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VII

Die Wolken am Himmel lichteten sich. Sie verschwanden meistens hinter dem Čerchov und dem von ihm überragten Gebirgskamm. Nur hie und da kam ein eilender, dunkler, dräuender Nachzügler gleich einem vereinsamten Raubvogel, der sich verspätet hat und nun seine schwarzen Fittiche hastig ausbreitet und gewaltig spannt, um die ihm durchgegangene, im unermesslichen Lufträume verschwundene Schar seiner Genossen rasch noch einzuholen. Der Mondschein ergoss sich leise über den gesamten Böhmerwaldgau, die bewaldeten Abhänge des oberpfälzischen Waldgebirges, die Höhen bei Klentsch, Meigelshof und die Burg zu Chodenschloss.

Durch das entlaubte Geäste der Bäume schimmerten die weissen Mauern dieses erst unlängst vollendeten Gebäudes. Abends glühte durch die kahlen Baumkronen auch der Schein der erleuchteten Fenster des Schlosses. Der Herr von Chodenschloss hatte nämlich heute Gäste, die beiden mit ihm von Pilsen gekommenen Offiziere. Der eine war der Oberst

Graf Stampach, der zweite der jugendliche Rittmeister Graf von Vrtba und Freudenthal. Von diesem erzählte sich die Dienerschaft, er sei wegen der jüngeren Tochter des gnädigen Herrn, Marie, gekommen. Die ältere Tochter, Barbara, war bereits mit dem kaiserlichen Obrist Wenzel Hroznata Grafen von Gutstein verlobt.

Die vornehme Gesellschaft unterhielt sich recht lange. Es war bereits um die elfte Nachtstunde, als das Licht in den grossen Fenstern des Salons erlosch. Sodann sah man es noch hie und da kurz in den angrenzenden Gemächern erscheinen, bis es auch hier, wie im ganzen Schlosse, finster wurde.

Nur zwei Fenster glühen noch hinter dem kahlen Geäste durch die dunkle Nacht. Es sind dies die Fenster des Arbeitszimmers des Schlossherrn. Dort sitzt Lamminger im Lehnstuhl am prasselnden Kamin. Neben demselben steht ein schön geschnitzter Tisch, auf dem ein eichenes gut beschlagenes Kistchen liegt. Der Herr folgt mit Spannung dem Berichte des in militärisch strammer Haltung vor ihm stehenden Verwalters Koš, von dem er seine kalten, lichtblauen Augen gar nicht abzuwenden vermag. Der Verwalter erzählt, was nach der Abfahrt des hochgeborenen Herrn in Aujezdl alles geschah. Er schildert, wie er vorerst aus Vorsicht Mathias Přibek fesseln liess, und sodann vor allem in Syka und Kozina drang, sie mögen nicht leugnen und die Wahrheit gestehen.

»Wer war der Verstocktere von den beiden?«

»Kozina, Euer Gnaden. Er hiess sein Weib, das vor mir auf die Knie gefallen war, aufstehen, und sagte, sie sollte lieber nach Hause gehen –«

»Hm –«

»Unterdessen wurde bei Syka die Hausdurchsuchung vorgenommen, leider vergebens. Ich drang auch auf die anwesenden Frauenzimmer ein und drohte mit strengen Strafen für ihre Männer. Eben deshalb haben wir sie auch dort gelassen. Die Weiber sagten aber nichts und es scheint, dass sie auch nichts wussten.«

»Glaubt ihr?«

»Da kam Kozina's Mutter, die sicher etwas wusste.«

Der Verwalter erzählte nun weiter, wie sie sich benahm und wie er sodann seinen chodenschlosser Kollegen zu Kozina sandte, damit er dort die Hausdurchsuchung vornehme.

»Ehe er zurückkehrte, habe ich ihr genug gedroht, aber diese alte Hexe war wie aus Stein; da hätte die weinende und ganz bestürzte Junge, Kozina's Weib, alles herausgesagt, ich zweifle aber, dass sie ins Geheimnis eingeweiht war –«

»Gut. Was sagten sie, als ihr dieses Kistchen gebracht?«

Der Blick des Herrn heftete sich auf das Eichenkästchen auf dem Tische.

