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XV

Maria Lamminger stand in einem allerliebsten, mit dunkelgrünem Samt überzogenen Pelzchen reisebereit, die Augen auf die Nebentür geheftet, in ihrem Gemache. Die Tür öffnete sich eben und es trat ihre Mutter im kostbaren Reisepelze ein.

»Fahren wir also schon?« fragte die Tochter.

»Noch nicht. Wir müssen auf den Vater warten.«

Ein Schatten huschte über das Antlitz des Fräuleins.

»Fährt er denn mit uns?«

»Ja, er hat es mir sagen lassen. Er kleidet sich schon an.«

»Es wundert mich, dass er sich so rasch entschlossen hat. Sonst pflegt er nie mit uns –.«

»Er kann den Verwalter nicht mehr erwarten. Vielleicht meint er, er werde ihn unterwegs oder in der Stadt treffen.«

Auf einmal wandte das Fräulein rasch den Kopf um.

»Hören Sie, Mama?«

»Jawohl, ein Geräusch, ein Geschrei –.«

»Der Dudelsack – und wie fürchterlich er kreischt, das ist eine Barbarenmusik!«

Der alte Peter betrat das Gemach und das Fräulein fragte ihn rasch:

»Ist schon eingespannt?«

»Zu Diensten, Euer Gnaden – aber – eine Abfahrt dürfte jetzt kaum möglich sein – wenigstens augenblicklich nicht.«

Der Lärm kam näher, der Dudelsack war schon deutlicher zu vernehmen.

»Das sind sie, Euer Gnaden,« sprach Peter ängstlich, die Rechte ausstreckend.

»Wer?«

»Die Bauern. Sie kommen von Klenč, man hat sie schon vom weiten gehört. Freilich – doch das ist ein Gebrülle – und grässliche Masken haben sie an. Wer weiss, was das ist – in früheren Jahren begruben sie immer Mittwoch den Fasching und blieben in ihren Dörfern – «

»Und wohin gehen sie?« fragte die Freifrau.

»Oh – sie sind schon hier – vielleicht – vielleicht – zu uns –« antwortete der alte, ängstlich lauschende Diener.

Die zweite Nebentür ging auf und es erschien darin das etwas bleiche, sommersprossige Gesicht Lammingers.

»Kommt hierher, da werdet ihr sie besser sehen.«

Der alte Peter fuhr zusammen, das Fräulein sprang vom Fenster, wo sie gestanden, und eilte rasch in das Zimmer des Vaters. Die Mutter folgte ihr langsamer und ohne solche Neugierde. Nur der alte Kammerdiener blieb im Gemache. Er horchte vorsichtig und brummte:

»Da steckt 'was dahinter – da steckt 'was dahinter –.«

Weiter im zweiten Zimmer, im Kabinette des Herrn, standen die Damen am Fenster und hinter ihnen Lamminger selbst. Gespannt betrachteten sie den Weg, auf dem sich Brychtas und Čtveráks sonderbarer Zug näherte. Voran junge Burschen, gross und klein, alle laut jauchzend, hinter ihnen der Bär mit seinem Begleiter, die Dudelsackpfeifer, sodann die Masken, der Teufel, der Tod hoch zu Ross, ihnen folgten, ebenfalls reitend, Brychta und Čtveráks nach, dann Bauern, Burschen, Weiber – ein langer, bunter Zug.

Das Fräulein vergass ganz auf die Ausfahrt.

»Ah – der Teufel – wie hässlich – und auch der Tod – diese Baiern und Juden!« und sie lachte fröhlich auf. Nicht einmal die Mutter konnte sich des Lachens erwehren; auch Lammingers Gesicht heiterte sich auf. In seinen Augen zuckte ein schadenfrohes, verächtliches Lächeln auf.

»Das geschieht alles aus Anlass dieses Prozesses,« sagte er. »Wie diese Narren schon im vorhinein jauchzen!«

»Herr Papa, sehen Sie diesen Strohreiter!« rief das Fräulein lebhaft. »Was hält er da?«

»Ja, ja,« fügte die Mutter bei, »ich sehe ihn auch. Was ist das? Und alle wenden sich nach dem Schlosse –«

Das eben vor dem Schlosse erhobene Gejohle, Jauchzen und Lärmen machte die Fenster fast erklirren.

