přibek, der Erbrichter Syka und der alte Christoph Hrubý aus Trasinau, dem der Wind seine langen weissen Haare gründlich zerzaust und der Schnee befeuchtet hatte. Die Erbrichter begrüssten sich gegenseitig; kaum hatten sie aber ein paar Worte gewechselt, begrüssten sie schon wieder neue Gäste, die im Schlitten gekommen waren. Die waren bis aus Putzeried: der breitschultrige, stattliche Cousin des Přibek, Pajdar, und mit ihm der junge Šerlovský, der einen kurzen, mit eingestickten Blüten geschmückten Pelz anhatte. Der schmucke, stattliche junge Bursche nahm sich unter lauter älteren und alten Männern, die auf ihn ihre fragenden Blicke richteten, eigentümlich aus. Der alte Pajdar verstand aber auch gleich diese Frageblicke und klärte die Anwesenden auf, dass der Vater des Burschen, der Putzerieder Erbrichter, wegen Unwohlseins nicht kommen könne, dass sie diesem jungen Manne aber ebenso vertrauen können, wie dem Alten.

Bald danach vermehrte sich die Gesellschaft noch durch das Eintreffen des Erbrichters Georg Peč aus Meigelshof und des Ecl Adam aus Klentsch. Alle nahmen dann in weissen Scherken am Tische Platz. Am weitesten, fast allein, sass schweigend Mathias Přibek, aber er horchte und beobachtete alles scharf. Einige von den versammelten Erbrichtern waren über direkte Einladung Kozinas gekommen; die entfernteren hatte Jiskra Řehůřek aufgesucht, um ihnen in Kozinas und Sykas Namen Ort und Zeit dieser geheimen Zusammenkunft bekannt zu geben.

Er bekam für dieses ewige Herumschweifen in aller Teufelsecken von seinem Weibe auch eine gehörige Predigt zu hören. Die Wahrheit hätte sie beschwichtigt, er schwieg aber und suchte sich nun durch allerhand Spässe zu entschuldigen. Jetzt strich er den flackernden Kienspan ab oder steckte wieder einen frischen an, um sodann abermals ans Fenster zu treten. Er horchte, ging dann endlich wieder hinaus und blickte von der Flurschwelle in die finstere Winternacht hinaus.

Aus der Stube konnte man den dumpfen Widerhall eines lebhaften Gespräches vernehmen.

Alle erkundigten sich – und am lebhaftesten tat dies der Possigkauer Brychta – nach Kozina und dem Grunde der Einladung. Sie wollten näheres erfahren, denn dass sie sich des Lammingers wegen hier versammelt hatten, wusste ein jeder. Der »Prokurator« Syka vertröstete alle beschwichtigend, Kozina werde jeden Augenblick hier sein.

»Und wo ist er?«

»In der Stadt –«

»Und was treibt er in der Stadt, wenn er weiss, dass wir hier sein werden,« frug Brychta scharf.

»Nun, das weiss ich selbst nicht. Mir ist nur so viel bekannt, dass vorgestern der Tauser Just von Wien heimkam.«

»Mathias, der Drechsler?« frug Psůtka.

»Jawohl – derselbe. Er hatte einen Prozess mit der Stadtgemeinde. Er prozessierte lange in Prag und dann auch in Wien. Nun, er gewann den Prozess. Und dieser Just liess gestern Kozina sagen, er möge einen Sprung zu ihm machen, wenn er in die Stadt kommen werde, denn er habe eine grosse Neuigkeit. Bei dieser Gelegenheit holt ihn Kozina mit dem Schlitten ab, damit ihr selber alles vernehmet.«

»Aber was, du weisst es ja sicherlich auch?« frug Brychta ungeduldig. Syka zwinkerte nur mit den Augen, lachte und sprach:

»Nun, Brychta, du bist neugierig wie ein Weibsbild.«

»Dass nur dieser Städter auch die Wahrheit sprechen möge!« liess sich der Meigelshofer Erbrichter vernehmen.

»Wir lassen uns doch keinen Bären aufbinden!« rief Brychta.

Da trat hastig der Dudelsackpfeifer in die Stube.