»Euer Gnaden! Als wenn ein Donner von heit'rem Himmel plötzlich in sie hereingefahren wäre. Syka liess den Kopf sinken –«

»Und Kozina?«

»Der war zäher. Er machte eine trotzige Kopfbewegung und dieser wilde Přibek schrie noch seinen alten, über das Kistchen wehklagenden Vater an: »Schweigt, Vater, die Majestätsbriefe wurden uns geraubt, nicht aber unsere Fäuste!«

»So. Gingen sie dann anstandslos?«

»Jawohl, Euer Gnaden, sie wehrten sich nicht mehr, weder Kozina noch Přibek.«

»Wo habt ihr sie hingesteckt?«

»Kozina und Přibek, jeden separiert, in den schwarzen Zwinger, die Übrigen in den Gemeindekotter; sollten anders anzuordnen geruhen –«

»Es ist so gut.«

»Ich liess auch diesen Dudelsackpfeifer von Aujezdl einsperren. Ursprünglich verschwand er aus dem Gemeindehaus, als wir aber die Bauern abführten, tauchte er dort selbst wieder auf.«

Lamminger nickte nur leicht mit dem Kopfe.

»Geruhen, hochgeborener Herr, noch etwas anzuordnen?«

»Nein. Es ist schon gut!«

Mit einer tiefen Verbeugung trat der Verwalter ab. Man vernahm noch schwerfällige, abgemessene Schritte und Sporenklirren, sodann verstummte auch dies. Tiefe Stille herrschte in dem Gemach. Lamminger erhob sich und öffnete den Deckel der kleinen Truhe aus Eichenholz. Das Schloss war abgerissen. Eine Zeit lang betrachtete er die vorher vom Verwalter durchstöberten vergilbten Pergamentdokumente, sodann hob er aufs Geratewohl die oben liegende mit einem alten Petschaft versehene Urkunde, entrollte das Pergament und heftete die Blicke auf die ersten Zeilen.

»Nos Carolus, domini regis Boemiae primogenitus, marchio Moraviae, notum facimus – quod quia paterni nostrique fideles dilecti Chodones in Domazlicz –« Er las weiter. Das Feuer prasselte im Kamine und dieses angenehme Knistern vermengte sich zeitweise mit dem Geklirre der Fensterscheiben, wenn sie der Nachtwind erzittern machte.

Lamminger ergriff eine andere mit einem grossen Petschaft versehene Urkunde. Sie war böhmisch. »Wir Rudolf von Gottes Gnaden des heiligen römischen Reiches Kaiser und König von Böhmen –« Kaum hatte er flüchtig einige Zeilen durchflogen, wurde er gestört. Die Tür des Nebengemaches ging auf und eine ernste Frau mit blassen Wangen und sanftem Gesichtsausdrucke, die Gattin Lammingers, trat ein. Sie war noch in dem reichen, vorne gestickten Gewande, in dem sie die Gäste empfangen hatte. Im Lichtscheine zweier auf dem Tische brennender Wachskerzen funkelten die Perlen und Edelsteine der Agraffen, welche die mit Atlasmaschen reich gezierte Brust- und Armhülle zusammenhielten. Sie blitzten oberhalb des Busens und auf den Schultern oberhalb der breiten, zusammengerafften Ärmel, von deren schneeweissen Bauschen die vielen verschiedenartig geschlungenen, bunten Bänder lebhaft abstachen. Oberhalb des Ohres und am Nacken bildete das schöne dunkle Haar reiche Locken und kräuselte sich auch um die weisse Stirne.

Die Freifrau trat schüchtern ein und ihr Blick blieb forschend auf dem Antlitze des Gatten haften.

»Störe ich nicht?« frug sie sanft.

»Keinesfalls, obzwar ich hier eine sehr schöne und höchst interessante Lektüre habe.«

Das Antlitz der Edelfrau heiterte sich auf. So fröhlich hatte schon lange keine Antwort ihres Gemahls gelautet.

»Ich kam, mein Lieber, zu Ihnen, um Sie zur Schonung und zum Ausruhen zu mahnen. Der Weg hat Sie ermüdet –«

»Heute fühle ich keine Ermüdung. Sehen Sie, mein langersehnter Wunsch!« Er deutete auf den entrollten Majestätsbrief Rudolfs. Die Edelfrau beugte sich hinüber und mit den Worten:

»Sehen Sie doch, mein Ahne!« wies sie in der Urkunde auf die Unterschrift des Kanzlers des Königreiches Böhmen: »Ladislav von Lobkovic.« Die Gattin Maximilian Lammingers, Katharina, war eine geborene von Lobkovic.

