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VI

Es war keine Truppenabteilung, wie es die Stimme andeutete, sondern nur ein Reiterschwarm, Kürassiere. An der Tete ritten einige Herren in weisslichen Mänteln, offenbar Offiziere. Auf den Köpfen hatten sie nicht, wie die Mannschaft Helme mit Helmbügeln, sondern schwarze, goldbordierte Dreispitze. Sie kamen in der Richtung von Taus. Weil jedoch daselbst keine Garnison war, erriet man leicht, dass sie von der Pilsner Besatzung seien.

Gleich wie der Schwarm in das Dorf hereinritt, lösten sich von ihm einzelne Reiter, die auch paarweise durch die Gassen und zwischen den Gebäuden durchreitend, sämmtliche Dorfausgänge besetzten. Der Rest hielt auf dem Dorfplatze unweit des Erbrichteramtes. Schon vorhin hatten diese paar Kürassiere ganz Aujezdl in Aufruhr gebracht, jetzt wuchs die Erregung rapid durch den neuen, unvermuteten Besuch. Das Geräusch und der Lärm der zahlreichen Menge vor der Erbrichterei verstummten plötzlich, als die angekommenen Reiter auf das gegebene Kommando auf einmal und wie mit einem Schlage die Pallasche zückten. Als die metallnen Scheiden erklirrten und die glitzernde gezückte Waffe die Luft durchschwirrte, war die Menge wie verstummt und gelähmt. Die Weiber blickten beängstigt vor sich, die Männer schwiegen finster.

Als die an der Spitze reitenden zwei Offiziere absassen, ertönte im Volke ein Aufschrei, der lebendige Ausdruck des Erstaunens: »Ei, dorten ist ja auch der Herr von Chodenschloss!«

Kaum hatten sich auf diese Stimme hin aller Augen nach der angedeuteten Richtung gewendet, rief jemand anderer: »Und der Verwalter Koš aus Kauth!«

Fürwahr, es war Maximilian Lamminger, Freiherr von Albenreuth, d. Z. Kreishauptmann von Pilsen, selbst. Zwei höhere Offiziere schritten ihm zur Seite und hinter ihnen der Verwalter Koš. Der Chodenherr, ein Mann von mittlerer Statur, circa fünfzig Jahre alt, schritt mit hochaufgerichtetem Haupte einher, sicher und fest; seine blassblauen, kalten Augen blickten scheinbar gleichgültig, aber vorsichtig auf das versammelte Volk. Ein kühler Wind spielte, leicht wehend, mit seinem von der Schulter lose herabhängenden Mantel und mit den zahlreichen rötlichen Locken seiner Allongeperücke.

Hastig und strenge befahl der Verwalter von Chodenschloss der Menge auseinander zu gehen und den Weg frei zu machen. Lamminger schritt vor sich blickend durch das verstummte Volk; knapp bei der Türe begegnete sein Auge einem funkelnden aber düsteren Blick, der auf seinem bleichen sommersprossigen Gesichte fest haften blieb.

Ein junger Bauer, von stattlicher Gestalt, den Kopf mit weissem Tuche verbunden, blickte ihn so an. Das war keineswegs der Blick eines furchtsamen, eingeschüchterten Frohnknechtes, sondern der stolze Blick eines freien, selbstbewussten Mannes. Lammingers weissgelbe Augenwimpern blinzelten unwillkürlich heftig.

Im selben Augenblicke, als der Edelmann mit den Offizieren in die Stube trat, näherte sich der Dudelsackpfeifer Jiskra Řehůřek dem in der Nähe zwischen zwei Kürassieren stehenden Přibek, deutete, auf die roten Haarlocken des Herrn von Chodenschloss, schnitt eine Grimasse und sprach:

»Umsonst hat ihn Gott nicht gezeichnet –«

»Jede Bestie hat ihr Merkmal,« antwortete Přibek kurz und trocken. Da befahl der Verwalter von Chodenschloss mit roher Stimme den beiden Přibeks, dem jungen Kozina und einigen Bauern, den ältesten aus dem Dorfe, die man schon ausgesucht hatte und die hier bereit standen, sie mögen in die Stube treten. Ehe Kozina eintrat, wendete er sich um; sein Blick suchte Weib und Kinder. Er fand sie blass und verweint.