»Sie kommen schon gefahren!«

Alles verstummte plötzlich. Draussen vernahm man Schellengeklingel, sodann hörte man, wie der Schlitten hielt, und schon traten auch die erwarteten Gäste ein. Zunächst der schlanke Kozina im Pelz, hinter ihm ein Männchen in einem grossen dunkelfarbigen Mantel. Aller Blicke hefteten sich auf den Tauser Bürger, der so sicher auftrat, als wäre er zu Hause. Er grüsste, legte den Mantel ab und bewillkommte die Bauern. Viele kannte er, den einen näher, den anderen weniger, nur so vom Sehen her, er benahm sich aber allen gegenüber so, als ob es alte Bekannte wären. Das von der Kälte gerötete Gesicht dieses kleinen, mageren Männleins zeigte hervorstechende Backenknochen, eine Stumpfnase und schwarze, pfiffige Augen. Nachdem er sich vorerst überzeugt hatte, dass die Fensterläden geschlossen seien, nahm er auch ohne Umstände auf einem harten Stuhl unter den Choden Platz und schon liess er eine Rede vom Stapel.

Die Bauern, deren ganze Aufmerksamkeit er gefesselt hatte, waren mäuschenstille. Just sprach aber auch rasch und geläufig, wie von der Kanzel und überdies sprach er ja über einen Gegenstand, der sie alle nahe anging.

»Wie ihr wohl schon gehört habt, bin ich vorgestern von Wien zurückgekehrt,« erzählte er. »Ich führte dort einen Prozess um ein gutes, vorzügliches Grundstück, um welches mich unser löbliches Stadtrecht hat bringen wollen. Ich wusste aber, dass ich darauf einen ehrlichen und alten Anspruch habe, und liess also nicht nach. Die Herren Stadträte siegten überall, ackerten bereits auf meinem – wohlgemerkt auf meinem Felde – und lachten mich gründlich aus. Natürlich. Was kann denn ich, ein blosser Handwerker, ein kleines Bürgerlein gegen sie ausrichten! Ich sagte mir aber: wehre dich, es ist ja doch noch nicht alle Gerechtigkeit aus der Welt geschafft worden! Nun, und so ging es von einer Gerichtsinstanz zur anderen und zuletzt bis zu der höchsten; zum Kaiser –«

»Ei!« rief Brychta aus. Diese Nachricht hatte ihn überrascht und rief auch bei den übrigen Verwunderung hervor. Nur der alte Christoph Hrubý und Mathias Přibek, welcher von Anfang an seinen ruhig-düsteren Blick forschend auf dem erzählenden Bürger ruhen liess, behielten ihre volle Fassung.

»Und wäret ihr bei Hofe?« frug der Possigkauer Psůtka.

»Jawohl.«

»Am kaiserlichen Hofe?«

»Am kaiserlichen Hofe.«

»Springe ihm nicht ins Wort, Psůtka!« mahnte Němec.

»Und habt ihr den Kaiser gesehen?« frug gleichzeitig Ecl aus Klentsch.

»Ich habe ihn gesehen und mit ihm gesprochen. Doch horcht. Ihr werdet euch wohl wundern, aber bedenket, dass ich kein Prokurator bin, um euch etwas vorzulügen, dass ich von euch nichts will, von alledem nichts habe und auch nichts haben werde, höchstens ein bisschen Ärger, falls ihr nicht schweigen und mich verraten solltet.«

»Und warum erzählt Ihr uns das?« liess sich plötzlich Přibek hören.

Mehrere Köpfe wandten sich ihm nicht ohne Unwillen wegen dieser Unterbrechung zu.

»Warum ich dies erzähle!« antwortete Just rasch, ohne sich beirren zu lassen. »Weil ich stets nur die Wahrheit liebe und die Herren nicht leiden kann – deshalb! Der Arme und Schwächere wird immer nur getreten und man tut ihm Unrecht – wie man es mir – und euch tat – ihr wisst es ja selbst gut –«

»Und wie war es in Wien?« Mit dieser Frage unterbrach ihn Němec.

