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XXIII

Der Regen brach los, es donnerte und das blendende Licht der Blitze leuchtete grell durch die feuchte, dunkle Luft. Aus den Forsten des Böhmerwaldes stiegen Dämpfe und weisse Rauchsäulen, wie von unzähligen Bränden auf.

Während dieses Unwetters zog sich Přibeks Schar durch die Wälder und über aufgeweichte Feldwege nach Putzeried zurück. Dieser aus den kampflustigsten und verwegensten Choden bestehende Haufen von mehr als hundert Mann bildete zwei kleinere Abteilungen. Zwischen beiden fuhren einige Wagen mit Weibern und Kindern, die die Männer im Walde nicht zurücklassen wollten. Meistens waren sie aus Aujezdl. Darunter befand sich auch der alte Vater des Přibek und Manka. Als der Sohn Matthias am Holzschlag erwähnt hatte, der Vater könnte mit Manka hier im Walde bleiben, weil es in Putzeried sicherlich scharf zugehen werde, wollte der Alte davon gar nichts hören und auch dessen Enkelin schlug dies entschlossen aus.

»Soll ich mich auf meine alten Tage noch aufs Bitten verlegen?« sprach der Greis und bestieg den Wagen. Der Wind zerzauste ihm seine langen, schneeweissen Haare und trieb ihm den Regen in das faltenreiche Gesicht; doch der Greis fühlte dies gar nicht. Unbeweglich starrte er vor sich hin, seine Gedanken weilten in ganz anderen Gegenden. Da der junge Šerlovský den Wagen, auf dem Manka mit dem Grossvater sass, lenkte, während der Knecht im Walde beim Vieh zurückblieb, nahm Matthias Přibek die Chodenfahne. Er trug die durchnässte und schlaff herunterhängende Fahne auf der Schulter. Vor kurzem hatte er noch wahrgenommen, wie sie morgens froh in den Lüften wehte. In der Frühe hatten aber auch noch alle genügenden Mut und liessen erst dann, wie alte Weiber, verzagt die Köpfe sinken, als dieser Syka die eisig kalte Sturzwelle seiner Nachrichten über sie ergoss. Das, was jetzt geschieht, dürfte schon ihr Lohn sein. –

Als die Choden mit ihren Wagen in die Nähe von Putzeried kamen, war es bereits dunkel geworden. Der Regen hatte zwar aufgehört, aber der Himmel heiterte sich nicht auf; dichte Wolken hingen noch an den Bergen, die sich südwestlich als natürliche Wälle erhoben. Die Bergwipfel von Havrovic, Plápolec, Hudic und des Holý-Berges waren durch Wolkenschleier, in den auch der Osser mit den übrigen, einen imposanten Hintergrund bildenden Böhmerwaldriesen vollkommen eingehüllt war, nicht zu sehen.

Nach der einige Tage anhaltenden Spannung und dem in diesem Unwetter besonders ermüdenden Marsche waren die trockenen, warmen und überaus anheimelnden Stuben zu Putzeried den Männern und allen Flüchtlingen besonders lieb. Die Mehrzahl der letzteren fiel, kaum dass sie etwas zu sich genommen hatten, ermüdet auf das Lager und sie schliefen sofort ein. Im Gemeindehause beim alten Šerlovský, wo sich sowohl die geachtetsten einheimischen, als auch die Bauern aus der Nachbarschaft versammelt hatten, wurde noch lange geleuchtet.

Auch einige der Melhuter Bauern begaben sich bei Putzeried in das nahe gelegene Dorf Putzeried und kehrten erst spät in der Nacht mit dem festen allgemeinen Beschlusse heim, dass sie sich weder Lamminger noch dem ihrer Meinung nach von ihm entsendeten Militär unterwerfen werden.