Sie drängte ihm nach, und – welch ein Wunder – dieser Verwalter, der bei der Tür blieb, liess sie und die alte Mutter mit den Kindern eintreten, gleich den Weibern jener, welche eben in die grosse Stube des Erbrichters geführt wurden, auch die junge Manka Přibek, die sich mutig bis hieher durchgedrängt hatte.

Aller Blicke waren auf die Herren gerichtet. Als dieselben die Mäntel abgelegt hatten, blieben sie in der Ecke am grossen Richteramtstische mit dem geschnitzten Gestelle stehen und konversierten lebhaft mit gedämpfter Stimme untereinander.

Von den Offizieren in weissen Waffenröcken und roten Hosen hob sich Lamminger im dunkelroten, mit breiten steifen Schössen versehenen Rocke, der vorne mit glänzenden Borten und Goldstickereien besetzt war, merklich ab. Rechts von den Herren, die insgesamt hohe Reitstiefel trugen, blieb der Kauther Verwalter Koš, der aus Rücksicht zur Obrigkeit hier den Hut abnahm, stehen. Die Gestalt des Verwalters und sein ganzes Benehmen verrieten einen alten Soldaten. Davon zeugte auch die dunkelrote, breite Narbe oberhalb des rechten Auges, die er sich als Andenken an die Schlacht bei Wien geholt hatte, als er vor neun Jahren in Leopolds Heere die Türkenmacht niederzuwerfen mithalf.

Unweit der vorgeführten Choden, jedoch ganz allein, stand Georg Syka, der Erbrichter, der »Prokurator«, wie man ihn nannte; er musterte die Herren schlau und heimlich und drehte seinen dichtbehaarten Kopf nach den übrigen Landsleuten. Jiskra Řehůřek, der im Hintergrunde stand, merkte es wohl, dass der Erbrichter vorsichtig und langsam seinen Standort verlasse und zu den Seinigen zu gelangen trachte, um ihnen vielleicht etwas zukommen zu lassen oder zuzuflüstern, woran ihn jedoch die Wache in der Person eines eckigen Kürassieres im schwarzen Kürasse mit gezücktem, schwerem Pallasche hinderte.

Die alten, mit Gewalt hergezerrten Nachbarn betrachteten die Herren mit Spannung, einige nicht ohne Schüchternheit. Die meisten warteten aber, zwar finster, jedoch ruhig ab, was da geschehen werde, – namentlich Mathias Přibek, der alle um einen Kopf überragte. Ärger erging es dem alten Vater. Das Stehen strengte den Greis an und niedersetzen durfte er sich nicht. Die einzige Erleichterung gewährte ihm die mächtige alte Čakane, auf die sich seine sehnigen Hände stützten.

Nur der junge Kozina war etwas unruhig; bald hatte er seine Blicke auf die Herren gerichtet, bald auf Syka, gleich sah er sich wieder um, dann nickte er mit dem Kopfe – aber nicht seinem Weibe, sondern seiner Mutter zu. Diese merkte es und drängte sich bis an ihn hinan. Im selben Augenblicke, da die Herren ihr Gespräch unterbrochen hatten, begann der Verwalter von Kauth, Koš, auf den Wink seines Herrn mit mächtiger Stimme den Bauern irgend eine Urkunde vorzulesen.

Die alte Kozina hörte jedoch seine ersten Worte nicht. Sie war in diesem Augenblicke wie vom Himmel gefallen. Einige wenige Worte, die ihr Sohn zu ihr gesprochen, hatten sie so aufgeregt.

»Mutter, die Herren kommen nicht meinetwegen, aber um die Majestätsbriefe,« lispelte er ihr hastig zu. »Habt ihr sie gut verborgen?«

Nur dies, kein Wort mehr hat er gesagt. Aber die alte Kozina hatte genug daran.

