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XVI

Am Faschingdienstag gab sich ganz Aujezdl und der ganze Chodengau lärmenden Belustigungen hin. Nur Kozina war mürrisch. Dieser dem Chodenschlosser Herrn zum Spotte veranstaltete Zug verdarb ihm jede Fröhlichkeit. Er ahnte wohl, dass dabei nichts Rechtes herauskommen könne. Wie leichtsinnig doch alle sind! Was sie jetzt alles treiben und ob sie wohl damit nicht alles das, woran sie so mühsam arbeiten, wonach sie streben, schädigen werden?

Sein Gemüt erhellte sich auch in den nächsten Tagen nicht. Der Herrschaftsbüttel kam nicht mehr, um den Grund der Vorladung zu sagen, und Kozina stellte sich auch nicht ein. Die übrigen vorgeladenen Dorfrichter gleichfalls nicht. Wie sonderbar! Es forderte sie niemand mehr vom Schlosse auf, weder um sie zu verhören, noch um sie wegen des verweigerten Gehorsams zu strafen, die ganze Angelegenheit wurde von niemandem mehr erwähnt und ebenso auch der Aufzug nicht, der – wie man mit Sicherheit annahm – der Grund der Vorladung war. Erst als einige Tage nach diesen Begebenheiten der Erbrichter Syka aus der Stadt einen Brief erhielt, heiterte sich das nachdenkliche Antlitz Kozinas auf. Der Brief aus Wien war vom Prokurator Straus, der darin die Mitteilung machte, die Kommission habe bereits ihre Arbeiten begonnen und aller Wahrscheinlichkeit nach könne man mit Sicherheit ein gutes Resultat erwarten. Einen Brief ähnlichen Inhaltes, mit einer Nachschrift Justs versehen, erhielt auch der alte Hrubý in Trasinau. Freilich hatten beide Briefe ein älteres Datum und langten der schlechten Wege und Verwehungen halber, wodurch die ohne dies von Haus aus schon mangelhafte Verbindung noch mehr erschwert wurde, später als gewöhnlich ein. Dagegen trafen aber im Schloss in der letzten Zeit einige berittene Eilkuriere ein und gingen auch einige solche wieder von hier ab; und alle schlugen eine und dieselbe Richtung ein – die gegen Wien. – –

Hančí Kozina betete, so oft sie sich zu Bette begab oder von demselben aufstand, Gott möge schon alles beschleunigen und einem guten Ende zuführen. Um ihres Mannes willen wollte sie es erflehen. Sie verstand ihn am besten, sie nahm es am besten wahr, wie er zerfahren ist, wie wenig er alles andere beachtet und wie sein ganzes Sinnen und Trachten nur diesem unglückseligen Prozesse gilt. Sie merkte es wohl, dass er unruhig ist, als könnte er etwas nicht erwarten, und sah, wie oft er in Gedanken verfiel, wie oft er jetzt – nicht mehr wie früher die Einschichte des Dudelsackpfeifers – sondern vielmehr Syka, seine Mutter und den alten Onkel in Trasinau besuchte, die alle an dem Prozesse den lebhaftesten Anteil nahmen. Die Häuslichkeit freute ihn nicht mehr so wie früher und auch sie, ja sogar die Kinder vergass er mitunter ganz. Und die pflegten ihm sonst doch das Liebste zu sein! Traurig gedachte sie jener Augenblicke, in denen er noch mit ihr zu sitzen pflegte und wie schön sie sich da bald über dies, bald über jenes, meistens aber über die Kinder unterhielten, wie oft er sie herzte – und jetzt! Wie sollte sie da nicht beten, Gott möge schon alles zu einem raschen und glücklichen Ende führen!

So verfloss ein Tag nach dem anderen und Wochen waren schon vergangen. Die Sonne begann mehr Wärme auszustrahlen und in den Niederungen schmolz der Schnee. Die grau angehauchten Rasen kamen zum Vorscheine, die Wege wurden allmählich trocken und auf den sonnigen Ufern sprossen Grashälmchen. Paul brachte der Hanálka bereits Palmkätzchen der verjüngten Salweiden und Gänse- nebst Schlüsselblümchen aus dem Garten. Da kehrte eines Tages gegen Abend Kozina ganz erregt heim.