»Jawohl, Ihr Ahne. Der Herr Kanzler ahnte, als er diese Urkunde bekräftigte, sicherlich nicht, wie viel Sorge sie einem seiner Nachkommen bereiten und dass sie dieser ausser Kraft setzen werde. Jetzt habe ich sie schon.«

»Ich hörte von ihrem Widerstande, sie wollten sie dem Vernehmen nach nicht ausfolgen, ja es sei sogar Blut geflossen –«

»Jawohl, jawohl, – Nun – was nützt es –«

»Und mussten Sie diese Urkunden haben?« fragte sie sanft und voller Schonung.

Der Freiherr verzog seine rötlichen Augenbrauen.

»Ich verstehe, Sie bedauern diese Rebellen.«

»Diese Urkunden sind ja schon ungültig –«

»Das behaupte ich ebenfalls und doch fürchtete ich sie, meine Liebe. Wäre ich ein Prokurator, ich wollte sie wacker verteidigen – und auch vom Hofe weht nicht ewig ein gleicher und nicht stets ein uns günstiger Wind. Denken Sie nur an die Zeiten des verstorbenen Kaisers zurück, Ferdinand III. als jener Herr von Grefenberg Ignaz von Grefenberg, königlich böhmischer Prokurator, nahm sich der Choden wacker an. diese Bauernbengel in Schutz nahm. Und welche Opfer und Anstrengungen kostete es mich, damit ich später die Vorschläge des Fürsten Auersperg Fürst Johann A., geheimer Rat des Kaisers Leopold. durchkreuze. Wäre es nach seinem Willen gegangen, so hätte ich heute keinen Stein von dieser Herrschaft, und doch waren damals diese Urkunden ebenso ungültig wie heute. Auf Grund dieser Dokumente konnten sie jeder Zeit einen Prozess beginnen. Jetzt aber geht das nicht mehr –« Lamminger lachte; auf das Antlitz seiner Gattin fiel jedoch ein Schatten. Sie schwieg und nur ein heimlicher Seufzer entrang sich ihren Lippen. Der Gemahl, welcher sie forschenden Blickes beobachtete, sprach hastig:

»Wünschen Sie, meine Liebe, vielleicht noch etwas –«

»Jawohl, doch ich befürchte – Dem Vernehmen nach sollen diese Leute aus Aujezdl mit Schlägen gestraft werden und haben auch heute noch keine Nahrung bekommen –«

»Ei, Sie üben ja auch jenen gegenüber Barmherzigkeit, die gegen Sie sind. Sie müssen gestraft werden!«

»Es ist unter ihnen auch ein Verwundeter und ein schwacher Greis –«

»Von dem Verwundeten sprechen Sie mir nicht. Den Greis und diejenigen, die weniger trotzig waren, will ich – Ihnen zu Lieb' – schonen. Es ist aber schon spät, meine Liebe. Gute Nacht! Heute können sie Zufrieden und ruhig schlafen – dieses Haus und alles bleibt uns und unseren Nachkommen; die Sicherheit wird mir die Asche dieser Pergamente bieten.«

Kühl küsste er seine Gemahlin, die es nicht mehr wagte, für die Choden eine Fürsprache einzulegen. Als sie vorher den Gatten so fröhlichen Sinnes traf, fand sie Erleichterung, jetzt zog sie sich aber verstimmt und in Gedanken versunken zurück. Nachdem Lamminger allein war, ging er einmal im Gemache auf und ab, dann blieb er wieder bei den Urkunden stehen und betrachtete sie nachdenklich. Er las sie jedoch nicht. Plötzlich nahm er eine derselben und schritt mit ihr zum Kamin. Schon hatte er die Rechte gehoben, um diesen ehrwürdigen Zeugen der Choden-Freiheit ins Feuer zu werfen, als er, wie durch einen plötzlichen Gedanken gefesselt, die Hand sinken liess, zum Tische zurückkehrte und die Urkunde samt allen übrigen wieder in das Choden-Kistchen legte. Dann schlug er den Deckel zu.


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