»Uh!« rief das sich mit den Händen rasch die rosigen Ohren zudeckende Fräulein. Lammingers Antlitz verfinsterte sich und zwischen den Augenbrauen bildete sich eine senkrechte Furche.

»Ist das ein ungezogenes Gesindel!« brummte er vor sich hin. »Gerade unter den Fenstern – das geschieht absichtlich –«

»Und sie bleiben stehen. – Was wollen sie, um Gottes willen!« rief die Frau mit einem Blicke auf ihren Mann. Dieser beobachtete jedoch, ohne darauf zu achten, als hätte er es gar nicht gehört, gespannt die Menschenmenge vor dem Schlosse, die jetzt neben dem kleinen Teiche Halt machte. Zwei Choden traten vor und mit einigen wuchtigen Čakanhieben hackten sie nahe am Ufer, wo der »Stroh«-Reiter Aufstellung nahm, in der Richtung gegen das Schloss, die Riesenpeitsche hoch emporhebend, im Eis eine Öffnung aus. Das Volk postierte sich zu beiden Seiten und gegenüber dem Strohreiter stellten sich der Tod und der Teufel auf.

»Ich bitte Sie, was ist das – alle sind so plötzlich verstummt,« fragte voll Unruhe die Freifrau.

Lamminger lächelte nach seiner eisigen und unheilverkündenden Art. »Alles will ich Euch, meine Liebe, erklären. Das, was dieser lebende Strohwisch hält, ist eine Peitsche, eine Geissel, das soll wahrscheinlich ich sein. Und sie verstummten, weil der Teufel oder der Tod – ja der Tod – sehen Sie, wie er mit den Händen herumfuchtelt – etwas spricht – und sehen Sie – ich kann gut raten – er übergibt schon die Peitsche dem Tod und Teufel – das bin ich, jetzt haben sie mich bereits – und weinen zum Spotte – und jetzt – hahaha –«

Die Frau schrie leise auf, als der Tod und Teufel dort draussen im selben Augenblicke die herrschaftliche Peitsche mit einer solchen Wucht in den Teich schleuderten, dass das Wasser hoch emporspritzte. Das grässliche Lachen des Gatten erschreckte sie aber noch mehr. Sie kannte ihn nur zu gut und es flösste ihr Angst ein, dass sein Antlitz so plötzlich erblasste.

Einen Augenblick herrschte im Gemache eine peinliche Stille; von draussen ertönte jedoch das Ächzen der neun Dudelsäcke und der Jubel der Menge.

»Sie haben mich schon ertränkt!« sagte eisig Lamminger, ohne seine Augen von der Menge abzuwenden. Der dumpfe Ton seiner Worte verriet einen inneren Sturm.

»Jetzt spielen sie mir auf,« bemerkte er wieder, seine Blicke unabwendbar wie ein Falke auf die Masse heftend. Mit banger Beklemmung betrachteten ihn Mutter und Tochter, ohne ein Wort zu wagen.

»Ei – wir kennen uns ja – Brychta – und hier Ecl – nun also – ich werde sie ja alle kennen lernen. Wie! Auch Kozina! Fürwahr! Dich habe ich aber für vernünftiger gehalten – so willst du siegen?! Doch genug – Bauernrotte ihr – treibt sie auseinander!« rief er aus und kehrte sich heftig wie zum Fortgehen um. Die Gattin fasste ihn bei der Hand und bat ihn zu bleiben, da die Menge zahlreich sei.

»Lauter Gesindel!«

»Aber sie sind leidenschaftlich erregt –«

»Besoffen sind sie. Ich werde Hunde auf sie hetzen und sie auseinander jagen.«

Da kam ganz bestürzt Peter, der alte Kammerdiener, die Kanzlei bitte um Befehle, wie vorzugehen sei.

Lamminger beherrschte sich.

»Ich komme selbst herunter.«

»Sie schicken sich schon an, abzuziehen,« meldete rasch das Fräulein; ihre Mutter seufzte unwillkürlich auf.

Lamminger kehrte sich dem Fenster zu. Der Zug setzte sich wirklich lärmend in Bewegung.

»Sie kehren nicht heim. Da schlagen sie den Weg nach Aujezdl ein.«

»Nun natürlich, hat sie ja doch Kozina eingeladen!« antwortete der Gatte in bereits ruhigerem Tone; aber in seinen Augen blitzte es unheimlich auf.

