Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIX

Lamminger von Albenreuth empfing sofort und bereitwilligst in seiner Wohnung im Lobkowiczschen Palais seinen Advokaten, als er sich nachmittags bei ihm anmelden liess. Der Freiherr hörte dem Berichte über die heutige Verhandlung eifrig zu und unterbrach die Rede seines Rechtsfreundes fast gar nicht. Als der Advokat zu Ende gesprochen, erhob sich Lamminger und sagte rasch entschlossen:

»Ich werde sofort einen Boten auf die Herrschaft senden, damit man dort die Štraus'schen Briefe ausfindig mache und ausfolgen lasse. Im Wege der Kreishauptmannschaft würde es zu lange dauern und diese Bauernbengel würden sie noch betrügen. Auf diese Art überraschen wir sie und das Gericht wird bald eine genaue Kenntnis von diesen Revolten haben.«

Lammingers Vertreter war vollkommen einverstanden.

Nach einer Weile ritt aus dem Lobkowicz'schen Palais ein Kurier mit einem plötzlichen Befehle des Herrn zum Kauther Verwalter Koš.

Am nächsten Tage, Samstag, waren die Choden bei keinem Verhöre, da das Appellations-Gericht an diesem Tage, sowie Sonntag und Mittwoch nie tagte. Montag war wieder Einzelverhör; doch waren immer nur die vorgefallenen Chodenunruhen Gegenstand der Untersuchung. Dienstag wurden wider Erwarten alle auf einmal vor das Gericht geladen und der Präsident sprach ihnen hier ernst und eindringlich zu Gemüte. Es habe sich herausgestellt, dass sie alle in grober Weise ihre Untertanenpflichten verletzt haben, es habe jedoch den Anschein, als wären sie dazu verleitet worden, indem sie, was wohl nachweisbar sein dürfte, getäuscht wurden. Dieser Umstand wäre allein geeignet ihre Strafe zu vermindern.

»Aber unsere Rechte, hochgeborener Herr!« rief Kozina.

Der alte Hruby fuhr mit der Hand unter die Tuchweste.

»Ach da seid ihr alle von einem Irrtum befangen,« antwortete der Präsident strenge. »Euere Rechte standen wohl einst in Geltung – aber, wie ihr selber wisset, wurden sie vor Jahren aufgehoben und für ungültig erklärt.«

»Wozu war aber dann diese Kommission in Wien,« verteidigte sich Kozina, »wenn unsere Rechte schon ungültig waren?«

»Und wir haben sie noch! Und gerade die besten!« rief Hruby und zog unter der Tuchweste die Pergamentrollen, welche seine Schwester, Kozinas Mutter, gerettet hatte, hervor.

»Zeige her!« rief einer der Beisitzer. Die Urkunden wanderten von Hand zu Hand.

»Echt sind sie, aber ihre Gültigkeit ist aufgehoben!« sprach der Präsident. »Damit ihr euch länger nicht täuschet –«

Ein Aufschrei ertönte unter den Choden und der alte Christoph Hruby war wie ein Jüngling mit einem raschen Sprung beim Gerichtstische, wo Doktor Paroubek auf des Präsidenten Wink mit einer langen Schere die rotweissen Petschaftschnüre beider Urkunden auf einmal zerschnitt und schon – es war im Nu – fuhr die Schere auch in das Pergament hinein.

Die Choden waren wie vom Donner gerührt. Schweigsam, wie stumm, standen sie hier, keines Wortes fähig. Der alte Hruby zitterte.

Im Gerichtssaale herrschte tiefe, drückende Stille.

Nicht ohne Teilnahme betrachteten die Mitglieder des Appellationsgerichtes die durch die Vernichtung ihrer letzten Privilegien bestürzten und tief erschütterten Choden, namentlich den weisshaarigen Christoph Hruby, einen Greis von ernster Gestalt, dem die Tränen über die faltenreichen Wangen rannen. Der erste, der seine Fassung wieder gewann, war Syka.