Hanči atmete tief auf, als sie die von ihm überbrachte Neuigkeit hörte. Syka hatte einen Amtsbescheid aus Pilsen erhalten, dem zufolge der Kreishauptmann auf die Burg zu Chodenschloss kommen werde, um den Bewohnern der Chodendörfer bekannt zu geben, wie über ihre Beschwerden in Wien entschieden wurde. Übermorgen sollten sie sich dort einfinden.

War das ein langer Tag, eine Ewigkeit, vor dem Entscheidungstage, und die vorangehende Nacht! Hanči schlief nicht gut. Am frühesten war die alte Kozina auf. Länger als sonst kniete sie auf der Bank vor dem Fenster im Gebete – und als sodann der Sohn wegging, begleitete sie ihn mit Hančí bis vor das Tor und wünschte ihm mit lauter Stimme, er möge mit einer fröhlichen und glücklichen Nachricht heimkehren. Sie sah ihm wie festgebannt nach, als er Syka abholen ging; gleich wäre sie dem Sohne nach Chodenschloss gefolgt, wenn es sich für ein Weib geziemte, unter Männer zu gehen. Die alte Bäuerin war lustig, ging doch der Sohn im guten Vertrauen auf Recht und Gerechtigkeit fort. Er glaubte auch den aus Wien kommenden Nachrichten, die davon zeugten, dass dieses seltene Gewürz noch nicht aus der Welt geschwunden sei, und übereinstimmend versicherten, dass Lamminger keinesfalls siegen werde.

»Noch heute werden wir frei sein!« sagte die alte Bäuerin zu der Schwiegertochter, als sie in das Gut zurückkehrten.

»Möge es doch Gott geben!« antwortete Hančí mit einem unterdrückten Seufzer, dem Echo einer gewissen trüben Ahnung, die sie hinderte, mit gleichem Vertrauen der Heimkehr ihres Mannes entgegen zu sehen.

Es war ein wunderschöner Morgen. Hoch über den braunen Feldern und der grünen Saat erklang unter dem aufgeheiterten Himmel Lerchengesang. Die Sonne schien und an ihren warmen Strahlen wärmte sich der alte Přibek, des Mathias Vater, der im Garten hinter dem Hause sass und noch immer den Pelz anhatte. Sowohl um ihn herum, als auch im Dorfe herrschte Stille. Fast alle Männer waren ausgezogen, alle nach dieser unglückseligen Burg zu Chodenschloss, in der ihnen und ihren Vätern schon so viel Bedrängnis und Leid aufgekeimt war. Heute wird es wohl anders werden. Man erwartete es allerorts. Nur Mathias sprach kein Wort, als er aufbrach. Sein alter Vater grübelte schon seit früh darüber nach, was man dorten wohl ausrichten und mit welcher Nachricht man heimkehren werde. Jeder war voll Vertrauen, sehr viele sogar voll Sicherheit – oh, gebe es doch Gott! – oder sollte dieser Stern, dieser Komet doch deswegen erschienen sein?

Er hob den nachgrübelnden Kopf, denn leicht wie ein Vögelein kam tänzelnd und hüpfend Manka aus dem Wirtschaftsgebäude herbei. Nur ein paar Worte wechselte sie mit dem Grossvater und schon eilte sie wieder auf die Anhöhe hinter dem Bauerngrunde, um sich in der Gegend umzusehen. Sie lugte aber nur nach einer Richtung aus, nach jener gegen Chodenschloss, wohin ihr Vater und mit ihm die bei ihnen eingekehrten Putzerieder gezogen waren. Kurz vorher befragte sie den Grossvater, wie lange wohl die Verhandlungen im Schlosse dauern können, wann die Männer etwa heimkehren werden – und jetzt lugte sie schon wieder aus – um alsbald wieder voll Ungeduld durch den Garten in das Gebäude am grübelnden Grossvater vorbei zu eilen, alles aufzuräumen und schön in Ordnung zu bringen. Es wird ja der alte Šerlovský kommen und, wie ihr sein Sohn heute früh, bevor er sich mit den übrigen auf den Weg ins Schloss machte, mitgeteilt hat, wird letzterer um sie werben. Heute soll sie Braut werden und nach der Ernte wäre sie – Gott im Himmel! – schon sein Weib! Sie hielt inne, liess die Arbeit stehen und stand in Gedanken vertieft mit heiterer Stirn, und diese lieblichen Gedanken zauberten ein Lächeln auf ihre Lippen.