»Ja so – ich komme also nach Wien, es wollte mir dort auch nicht recht gehen. Nun, dachte ich, bleibt dir nichts anderes übrig, als der Kaiser. Geh' zu ihm. Der Zutritt zu ihm war aber nicht so leicht. Wie musste ich da von einem zum anderen laufen, betteln, zahlen – na, ihr versteht mich doch? Nun würde es wohl schon besser gehen, aber damals wusste ich mir noch nicht Rat. Endlich gelang es mir und meinem ältesten Sohne, Jakob, doch, in die kaiserliche Burg zu gelangen. Ich dachte mir, der Sohn soll auch etwas sehen und mitmachen, damit er sich's merkt. – Welch' einen Pomp und welche Pracht man dort überall sieht, darüber lässt sich schwer erzählen. Überall lauter Marmor, lauter Gold und Seide, selbst der niedrigste Diener sieht dort aus, wie bei uns der höchste Herr, lauter Borte und Sammt. Man führte uns durch einige Gemächer, welche alle schnurgerade nebeneinander waren, eines prachtvoller als das andere. Man ist wie berauscht, die Flucht der schönen Zimmer schien kein Ende nehmen zu wollen. Mein Sohn, Jakob, blieb überall stehen und sah sich um, und ich selbst hätte gerade so die Augen aufgerissen, hätte ich mich nicht erinnert, warum ich da bin. Endlich kamen wir in ein Gemach, wo wir warten sollten. Man hiess uns Platz nehmen. Die Stühle waren dort mit dem teuersten Sammt überzogen, ähnlich dem, den unser Dechant auf dem Hochamtsornat hat, wisst, auf dem mit der Goldstickerei. Das war ein Sitzen! – kaum hatten wir uns aber etwas umgesehen, kam schon ein Herrchen, es war der Kammerherr, soviel wusste ich schon, und führte uns in ein kleineres Zimmer. Hier schob er einen prachtvollen Vorhang zur Seite, der die Türe vertrat, und schon standen wir in dem prachtvollsten Gemach und uns gegenüber zwei Herren. Man sagte uns zwar unterwegs, was wir machen sollen, ich wusste es aber auch schon früher, gab Jakob einen Wink und im Nu waren wir beide auf den Knien.

»Und wie sah der Kaiser aus?«

»Und wer war der andere?« frugen Psůtka und Němec gleichzeitig.

»Der zweite war des Kaisers Kanzler. Er war so prachtvoll wie ein General gekleidet. Doch der Kaiser war, das würde man nicht glauben, nur ganz einfach gekleidet. Er hatte eine grosse Perücke, einen dunkeln Rock ohne Borten und ohne Stickereien, schwarze Strümpfe und Schuhe; fast so wie ein geistlicher Herr. Aber brav war er! Er winkte uns sofort mit der Hand zu, wir mögen aufstehen.«

»Was wünschet ihr?« sprach er.

»Kaiserliche Gnaden!« begann ich und sagte ihm nun alles. Ich setzte ihm alles auseinander, aber so, wie sich's geziemte. Er hörte mich an, nickte etwa zweimal mit dem Kopfe, sprach dann etwas französisch mit dem Kanzler, nahm hierauf sein Mäntelchen – es war aus leichter Seide – von den Schultern, legte es auf meine Schulter und sprach: Gehe in Gottes Namen heim, es wird dir zu recht geschehen!«

Während Just so erzählte, unterbrach hie und da ein lautes Ei! oder So! die in der Versammlung herrschende tiefe Stille. Er selbst hielt jetzt einen Augenblick inne, musterte mit seinen scheuen, schwarzen Augen die versammelten Choden und die Wirkung seiner Worte wahrnehmend, setzte er mit noch grösserer Lust und Sicherheit fort:

»Man kann sich denken, wie mir zu Mute war. Ich fasste mich aber so ziemlich. Dankend verbeuge ich mich, schreite ohne mich zu wenden nach rückwärts gegen die Tür, einen Schritt und ich wäre draussen gewesen, da merke ich auf einmal, dass mir der Herr Kanzler zuwinkt. Ich blieb stehen.

»Ihr seid aus Taus?« sprach der Herr Kanzler. – »So ist es, hochgeborener Herr Kanzler!« antwortete ich.

»Nun dann kennt ihr auch die Choden?« – setzte er fort.

»Wie sollte ich sie, hochgeborener Herr, nicht kennen –«

Hier hielt Just wieder inne, denn es entstand unter den versammelten Choden eine heftige Bewegung. Rufe der Verwunderung und des Zweifels wurden im lauten Durcheinander hörbar, Brychta stand heftig auf, ebenso Němec und der junge Šerlovský. Kozina, der, das Haupt vorgeneigt, gelauscht hatte, erhob es jetzt und blickte auf die Versammelten, namentlich auf den alten Onkel aus Trasinau. Syka suchte den entstandenen Lärm zu bannen und mahnte, man möge Just ausreden lassen. Dieser fuhr lächelnd fort.

