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IX

Die Gäste des Herrn von Chodenschloss und Kreishauptmannes trafen in Aujezdl alsbald ein, hielten sich hier nicht auf und ritten sodann mit einer noch grösseren Suite, mit sämtlichen Kürassieren, die gestern das Chodendorf besetzt hatten, ab. Nun, da die Majestätsbriefe bereits in den Händen des Hauptmannes sich befanden und das gesamte Volk offenbar eingeschüchtert war, bedurfte es keiner Besatzung mehr.

Als die bösen Gäste aus dem Gesichtskreis kamen, atmeten die Dorfbewohner tief auf; sie atmeten auf, freuten sich aber nicht, indem sie der Ihrigen, die auf der Burg zu Chodenschloss gefangen gehalten wurden, gedachten. Am meisten dachten sie aber an den ihnen geraubten Schatz, ihre einzige und letzte Hoffnung, die ihnen die schwere Last der Leibeigenschaft leichter ertragen liess.

Wie im ganzen Dorfe, herrschte auch im Wirtschaftshofe des Přibek öde Stille. In der Stube sass Pajdar von Putzeried und wartete auf die Tochter seines Cousins, Manka. Er blieb hier mit ihr, damit sie mitten unter der Soldateska nicht allein sei. Den jungen Šerlovský schickte er voraus heim, damit er dort den Grund seines Ausbleibens bekannt gebe und versichere, dass er sofort heimkommen werde, sobald sich in Aujezdl die Lage bessern werde. Der schmucke Bote ging zwar, wäre aber lieber zurückgeblieben oder hätte Manka mitgenommen, wenn dies möglich gewesen wäre und wenn sie gewollt hätte. Unterwegs dachte er stets an sie und in dieser seiner Besorgnis um sie tröstete ihn der Gedanke, dass der alte Pajdar bei ihr sei und nicht gestatten werde, dass ihr ein Unrecht geschehe.

Dieser sorgte denn auch wirklich mehr für sie, als für sich selbst. Von einer Übersiedlung mit ihm zu den Verwandten nach Putzeried wollte sie gar nicht hören, sie fürchte die Soldaten nicht, besonders wenn der Onkel mit ihr sei, und wie könnte sie auch gehen, ohne zu wissen, wie es mit dem Vater und Grossvater stehe? Diese waren die einzigen, an die sie fortwährend nur dachte und über die sie wo immer nur möglich, Erkundigungen einholte. Hastig und ganz wie verstört kam sie zum Onkel Pajdar in die Stube und begann zu erzählen, dass sie geradenwegs von den Kozina's komme; die alte Kozina sei soeben von Chodenschloss zurückgekehrt. Zweimal, einmal früh und nachmittags, sei sie daselbst schon gewesen und habe das Schloss umschlichen, um zu erfahren, was mit dem Sohne und den übrigen geschehen sei. Dieser zweite Weg hatte endlich einen Erfolg, sie brachte aber keine fröhliche Botschaft und diese nun teilte Manka dem Onkel mit. Darnach erging es allen im Schlosse sehr schlecht und namentlich mit ihrem Vater und mit Kozina verfuhren die Herren sehr übel. Die Stimme zitterte fürwahr dem braven Mädchen, als sie erzählte, wie man dem Vater, Kozina und dem Dudelsackpfeifer eine tüchtige Tracht Stockprügel gab. Hastig erhob sich der alte Pajdar vom Lindenstamme, vor dem er auf grobem Stuhle sass. Diese Nachricht regte ihn furchtbar auf. Es war ja bisher im Chodenlande unerhört, dass man so wohlverhaltene Männer wie Vagabunden und Diebe geprügelt hätte.

»So, also Prügel für uns! Ich habe schon manches erlebt – aber dies da! Jetzt wird es anders werden – Oho, meine Herrschaften!«

Während sie so noch von den Gefangenen, und namentlich vom Grossvater und Vater sprachen, knarrte draussen das Hofpförtchen und durch die langsam zunehmende Dämmerung huschten draussen zwei Schatten dahin. Die Türe ging auf und die, von denen man gesprochen, traten ein; vorerst der alte, müde Přibek, das Haar vom Winde zerzaust und feucht vom Schnee. Er grüsste und als Manka zu ihm sprang und ihn bei der Hand fasste, heiterte sich das Antlitz des Greises auf. Sein Sohn Mathias, der mit der Fahnenstange gekommen war, sprach kein Wort und fasste schweigend die Rechte, die ihm Pajdar entgegenreichte. Er stellte sodann die Stange der ehemaligen Chodenfahne in eine Ecke und befahl seiner Tochter kurz, dem Grossvater Suppe zu kochen. Wie von Ermüdung überwältigt, liess er sich auf den Stuhl nieder, stützte den Ellbogen auf den Tisch und legte den Kopf in die Handfläche.

Manka schickte sich an, das Feuer anzumachen, ihre Blicke hefteten sich aber mehr auf den Vater als auf das Holz und das Feuer. Pajdar stellte sich gegenüber seinem Vetter auf und unterbrach endlich die peinliche Stille.

