Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
In der Hälfte des Monates Februar 1695 überführte an einem Nachmittage der Kerkermeister mit einem Soldaten Jan Kozina aus dem Kerker, in dem er bis dahin gewesen, in einen anderen. Draussen tobte der Wind und seine Seufzer drangen bis in den öden Kerkergang. Als Kozina die neue Zelle betrat, blieb er einen Moment bei der Tür stehen; er sah umher, trat sodann so heftig ein, dass seine Fussketten erklirrten. Er stand beim harten, mit blossem Stroh bestreuten Lager, auf dem der Trasinauer Christoph Hrubý ausruhte. Als der Greis im vorjährigen Frühling im Gefängnishofe mit dem Doktor sprach, war er fest davon überzeugt, dass sein Tod nahe sei. Doch dieser stellte sich nicht ein und Hrubý brachte bereits den zweiten Winter im Gefängnisse zu. Sein fahles, abgehärmtes Antlitz und das mattleuchtende Auge zeugten nicht davon, dass seine Kräfte zugenommen hätten. Er war so herabgekommen, dass ihn sein Neffe auf den ersten Blick gar nicht erkannte.
Wo war der zwar alte, aber frischwangige Erbrichter von Trasinau mit seinen hellen, feurigen Augen, der stattliche Greis vom Schlage eines Edelmannes? Hier lag er schwach und entkräftet. Die langen, ehemals stark melierten Haare waren während der Haft schneeweiss geworden. –
Als Kozina an den Greis herantrat, betrachtete ihn dieser eine Weile. Sodann heiterte sich sein eingefallenes Gesicht für einen Augenblick auf und ein mattes Lächeln flog über seine Lippen. Hrubý hatte seinen Neffen seit jener Urteilsverkündung beim Appellationsgerichte, bei der die Landsleute diesen unglücklichen Revers unterschrieben, um sodann in den gedemütigten Chodengau heimkehren zu dürfen, nicht gesehen.
»Du siehst auch schon anders aus, aber doch noch nicht so wie ich,« bemerkte er zu seinem Neffen, von dessen abgemagertem, bleichem Gesichte er die Blicke nicht abwendete. Der Besuch, um den er schon so oft während seiner Haft vergebens gebeten, freute ihn. Er war aber noch mehr erfreut, als ihm der Kerkermeister mitteilte, dass der junge Häftling bei ihm bleiben werde. Die Aufseher entfernten sich, die Tür fiel ins Schloss, dann knarrte der Schlüssel und die Choden waren allein. Kozina setzte sich an das Bett des Onkels. Das matte Winterlicht fiel auf den weissen, bereits abgenützten und schäbigen Chodenrock des Häftlings. Ganz schmucklos war aber dieser Rock dennoch nicht. Aus dem Knopfloche hingen auf die Brust des jungen Choden rote Bänder, das einstige Geschenk Hančís und ein Andenken an die glückliche, fröhliche Hochzeit.
Der Neffe erkundigte sich über den Gesundheitszustand des Onkels und nachdem dieser seine Klagen vorgebracht hatte, frug Kozina den Kranken mit einem mitleidsvollen Blick:
»Ein Jahr ist um und wir sind noch immer hier. Wisst ihr, Onkelchen, warum?«
Der Greis, der sich mittlerweile etwas erhoben und auf dem Lager emporgerichtet; nickte bejahend. Er wusste bereits, dass Lamminger die Berufung gegen das Urteil des Appellationsgerichtes erhoben und beim Kriminalgerichte geklagt hatte.
»Er hat es auch durchgesetzt. Ich war bereits beim Gerichte. Bei einem anderen jedoch. Ich wurde wieder verhört und man warf mir vor, ich habe alles durch meine Rede angestiftet –« Kozina hielt inne.
»Auch bei mir waren sie hier im Arreste. Ich kann nicht auf die Beine.«
»Dachte ich es mir doch,« antwortete der Neffe und fügte bei, Syka, Čtverák, Šerlovský und Pajdar, nebst allen aus der Wiener und Prager Deputation seien wiederum verhaftet worden und ständen auch schon vor dem Kriminalgerichte.