Er weiss, dass sich die Majestätsbriefe bei ihr befinden! Wer hat es ihm wohl gesagt? Syka sicherlich nicht. Er muss sie also damals beobachtet haben – – Und er blieb stumm, stumm wie ein Fisch. Erst jetzt – weil er um das Schicksal der alten Freiheitsbriefe besorgt ist. – Diese Gedanken blitzten durch den ergrauten Kopf der alten Chodin. »Was ist zu machen, was meint er wohl?«

Ihr Blick haftete voll Verwunderung am stattlichen Sohne. Dieser kehrte sich aber nicht mehr um, sondern horchte aufmerksam dem zu, was Koš, erhobenen Hauptes, wie eine Säule stehend, in gestrengem Tone vorlas. In der Stube herrschte tiefe Stille. Der Verwalter von Kauth erinnerte daran, dass nach der scheusslichen und grimmigen Bauernrevolte vor zwölf Jahren Im Jahre 1680. ein allerhöchstes Patent herausgegeben wurde, mit welchem Patente sämtliche vor diesem Aufstande verliehenen Vorrechte und Privilegien aufgehoben und null und nichtig erklärt wurden, weil alle Streitigkeiten und Prozesse der Untertanen mit der Obrigkeit durch diese Freiheiten und Privilegien hervorgerufen wurden und in ihnen ihren Ursprung hatten. Nichtsdestoweniger wurden hie und da, wie auch in diesen Chodendörfern, diese geschriebenen, wiewohl bereits ausser Kraft gesetzten Rechtsbriefe nicht ausgefolgt, weil man in der kindischen Einbildung, lebte, als könnte mit ihnen noch etwas erreicht werden, ja dass sogar viele robotpflichtige Leute, wie dies gerade in diesem Dorfe geschah, sich versteigen, Gewalt zu gebrauchen und dass sie an die Beamten Seiner Gnaden des hochgeborenen Herrn Lamminger, Kreishauptmannes von Pilsen, in höchst sträflicher Weise Hand angelegt haben, auf die alten Rechte und Majestätsbriefe sich berufend.

Nichtsdestoweniger geruhen Seine Gnaden in ihrer Güte und Nachsicht für diesmal dem renitenten Jan Sladký, genannt Kozina, der sich so viel zu Schulden kommen liess und jenen, die ihm Beistand geleistet, zu verzeihen, jedoch als Hauptmann des Pilsner Kreises im Namen der allergnädigsten Regierung strenge anzuordnen und zu befehlen, dass, da nach gewonnener Überzeugung nur diese vermeintlichen Privilegien die Ursache dessen waren, diese genannten Majestätsbriefe und Pergamente, die sich, wie erhoben wurde, nirgends sonst nur noch hier in Aujezdl befinden, alle ohne Ausnahme unverzüglich und freiwillig ausgefolgt werden, widrigenfalls der Herr Kreishauptmann kraft seines Amtes alle Ungehorsamen und Widerspenstigen dazu zwingen und auf das strengste bestrafen würde. – Koš liess seine Rechte, welche das Schriftstück hielt, sinken. Der Verwalter heftete seine stechenden Augen auf die Bauern, als wollte er die Wirkung seiner Worte erforschen.

Lamminger gab sich den Anschein, als hörte er gleichgültig zu, und betrachtete dabei kühl die vor ihm stehenden Choden. Seine Augen betrachteten aber niemand anderen so aufmerksam als den jungen Kozina, dessen Blick ihn vorher so tief getroffen.

Sobald Koš zu Ende gelesen hatte, trat auf einen Moment tiefe Todesstille ein. Die Wirkung des zur Verlesung gebrachten Befehles war offenbar. Diejenigen, die früher durch das Militär, das Geklirre der blanken Waffe, das unerwartete Erscheinen der Offiziere mit dem Kreishauptmanne an der Spitze in Bestürzung gerieten, blickten nun mit ängstlicher Spannung nach dem Tische und dem Herrn von Chodenschloss.