»Wie sollte ich sie, hochgeborener Herr, nicht kennen,« sagte ich. »Wir sind ja Nachbarn.«

»Jetzt hört man von ihnen gar nichts. Früher meldeten sie sich hier öfter,« bemerkte wieder der Kanzler. »Sie müssen jetzt sicherlich eine brave Obrigkeit haben, mit der sie zufrieden sind.«

Auf diese Worte entstand ein Lärm und ein Geräusch, man vernahm daraus deutlich die wilde Lache, welche Brychta, der mit dem Spitzende seiner Čakane auf den Fussboden aufschlug, angeschlagen. Sofort stellte sich aber wieder Stille ein, als sich der grauhaarige Christoph Hrubý erhob und an Just mit der ernsten Frage herantrat:

»Ob du denn aber auch die Wahrheit sprichst?«

»Warum sollte ich dies nicht?« antwortete Just sicher. »Schade, dass mein Bursche nicht hier ist, er würde es euch bestätigen. Oder wollt ihr von mir Beteuerungen und Eide? Alles, was ich sprach, ist, wohlgemerkt, die reinste Wahrheit.«

»Und sagte dieser Herr Kanzler noch etwas?« forschte Hrubý weiter.

»Gar nichts mehr.«

»Und warum habt ihr ihm nicht alles erzählt, wie uns dieser Lomikar hier behandelt?« rief Brychta aus.

»Das ging nicht. Wenn so ein Herr nicht fragt, darf man nicht sprechen. Doch selbst wenn ich es hätte tun wollen – kaum dass er diese Worte gesprochen, winkt er mir auch schon ab und folgt dem Kaiser. Mir fiel aber gleich beim Fortgehen ein: »Dies musst du ihnen sagen!« Es geht mich zwar nichts an, aber ich weiss, wie einem zu Mute ist, wenn ihm Unrecht geschieht. Und euch geschieht Unrecht. Und was für ein Unrecht und wie lange schon! »Warum solltest du es ihnen nicht sagen?« sprach ich zu mir. »Ihr Recht ist noch in Geltung und wenn sie sich ordentlich melden würden, würde es diesem Schwaben zu Chodenschloss schlimm ergehen. Wozu soll man auch diesen Schinder schonen!?« Er gleicht ja ganz seinem verstorbenen Vater, wenn er nicht noch ärger ist. Es muss ihn ja auch jeder Tauser Bürger hassen. Diese Lammingers haben uns ja gewaltig geschädigt! Gäbe es die Lammingers nicht, wäret ihr noch heute bei uns, unter unserer Verwaltung. Und zu alledem raubte er unserer Gemeinde auch noch den Wirtschaftshof von Chodenschloss. Der hat uns gehört. Jetzt hat er sich dort sein Schloss erbaut und auf dem uns einst gehörigen Grundstücke lacht er uns aus und euch quält er nur. Als ich nun aus Wien heimgekehrt war und hörte, was er euch überdies noch angetan hat, wie er euch euere Majestätsbriefe weggenommen, da kam mir selbst – obwohl mich die Sache nichts angeht – ein Fluch über die Lippen und ich sagte mir: Das ist ja ein Räuber und was für ein verwegener Räuber!«

»Und ob er es ist! Er wartete fein ab, bis er Kreishauptmann geworden ist, um eine Macht zu besitzen,« setzte der alte Hrubý hinzu.

»Und man sieht daraus, dass unsere Majestätsbriefe noch gelten!« rief Kozina aus. »Er würde um sie sicherlich nicht stehen, wenn –«

»Richtig, richtig!« riefen einige Stimmen.

»Aber was nun, da sie dieser Raubwolf verbrannt hat?« warf Pajdar fragend ein.

»Trotz alledem sich melden,« fiel Just entschieden ein. »Man kennt doch in Wien euere Rechte. Hat doch selbst der Kanzler hievon Erwähnung getan –«

»Auch wir dachten so und sagten uns, dabei könne es nicht bleiben. Wir beabsichtigten Euch zu einer gemeinsamen Beratung dieser Angelegenheit einzuberufen. Und da wussten wir von diesem Herrn Kanzler noch gar nichts,« sprach Kozina. Alle stimmten ihm zu, durch Worte sowol als durch den Ausdruck, der sich in ihren Gesichtern malte.

»Jetzt können wir es umso leichter in Angriff nehmen. In Wien weiss man von uns und kennt unsere Rechte,« fügte Syka bei.

»Nun, und etwas davon ist uns auch noch geblieben!« liess sich der alte Hrubý hören, indem er sein Leibchen aufknöpfte und demselben einen in ein Tuch gehüllten Gegenstand entnahm. Überrascht und voll Neugierde sahen alle, was da wohl der alte Erbrichter habe. Ein Freudenschrei ertönte, als er gegen das Licht zwei alte, mit grossen Petschaften versehene Pergamenturkunden in die Höhe hob und vorwies. Erstaunen ergriff alle; und selbst Just war überrascht.