Der Greis nickte mit dem Kopfe, fuhr mit der Hand über die Schläfen und sprach:
»Ich weiss, ich weiss – ich dachte, man will nur mich oder uns zwei, und sie wollen auch diese. Ja, dieser Judas von Chodenschloss, der dürstet nach Blut, der würde am liebsten alle Choden hinschlachten. Mutter Gottes! Ist das ein Urteil!«
»Ihr wisset also schon!« »Ob ich es weiss? Ich weiss es. Die Herren vom Kriminalgerichte waren bei mir. Und euch haben sie es sicherlich auch schon vorgelesen.«
Der Greis verstummte auf eine Weile und richtete seinen trüben Blick auf den Neffen, der schweigend, unbeweglich, das bleiche Gesicht zur Brust geneigt, hier sass. Er hob das Haupt auch dann nicht, als ihm der Onkel den Inhalt des Urteilspruches, der ihm heute bekannt gegeben wurde, mitteilte. Čtverák, er, Christoph Hrubý und Kozina sollen als die Haupträdelsführer und grössten Rebellen aufgehängt werden. Ecl, Syka und Brychta sollen an drei einander folgenden Tagen täglich zwei Stunden Pranger stehen und sodann des Landes verwiesen werden. Bezüglich der anderen – es gab ihrer ja eine stattliche Anzahl – hatte der Greis nicht alles im Gedächtnisse behalten und wusste nur soviel, dass einige zu zwei, andere zu einem Jahre und wieder einige zu drei Monaten schweren Kerkers verurteilt wurden.
Als Hrubý schwieg, erhob Kozina das Haupt, riss sich aus den Gedanken heraus und sprach:
»Ja, so wurde es auch uns vorgelesen.«
»Nun, Bursche, das haben wir statt unserer Rechte. Die Majestätsbriefe hat man uns genommen und den Galgenstrick dafür gegeben. – Aber so hat es nur Lomikar gewollt. In Wien wird man es nicht dabei bleiben lassen, das ist unmöglich! Was haben wir denn verbrochen?«
Kozina schüttelte ernst den Kopf.
»Ich weiss nicht, Onkelchen...«
»Aber das ist ja himmelschreiend! Der Kaiser wird es nicht unterschreiben, nein und abermals nein. – Und wenn schon dieser Chodenschlosser Wolf ein Leben haben muss, so wollen sie mich alten, kranken Mann hinnehmen. Wozu tauge ich denn – ich werde wenigstens die bösen Zeiten nicht sehen,« fügte der Greis mit matterer Stimme bei und schon brach ihm der Husten das weitere Wort ab.
Kozina durchschritt den Kerker und sprach:
»Ich kenne ihn – er lässt nicht nach. O, wir kommen nie mehr heim.«
»Ich nicht, Bursche, aber du –. Ängstige dich nicht. Es ist nicht möglich, du hast ja Weib und Kinder –«
Der junge Bauer blieb stehen. Des Greises Worte berührten das, worauf er bereits früher und auch jetzt gedacht hatte. Seine mächtige Brust konnte einen Seufzer nicht unterdrücken.
»Das ist das ärgste, Onkel. Hanči und die Kinder, meine Kinder, ich denke an sie ohne Unterlass. Wären die nicht! Sollten sie mich aufhängen, ich würde mich nicht ängstigen, würde nicht bitten –«
»Und du könntest Lomikar bitten?!«
»Niemals, und stünde ich auch schon unter dem Galgen.«
Beide verstummten; als sie sodann das Gespräch wieder anknüpften, erwähnten sie des unbarmherzig grausamen, blutigen Urteiles nicht mit einem Worte mehr. Sie dachten an die schöne Chodenheimat und an ihre Familien. Nur einmal beklagte sich noch der alte Hrubý über die Hartherzigkeit der Herren, als er nämlich erfuhr, dass man den Dudelsackpfeifer Jiskra und Hanči zum Neffen nicht vorgelassen habe. Es war ein trauriges Wiedersehen und doch erfreute es beide. Lange haben sie es schon sehnsüchtig herbeigewünscht. Wenigstens teilweise wurden sie der peinlichen Einsamkeit und Absonderung, die voll trauriger, quälender Gedanken war, los. Kozina pflegte den alten Onkel, so weit es ihm als Häftling im Kerker nur möglich war.