Die Mitternacht war um. Erst um diese Zeit begab sich Matthias Přibek, nachdem er mit dem jungen Šerlovský das ganze Dorf und die von den Dorfbewohnern überall aufgestellten Wachtposten begangen hatte, zur Ruhe. Es dämmerte noch nicht und der Riesen-Chode war schon wieder auf den Beinen. Er weckte die Mannschaft, damit diese alle Dorf Zugänge: die Strasse, die kleinen Gässchen, die zwischen den Scheuern in das Feld führten, und alle Wege, auf denen das Vieh getrieben wurde, verhaue und verbarrikadiere. Bevor noch das ganze Dorf wach wurde und die Arbeiten beendet waren, trafen unvermutet Gäste und Helfer ein. Es waren einige durchnässte und vom Strassenkot beschmutzte Bauern aus Meigelshof und Possigkau. Sie brachten sonderbare Neuigkeiten.

Sie schlossen sich gestern auch jenen an, die jeden weiteren Widerstand für nutzlos hielten und einsahen, dass sie sich ergeben müssen. Jetzt erzählten sie den um sie gescharten Choden, wie hübsch mit ihnen dafür der Herr Kreishauptmann verfuhr. Als sie zu ihm bitten kamen, so erzählten die Flüchtlinge, und ihm die Versicherung gaben, sie würden ruhig auseinander gehen, er möge nur das Militär abziehen lassen und ihnen kein Leid antun, schrie er sie an und liess sofort alle verhaften und durch Soldaten abführen. Doch nicht nur diese, sondern er liess auch noch in jedem Dorfe immer einige Bauern fesseln und abführen.

»Wohin?« fragten die gespannten Zuhörer.

»Nach Pilsen, Mies, Teinitz –«

»Und wozu auf so viele Orte? Gibt es denn in Pilsen nicht genug Kerker?« fragte Šerlovský.

»Mehr als siebzig wurden fortgeführt!« antwortete einer der Flüchtlinge.

»Als wir dies sahen, nahmen wir Reissaus. Da lasse ich mich lieber erschlagen, als dass ich im Arreste sitze, damit man uns foltert und dann noch aufhängt,« fügte ein anderer hinzu. »Das ist mir eine saubere Gnade! Das ist der Lohn dafür, dass sie sich ihnen so ohne weiteres gleich ergaben!«

»Jetzt wären sicherlich alle gerne hier!« rief einer der Choden.

»Jawohl, und wir wären vier Hundert!« setzte Přibek hinzu. »Und wo ist das Militär jetzt?«

»In jedem Dorfe gibt's Soldaten, in Aujezdl aber wimmelt's von ihnen wie von Ameisen. Und sie werden sicherlich überall bleiben, damit die Ruhe dauernd hergestellt werde.«

»Und was ist mit unseren Leuten im Walde?«

»Nun die Weiber klagen und jammern. Und wie sollten sie es auch nicht! Die Männer hat man ihnen weggeführt und das Militär ist in den Häusern. Auch im Walde gibt's viele Bauern. Sie fliehen vielleicht nach Baiern.«

»Und da haben wir bleiben und uns ergeben sollen?« rief Přibek, dessen Augen aufleuchteten.

Es waren noch alle in der Erbrichterstube. Als sich Přibek und mit ihm auch die übrigen erhoben, um zu gehen, stürzte ein Bauer aus Putzeried mit der Nachricht in die Stube, er habe, als er in der Richtung gegen Loučin patrouillierte, auf dem Wege Militär bemerkt. Alle erwarteten es, alle waren dessen sicher, dass sie das Militär nicht meiden wird, und doch zeigten sich einige von dieser Nachricht, die alle in Aufregung versetzte, bestürzt.

»In Gottes Namen!« rief der alte Šerlovský.

»Kommt, Freunde, kommt rasch!« eiferte sie Přibek an, der hinaus ging. Alle strömten ihm nach.

Das ganze Dorf war bereits in dieser frühen Stunde auf. Die Nachricht vom Militär verbreitete sich nach jedem Winkel. Von allen Seiten kamen Leute zusammen, Männer, Weiber, Alt und Jung, auf dem Dorfplatz wimmelte es nur von Menschen. Da kamen noch die mit Gewehren und Čakanen bewaffneten Männer aus dem Gemeindehause dazu. Ihnen voran ging Přibek, der das Chodenbanner trug.