Um diese Zeit eilte Lammingers junge Tochter aus dem Schlossgarten in ihr Gemach. Es war für sie ein prächtiger Spaziergang auf den mit feinem Sand bestreuten Stegen zwischen dem hie und da schon jung ergrünenden Gesträuche, unter Bäumen, deren Äste voll Knospen waren. Doch die um sie herum herrschende Stille begannen lärmende Gäste zu stören. Ein Gemisch von tiefen Männerstimmen wurde vor der Gartenwand, vor dem Gartentor und rundherum vernehmbar. Dieses dumpfe Gesumme wuchs immer mehr an, bis es wie das Brausen eines grossen Stromes rauschte. Das Fräulein schrak förmlich zusammen, als sie durch das Gesträuch blickte. Überall sah sie weisse, lange Scherkenröcke, überall lauter schwarze, breitkrempige Hüte.

Ringsherum standen überall Choden: junge, alte, auch runzelige Männer, doch lauter stämmiges Volk mit feurigen Blicken, ausdrucksvollem Gesichte und mit dunklem, langen, bis auf die Schultern herabwallenden Haare. Auf Grund der Kundmachung des Kreishauptmannes kamen sie hier aus dem ganzen Chodengau in grosser Anzahl zusammen. Jeder wollte die Entscheidung der Wiener Herren, diese fröhliche Botschaft auf eigene Ohren vernehmen. Sie standen je nach dem Alter, der Bekanntschaft oder den Dörfern in grösseren oder kleineren Gruppen da. Am zahlreichsten waren die Bewohner von Klenč, Possigkau und Aujezdl erschienen – doch auch die entfernteren Dörfer: Kličov, Melhut und Putzeried entsendeten die Mehrzahl ihrer Männer. Die zahlreichste und geräuschvollste Gruppe war am Rande der Lindenallee versammelt, wo die weissen Röcke der um Brychta aus Possigkau und Ecl Čtverák, deren Faschingszug so viel besprochen wurde, versammelten Männer schimmerten. Noch jetzt lachten alle, als ihnen Čtverák selbst in seiner lustigen Art davon erzählte.

Der weisshaarige ernste Christoph Hrubý stand mit seinem Neffen Kozina und einigen älteren Bauern in dem zum Schlosshofe führenden Tor. Alle blickten schweigsam in der Richtung der Kanzlei, wohin Syka gegangen war, um dort Unterhandlungen zu pflegen. Lamminger wollte, die Entscheidung solle in der Kanzlei vorgelesen werden, und der wiedergenesene, vor einigen Tagen zurückgekehrte Verwalter kam, um jene Choden zu bestimmen, die sich in die Kanzlei begeben sollten. Dagegen erhoben sich aber alle.

»Wozu habt ihr uns gerufen?« riefen sie aus. »Alle haben wir geklagt, alle möchten wir gerne die Entscheidung hören.«

Das Geräusch und Gesumme um das Schloss herum begann sich plötzlich zu legen, bis es auch in den entferntesten Gruppen mit einem Schlag verstummte. Im Tor erschien Syka, der mit der Čakane schwenkend das Zeichen gab, stille zu sein und mit weit vernehmbarer Stimme rief:

»Der Herr Kreishauptmann hat es zugestanden – kommt rasch, hierher in den Hof–«

Wie ein plötzlicher Windstoss, wie ein aufgehaltener und plötzlich abgelassener Wildbach verliessen die Choden auf einmal die Stellen, wo sie gestanden, und strömten durch das Bogentor in den Hof. Allen voran war Brychta, dessen Stimme auch dieses Gesumme und Geräusch grell durchdrang. Im Augenblicke war der Hofraum des Schlosses voll; und alles war von den lichten, langen Scherkröcken weiss. Mann an Mann, ein schwerer breitkrempiger Hut an dem anderen, hie und da eine Mütze – hie und da das Blitzen einer beschlagenen Čakane. An der Spitze der Menge gegenüber dem Fenster der Kanzlei im ersten Stockwerk standen die Erbrichter, Kozina und in einiger Entfernung hinter ihm Matthias Přibek, der alle wie eine Eiche im weiten Walde überragte.

Aller Blicke waren auf die Kanzlei, aus der sie eine so wichtige Nachricht erwarteten, emporgerichtet. Die meisten erwarteten mit Sicherheit eine fröhliche Nachricht, denn Lamminger widerlegte auch nicht mit einer Silbe die Versicherungen des Wiener Advokaten und die des Just und er liess nichts von der Entscheidung, die ihm längst bekannt war, in die Öffentlichkeit dringen. Er wartete ab, bis von Wien aus die Erlaubnis herablangen wird, dass den Choden der Inhalt der Urkunde nicht auf ihrer ehemaligen Burg in Taus, sondern auf seiner Burg zu Chodenschloss verkündigt werden dürfe.

Es gab wenige unter den Versammelten, denen im Geiste ein beklemmender Zweifel aufgestiegen wäre, und auch diese wagten ihn nicht ganz ihren zuversichtlich und freudig erregten Landsleuten kundzugeben. So konnte sich's Syka, der »Prokurator«, im Kopfe nicht recht in Ordnung bringen, warum weder Štraus noch die Wiener Landsleute von dieser Entscheidung irgend eine Nachricht schickten. Doch diesen Zweifel beseitigte Kozina selbst mit dem Hinweis auf die viel raschere Beförderung und Verbindung der Ämter und Herrschaften untereinander.

Doch jetzt werden sie sich überzeugen. Jetzt gleich! Im Hofe legte sich der Lärm, aber das Gesumme, das Gewirre gedämpfter Stimmen brach sich noch an den Mauern des Herrensitzes. Viele verstummten schon – und jetzt – sieh! Der Diener öffnete oben das Kanzleifenster, das erste, das zweite – gleichzeitig erschien rechts ein Herr in einer kraushaarigen langen Perücke, im schwarzen Rocke mit einem Aktenstück in der Hand und rechts neben ihm stellte sich ein anderer auf. Er hat eine ähnliche Perücke, aber der Rock erstrahlt von Goldstickerei. Es ist der Kreishauptmann Hora selbst. Die breiten Kremphüte flogen durch die Luft, die Choden entblössten zum Zeichen der Ehrfurcht vor dem kaiserlichen Beamten die Köpfe. Im selben Momente erschien auch im zweiten Fenster Lamminger. Matthias Přibek entging es nicht, wie boshaft er lächelte, als er seine grauen Augen auf diese zahlreiche Chodenversammlung, in der ihn alle, alle hassten, richtete.

Tiefe Stille. Der Hauptmann winkte mit der Hand und gab kund, er bringe die Entscheidung über die von ihnen überreichten Beschwerden, er spreche im Namen Seiner Majestät des Kaisers, sie mögen ihn darum in Ehrfurcht und Ruhe anhören und sich ebenso verhalten. Sodann kehrte er sich seinem Sekretär zu, der die Urkunde entfaltete und Vorkehrungen zum Lesen traf. Kozina fühlte sein Herz heftiger pochen. Alle hielten den Atem an, kaum dass jemand mit den Augenwimpern zuckte.