Des Greises einzige Freude war, sich über die Heimat zu unterhalten und sein Neffe folgte ihm auch am liebsten in Geiste dahin. Des Urteils machte keiner von ihnen eine Erwähnung mehr und doch dachten beide öfter tagsüber, ob sie verstummten oder sprachen, und auch in der Nacht daran, ob es wohl beim Hofe bestätigt würde? – –
Der alte Erbrichter fürchtete den Tod nicht. Wie oft hatte er doch selbst seiner erwähnt und ihn mit Bestimmtheit erwartet. Er fühlte es, dass seine Kräfte abnehmen. Am dritten Tage seiner gemeinsamen Haft mit Kozina bat er, man möge ihm den Priester schicken. Nachdem dieser gekommen und ihn für den Weg in die Ewigkeit vorbereitet hatte, bat ihn der Greis, er möge ihm einen Brief für die Heimat schreiben. Dass der Priester diesem Wunsche willfahren durfte, freute auch Kozina ungemein; dachte er doch, dass dadurch auch seine Familie benachrichtigt und es ihm vielleicht möglich sein werde, auch ihr einige Worte auszurichten. Dieser blosse Gedanke beglückte schon den nach seinen Lieben inbrünstig sich sehnenden Familienvater.
Der Priester teilte der Familie Hrubý nach Trasinau mit, wie es mit dem Bauer steht, und gab ihr für den Fall, als er nicht mehr heimkäme, dessen letzten Willen bekannt. Er teilte allen mit, wie betrübt er sei, da er niemanden von ihnen mehr sehen werde und dass er sie zum letztenmale segne. Am Schlusse bemerkte er, es sei jetzt Kozina bei ihm und dieser lasse sie alle in Trasinau und zu Hause in Aujezdl, das Weib, die Kinder und die Mutter tausendmal grüssen, man möge dies sicher in Aujezdl ausrichten. Mehr durfte nicht hinzugeschrieben werden.
Der alte, freundliche Priester tröstete noch, bevor er die Kerkerzelle verliess, den Hrubý, er möge den Tod nicht fürchten, möglicherweise werde er ja noch gesund.
Hrubý liess ihn aber gar nicht ausreden.
»Diese Herren wissen ja doch auch schon, dass es mit mir aus ist, denn nur darum liessen sie diesen Burschen zu mir kommen –«
Als der Priester fort war, wendete er seine müden Augen dem Neffen zu und sprach:
»Wenn es doch Gott gäbe, mein Bursche, dass ich wüsste, dass du dem entgehst! Wie ein Felsblock lastet es auf meiner Brust – das wäre ein anderes Sterben –« Er verstummte, blickte in die Leere vor sich hin, bis er sich wieder dem ihm zu Füssen sitzenden Neffen zuwandte.
»Und sollte es dennoch Gottes Fügung sein und man würde dich wirklich verurteilen, Jan, verlege dich nicht aufs Bitten!«
»Ich werde nicht bitten, ich sagte dies bereits, Onkel.«
»Wir haben zwar nichts ausgerichtet, aber so ganz ohne Nutzen werden wir doch nicht sterben –« Das Auge des Greises blitzte wieder auf. »Und wenn auch bei uns alle unterschrieben und widerrufen haben, wenn wir es nicht auch tun, geht unser Recht nicht verloren. Unsere Nachkommen können sich, so Gott will, in besseren Zeiten wieder melden.«
Ermüdet verstummte er und faltete die Hände wie zum Gebet. Nachmittags schlummerte er ein wenig, hierauf betete er wieder eine Weile. Als er geendet hatte, unterhielt er sich mit Kozina, das Sprechen ermüdete ihn aber schon und er hielt oft inne. Er war wieder im Chodengau, gedachte der Seinigen und empfand Schmerz darüber, dass er nicht in der heimatlichen Erde ruhen wird. Dann griff er nach Kozinas Hand.
»Jan, um Gottes willen bitte ich dich in Seinem dreiheiligen Namen, einmal, zweimal und dreimal, verzeihe mir – du würdest vielleicht nicht hier sein – wenn ich nicht – – – verzeihe mir –« Seine Stimme bebte.
Der junge Chode drückte die kalte Greisenhand.