Es wehte wieder lustig im Morgenwinde, denn das Wetter hatte sich über Nacht verzogen und es brach ein schöner Tag an.

»Das Militär kommt schon!« rief Přibek aus. »Sie kommen schon, um die Männer zu fangen, und die Weiber zu foltern. Wollt ihr euch ihnen ergeben – Ich und diejenigen, die wir aus Aujezdl und aus Trasinau sind, wir ergeben uns nicht!«

»Wir auch nicht! Wir auch nicht!« riefen alle aus und in diesem Stimmengewirr vernahm man auch einige Weiberstimmen.

»Nun, in Gottes Namen, jeder auf seinen Platz!« befahl Přibek.

»Weiber und Kinder fort in die Häuser!« rief Šerlovský. »Seid für den Fall, dass es schlecht ausgehen sollte, zur Flucht in den Wald auf dem rückwärtigen Viehweg bereit. Dorten wird der Weg frei sein!«

Jetzt verstummte plötzlich jede Stimme auf dem Dorfplatze und alle blieben wie versteinert stehen. Man vernahm Trommelwirbel und Trompetengeschmetter. Přibek gewann als Erster die Fassung. Er rief, man möge hier abwarten, er werde nachsehen gehen, und eilte zu dem bereits verbarrikadierten Ortsausgange. Beide Šerlovskýs und viele Männer aus Putzeried folgten ihm. Sie sahen, wie zwischen den Gebäuden und Bäumen Waffen glänzen und wie es dort von Militär wimmelt. Man nahm auf den ersten Blick wahr, dass es eine starke Abteilung ist. Das Dorf wurde von der Ostseite umzüngelt und der Weg besetzt. Reiter flogen hin und her, laute Kommandorufe ertönten von einem Zuge zum anderen und waren sogar im Dorfe hörbar.

Der Militärkordon wuchs an und umringte das in einer Niederung auf der Ebene gelegene Dorf immer enger.

Přibek fuhr zusammen. Einige Reiter sprengten an sie heran; sie machten vor dem verbarrikadierten Ortseingange halt, und einer von ihnen fing zu an sprechen. Was er sprach, das richteten alles Šerlovský und Přibek auf dem Dorfplatze aus, nur eines verschwiegen sie: dass sich die Melhuter bereits auch schon auf Gnade und Ungnade ergeben haben.

Sie meldeten aber, das ganze Dorf habe sich sofort zu ergeben und alle Barrikaden abzuschaffen. Die Männer mögen die Waffen abführen und diejenigen, die fremd sind, namentlich Matthias Přibek aus Aujezdl, mögen ausgeliefert werden und sicherheitshalber solle sich als Bürge sofort der Erbrichter mit zwanzig Bauern in das Lager begeben und um Gnade bitten.

»Damit man uns in den Kerker sperrt!« rief einer von den Bauern.

»Und als Rebellen aufhängt,« rief ein anderer.

»Ich gehe nicht!« erklärte der Erbrichter Šerlovský mit erhobener Stimme.

»Und ich auch nicht!« rief einer über den anderen und in dieses Geschrei mengten sich die durchdringenden Stimmen der Frauen, die die Männer zum Widerstände und zum Ausharren anspornten.

»Wir sind bereits wie in einer Falle, rund herum gibt es Militär!«

»Wir werden uns durchschlagen!«

»Rasch mir nach!«

Auf dem Dorfplatz entstand ein schreckliches Geschrei und ein Chaos. Viele von den Frauen brachen in Jammern aus, andere sprachen ihren Männern eifrig und leidenschaftlich zu, sie mögen sich nicht ergeben. Dies war aber gar nicht nötig. Die Nachricht, wie man mit den Landsleuten verfuhr, die sich bei Aujezdl ergeben hatten, die harte Bedingung und Drohung des Militär-Kommandanten und die Gewalttaten, die von ihm zu gewärtigen waren, das Alles erregte die Choden in Putzeried und flösste ihnen eine verzweifelte Entschlossenheit ein. Lieber sterben als sich auf diese Weise neuen und grossen Qualen aussetzen.