Die ruhigsten waren diejenigen, welche von den Urkunden schon Kenntnis hatten: Hrubý, Syka, Kozina. Die übrigen drängten sich an Hrubý heran und Přibek, dessen Antlitz sich belebte, erhob sich hastig und sah sich über die Köpfe aller diese noch erhaltenen Zeugen der Chodenrechte an. Brychta blieb nicht lange über diese alten vergilbten Majestätsbriefe gebückt. Rasch wie eine Springfeder schnellte er am Tische empor, wandte sich gegen das Fenster, und, mit der geballten, muskulösen Hand herausdrohend, schlug er eine wilde Lache an und rief: »Holaho! Herr Lomikar, wir sind noch lange nicht deine Fronknechte! Siehst du, wir haben hier noch etwas für dich, du hochgeborener Herr!«

»Sind sie gut und echt?« frug Ecl aus Klentsch den Erbrichter Syka, als sachverständigen »Prokurator«.

»Echt und gut; sie sind ja aus unserer Truhe – und diese sind die besten. Dieser stammt vom König Georg und dieser da von Mathias.«

»Und wie kam es, dass sie Lomikar nicht auch raubte?« frug Pajdar für alle übrigen, denn allen schwebte diese Frage auf den Lippen. Jetzt liess sich erst Kozina hören. Er erzählte, wie ihm sofort, als er Lomikar mit seiner Soldatenschar sah, der Gedanke kam, Lomikar komme nicht so sehr, um ihn und Přibek abzuführen, als vielmehr, um sich der Majestätsbriefe zu bemächtigen. Diesen Gedanken habe er auch sofort seiner Mutter zugelispelt. Diese sei sicherheitshalber sofort nach Hause geeilt und entnahm dem Chodenkistchen rasch diese zwei wichtigsten Majestätsbriefe, die sie ja von hausaus schon sehr gut aus jener Zeit kannte, in der ihr Vater und Grossvater die Truhe mit den Choden-Sachen in Trasinau in Verwahrung hatten. Noch während seiner Erzählung wurden mehrfache Rufe der Anerkennung und des Lobes laut, die sowohl ihm, als auch namentlich seiner alten Mutter galten, und als er geendet hatte, rief Brychta aus Possigkau:

»Der Teufel soll mich holen! Ist das aber ein Weibsbild! Man sieht, Kozina, dass es deine Mutter ist.«

Kozina fügte aber, als hätte er dieses aufrichtige Lob überhört, nur hinzu:

»Jetzt erst können wir uns melden, da wir doch etwas in der Hand haben und wissen, dass man uns bei Hofe nicht vergessen hat.«

Damit waren jetzt alle, die ja schon durch Justs Erzählung in Erregung geraten waren, um so williger einverstanden. Přibek allein sprach kein Wort. Als sodann nach Kozinas Rede Just das Wort ergriff, wies er den Anwesenden eindringlich und überzeugend nach, dass sie auch ohne diese Dokumente den Prozess hätten beginnen können, nachdem man sich einmal bei Hofe über sie erkundigt hat; jetzt könnten sie aber geradezu sicher darauf los gehen und darum mögen sie nicht zögern. Er riet ihnen, eine Deputation nach Wien zu entsenden. Dieser Antrag, der sich ohnehin jedermann aufdrängte, wurde angenommen. Nur Přibek liess sich hören:

»Nun, macht, wie euch beliebt. Mich lasst aber aus dem Spiel. Ich gehe nicht nach Wien. Bis aber die Sache schlimm stehen wird, und sie wird schlimm stehen, bis ihr nicht zu den Herren, sondern – und das halte ich für das beste – gegen die Herren ziehen werdet, dann gehe ich meinetwegen ganz allein.«

Seine Worte fanden keine Billigung. Nur Brychta rief:

»Nun, dann werden wir auch mit dir sein!«

Als es sich um die Abgesandten handelte, schlugen alle Hrubý, Syka und Kozina vor. Just war aber einer anderen Ansicht, indem er hervorhob, es wäre nicht ratsam, gerade diese drei – obzwar sie in Wien ihre Sachen sicherlich gut ausrichten würden – zu entsenden, da man sie erstens zu Hause mehr brauchen wird und zweitens lauere ja Lomikar ohnedies Syka und Kozina auf, die ja von ihm geradezu bewacht werden, ihre Abreise könnte somit kaum verheimlicht bleiben. Die Geheimhaltung sei aber anfangs schon aus dem Grunde geboten, damit Lomikar nicht schon im Beginne alles durchkreuze.