»Ich wäre auch so hier, Onkelchen – ihr habt mir nie weh' getan – nie –«
Als im Kerker die erste Dämmerung eintrat, liess sich der alte Trasinauer Erbrichter abermals vernehmen: »Ich bete ohne Unterlass und bitte den lieben Gott, er möge sich unserer Lieben zu Hause erbarmen und am meisten deiner, Jan – er möge es nicht zulassen, dass du unschuldig in den Tod gehst. Und ich hoffe, es gibt noch eine göttliche Gerechtigkeit.«
Als hierauf der Kerkermeister dem Kranken eine Tasse Suppe brachte, rührte sie dieser gar nicht an. Kozina bat, man möge ihnen Licht belassen, und der Kerkermeister willfahrte dieser Bitte. Kozina schloss die ganze Nacht kein Auge zu, denn er merkte selbst schon, dass sich der Onkel nicht täusche. Der alte Chode war bis zum letzten Augenblick bei klarem Bewusstsein. Als die Lampe gegen Früh bereits auszubrennen drohte, ersuchte er den Neffen, er möge laut beten. Kozina kniete beim Bett nieder und sprach ein Gebet nach dem anderen, ohne die Augen vom Onkel abzuwenden. Plötzlich hielt er im Gebete inne. Der Onkel streckte nämlich heftig die Hand aus, machte eine Kopfbewegung und Totenblässe bedeckte plötzlich sein Antlitz.
Blasser Morgenschein drang in den düsteren Kerker, in dem man einen Mann krampfhaft weinen hörte. Als der Kerkermeister später mit dem Frühstücke für die zwei Häftlinge eintrat, fand er Kozina bei der Leiche des Onkels sitzen. Der junge Chode weinte nicht mehr. Blass und unbeweglich wie eine Bildsäule sass er hier mit gefalteten Händen. Er betete für den Onkel, dessen Seele in freiere Regionen emporgestiegen war.
Als man den Leichnam des alten Hrubý hinaustrug, bat Kozina um die Erlaubnis, ihn zum Grabe geleiten zu dürfen. Man gewährte ihm diese seine Bitte nicht, er erhielt bloss auf seine Frage die Antwort, die Leiche werde morgen Nachmittags begraben. Eine andere Bitte wurde ihm aber erfüllt: man führte ihn nicht in seine frühere Kerkerzelle ab, sondern beliess ihn, wie er es wünschte, in jener, in der sein Onkel sein Leben beschloss. An diesem und am folgenden Tage dachte er fast nur an den Onkel. Er dachte darüber nach, wo der im Chodenlande von allen am meisten geachtete Erbrichter seinen Geist aufgab und wohin man etwa seine Leiche fortschaffen wird. Er hatte niemanden aus seiner Familie bei sich, der an seiner Leiche weinen könnte, ja daheim wusste man es gar nicht, dass der Hausherr in die Ewigkeit eingegangen ist. Welch' einen Jammer würde es dorten auf dem Bauerngute in Trasinau geben, wie würden die Söhne und das Gesinde – nicht nur in diesem Augenblicke, da er verschieden – aber durch alle drei Tage wehklagen. Klagerufe würden die ganze Zeit hindurch aus dem Bauerngute ertönen, alle guten Taten, die der Verstorbene im Leben vollbracht, würden aufgezählt werden, wie er die Familie, das Gesinde liebte, wie weise, freigebig und bereitwillig er allen gegenüber war. Und hier belässt man ihn in der Totenkammer, in die man ihn übertragen hat, nicht einmal bis zum dritten Tage. Schon am zweiten Tage wird er hinausgetragen, und die drei alten Dorfsänger, die am offenen Sarge stets ein Klagelied über das Scheiden der Seele anzustimmen pflegen, werden nicht kommen – nicht einmal die Nachbarn werden dem Toten das letzte Geleite geben. Niemand wird ihn begleiten, kein Glockengeläute wird ertönen, man wird ihn hinaustragen und in das Grab versenken. Wenn man wenigstens ihm gestatten würde, diese unglückselige letzte Ruhestätte zu sehen, sich sie zu merken! Merken? Er? Wird er denn je zurückkehren, um zu Hause berichten zu können?
Kozina erbebte.
Den ganzen Nachmittag, an dem, wie er wusste, das Begräbnis des alten Onkels stattfand, betete er. Doch im inbrünstigsten Gebete befielen ihn düstere Gedanken, die ihn oft hinderten, das Gebet zu sprechen.