»Löblicher Appellations-Gerichtshof!« hob er an. »Wir sind unschuldig, wir haben dem Herrn Lomikar nichts getan. Wegen Handlungen, deren er uns beschuldigte, unsere alten königliche Majestätsbriefe hier zu vernichten –«

»Schweige!« rief ihm der Präsident zu. »So begreifet doch endlich, deswegen geschah es nicht. Wegen euerer Handlungen werdet ihr anders gerichtet und gestraft werden. Diese Pergamente haben schon damals, als euch das perpetuum silentium, von dem ihr wohl wisset, publiziert wurde, ihre Rechtskraft eingebüsst. Was einst war, daran dürft ihr nicht mehr denken. Dafür können wir nicht. Bei euch dort kommen aber die Leute noch immer nicht ihrer Pflicht nach und leisten keine Robotdienste. Entsendet lieber einige von euch nach Hause – von uns habt ihr die Genehmigung dazu – damit die Leute erfahren, wie die Sachen hier stehen, und damit euere Landsleute in der Erwartung, dass sie die Freiheit wieder erlangen werden, nicht noch ärgere Übeltaten verüben. Lasset ihnen sagen, sie mögen sich auf nichts mehr verlassen und nichts mehr erwarten, sie mögen der Obrigkeit ordentlich Gehorsam leisten, widrigenfalls man sie für Rebellen halten wird – und was dies bedeutet, wisst ihr vielleicht selbst!« –

Niedergeschlagen kehrten die Choden, ohne ein Wort zu sagen, in ihr Gasthaus zurück. Den alten Hrubý hatten die Ereignisse des Tages derart angegriffen, dass Syka den Greis unterwegs stützen musste. Als sie allein waren, berieten sie, was nun zu tun wäre. Darin waren alle einig, es sei ein grosser Fehler, dass ihr Prokurator ihnen von Wien noch nicht nachgekommen war. Jetzt wäre sein Rat am meisten von nöten. Drei sollten in den Chodengau heimkehren, um das Vorgefallene zu melden. Syka übernahm diese Mission; Pajdar aus Putzeried und Brychta von Possigkau meldeten sich ebenfalls. Er setzte es jetzt auseinander, warum er so getan.

»In Prag bleibe ich nicht. Man kommt da aus der Galle gar nicht heraus – überall lauter Gaunerei – nach Hause gehe ich aber auch nicht. Soll ich heimkehren und sagen: Bauern, mit der Herrlichkeit der herrschaftlichen Peitsche ist es nicht aus, geht hin auf das Schloss und küsst sie dort – jetzt wird sie wieder aufleben, und wie aufleben! Nein, ich gehe nicht – doch wisst ihr was – ich gehe dem Prokurator entgegen.«

»Und wir mit dir!« rief Pajdar, dem dieser Einfall gefiel. Auch Syka war dabei. Sofort traten alle drei die Reise an.

Diesen und den nächtsfolgenden Tag, einen Mittwoch, an dem keine Sitzung war, verbrachten die Choden voll Unruhe, Spannung und Erwartung. Kozina litt es nirgends. Er ging in der Stube auf und ab, blickte jeden Augenblick zum Fenster hinaus, trat zeitweise auf die Gasse, kehrte aber immer wieder unbefriedigt in die Ecke zurück, wo auf dem Bette der ein wenig unpässlich gewordene alte Onkel Hrubý ruhte, ohne sich entkleidet zu haben. Der Prokurator Tunkl kam nicht. Man hoffte, er werde bis zum morgigen Tage doch eintreffen, man werde sich mit ihm beraten – aber der Donnerstag brach an, es kam die Gerichtsstunde und die Choden begaben sich abermals allein auf den Hradčin und in die Gerichtsstube.

Sofort fiel es Kozina auf, dass alle Richter sie mit strengeren und finstereren Blicken messen als sonst. Er wollte – so hatte er es sich früher vorgenommen – die Bitte vorbringen, man möge dem alten Onkel, den das lange Stehen anstrengte und der nur mit Not herzukommen vermochte, die Erlaubnis erteilen, sich niedersetzen zu dürfen, doch mangelte es an der nötigen Zeit, um diese Bitte vorbringen zu können. Die Verhandlung begann nämlich ohne Verzug.

Vorerst stellte der Präsident die Frage, ob sie Boten heimgesendet haben. Sie bejahten es, obwohl es eine Lüge war.

»Es ist so gut, doch dürfte es schon zu spät sein. Euere Landsleute haben keine Vernunft. Also müsset ihr sie haben. Bezüglich der alten Rechte wisst ihr, woran ihr seid. Darum gehorchet wieder und zum Zeichen des Gehorsams leistet dem hochgeborenen Herrn Lamminger, euerer gesetzlichen Obrigkeit, den Untertaneneid und das Gelübde des Gehorsams –«

»Hoher Gerichtshof! Das können wir nicht!« rief Kozina.

»Wir haben keine Vollmacht!« setzte Ecl Ètverák hinzu. »Allein können und dürfen wir dies nicht tun!«

»Geruhen die hochgeborenen Herren uns eine Frist gewähren!« liess sich der alte Hruby mit matter Stimme vernehmen.