Es erscholl die Stimme des Beamten. Die Urkunde enthielt die Nachricht von der durch die Choden überreichten Beschwerde, von der angeordneten Kommission, lauter Sachen, die bereits bekannt waren, und die ungeduldige brennende Neugierde der Zuhörer nicht stillten. Alle waren voll Erwartung und Begierde auf die nun zu erfolgende endgültige Entscheidung. – Schon! jetzt! – Alle zuckten zusammen, als wäre ein Funken in die Versammlung hereingeflogen.

»Die Choden haben ihre Privilegien und Rechte schon längst verwirkt und da ihnen im Jahre 1668 ein perpetuum silentium, d. i. ein ewiges Schweigen strengstens angeordnet wurde und sie dessen ungeachtet die eben genannten Privilegien und Rechte neuerdings anzustreben gewagt haben, verfielen sie für diese ihre mutwillige und vermessene Handlung einer strengen Busse und Strafe. Nichtsdestoweniger soll ihnen verziehen werden, jedoch unter der ausdrücklichen Bedingung, dass sie sich nie mehr im Geheimen versammeln und zusammenrotten werden, und auch die Überreichung oder Übersendung jeglicher, wie immer gearteter Petitionen oder Klagen aus Anlass vermeintlicher Rechte unterlassen werden.«

Während der Beamte las, herrschte eine tiefe Stille, die je weiter desto tiefer und drückender war. Die Versammlung war wie vom Donner gerührt. Hie und da wendete sich ein Nachbar heftig dem anderen zu – aber lautlos. Bestürzte Blicke begegneten sich. Je grösser die Hoffnung war, desto grausamer war die Enttäuschung. Man fand anfangs gar keine Worte dafür. Dies ist doch unmöglich! So etwas hat man ihnen doch nicht zuschicken können! Der Beamte hatte die Stelle, wo ihnen gedroht wird, zu Ende gelesen und hielt eine Weile inne. In der Versammlung herrschte noch eine grauenhafte Stille, bis endlich durch diese Stille aus einer enttäuschten, beleidigten und aufgebrachten Brust ein mächtiges:

»Das ist nicht wahr!« erscholl.

Der erste Windstoss vor dem Gewitter. Und schon brauste der Lärm, das wilde Geschrei der enttäuschten, empörten Choden durch den Burghof. Mit diesen Worten war alles gesagt. Der Heidenlärm ward sowohl die Antwort für den Kreishauptmann, als auch die Zustimmung für denjenigen, der die Worte ausgestossen hatte. Dies war Kozina. Er trat aus der Menge vor und stand gerade gegenüber dem Fenster. Sein Haupt ist erhoben, sein flammender Blick ist kühn auf den Hauptmann gerichtet, er ergreift das Wort. Kaum hatte man dies wahrgenommen, begann sich das Geräusch zu legen, bis alle vollkommen verstummt waren.

»Das ist nicht wahr, das kann nicht sein!« rief Kozina. »Wäre das, was Ihr da vorgelesen habt, wahr, und hätten wir keine Rechte und Majestätsbriefe, so hätte dies der Kaiser selbst unseren Leuten in Wien gesagt. Wozu hätte man diese Kommission angeordnet, wenn unsere Rechte keine Gültigkeit mehr hatten!?«

Lamminger zuckte wie von einer Viper gebissen zusammen, neigte sich aus dem Fenster vor, wich aber sofort wieder zurück, denn ein schreckliches Geschrei der unten Versammelten machte ihn stutzig.

»Richtig! Richtig!« ertönte es am deutlichsten aus diesem stürmischen Gewirre mächtiger und erboster Stimmen.

»Und die Unsrigen würden uns auch etwas darüber schreiben!« rief Ecl, zum Volke sich wendend.

Es dauerte eine Weile, bevor sich der Lärm ein wenig legte und der Kreishauptmann zum Worte kam.

»Wer von euch hat die Klage eingereicht?« rief er aus dem Fenster in die Versammlung.