Er gedachte seiner selbst, dachte an Weib und Kinder. – Doch um ihn handelt es sich ja gar nicht! – Vielleicht erwartet ihn noch ärgeres. – Wird das Urteil dort in Wien bestätigt werden? Seine Gedanken versagten, er fühlte, als würde das Herz plötzlich still stehen – rascher und inbrünstiger sprach er das Gebet, um diesen schrecklichen Gedankengang zu hemmen. – – –
Es kamen wieder Tage der peinlichen Einsamkeit und Absonderung, die voll trauriger, quälender Gedanken waren. Langsam verstrich die Zeit, bange schleppte sie sich dahin.
Als der Kerkermeister eines Tages das Frühstück brachte und schon die Zelle verlassen wollte, blieb er bei der Tür stehen, heftete seine Augen auf den Häftling und sprach:
»Höre 'mal, Bauer, ich habe eine Nachricht für dich. Doch verrate nicht, dass du sie von mir hast. Du fürchtest, das Urteil werde in Wien im vollen Umfange bestätigt werden – es wird dir doch Erleichterung bringen –«
Kozina hob rasch den Kopf und horchte gespannt auf.
»Gestern kam es aus Wien – ich habe es . nur so unter der Hand erfahren – du verstehst mich doch und wirst schweigen,« sprach der Kerkermeister. »Der Kaiser hat nicht alles unterschrieben –«
Der Gefangene fuhr zusammen und fühlte, wie sich seine Wangen röteten. Seine Augen hingen an den Lippen des Kerkermeisters.
»Der Kaiser bestätigte das Urteil insoferne, dass nur einer von euch – weisst du, gehängt werden soll –«
»Und welcher?« fiel ihm Kozina begierig ins Wort.
»Das weiss ich nicht. Das sollen die hier erst entscheiden.« Der Kerkermeister deutete dabei mit dem Finger auf sich selbst und meinte damit die Kriminalräte. »Der Alte entging der Strafe. Jetzt seid ihr nur zwei – auf wen von euch die Wahl fällt – der wird –. Es bleibt dies ihnen überlassen. Du bist aber besser daran. Ètwerák wurde nach Wien an erster Stelle vorgeschlagen, weil er so spöttische Reden hielt; der Verstorbene war als zweiter und du als letzter im Urteil genannt. Du dürftest also am ehesten fortkommen.«
»Und falls ich nicht verurteilt werde?«
Der Kerkermeister verstand ihn.
»Heimkehren wirst du auch dann nicht. Derjenige, der begnadigt wird, kommt auf zehn Jahre nach Komorn in Ungarn. So ist es gestern herabgelangt. Zehn Jahre auf der Festung sind auch just kein Vergnügen – aber sie vergehen doch. Von Komorn kannst du heimkehren – aber von dort –« Der Kerkermeister schwieg.
»Behüt' euch Gott!« dankte Kozina mit dumpfer Stimme.
»Aber schweigen! Ich würde es dir wünschen, du hast Weib und Kinder –«
Der Kerkermeister ging. Die Nachricht glich einem die Kerkerfinsternis durchblitzenden Hoffnungsstrahl. Eines war dabei klar: alle, jetzt nur noch beide, er und Čtverák, werden den schimpflichen Tod nicht erleiden. Einem von ihnen winkt das Leben. Welchem? Der Hoffnungsstrahl leuchtete bald schwächer und matt, bald blitzte er wieder hell auf, als ihn die Erwägungen des Häftlinges belebten. Dieser empfand eine Weile Freude. Er war jung, hatte ein liebes Weib, Kinder, würde nicht gerne sterben. Er hatte auch keinen Grund dazu, er war von seiner Unschuld überzeugt. Er strebte nur eine gerechte Sache an, und als die anderen dem Lomikar und dessen Beamten zum Trotz allerlei Streiche zu spielen begannen, warnte er sie und hielt sie davon ab. Er stützte sich nur auf die Wahrheit, vertraute auf sein Recht, er baute auf Gerechtigkeit. Jetzt soll er oder Čtverák gehängt werden. Dieser hatte in Klenč jene Spottrede über die herrschaftliche Peitsche gehalten, die er dann in den Teich schleuderte. Er verunglimpfte Lomikar. Dieser kann es nicht verschmerzen. Und er, Kozina, hielt Čtverák ab, bat ihn um Gottes willen, er möge nicht gegen das Schloss ziehen. Und jetzt ist er mitschuldig und mitverurteilt! Auch Čtverák hatte diese Strafe nicht verdient und überhaupt keiner von den Choden, nur er, Lomikar allein, der alle absichtlich aufstachelte und reizte. Wen würde seine Wahl treffen? Wen würde Lomikar zum Tode bestimmen, Čtverák oder ihn, Kozina, der ihm so oft mutig in die Augen blickte und stets mannhaft im Namen aller antwortete? Und da ertönte es immer in seinem Innern: »Dich, dich!«