»Bis ihr euch zu Hause beraten habt, nicht wahr?« fragte der Präsident ironisch. »Nun, das würde noch fehlen. Soeben überbrachte ein Kurier die Nachricht, dass die Choden sich mit den Waffen in der Hand erhoben, den Burggrafen des Herrn von Albenreuth gefangen genommen und ihn höchst wahrscheinlich bereits ermordet haben dürften. Und da sollen wir euch noch nach Hause entlassen! Wenn ihr wollt, schwöret und ihr werdet eueren Landsleuten ein gutes Beispiel geben und mithelfen das Gewitter zu verscheuchen. Wenn nicht, so seid ihr selbst Rebellen. Wollt ihr schwören?«

»Gnädiger Herr!« rief der alte Hrubý. »Ich stehe über dem Grabe – geruhen uns, Euer Gnaden, wenigstens eine Bedenkzeit gewähren –«

»Es ist unmöglich. Werdet ihr schwören?«

»Wir können es nicht!« antwortete Kozina fest. »Wir haben nichts verbrochen, unsere Rechte stehen in Geltung.«

Wieder trat Stille ein. Die überraschten Richter sahen den jungen Mann an.

»Und ihr übrigen, seid ihr mit ihm einverstanden? Werdet ihr schwören?«

»Wir können nicht,« antworteten dumpf, aber ernst sieben Chodenstimmen.

Der Präsident winkte mit der Hand. Der Mann in dem roten Rocke gab den Choden das Zeichen sich zu entfernen. Als sie draussen den Gang betraten, erblickten sie zehn kaiserliche Musketiere und einen Offizier, der den Choden zurief:

»Ihr geht mit uns!« –

In den vom Hradčin zum Neustädter Rathaus führenden Gassen blieben die Leute stehen, um den ungewöhnlichen Zug zu beobachten. Sieben Bauern, zumeist grosse und stattliche Erscheinungen in weissen Scherkenröcken, schweren, schwarzen breitkrempigen Hüten schritten in der Mitte einer Abteilung Musketiere. Hinten trug ein Soldat sieben schwere, eichene Čakanen, die man den Choden in ihrem Gasthause, wo man behufs Ausfolgung der Bündel der Gefangenen Halt machte, abgenommen hatte. Neugierig betrachteten die Prager diese sonderbaren ›Verbrecher‹, vor allen aber den weisshaarigen, von einem jungen Choden unter dem Arme gestützten Greis. Die Leute deuteten auf sie mit den Fingern, auf ihre Čakanen, Scherken und auf die roten Bänder, die vom weissen Rocke des jungen Choden durch die Luft wehten.

Die Choden sprachen nicht ein Wort. Nur vorhin, als sie vom Hradčin hinabstiegen, frug einer den anderen erregt, ob sie wohl gut gehört haben, dass die Choden im Aufruhr seien. Und keiner hat es überhört, denn jeder konnte mit den Worten des Meigelshofer Erbrichters sagen:

»Jawohl – ich habe es gut gehört, wie es dieser Herr beim Gerichte gesagt hat.«

»Ach Gott! Was wird das wieder sein!« klagte Hrubý.

»Das ist sicherlich wieder Přibek!« sprach Kozina düster – und Weib und Kinder fielen ihm ein. So war dem auch später, als man sie in den Hausflur des Neustädter Rathauses und bald darauf in das finstere Gefängnis abführte.

»Nun, Gott befohlen! Lebet wohl!« seufzte der alte Hrubý, als er die Schwelle dieser unseligen Stätte überschritten hatte. Es war dies ein Scheidegruss für Licht und Welt, als würde er jede Hoffnung auf ein Wiedersehen aufgegeben haben. Schwach und müde sank er auf die Holzpritsche hin, die ihm als Bett, Tisch und Stuhl dienen sollte. Noch ein Seufzer entrang sich seiner Brust. »Dies ist also unser Geschick für alles! Wie geht es aber zu Hause zu – wie geht es dort zu!«

Und das war der traurigste Gedanke ihrer aller, namentlich aber jener Kozinas.