»Wir alle! Ich! Ich! Wir alle!« lautete die einstimmige stürmische Antwort der Menge. Sie glich einem sturmbewegten See. Hie und da bildeten sich Gruppen und Schwärme um die am heftigsten Erregten. Immerhin kam der Hauptmann doch noch einmal zum Worte. Er warnte sie und mahnte zur Ruhe, dies alles werde ihnen nichts helfen, wie sie sich bereits damit, was sie ihrem Herrn antaten, als sie in seinen Wäldern wilderten, die Robot verweigerten, Zinsen nicht zahlten, seine Diener prügelten, ja sich sogar so weit verstiegen, dass sie auch ihn, den hochgeborenen Herrn, auf eine höchst schändliche Art beschimpften, nur geschadet haben.

Ein unten aus einigen Kehlen ertönendes grobes Gelächter war die Antwort auf die Worte des Hauptmannes. Dieser liess sich aber nicht beirren und rief mit erhobener Stimme:

»So weit ist es bereits gekommen, dass sich euer Herr unter euch nicht sicher fühlt und zu seinem Schutze um Militär ansuchen musste!«

Ein wildes Geschrei unterbrach neuerdings seine Rede.

»Gegen uns? Wo ist es? Wo ist das Militär?«

»Militär wider uns! In uns hineinschiessen!« brauste die wilde Antwort aus dem Hofe. »Militär gegen uns! Dieser Henker!« Gleichzeitig erblitzte über den Wellen der zornbewegten Flut eine Čakane, nach ihr eine andere, ja eine ganze Menge, die drohend über den Köpfen gegen das Schlossfenster geschwungen wurden. Dieses war aber bereits leer.

Lamminger war verschwunden.

»Im Namen Seiner Majestät des Kaisers!« schrie der Hauptmann. Er musste jedoch diesen Ruf wiederholen und noch eine Weile warten, bis seine Worte Gehör fanden.

»Das Militär war gegen euch schon bewilligt, doch euere Abgesandten haben in Wien bei Hofe gebeten –«

»Wer hat ihnen die Vollmacht gegeben?« rief Ecl Čtverák aus.

»Sie haben das Gesuch eueres Prokurators unterfertigt –«

»Dieser Schelm! Wir haben ihn darum nicht gebeten. Sicherlich war er bestochen!«

»Bestochen! Bestochen!« brauste es in der Versammlung.

»Macht, wie ihr wollt, ich rate euch aber, seid vernünftig. Leistet Folge und tuet, was ihr tun müsst. Es wurde ferner angeordnet, dass ihr in meiner Gegenwart euerer gnädigen Obrigkeit, dem Herrn von Albenreuth, den Untertaneneid leistet und Leibeigenschaft angelobet. Nur so soll euch verziehen werden –«

Er sprach den Satz nicht zu Ende, er konnte es nicht. Die wilde Flut der Stimmen machte selbst den unerschrockenen Beamten stutzig.

»Wir haben noch unsere Majestätsbriefe!« schrie unten Ecl Čtverák dem Hauptmann in das Fenster zu. Die Chodenmenge wogte schon stürmisch hin und her.

»Nichts werden wir schwören! Wir geloben nichts! Wir müssen es nicht!« durchtobten den Sturm durchdringende Stimmen.

Mit Donnerschall ertönte es: »Los gegen Lomikar!«

Es war Matthias Přibeks Stimme; und im ganzen Hofe widerhallte es: »Auf! Gegen ihn! Auf gegen Lomikar! Tötet ihn! Nieder mit ihm!« und ein Wald von Čakanen wogte drohend über den Häuptern.