Kozina wandte sich jedoch nach Syka um, als hätte er erwartet, dass der »Prokurator« das Wort ergreifen werde. Doch dieser schwieg. Der junge Grundbesitzer besann sich nicht lange und sprach:

»Das, was der Herr Verwalter über mich las, dass ich mit den herrschaftlichen Knechten und mit dem Verwalter raufte, ist wohl richtig, der Verwalter wollte aber meine gezeichnete Linde fällen lassen und diese verteidigte ich und musste sie verteidigen. Seit ich lebe, gehörte diese Linde der Familie Kozina, auch zu weiland meines verstorbenen Vaters, Grossvaters, ja auch Urgrossvaters Zeiten, wie es hier diese Alten gut wissen. Darum danke ich für die Gnade, aber ich habe nichts verbrochen – und bezüglich dieser Majestätsbriefe – wissen doch die Herren selbst recht gut, dass sie noch in Geltung stehen. Sie sind gültig und werden gelten, weil wir Choden uns zur Zeit dieser Bauernrevolte ruhig verhielten, nicht einen Finger rührten, und so bezieht sich dieser zu Wien erlassene Befehl nicht auf unsere Rechte, sondern hat nur in jenen Dörfern im Lande Geltung, wo die Bauern sich gegen ihre Obrigkeit auflehnten.«

Die ersten Worte sprach Kozina langsam, als suchte er sie oder als stünde er an sie vorzubringen; aber in weiterer Folge trat in seiner Rede seine natürliche Beredsamkeit zu Tage und er sprach lebhaft und mit Überzeugung. Sein Antlitz wurde rot, seine Augen glänzten. Seine Antwort wirkte nun mehr als jener schroffe Befehl des Hauptmannes, den Koš verlesen hatte. Auf die Brust der anwesenden Choden wurde eine grosse Last gewälzt, doch Kozina's Rede liess alle wieder freier aufatmen, verscheuchte die düstere Wolke. Syka starrte voll Bewunderung den mutigen Sprecher an, den er bis zum heutigen Tage des Vertrauens in ernsten Sachen nicht für würdig gehalten. Der alte Přibek nickte mit dem weissen Kopfe, sein Sohn verzog spöttisch die Lippen und sah abwechselnd vom Verwalter auf den Lamminger, als wollte er sagen: Vergebens hast du diese schlaue Falle gestellt. Wir gehen nicht in die Schlinge! Und die Übrigen, die die Köpfe hängen liessen, hoben sie jetzt wieder stolz.

Die lichtgelben Augenwimpern Lammingers zuckten aber heftig zusammen und vermochten den wütenden Blick nicht zu verbergen. Ganz erstaunt blickten die zwei Offiziere bald auf den kühnen Redner, bald auf den Kreishauptmann.

Dieser bezwang seine mächtige Erregung wenigstens teilweise und sprach: »Ihr habt den allerhöchsten Befehl vernommen. Ich rate euch, ihm Folge zu leisten. Jedermann, der sich dem Befehle widersetzen wird, soll als Rebell und Aufwiegler gelten. Und ihr wisset gut, wie man erst unlängst hartnäckige Rebellen behandelt hat.«

Der Akzent seiner Aussprache bewies, dass das Böhmische nicht seine Muttersprache sei. Nachdem er diese wenigen Worte gesprochen, gab er dem Verwalter Koš einen Wink und dieser begann einen Choden nach dem anderen zu befragen, ob er von den Majestätsbriefen wisse und wo sie verborgen wären? Der Erste, an den er diese Frage richtete, ein halb erblindeter Greis, antwortete:

»Euer Gnaden, ich weiss nicht.«

Ähnlich war es beim zweiten, dritten und auch der alte Přibek gab dieselbe Antwort. Sodann kam an seinen grossen Sohn die Reihe. Ruhig blickte er dem Verwalter ins zorngerötete Gesicht und sagte: »Ich weiss nichts, doch wenn ich's auch wüsste, würde ich's verschweigen.«

Mit einem halblauten Fluche wandte sich der Verwalter an den jungen Kozina und ein hämisches Lächeln glitt über seine Lippen, als auch dieser entschieden: »Ich weiss nichts,« sagte. Dieselbe Antwort ward dem Verwalter auch vom letzten – dem Erbrichter Syka – zu teil.