»Es ist euch schlimm ergangen. Ist es wahr, dass sie euch mit Prügeln –«

»Auch du noch!« fuhr ihn Přibek barsch an und hob rasch den Kopf. »Kein Wort will ich mehr hören; ich habe der Schmach gerade genug. Diese verdammten befrackten Räuber! Zuerst bestehlen sie uns gleich Dieben –« Přibek erhob sich – »und dann noch Prügel! Heilige Mutter Gottes, das vergesse ich nicht! Ich schwöre zu Gott dem Allmächtigen und sollte ich schwarz wie Kohle werden!«

Der Schein des in Mankas Hand brennenden Kienholzes fiel auf den in seine weisse Scherke gekleideten, kerzengerade stehenden Sprecher Mathias Přibek. Er hatte die Rechte zum Schwur erhoben, war blass und seine blutunterlaufenen Augen glänzten.

Der auf der Bettleiste sitzende alte Přibek sah seinen Sohn an, faltete seine dürren, sehnigen Hände und wiederholte mit halblauter Stimme:

»Dieser Stern – dieser Stern!«– –

Während früher der Onkel Pajdar mit Manka noch allein war, sass die alte Kozina in ihrer Ausgedingestube ebenfalls einsam und betete. Dieser Augenblick der Einsamkeit und des Gebetes ward ihr schon zum Bedürfnis, Seit man ihr gestern den Urkundenschatz geraubt und den Sohn weggeführt, hatte sie nachts kein Auge geschlossen. Sie blieb lange bei ihrer Schwiegertochter, namentlich solange die aufgeschreckten Kinder nicht eingeschlafen waren, doch auch hierauf verweilte sie dort noch ziemlich lange, und kaum dass der Tag herangebrochen war, warf sie schon den Pelz um und eilte nach Chodenschloss. Ihre finster dreinblickenden Augen hefteten sich wiederholt voll Spannung auf die weissen Mauern des herrschaftlichen Schlosses, das sie umschlich, um entweder irgendwo ihren Jan zu erspähen, oder wenigstens etwas über sein und der übrigen Schicksal zu erfahren. Unverrichteter Dinge kehrte sie heim. Die Schwiegertochter erwartete sie fieberhaft erregt und ungeduldig, wie wenn sie auf glühenden Kohlen stünde. Sie wäre selbst gerne nach dem Schlosse geeilt, sie konnte es aber nicht der Kinder und der Soldaten halber.

Sonderbar gestalteten sich jetzt die Dinge! Die alte, auf ihre Schwiegertochter sonst ziemlich strenge Ausgedingerin behandelte sie seit gestern wie ihre leibliche Tochter. Sie besorgte und hütete die Kinder, half ihr, und als sie sodann nachmittags abermals vom Schlosse heimkehrte, schonte sie Hančí so, dass sie ihr nicht einmal die ganze Wahrheit sagte.

Nachdem die Soldaten das Dorf verlassen, zog sie sich in ihre Stube zurück und betete für ihren Sohn. Ringsherum herrschte Stille, nur der Wind pfiff in der Dämmerung ein trauriges Liedchen. Dann hörte man draussen den alten Wolf, dessen wütendes Gebelle das Gebet der Greisin unterbrach. Sie horchte eine Weile, da sich jedoch der Hund wieder beruhigte, neigte sie ihr Haupt und sprach ihr Gebet halblaut weiter. Lange betete sie nicht, denn in einer Weile vernahm man draussen kurze, eilige Schritte und der kleine Paul stürzte fast atemlos in die Stube und meldete, dass der Vater gekommen sei. Bevor die Bäuerin zur Türe kam, erschien er, die kleine Hanálka am Arme, selbst und ihm folgte ganz erfreut Hančí.

Als die alte Kozina den verbundenen Kopf ihres Sohnes und sein bleiches Antlitz erblickte, war sie keines Wortes mächtig; augenblicklich füllten sich ihre Augen mit Tränen. Der Sohn merkte dies wohl und, äusserst gerührt, nahm er die Hand, die ihm die Mutter reichte, um ihn zu bewillkommnen und sicherlich auch – sie fühlte und meinte es auch so – um ihm Abbitte zu leisten.

Die ganze Familie nahm um den Tisch der Grossmutter Platz; alle freuten sich der Heimkehr des lieben Hausvaters, und die Kinder rührten sich gar nicht von ihm. Hančí fragte ihn aus, wie es im Schlosse war, wie es ihm dort erging, wie man ihn behandelt habe. Kozina antwortete darauf jedoch nur kurz und trachtete das Gespräch auf etwas anderes abzulenken, indem er von den Kürassieren zu erzählen begann und fragte, wie sie am Bauerngrunde und im Dorfe gewirtschaftet haben? Seine Mutter sprach wenig. Ihr schwebte nur eine Frage auf den Lippen; sie sprach sie aber nicht aus, da sie merkte, ihr Sohn weiche diesem Gespräche aus.