Als Přibek vorher das Militär besichtigt hatte, gewann er die Überzeugung, dass es unmöglich sei, es zu vertreiben oder sich seiner wenigstens zu erwehren. Es blieb ihnen nur Eines übrig: sich durchzuschlagen. Er führte also jetzt die Chodenmänner nach jener Seite des Dorfes hin, woher es zu den Wäldern am nächsten war und wo es am wenigsten Militär gab. Einige schlugen vor, abzuwarten, bis es finster wird. Dieser Antrag wurde jedoch verworfen, da der Kommandant nur eine kurze Frist zur Antwort gewährte und nach einer abschlägigen Antwort sicher zum Sturm schreiten dürfte. Da gab es also keinen Verzug.

»Wer kann, besteige das Pferd! Dorten werden wir ausbrechen!« rief Přibek, auf die nebeneinander stehenden Scheuern hinweisend. Er ordnete dies darum an, weil er sah, dass die Soldaten bei den Dorfausgängen zwischen den Gebänden und bei den Viehwegen am stärksten angesammelt waren. An einen Ausfall aus den Scheuern dachten sie wohl nicht, es war daher möglich sie hier zu überraschen. Ehe sie diese ihre hölzernen mit Strohschauben gedeckten Bollwerke betraten, galt es Abschied zu nehmen. Der Abschied war kurz. Matthias Přibek sah sich nach der Tochter um. Sie war ihm auf den Fersen, blass, bebend, führte sie ihren alten Grossvater, den es daheim nicht duldete.

»Vater, Manka, behüte euch Gott! Vielleicht sehen wir uns wieder. Und wenn nicht – sorge, Mädel, um den Grossvater – lebet wohl! –« Er war blass, als er seine mächtige Hand der Tochter und dem Vater hinreichte.

Der Greis hob die Hand und segnete ihn mit dem Kreuze. Noch einmal wandte sich Přibek um und verschwand dann in der Menge. Aber seine weisse Fahne sah man über den Köpfen bis zu dem Augenblick wallen, da er sie beim Eintritte in die Scheuer senkte.

Manka sah ihm, ohne die tränenvollen Augen abwenden zu können, nach; da trat ihr Bräutigam zu ihr. Er war um sein Pferd gegangen. Sie hatte vorher die Augen voll Tränen, jetzt weinte sie heftig. Er umarmte sie, drückte einen Kuss auf ihre Lippen, sodann erfasste er die Zügel seines Schimmels und führte ihn in die Scheuer. Hier waren schon mehrere Pferde und hinter ihnen die Fussgänger dicht nebeneinander. Ebenso sah es in der benachbarten Scheuer aus. Alles wartete nur das Zeichen ab, auf welches sich das rückwärtige Tennentor auftun und der Ausfall gegen das Militär erfolgen sollte.

Die Sonne stieg auf und ihr helles durch die breiten Balkenspalten in die Scheune eindringendes Licht warf in das Dunkel der Scheuer goldige glitzernde Streifen, die hier das glatte Pferdehaar, dort den groben Bauernsattel oder die weissen Chodenscherken trafen und hie und da auf einem Antlitz erzitterten. Die meisten waren blass vor Erregung, vielleicht auch von dem unwillkürlich vor blutigem Kampfe sich einstellenden Schauer. Aller Augen flammten fieberhaft, das Herz pochte, jeder hielt aber, zum Äussersten schon entschlossen, sein Gewehr oder die beschlagene, scharfe Čakane fest bereit.