Das sommersprossige Antlitz Lammingers erbleichte. Die beiden durch die Unbeugsamkeit der Bauern erzürnten Offiziere knüpften mit ihm ein halblautes erregtes Gespräch an, worauf er, ein wenig vortretend, mit bereits etwas zitternder Stimme sprach: »Ihr werdet euere alten Papiere und Pergamente schon ausfolgen, nur wird es dann bereits zu spät sein, denn dann wird das Militär, das hier bleiben wird, euch eueren letzten Heller genommen, eueren letzten Bissen verzehrt haben, dann werdet ihr alle, wie ihr da stehet, in Fesseln geschlagen und einer oder zwei von euch werden am Galgen aufgeknüpft werden.«

Er schleuderte dem jungen Kozina einen Blick zu, doch dieser senkte auch diesmal seine Augen vor dem Herrn nicht.

Nach dieser Ansprache winkte Lamminger dem Soldaten zu, er möge ihm und den Offizieren die Mäntel reichen, und fast schon in der Türe sagte er noch laut zum Verwalter Koš:

»Jetzt tut euere Pflicht, ihr habet meine Vollmacht.«

Die alte Kozina hatte dies alles nicht mehr gehört und auch nicht mehr gesehen. Gleich wie der Verwalter Koš während des Lesens von den Majetätsbriefen eine Erwähnung tat, übergab sie den kleinen Paul seiner Mutter, schlich sich durch die Soldaten durch und eilte hastig nach Hause. Als sie sodann nach einer Weile aus dem Bauernhofe wieder zurückkehrte, traf sie an dem Torflur Řehůřek Jiskra, der wie wild in den Hof stürzte.

»Was geschieht?« frug die Greisin.

»Es steht schlimm. Syka wollte mir etwas mitteilen, doch war es nicht möglich. Nur so viel habe ich vernommen, dass die Bauerngründe durchsucht werden sollen – dies sollte ich dir, Bäuerin, sagen. Ich wäre ja gar nicht herausgekommen, wenn sich nicht alle, wie die Offiziere weggingen und der Herr von Chodenschloss sein Ross bestieg, hinausgedrängt hätten.«

»Sie ritten fort?« –

»Fort nach dem Chodenschlosse, das Militär blieb aber und dieser Verwalter Koš aus Kauth droht arg Syka und Jan –«

Die Alte schrak zusammen. »Und was will er denn? –«

»Was sollte er wollen? Die Majestätsbriefe. Bei den Sykischen wird bereits alles durchsucht – alles wird durch einander geworfen – und diese Soldaten – und Hančí weint dort und jammert –«

»Und Jan? –«

»Stumm wie ein Fisch –«

Die Kozina sprach kein Wort mehr. Rasch und flink wie eine junge Maid eilte sie dem Erbgerichte zu. Den Lärm und das Geschrei hörte man schon vom weiten. Die vor dem Schulzenhaus angesammelten Dorfbewohner waren ungemein erregt. Als sie näher kam, erblickte sie ein Weib, welches, aus dem Gebäude herausstürzte und händeringend schrie:

»Mutter Gottes, was geht da vor! Wir unglücklichen Weiber! –Du, Kozina!« –schrie sie auf, als sie die Greisin wahrnahm, »eile schnell, den Sohn mordet man dir dort hin –«

Die geräumige Schulzenstube war zu dieser Zeit zwar nicht mehr so überfüllt, dafür bot sich hier aber dem Zuschauer ein beängstigender Anblick. Die Herren waren bereits gegangen, und einige Kürassiere gaben ihnen das Geleite.

Als die Greisin voll Erregung in die Stube stürzte, bot sich ihren Blicken ein trauriges Schauspiel. In einer Ecke stand neben seinem alten Vater der mit Stricken gefesselte Mathias Přibek. Ihnen zur Seite stand Manka, den erschrockenen Paul Kozina an sich drückend, während seine Mutter, Hanálka an ihren Busen schmiegend, vor dem Verwalter von Kauth auf den Knieen lag und für ihren Gatten Gnade erflehte. Seitwärts, in einer zweiten Ecke bedrängten zwei Kürassiere mit blanker Waffe den Erbrichter Syka, um aus ihm ein Geständnis zu erpressen. Gleiches widerfuhr dem jungen Kozina, bis es seinem treuen Weib gelang, wenigstens für einen Augenblick diese Folterscene zu unterbrechen.