Sie erhielten, ehe sie es geahnt hätten, einen Gast. Der Onkel von Trasinau, der alte Christoph Hrubý, suchte sie auf. Die alte Kozina schickte schon gestern, als Kozina und die übrigen nach Chodenschloss abgeführt wurden, einen Boten mit der Nachricht über das Geschehene zu ihrem Bruder. Dass er jetzt erst komme, entschuldigte er dadurch, dass er nicht zu Hause war, sondern in einer Angelegenheit in Fürth weilte. Er ergriff die Hand des jungen Bauers, schüttelte sie herzlich und sprach:

»Ich habe schon gehört, lieber Bursche!«

Als er hierauf den Mantel und den breitkrämpigen Hut abgelegt hatte und sich an den Tisch setzte, entfernte sich die junge Hausfrau, um ihrem Manne und dem Gaste das Nachtmahl zu bereiten.

»Also, Krisl, du weisst schon,« begann die alte Kozina, um das Gespräch auf ihre Lieblingsfrage zu bringen.

»Jawohl – ich hörte es schon, dass sie unsere Majestätsbriefe verbrannten,« antwortete er mit einem Seufzer. »Unser Recht verbrannten sie aber nicht,« fügte der Chode bei. Als dies die alte Schwester hörte, fuhr sie zusammen. Jetzt wusste sie es also. In dem Augenblicke vernahm man im Vorzimmer Schritte; der Erbrichter Syka, der »Prokurator«, kam in die Stube.

»Bäuerin, heute darf ich schon vor diesem hier sprechen,« sagte er noch in der Tür, auf den jungen Kozina deutend. »Das ist ein anderer »Prokurator«,« fügte er bei. »Aber, warum ich zu euch komme! Weisst du, Bäuerin, dass sie dort in der Kanzlei nicht alle Majestätsbriefe in der Truhe hatten? Ich zählte sie gut nach – und dann fragt mich dieser Verwalter so unschuldsvoll, ob sie wohl alle seien – dieser Pfifikus! Nun ich bin ja gerade auch nicht auf den Kopf gefallen – und wusste gleich, dass dort nicht alle sind.«

»Nicht alle! Wie hätten dort auch alle sein können,« antwortete die alte Bäuerin lebhaft, indem sie aufstand und das über die Brust kreuzweise gebundene Busentuch abnahm. Sie schlug es auf und entnahm ihm eine mit einem Siegel versehene Pergamenturkunde und gleich auch noch eine zweite.

»Es sind dies die zwei besten, Syka, von denen du behauptet hast, sie wären für einen Prozess genügend, denn all' unser Recht sei in ihnen enthalten.«

Die alte Kozina stand hinter dem Tische und hielt den vergilbten Majestätsbrief mit dem herabhängenden Petschaft in der erhobenen Rechten. Ihre Augen strahlten und sie blickte von einem Mann zum anderen. Diese fuhren in dem Augenblicke, als sie die Majestätsbriefe vorzeigte, überrascht von ihren Sitzen auf, sie alle: der junge Kozina, der bedächtigere Syka und der weisshaarige Erbrichter aus Trasinau waren heftig bewegt und Syka griff sofort nach den Pergamenten, als wollte er sich von ihrer Echtheit überzeugen.

»Ja, ja, es sind dies unsere Freiheitsbriefe,« sagte lächelnd die Bäuerin und erzählte, wie sie der Sohn im Gemeindehaus treffend und rechtzeitig aufmerksam machte, dass die Majestätsbriefe gesucht werden, und dass er sie gefragt habe, ob sie gut verwahrt seien? Da sei ihr sofort der Gedanke gekommen, die wichtigsten derselben sicherheitshalber anderswo zu verstecken, da man sicherlich, wenn man den Sohn verhaftet habe, wohl auch bei ihnen das Haus durchsuchen werde. Und so habe sie diese zwei Dokumente noch rechtzeitig dem Kistchen entnommen und sie samt dem alten Petschaft am Busen verborgen. Während sie so sprach, entnahm sie einer Tischschublade auch das Petschaft.

»Nun, dies da werden uns die Herren nicht mehr rauben,« fügte sie resolut hinzu und warf einen Blick auf die vor ihr auf dem Tische liegenden Urkunden: »Nein! Diese werden sie uns nicht mehr rauben!« wiederholte ihr Sohn. »Und die verbrannten wird uns Lommikar noch zurückstellen! Er wird es müssen!« Seine Augen funkelten und die bleichen Wangen färbten sich hochrot. Der alte Onkel von Trasinau nickte mit dem weissen Kopfe und Syka reichte dem mutigen Genossen seine schwere Rechte.

Um diese Zeit machte sich Hančí, das Mahl bereitend, behend am Herz zu schaffen. Sie atmete nach der Heimkehr des Mannes erleichtert auf und war umso fröhlicher, da sie hoffte, jetzt werde ihr Mann mit den Herren nie mehr etwas zu tun haben. Die alten Urkunden nahm ja die Herrschaft mit – sie sind weg – Hančí taten sie nicht allzusehr leid. Gab es doch schon so viel Streit, Leid und Widerwärtigkeiten ihrethalber, und immer umsonst!

Jan wird sie schliesslich doch verschmerzen und dann tritt wieder heilige Ruhe ein, er wird wieder ganz ihr gehören, ihr und den Kindern!


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