Der Hauptmann wollte noch einmal sprechen. Sein vor Angst zitternder Sekretär sah ihn voll Bangigkeit an und flehte demütig, er möge sich und ihn nicht ins Verderben stürzen. Von hinten trat Lamminger totenfahl wie ein Geist an sie heran und ersuchte den Hauptmann, sich mit diesen Rebellen nicht abzugeben. Unten hatte man den am Fenster aufgetauchten Lamminger erblickt; das Gebrülle der Stimmen erdröhnte noch wilder und schon stürzten auch Matthias Přibek, Brychta aus Possigkau, der junge Šerlovský und viele andere mit geschwungenen Čakanen zur Tür, um in das Innere zu dringen. Aber früher noch als sie, erreichten die Stiege Kozina und vor ihm noch sein Onkel, der Trasinauer Dorfrichter Christoph Hrubý. Der Greis wollte die Tür nicht erstürmen, sondern blieb zu ihrem Schutze auf der untersten Stiegenstufe stehen. Ein gleiches tat sein Neffe Kozina, der etwas höher Aufstellung nahm. Das ausdrucksvolle Gesicht des alten Choden war gerötet, die Augen flammten. Ohne Hut stand er da und frei wehten seine langen, schneeweissen Haare zur Schulter herab. Der entscheidende Augenblick flösste ihm Kraft und Schwung ein. Wie ein »Bursche« richtete er sich, die Čakane fest mit der Rechten umfassend, empor, und sah festen Blickes der gegen die Tür stürmenden Menge entgegen.

»Nicht einen Schritt weiter!« donnerte er ihnen zu. Die Stimme und die ganze ernste Erscheinung des alten Choden machte selbst Matthias Přibek und den ganzen Haufen stutzig.

»Was wollt ihr?« rief der Greis, »Morden? Seid ihr Chodenmänner oder Mörder? So wollt ihr euere Rechte erlangen?«

Und Kozina rief:

»Leutchen, seid doch, um Gottes willen, vernünftig! Noch ist nicht alles verloren. Wir werden doch erfahren, ob es wahr ist, was man uns da vorgelesen hat. In Wien erfahren wir –«

»Und es steht uns noch die Appellation zu!« rief der ›Prokurator‹ Syka aus, der sich in diesem Augenblicke auf die Stufe schwang und neben Kozina Aufstellung nahm. Die erhobenen Čakanen sanken. Die Mässigeren und Bedächtigeren gesellten sich auch hinzu; sehr viele wurden durch Kozinas und Sykas Worte überzeugt.

»Nun, wäre Hrubý und Kozina nicht hier, Lomikar würde jetzt nicht mehr atmen!« schrie Brychta, den die ihn zur Vernunft mahnenden Landsleute umringten.

»Und es wäre für immer Ruhe!« bemerkte eine Stimme.

Blass und auf seine mässigen und vorsichtigen Nachbarn ganz erzürnt, heftete Matthias Přibek auf diese seine zornsprühenden Blicke, zog seine Mundwinkel in die Breite und sprach:

»Nun, ich will sehen, wie euch dafür Lomikar belohnen wird.«

 

Wie ein Bienenschwarm stürzten die auf das Höchste gereizten Choden, lärmend und schreiend, aus dem Burghofe. Das Gemenge heftiger Stimmen summte noch lange vor dem Herrensitze, wohin wütende und grässliche Flüche auf das Haupt Lammingers entsendet wurden; man vergass dabei auch nicht auf den Prokurator Straus, von dem alle überzeugt waren, dass er sich zu ihrem Schaden bestechen liess. Eine Weile wurde noch beraten, ein Antrag wurde nach dem anderen gestellt, und jeder war heftig, ja leidenschaftlich. –

Selbst als die zahlreiche Menge sich in Häuflein, die in den verschiedenen Richtungen ihren Dörfern zueilten, geteilt hatte, wurde noch immer weiter debattiert. Man beriet sich und verwünschte, denn mit jedem Häuflein ging auch der Zorn und der Hass zur Obrigkeit mit – er ging, wuchs und vermehrte sich von Dorf zu Dorf, durch alle Gaue des bitter enttäuschten Chodenlandes.

In der Chodenschlosser Burg hatte das Gewitter ausgetobt. Im Burghofe, auf den Gängen, überall herrschte tiefe Stille, das Tor und alle nach aussen führenden Türen waren geschlossen. Der alte Kammerdiener Peter, der bis zum gänzlichen Abzuge der wutentbrannten Bauern vor Angst halb tot war, kam erst jetzt wieder zu sich.