»Hanka, stehe auf, bitte nicht, ich gebe nicht nach, nie und nimmer,« rief Kozina. Dann versagte ihm aber plötzlich die Stimme. Er bemerkte seine alte, eben hastig eintretende Mutter.

Die Greisin blieb wie gelähmt stehen. Ihr graues Haar war über der Stirne zerzaust. Sie sah ihren gefolterten Sohn, sah den Verband, den man ihm vom Haupte gerissen, das aus der kaum vernarbten Wunde über die Wangen quellende, frische Blut – und gleichzeitig stürzte auch ihre Schwiegertochter auf sie zu. Totenbleich, ganz ausser sich, bat sie um Gottes willen die Mutter, diese möge Jan zureden, auf Kinder und sich Bedacht zu nehmen.

»Nicht ein Wort, Mutter – ihr habt gelobt – mit Handschlag. – Höret nicht, was Hančí spricht,« – rief Kozina der Mutter zu. Er befürchtete, die Mutter könnte nun selbst verraten, was sie vor ihm stets verborgen hielt.

Die alte Kozina blieb einen Augenblick ganz starr. In ihrem Busen tobte der Kampf des Chodenweibes mit der Mutter. Sodann wandte sie sich an Svka und schrie auf:

»Schulze, man schlägt mir meinen Sohn tot –«

»Syka, weder dir noch mir wird man den Kopf in Fransen schlagen. Lass' die Weiber klagen,« rief Kozina.

Die Kürassiere hielten auf des Verwalters Wink inne. Dieser wandte sich an die alte Kozina und sprach:

»Du, Alte, weisst von allem. – Sei vernünftig und sprich, um deinen Sohn zu retten, sonst – du weisst ja, was ihn und euch alle erwartet.«

Ein Moment der Stille. Aller Blicke waren auf die in der Mitte der Stube stehende Greisin gerichtet. Sie sah rechts den Erbrichter Syka, links ihren blutenden Sohn an und schwieg, als ob sie überlegen würde.

»Mutter – ihr wisst, was der selige Vater –« hub Kozina an, als er die Mutter zaudern sah; bevor er aber den Satz zu Ende sprach, rief diese schon dem Verwalter fest und finster in die Augen blickend:

»Ich weiss nichts, wie sollte ich etwas wissen –«

»Lieb' Mütterchen!« brach Hanka aus.

»Du weisst nichts, Bäuerin?!« fuhr sie Koš an.

»Ich weiss nichts,« wiederholte sie mit noch dumpferer Stimme.

Ohne ein Wort der Entgegnung verliess der Verwalter die Stube und suchte draussen seinen Kollegen vom Chodenschloss auf. Dieser warf soeben mit einigen Soldaten in der Kammer des Erbrichters alles durcheinander. Nach einem kurzen, mit gedämpfter Stimme geführten Gespräche kehrte Koš wieder in die Stube zurück, während der Chodenschlosser Verwalter gleich darauf mit Assistenz das Schulzenhaus verliess und direkt zu Kozina's Bauerngrunde eilte. Einige andere Kürassiere begaben sich gleichzeitig in den Hof von Přibeks Wirtschaft.

Zur selben Zeit trennten sich auch die übrigen, vor dem Hause mit gezückten Pallaschen wartenden Soldaten. Sie verteilten sich nach den einzelnen Gebäuden im Dorfe, um hier als Besatzung zu bleiben.

Der Tag ging zur Neige und die Abenddämmerung brach über das unglückliche Dorf herein. Der Feierabend, sonst so still und ruhig, brachte jetzt nur Verwirrung, Leid und Angst. Aus den Bauerngründen vernahm man die Stimmen der Kürassiere und das Gewieher ihrer Pferde. Der vor dem Erbgerichte angesammelte Haufen lichtete sich. Die meisten eilten nach Hause, entweder weil sie Furcht dazu trieb, oder aber um ihr Hab und Gut gegen diese ungebetenen, ungezügelten Gäste zu verteidigen. Auf dem öden Dorfplatz liess sich nur hie und da ein weisser Kürassiermantel sehen, dessen Träger da mit schweren Tritten einherschritt, mit seinem wuchtigen Reitersäbel klirrend.