Es wurde beschlossen, dass Psůtka aus Possigkau, Němec aus Medaken und Pajdar aus Putzeried entsendet werden sollen.

»Wir wollen wohl gehen,« sagte Psůtka, »aber in Wien sind Deutsche, und wir können nicht deutsch, wenigstens weder ich, noch Němec, und Pajdar sicherlich auch nicht. Und dann bei Hofe! Dort kennen wir uns auch nicht aus –«

»Just, Ihr wart ja dort,« meinte Němec, »da könntet Ihr ja mit uns gehen.«

Just, der auf diese Aufforderung gewartet hatte, wehrte sich zwar gewissermassen und machte Einwendungen, doch nicht auf lange. Über allgemeinen Wunsch – nur Přibek schloss sich ihm nicht an – erklärte er sich bereit, die Deputation nach Wien zu führen, ihr Zutritt bei Hofe und eine Audienz beim Kaiser zu erwirken. Man reichte ihm die Hände und gab sich dann gegenseitig durch Handschlag das Versprechen, alles, was heute beraten wurde, geheim zu halten.

Kurz darauf war in des Dudelsackpfeifers Einschichte wieder Stille eingetreten. Die Chodenmänner zerstreuten sich in der dunklen Nacht jeder in der Richtung seines Dorfes. Kozina führte sodann wieder Just mittelst Schlitten in die Stadt. Hinter ihnen fuhr ein zweiter Schlitten mit Pajdar und dem jungen Šerlovský.

Anfangs merkten noch Kozina und der Städter, dass der putzerieder Schlitten ihnen folge, als sie sich aber dann in das Gespräch über den bevorstehenden Kampf mit dem Herrn von Chodenschloss vertieften, vergassen sie ganz darauf und merkten auch nicht, dass man den Schlitten hinter ihnen nicht mehr hört. Nun das Schellengeklingel konnten sie auch nicht mehr vernehmen, denn der Schlitten stand ruhig am Ende des Dorfes. Es sassen darin aber nicht zwei Personen, sondern eine; der alte Pajdar war in den Pelz gewickelt, hielt die Zügel eines stattlichen, den Kopf senkenden Wallachen, mit dessen langer Mähne der kalte Nachtwind spielte. Pajdar harrte, wartete – und wurde schon mürrisch. »Nur auf einen Augenblick,« sagte der vernarrte Bursche Šerlovský. Er wollte Manka nur sehen. Sieht ihn aber der Cousin Mathias, so wird er schon seinen Teil bekommen, dass er so das Geheimnis zu wahren versteht. Im geheimen sind sie gekommen, im geheimen sollten sie wieder wegfahren. Wenn jemand diesen den Bauernhof umschleichenden Burschen bemerkt – doch soeben hört man – rasche Schritte – das ist er – atemlos sprang der junge Šerlovský in den Schlitten.

»Nun, wie?« frug Pajdar.

»Gut, Vetter, gut. Ich sah mein Mädchen, ich sah es aber nicht nur, ich sprach sogar mit ihm.« Sowohl Worte als Stimme verrieten seine Erregung. Pajdar zog die Zügel an, schwang die Peitsche und sein Ross flog im Galopp die verwehte Strasse dahin. Während dieser schnellen Fahrt erzählte der junge Šerlovský kurz, wie ihm das Glück hold war, da er nicht lange herumschleichen musste. Manka kam das Seitentürl zu schliessen, er stand mit ihr eine Weile und konnte sie sprechen. Dass er sie aber umarmte und heute das erstemal – küsste, das verschwieg er. Pajdar beruhigte sich, als ihm der Jüngling die Versicherung gab, Manka nichts verraten und sich auf eine verspätete Rückkehr von Klentsch ausgeredet zu haben, und forschte weiter nicht nach. Und der Bursche war froh darüber. Sofort vergass er auf die Versammlung beim Dudelsackpfeifer, über die der alte Chode neben ihm nachgrübelte, und dachte nur auf seine Manka. Der kurze beseligende vergangene Augenblick brachte sein Blut in Wallung. Sausend flog der Schlitten durch die frostige finstere Nacht dahin und von den Hufen des pfeilschnellen Pferdes flogen Stücke gefrorenen Schnees ringsumher. – Dem jungen Choden war es aber sehr angenehm, als flöge er durch eine laue Frühlingsnacht.


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