Die Herren gingen heute sehr spät zur Tafel, es schmeckte auch niemandem sonderlich, weder ihnen, noch ihren Gästen, dem Kreishauptmann und seinem Sekretär. Der Herr Hauptmann verlieh seiner Bewunderung darüber Ausdruck, wie standhaft die Freifrau sei, die unter so unruhigen Verhältnissen mit dem Fräulein hier verweile. Frau von Lamminger sagte ihm aber darauf aus Furcht vor dem Gatten nicht die volle Wahrheit. Dieser antwortete für sie:

»Sie wollte mir nicht glauben, was für ein boshaftes und verwegenes Volk das ist. Wollte ich um Militär ansuchen, bat sie mich, ich möge es unterlassen. Was ich diesbezüglich unternahm, geschah ohne ihren Willen – leider, geruhte die hohe Regierung meinem Ansuchen nicht zu entsprechen. Heute haben, Herr Hauptmann, selbst gesehen, dass ich in meinen Berichten und Gesuchen die Verhältnisse wahrheitsgetreu geschildert habe. Wir sind hier des Lebens nicht sicher. Meine Frau und Tochter muss ich fortführen – und bleibe ich nicht hier, wie wird die Wirtschaft aussehen? Wenn sie sich in ihrem Übermut schon jetzt so weit versteigen und wenn sie mir schon jetzt einen solchen Schaden angerichtet haben, wie würde es erst zugehen, wenn ich nicht hier wäre? Und bleibe ich, wer gibt mir die Gewähr, dass ich meine Familie je wiedersehe? Ich glaube, es sei die Pflicht der hohen Regierung, mich in Schutz zu nehmen. Das Militär ist hier unbedingt notwendig. Ich hoffe, Sie stimmen mit mir überein. Es handelt sich hier auch ums Beispiel und die Folgen. Belässt man diesen hier die Willkür, wie wird es anderswo zugehen? Wird sich das Volk nicht auch anderswo empören? Jetzt dürfte eine Abteilung genügen, später könnten wohl einige Regimenter genug Arbeit finden. Wie vor dreizehn Jahren!«

»Ich war früher der Meinung, man könnte auf friedliche Weise mehr erzielen,« meinte der Hauptmann Hora. »Heute aber war es zu arg und der Ernst und die Autorität der Regierung dürfen nicht zulassen, dass sich derartige Vorfälle wiederholen.«

»Meiner Ansicht nach wäre es am besten, sie ihres Hauptes zu berauben – der ärgsten Hetzer –«

»Wenn Sie alle zu kennen geruhen.«

»Vor allen ist da dieser Just aus Taus – aber ärger noch ist dieser Bauer aus Aujezdl, Kozina, der heute so frech zu antworten wagte.«

»Ich kenne ihn aus Ihren Berichten. Fürwahr, ein sehr verwegener Mann und wie geläufig er spricht – und nicht ohne Vernunft –«

»Deswegen ist er eben der gefährlichste. Die rhetorische Begabung besitzt er. Will er – und er wird sicherlich wollen – so entflammt er alle aufs neue. Wenn dieser im Dunkeln sitzen würde, würde sich dieses Gewitter bald verziehen.«

»Vielleicht haben sie heute ausgetobt,« meinte der Kreishauptmann. »Ich glaube, nachdem sie die kaiserliche Entscheidung vernommen haben, werden sie kaum noch so viel Mut und Verwegenheit besitzen. Sollten sie sich aber im geringsten rühren, würde ich mich in Prag selbst dafür verwenden, dass Militär hergesendet werde.«

»Da werden hier Degen und Reitersäbel sehr bald klirren,« antwortete Lamminger lächelnd und goss seinem Gaste in das grüne Gläschen einen goldigen Wein ein. »Nun dann werden sie kaum mehr mit Tod und Teufel herkommen, um die Peitsche der Obrigkeit in den Teich zu schleudern – und dann werden ihnen vielleicht auch alle verwegenen und beredten Orationen vergehen –«

Alle beim Tische verstanden, was er damit meinte, und sie fühlten es auch heraus, was Herrn von Albenreuth, in dessen kühlen Augen es beim blossen Gedanken darauf wild aufleuchtete, am meisten beleidigt und empört hatte.


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