Doch Lomikar entscheidet ja nicht, sondern das Gericht. Der Gefangene atmete auf, doch gleich stieg ihm wieder wie eine schwere Wolke der Gedanke auf: »Wie mächtig er aber ist! Er stürzte das Urteil des Appellationsgerichtes um. und wird die Richter dazu bewegen, dass sie in seinem Sinne entscheiden.« –
Er soll nur entscheiden! Das wird er aber nicht erleben, dass er sich ihm unterwerfe, er. wird es nicht erleben, dass er, Kozina, widerrufe und sage: »Dies alles, was ich verteidigte, war unrecht und meine Behauptungen waren eine Lüge.« Da würde Lomikar zu aller seiner Schlechtigkeit noch Hohn gesellen und spöttisch auf ihn deutend, ausrufen: »Sehet, wie er zahm geworden ist, wie er sich unterwirft –« Nein, er hatte schon soviel gelitten und jetzt sollte er noch diesen Hohn und diese Schmach erleben?
Als sein verstorbener Vater einst prophezeite, für die Chodensache werde noch Blut fliessen, da dachte er, ach! wahrhaftig nicht, dass sein eigener Sohn –. Und als er, damals unter der Linde vom Chodenschlosser Verwalter und seinen Leuten blutig geschlagen wurde, irrte er sich ebenfalls. Gottes Wille geschehe! Stirbt er, so geschieht dies einer gerechten Sache wegen. –
Es kamen aber auch Augenblicke, in denen ihn diese feste Entschlossenheit zu verlassen drohte, dies war dann der Fall, wenn er seines Weibes und seiner Kinder gedachte. Wie oft netzten da Schweisstropfen seine Stirn, als er alles dies erwog und der letzten Augenblicke und der ewigen Trennung gedachte.
Die Ungewissheit, dieser ununterbrochene Kampf der Hoffnung mit der Besorgnis, quälte ihn am meisten, und er fragte öfters schon den Kerkermeister, ob die Entscheidung bereits gefallen sei. Dieser antwortete ihm stets verneinend und schliesslich sagte er, er wisse es zwar nicht bestimmt, es dürfte aber vielleicht schon entschieden sein, doch müsse der Gerichtshof seine Entscheidung zur Sanction an die oberste Instanz leiten und da vergehe wieder manche Woche.
Schreckliche Menschen! Wozu dieser Verzug, wozu diese Tortur? Doch niemand antwortete Kozina, niemand achtete auf ihn.
Einmal sass er in einer schlaflosen Nacht auf seinem Lager und erwog abermals, ob er oder Ctverák zum Tode verurteilt würde. Wann wird er dies erfahren? Wer kann ihm diese Frage lösen? Da kam ihm eine Idee: Frage! Suchen nach Zeichen. Gerade Zahlen bedeuten Ctverák, die ungeraden deinen Tod – Er erhob sich und trat näher an die Wand. Einen Augenblick stand er stille, dann trat er aus, schritt gerade aus zur Tür und zählte stille die Schritte. Durch die Finsternis hallte das Klirren seiner Fusskette. Plötzlich verstummte es. Kozina war an der Tür angelangt und hatte ausgezählt. Sieben Schritte! Ein Unglückszeichen! Und doch machte er noch eine Probe. Er trat an das Bett, griff hinein und zog eine Handvoll Stroh heraus. Sodann begann er beim Fensterlein die Strohhalme zu zählen. Die abgezählten fielen einer nach dem anderen auf den Boden. Vierzehn – jetzt hat er nur noch zwei in der Hand – fünfzehn, sechzehn, oh, da fand er noch einen zwischen den Fingern, der letzte, siebzehn! – – In dieser Nacht schlief er nicht mehr ein; aber einen dritten Versuch, durch ein Vorzeichen sein künftiges Geschick zu erfahren, machte er nicht mehr.