Es wurde dunkel, am Himmel jagten mit rasender Eile schwarze Wolken dahin. Von Zeit zu Zeit blitzte durch ihre Hüllen der Mond hindurch und für einen Augenblick erhellte sich der Dorfplatz. In einem solchen Augenblicke brach eben auch ein Haufen Kürassiere aus dem Hofe des Bauerngutes Kozina's heraus und eilte lärmend zum Schulzenamte. An der Tete schritt der Chodenschlosser Verwalter.

Kurz hernach wurde es wieder vor dem Erbgerichte lebendig. Die Kürassiere führten die Bauern aus dem Hause. An der Spitze schritt der gefesselte Mathias Přibek und der junge Kozina mit verbundenem Kopfe. Der Erbrichter Syka schritt gleich neben dem von einem Choden gestützten alten Přibek einher. Alle schwiegen, nur ihr bewaffnetes Geleite brummte und summte. Dieses Geräusch und den durch das Zuführen der Pferde verursachten Lärm übertönte das Wehklagen und das Weinen der Weiber. Denn die Kürassiere traten den Marsch an und führten die gefangen genommenen Choden fort. Der Mondenschein hatte die Wolken durchbrochen und die Helmbügel und die gezückten Pallasche glitzerten in demselben. Man sah die weissen Soldatenmäntel und die weissen, langen Scherkenröcke der zwischen den Kürassierpferden einherschreitenden Choden. Der Zug bewegte sich in der Richtung gegen das nahe Chodenschloss zu.

Die junge Kozina kam mit den Kindern, weinend und ganz bestürzt, vom Dorfgericht gegangen. Neben ihr ging schweigend, mit vorgebeugtem Haupte ihre alte Schwiegermutter; ihnen folgte Manka Přibek, Onkel Pajdar aus Putzeried, der junge Šerlovský und Psůtka von Possigkau. Die Männer begleiteten die verlassenen Weiber nach dem Hause Kozina's und auch Manka ging dorthin. Konnte sie ja doch in das Elternhaus, wo jetzt so viele ungezügelte Gäste eingezogen waren, nicht gut zurückkehren.

Kaum hatten sie den Vorflur im Hofe betreten, als sie schon bemerkten, wie hier gewirtschaftet worden ist. In der Stube war alles d'rüber und d'runter, die Truhen erbrochen, die Türen der Kammern gesprengt und zerhackt. – In diesem Wirrwarr merkten die Männer gar nicht, dass die alte Kozina aus der Stube verschwunden ist. Rasch eilte sie über den Hof in ihr Austragsstüberl. Hier ist in der gleichen Weise gehaust worden, wie im Bauerngute. Aber die Greisin beachtete dies alles nicht, sondern trat hastig in die Nebenkammer und blieb plötzlich auf der Schwelle stehen. In dem durch das niedrige kleine Fenster hereinbrechenden Mondenglanz konnte man die von den Kürassieren auch hier angestiftete Verwüstung wahrnehmen. Die Greisin schenkte aber dem zertrümmerten Geräte keine Aufmerksamkeit, ihr Blick war nur auf eine Stelle des Fussbodens geheftet. Zwei zertrümmerte, erbrochene, bei Seite geschleuderte Bretter lagen da und auf der Stelle, wo sie sich früher befunden hatten, gähnte eine tiefe Öffnung, eine gemauerte Grube, offenbar ein geheimes Versteck noch aus längst vergangenen stürmischen Tagen stammend. Die Grube war schwarz und leer.

Das Kistchen mit den »Choden-Sachen«, der Chodenschatz wertvoller Majestätsbriefe, war verschwunden. Die Kürassiere hatten ihn geraubt und fortgeschleppt.

Die alte Kozina stand hier mit gesenktem Haupte und gefalteten Händen, als stände sie an einem offenen Grabe. Ein tiefer Seufzer entrang sich ihrem Busen, an den sie sodann hastig mit beiden Händen griff. In diesem Augenblicke hellte sich ihr finsteres Antlitz auf und um ihre fest geschlossenen Lippen zuckte ein bitteres, verächtliches Lächeln.


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