In der Nähe des Tores stand Přibek und beobachtete in geduckter Stellung durch die Spalten das Militär. Als er sich emporrichtete, gab er den Reitern einen Wink zum Aufsitzen. Sodann reichte er dem jungen Šerlovský die Hand, lispelte ihm etwas zu und ging noch einmal nach rückwärts durch die Masse, aufs neue jedem einprägend, was zu tun sei und welche Richtung alle einzuschlagen haben. Hierauf ging er in die benachbarte Scheuer, um daselbst das Kommando zu übernehmen. Aus der ersteren sollte die Schar der junge Šerlovský herausführen. Dieser harrte voll Aufregung, die geladene Pistole bereit haltend, im Sattel und wartete gespannt auf das mit Mankas Vater nebenan vereinbarte Zeichen zum gemeinschaftlichen Ausbruche. Einen Augenblick herrschte in der Scheuer tiefe Stille. Nur hie und da wieherte ein Pferd oder schlug mit dem Hufeisen dumpf auf die Tenne auf. Aus der Ferne vernahm man Hornsignale und Trommelschlag; gleichzeitig rief jemand von den vor der Scheuer auf der Dorfseite Angesammelten, das Militär rücke bereits von der entgegengesetzten Seite an.

Dieser Ruf war noch nicht verhallt, als in der Nebenscheuer ein greller Pfiff entönte. Wie durch einen stürmischen Windstoss aufgerissen, flogen sofort die Türflügel der beiden Scheuern auf und ein Strahl blendenden Lichtes fiel in die Tenne; diesen Lichtstrahl durchflogen blitzschnell einige Reiter, mit Šerlovský an der Spitze – ihnen auf den Fersen, einer Wolke gleich, die übrigen Choden. Mit dieser weissen Wolke jagte gleichzeitig eine zweite dahin. An ihrer Spitze war Matthias Přibek, in dessen Linken das weisse Chodenbanner flatterte und dessen Rechte hoch über dem Haupte die schwere, eichene Čakane seines Stammes schwang. Die Chodenbüchsen, die kurzen und die langen, knallten, worauf die Militärgewehre antworteten und die Gegner an einander stiessen. Es war ein grässlicher Anprall. Die Verzweiflung verlieh dem schwachen Chodenarm Riesenkraft. Mit der Čakane, mit dem Kolben schlugen sie sich wie die Löwen. Der an der Spitze reitende junge Šerlovský stürzte sich in den heftigsten Kampf und liess rechts und links wuchtige Hiebe auf das Fussvolk niederhageln. Bei den Zäunen, Mauern und in beiden Scheuern, deren Tore jetzt weit aufgerissen waren, standen die Dorfbewohner, Weiber und Greise, und beobachteten in banger Angst und furchtbarer Aufregung den Kampf.

Der alte Přibek stand, auf seine Enkelin gestützt, am Rande der Scheuer, ohne auf die Stimmen zu achten, die ihn vor den Geschossen warnten. Manka, blass und zitternd, beobachtete, wie alle, in fieberhafter Erregung jede Bewegung der Kämpfenden. Sie sah es, wie beide Seiten an einander gerieten, wie die Choden, die den Feind offenbar überrumpelt hatten, ihn bedrängen. Man konnte in diesem wilden Wirbel, in welchem die weissen Scherken und die dunkeln Waffenröcke der Soldaten, das Blitzen der Waffen und Schwenken der Säbel und anderer Waffen durch Pulverdampf und Rauch hindurchschimmerten, nichts genau unterscheiden. Ein Getöse und ein schrecklicher Lärm tönte herüber und in das Geschrei der Menschenstimmen mengten sich Gewehrschüsse und Trompetenstösse.

Vergebens verfolgte Manka die Spur des Vaters und des Bräutigams.

»Manka, siehst du unsere Fahne?« fragte der Grossvater.

»Ja – dort – doch jetzt nicht mehr – nein, ich sehe sie nicht – doch schon wieder! Und wieder verschwand sie – oh, Mutter Gottes – ich sehe nichts mehr – Leutchen, sehet ihr die Fahne?« fragte sie mit bebender Stimme und heftete ihre ängstlichen Blicke auf die Nachbarinnen. Man blickte aus, lugte und strengte die Augen an – doch das weisse Banner, das man noch vor kurzem wahrgenommen, konnte man nicht mehr erspähen.