 

Am Nachmittage des folgenden Tages näherte sich Prag ein mit zwei stattlichen Braunen bespannter Wagen. Er fiel dadurch auf, dass der Kutscher am Bock die Tauser Chodentracht trug. Als er in die Nähe des Poricer Tores kam, hielt er plötzlich und es entstiegen ihm der Putzerieder Pajdar, Brychta aus Possigkau und der »Prokurator« Syka. Zu ihnen, die am Wagenschlag standen, neigte sich aus dem Wagen ein schwarz gekleideter Herr, mit vollen hochgeröteten Wangen, die von einer grossen, bis auf die Schultern herabwallenden, dichtlockigen Perücke umrahmt waren. Seine weisse, fleischige Hand war auf die Wagentür gestützt und man sah auf dem Mittelfinger den Glanz eines Edelsteines. Der hochgeborene Herr Blasius Tunkl von Brnicko, dem die drei Choden unterwegs begegnet waren, blinzelte mit den fleischigen Lidern, unter denen klug schwarze Äuglein glänzten, und erklärte in beredter Weise den Choden, warum er sie hier zum Aussteigen bewogen habe und warum er allein in die Stadt fahren wolle. Er sprach so hastig, dass man ihm kaum folgen konnte. Gleichzeitig reichte er auch schon mit einem süssen Lächeln den Choden die Hand und teilte ihnen mit, wo sie ihn morgen treffen können.

»Behüte euch Gott, Leutchen, lebet wohl, schlafet euch gut aus und lasst euch das Nachtmal gut munden und schlafet ganz unbesorgt – alles wird gut werden, ausgezeichnet, sehr gut, ich bin ja vorzüglich vorbereitet! Das kenne ich ja alles. Also lebet wohl, gute Nacht!«

Aus dem Wagen noch winkte ihnen Herr Blasius Tunkl mit seiner feisten, weissen Hand, an der der Ringstein im Sonnenschein hell erstrahlte.

»Wie gesagt – der gefällt mir nicht,« sprach Syka, dem langsam zum Stadttore sich nähernden Wagen nachblickend.

»Er verlangt ja aber auch fortwährend nur Geld!« meinte Pajdar. »Reisegeld, dann wieder für den Wagen –«

Unterdessen langten sie beim Poříčer Tor an. Ein grosser Lärm und die Menge Menschen, die sich hier angesammelt hatten, hiessen sie Halt machen. Mitte in der Menge bemerkten sie Tunkls Wagen. Die Soldaten im Tore hielten den Wagen an und forderten seinen Besitzer auf, er solle aussteigen. Er sträubte sich dagegen und liess noch im Wagen sitzend eine heftige Rede vom Stapel, die er mit der Frage schloss:

»Wozu hält ihr mich an? Wisset ihr, wer wir sind? Ich bin ein Edelmann und Prokurator, Blasius Tunkl von Brníčko.«

»Eben deswegen. Wir sollen Sie verhaften,« antwortete der Offizier kurz.

»Sie sollen es, mein Herr, bedauern –« rief Tunkl ganz rot im Gesichte und wollte sich weiter wehren; zwei Soldaten griffen aber in den Wagen und zogen die verehrte Person des Advokaten, den sie direkt auf das Wachtzimmer führten, heraus. Die Leute lachten, lärmten, stellten Fragen, antworteten und suchten sich diesen ungewöhnlichen Vorfall zu erklären. Syka und seine Genossen hörten, wie man sich in der Menge erzählte:

»Das ist der Prokurator dieser Tauser Bauern, der Choden, die gestern im Neustädter Rathaus eingesperrt wurden.«

»Ich sah sie, wie man sie abführte –«

»Hast du ihre Stöcke gesehen? Und diesen alten, der kaum die Füsse nachschleppte? –«

»Habt ihr gehört? Unsere Leute sind eingesperrt! – Wir können nicht in die Stadt.«

»Wir gehen geraden Weges fort –« Pajdar wendete sich bereits um.

»Wartet –« rief Brychta, der den Hals ausstreckte. Nebenan sagte jemand:

»Nun, wisst ihr es denn nicht? Sie wurden eingesperrt, weil sich die Bauern in der Tauser Gegend erhoben haben. Den Verwalter und einige herrschaftliche Beamten haben sie schon hingemordet.«

Syka war wie vom Donner gerührt.

»Das ist Matthias Přibeks Werk!«

»Recht hat er! Und nun nach Hause!« sprach Brychta heftig. Die Augen funkelten ihm. »Matthias hat recht. Kommt, ich gehe, und ich werde mich Přibek anschliessen.«

Syka, der ganz bestürzt war, sprach kein Wort und schüttelte nur sein dichtbehaartes Haupt.

Bevor die Volksmenge beim Poricer Tore auseinander ging, waren die drei Choden, die die Verhaftung ihres Prokurators gesehen und die Nachricht von der Einkerkerung ihrer Genossen und dem allgemeinen Chodenaufstande vernommen hatten, verschwunden.


 << zurück weiter >>