Er durchmass einigemal das Kabinett, dann stellte er sich abermals an das Fenster und blickte hinaus. Der Maskenzug bog schon zum nahen Aujezdl ein; das Geschrei, Gejauchze und die Dudelsäcke erklangen schon mehr gedämpft. Die Damen waren in einer peinlich widrigen Situation und hätten sich am liebsten entfernt. Sie wagten es aber nicht, Lamminger, der immer noch dem Fenster zugekehrt war, in seinen Gedanken und Betrachtungen zu stören. Als er sich umwandte, teilte er der Gattin und der Tochter, auf die er offenbar vergessen hatte, mit, dass er zu Hause bleiben und nicht mehr mitfahren werde. Die Damen hatten nach dem, was vorgefallen war, auch keine Lust zur Spazierfahrt in die Stadt, denn sie fürchteten, unterwegs den erregten Bauern zu begegnen.

Lamminger gab den Weg aus keinem solchen Grunde, sondern deshalb auf, weil eine neue Arbeit seiner harrte. Als er in die Kanzlei herunter kam, ordnete er an, es solle sofort ein Bericht über das heute Vorgefallene für Wien und für Prag verfasst und gleichzeitig Vorladungen auf die Burg in Chodenschloss für den morgigen Tag nach Possigkau, Klenč und Aujezdl, auch zu Kozinas Händen, ausgefolgt werden.

Unterdessen tröstete Frau von Albenreuth ihre in Tränen ausgebrochene Tochter.

»Nicht einmal das ist uns vergönnt,« klagte das Fräulein und sank vor Leid und Zorn in den Fauteuil. »Unter solchen Wilden lässt er uns –« Sie verhüllte mit einem leichten Spitzentuch das Antlitz, ohne die Trostworte der ebenfalls noch reisebereiten Mutter zu beachten. Plötzlich hielt die Mutter inne und auch das Fräulein hob das Haupt empor.

»Das war Pferdegestampfe,« sagte die Mutter, »es ist jemand geritten gekommen – vielleicht der vom Vater erwartete Bote.«

Sie durchschritt das Zimmer bis zur Tür, die nach Lammingers Gemach führte.

»Ich höre ein Gespräch – es ist jemand drinnen. Ich werde Peter rufen, wer da gekommen ist. Sollte es der Bote sein –«

Ehe sie jedoch anläutete, trat Lamminger selbst mit einem offenen Briefe in der Hand ein.

»Ich habe es schon hier!« sprach er ungewöhnlich lebhaft. Die Frau war voll Staunen. Seine Augen strahlten und auf den Wangen zeigten sich rötliche Flecke.

»Der Bote ist angekommen.«

»Der Verwalter?«

»Nein–der wurde auf der Reise krank. Ein Amtsbote. Es ist aus, die Entscheidung ist gefallen. Sie sind abgewiesen, die Kommission fand nicht –«

»Sie haben also gesiegt!«

»Vollkommen. Nun, heute haben sie sich das letztemal auf die Freibauern ausgespielt. Und selbst das sollen sie nicht umsonst haben.«

»Sie wissen noch nichts?«

»Nein – sie haben keine Ahnung davon. Sie wähnen sich des Sieges sicher, hahaha! – das wird eine Überraschung sein! Ei, mein Töchterchen, du bist noch immer traurig?« Er trat zu ihr und nahm sie beim Kinn. »Jetzt braucht ihr diese Bauernbengel nicht mehr zu fürchten. Nach der Abrechnung erfülle ich jetzt deinen Wunsch. Wir fahren nach Prag.«

»Wird das noch lange dauern?«

»Es könnte sehr bald sein – aber in Wien hat man sich geirrt,« fügte er, zur Gattin gewendet, erläuternd hinzu. »Die Leute kennen die Verhältnisse auf dem Lande nicht. Die glauben dort noch immer, dass es eine Chodenburg gibt. Es wird hier nämlich angeordnet –« und Lamminger schlug mit den flachen Fingern auf den Amtsbescheid – »das Urteil der Hofkommission solle den Choden auf ihrer Burg in Taus publiciert werden – haha! Die war wohl einmal gewesen – jawohl – aber jetzt mögen sich die Herren diese Ruine ansehen – und wie diesen Choden gleich der Kamm schwellen würde! Dadurch erleidet die Sache eine Verzögerung – der Sicherheit halber muss kund gemacht werden, dass sie es hier in unserer Burg hören werden, wie prächtig sie gewonnen haben.«

Als der herrschaftliche Büttel nachher abends bei der Rückkehr von Aujezdl eine unerhörte – wie er meinte – Nachricht brachte, wollte er seinen Augen gar nicht glauben, dass sie den Herrn so wenig berühre. Er, der Amtsdiener, betrat diesmal voll Angst das Gemach seines Gebieters, denn er befürchtete, dass das sicher auszubrechen drohende Gewitter wenigstens teilweise und auf der Stelle ihn selbst ereilen werde.