Ein Hornsignal ertönte von der anderen Seite, und von dorten, wo vor einer Weile eine Abteilung Soldaten die Verhaue entfernt hatte und wo jetzt das Militär bereits in das Dorf einzudringen begann, kam im Galopp eine Kürassierschar herangeritten. Die Reitersäbel glitzerten über ihren Köpfen im Sonnenschein und die Erde erdröhnte unter den Hufen ihrer Pferde. Der alte Přibek sank zu Boden und flehte mit gefalteten Händen zu Gott.

Ein Aufschrei der Dorfbewohner ertönte und nach Přibeks Beispiel fielen alle auf die Knie.

Dann dauerte es nicht mehr lange. Der Knäuel lichtete und teilte sich, man sah, wie die Kürassiere jene verfolgen, die sich durchgeschlagen hatten und geflohen sind.

»Wer ist dies wohl und ob ihnen die Flucht vor den Kürassieren gelingen wird?« So dachten in diesem Augenblicke alle und jeder gedachte jener seiner Lieben, die dort waren. –

Ehe die Sonne zu glühen begann, wussten sie die Antwort. Um diese Zeit hatte der Kampf bereits ausgetobt. Die Soldaten stürzten in das Dorf, welches besetzt und geplündert wurde. Draussen auf dem Kampfplatze irrten Weiber und Mütter umher, ihre Männer und Kinder suchend. Glücklich waren jene, die hier niemanden fanden, sie konnten sicher sein, dass er die Wälder erreicht. Doch jeden Augenblick ertönte bald hier, bald dort ein Aufschrei, als die Weiber unter den Verwundeten oder Toten einen der Gesuchten vorfanden. Die Kämpfer lagen einzeln, frei oder unter ihrem Pferde, oder wieder haufenweise, so wie sie fielen.

Die alte Šerlovský war auch auf der Suche, sie fand aber weder ihren Mann noch ihren Sohn und wollte ihrem Glücke gar nicht Glauben schenken. Aber dort! Es ist des Sohnes Braut! Sie eilte zu ihr.

Auf einem zerstampften Rasen, wo viele verwundete und tote Soldaten und einige verwundete Choden lagen, kniete die über dem Leichnam ihres Vater wehklagende und Hände ringende Manka. Matthias Přibek lag hier im blutbefleckten Scherkenrocke mit krampfhaft an die Seite gepresster Chodenfahnenstange niedergestreckt; Die steife Rechte hielt noch die eichene alte Čakane fest umschlungen. Die weisse Fahnenplache war zerrissen, zerstampft und mit Blut getränkt. Die Riesengestalt des Choden lag gerade ausgestreckt; sein Antlitz war finster. Dies war das Ende des letzten Bannerträgers der Choden. Wie heldenmütig er kämpfte und wie er seine Fahne verteidigte, bewies die grosse Anzahl der um ihn herumliegenden verwundeten und toten Soldaten.

Kniend beugte der alte Přibek zum Sohne sein weisshaariges Haupt. Die Tränen flossen dem Greise über die Wangen. Er klagte nicht, stöhnte aber schmerzlich und seufzte. Sogar die ihre verwundeten Genossen forttragenden Soldaten blieben bei dieser Gruppe stehen und horchten dem Wehklagen des stattlichen, goldhaarigen Mädchens.

»Ach Gott, ach Gott, ach Gott, mein lieber, guter Vater! Heilige Mutter Gottes, was soll ich hier jetzt ärmste allein! Und du, mein besorgter Grossvater, es liegt ja euer Sohn hier – Du mein Gott, mein Gott, mein teuerster Vater!« –

Matthias Přibek hörte aber das Jammern seiner Tochter nicht. Er war in andere Regionen eingegangen, wo es keine Tyrannei von Seiten einer Obrigkeit gibt und wo er nicht Zeuge dessen sein musste, wie man durch Gewalt die goldene Freiheit des Chodenlandes zerstört.


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