»Alles war, Euer Gnaden, voll Lust und Freude,« meldete er, »sie waren wie toll. Man tanzte und jauchzte – und am meisten Brychta aus Possigkau. Kaum dass ich eingetreten bin, – ich bitte, Euer Gnaden, um Verzeihung – was sollte ich anderes machen – brachen sie in ein schreckliches Gelächter aus – und was ich habe alles hören müssen – und so ist es jetzt fortwährend – kaum dass ich mich aus der Gemeindestube hinauswage– kaum zeige ich mich unter ihnen, schon stürzen sie sich auf mich los wie die Wespen –«

Nach erfolgter Ermahnung kehrte er zum Kerne seiner Botschaft zurück. »Sie lachten mich aus – schlimmer ist aber, Euer Gnaden, dass sie – kaum, dass ich den Befehl zum morgigen Erscheinen auf der Burg überbracht habe – ein schreckliches Geschrei anschlugen und Brychta sprang wie ein Raubtier auf und schrie: ›Wir haben unser Recht auf der Burg zu Taus!‹«

Und jetzt begann der Büttel über das Benehmen des Herrn stutzig zu werden. Hier erwartete er den Ausbruch des Donnerwetters, und siehe da, er nickte nur mit dem Kopfe und sprach: »Nun, weiter –«

»Dann stellte sich – Euer Gnaden – Čtverák, nämlich jener Ecl aus Klenč vor mich und schrie mich an: ›Geh' und sage deinem Herrn, er habe uns gar nicht zu zitieren. Die Robot möge er, wem er will, auferlegen – wir sind ihm zu nichts verpflichtet.‹ Euer Gnaden – und das sagte er wirklich – nachdem er ins Lachen ausbrach: ›Oder will er uns für den heutigen Tag seinen Dank abstatten? Oder ist es ihm um die Karbatsche bange? Die ist einmal schon begraben – da gibt's keine Hilfe mehr!‹ Alles fing an zu lachen und schreiend stürzten sie sich wie die Wespen über mich.«

Der Büttel verstummte vor Verwunderung. Der Herr brach noch immer nicht los. Kein Donnerwetter! Nur ein sonderbares Lächeln spielte um seine Lippen.

»Und was denn der Kozina?«

»Den habe ich, Euer Gnaden, dorten nicht gesehen.«

Jetzt erst begann sich der Herr zu wundern.

»Unmöglich!« rief er. »Du hast ihn übersehen.«

»Mit Verlaub, Euer Gnaden – nein – ich habe ihn ja gesprochen.«

»Und wo?«

»Zu Hause, nämlich bei ihm – ich wollte den Befehl Euer Gnaden ausrichten und so ging ich zu ihm auf den Bauerngrund, ob er wohl zu finden wäre, und er war daheim.«

»Und was hat er gesagt?«

»Er sass mit seinem Weibe am Tische – sie erschrak sehr – das sah ich – er stand auf und fragte, was ich wolle? Ich sage, er solle zu Seiner Gnaden ins Schloss kommen, worauf er nur entgegnete: ›Und warum? Was soll ich dorten?‹ Genau so, wie ich es sage, keine Silbe mehr. Ich habe gesagt, dass ich es nicht weiss, und er meinte, wenn er nicht wisse warum, so werde er auch nicht gehen. Ich war über diese Sprache ganz erstaunt, stehe da, warte, ob er es sich vielleicht nicht überlegen wird, und da hat er mich gefragt, ob ich noch etwas auszurichten habe. Das hab' ich noch nie gesehen, wie diese Leute jetzt –«

»Genug!«

Damit unterbrach ihn Lamminger. Er lächelte nicht mehr so wie früher, sondern machte ein finsteres Gesicht.

Der Büttel konnte sich aber vor Verwunderung, dass der Herr so ruhig blieb, noch immer nicht fassen, und diese Verwunderung verliess ihn den ganzen Abend nicht mehr.


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