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Versöhnung

Den andern Morgen hätte Hanna beinahe verschlafen. Sie war erst sehr spät eingeschlafen. Sie kleidete sich schnell an und eilte hinunter ins Eßzimmer, unruhig, daß sie den alten Herrn hatte warten lassen. Sie fand ihn und seine Tochter schon am Frühstückstisch vor.

Als Hanna erschien, streckte er ihr die Hand entgegen und drückte sie herzlich: »Ich habe Ihnen gestern abend keine gute Nacht gewünscht, darum haben Sie nicht gut geschlafen und konnten nicht früher kommen. Wir beide, meine Tochter und ich, haben auch keine Ruhe gehabt. Warum erzählen Sie uns so traurige Geschichten, die uns aufregen?«

Hanna sah ängstlich zu ihm auf. »Verzeihen Sie mir. Wenn ich geahnt hätte –«

»Sie konnten nicht wissen, mein Kind, wie tief mir Ihre Geschichte ins Herz griff. Es hat lange wie ein Wurm da drinnen gefressen und genagt. Nun hab ich die Wahrheit erfahren, und das ist gut. Gottlob ist noch Zeit gutzumachen. Und das muß bald geschehen. Meine Tochter wird selbst hinreisen und Ulrike holen. Sie sollen sie begleiten.«

»Aber Frau Bogelius, die weite Reise –«

»Ich bin viel kräftiger geworden und hoffe, sie machen zu können. Ein paar Tage wird der Vater es schon ohne uns aushalten. Also, bereiten Sie alles vor, Hanna. Wir fahren über Berlin und bleiben dort eine Nacht.«

Hanna strahlte. Konnte sie sich etwas Schöneres denken, als die Ihren wiederzusehen?

Groß war das Erstaunen im Rosenhaus, als Hanna plötzlich mit Frau Bogelius erschien. Noch größer, als man hörte, was sie hertrieb. Tante Julia erklärte, das Gastzimmer sei immer bereit, und Frau Bogelius müsse im Rosenhaus bleiben. Und so geschah es.

Am nächsten Morgen ging's schon früh weiter. Frau Bogelius sprach unterwegs große Befriedigung darüber aus, die Familie Golf kennengelernt zu haben. Sie fand das Rosenhaus reizend. Am Nachmittag hatten sie ihr Reiseziel erreicht und standen vor einem kleinen Haus, das mit einem Vorgärtchen versehen war. Eine Frau kniete vor einem der Beete.

»Wohnt hier eine Frau Maß?« fragte Hanna.

»Gehen Sie nur die Treppe hinauf, sie wohnt oben. Sie wird aber wohl noch Stunden geben.«

Sie erstiegen eine steile Treppe. Frau Bogelius ging fast der Atem aus. Erschöpft sank sie auf einen Stuhl, der sich in dem kleinen Vorraum befand, und bat Hanna, allein zur Schwiegermutter zu gehen und sie vorzubereiten.

Hanna betrat ein ärmlich ausgestattetes, niedriges Zimmer, in dem Frau Maß mit zwei Mädchen von etwa zehn bis zwölf Jahren saß, mit denen sie französisch las. Verwundert sprang sie auf, als sie Hanna erkannte.

»Ist es möglich, du, Hanna, du kommst zu mir. Was führt dich her, Liebste?« rief Frau Maß erstaunt aus. »Es ist doch nichts passiert?«

»Soviel ich weiß, geht es ihm gut, Mutter, aber erschrick nicht, ich bringe Besuch mit.«

»Nicht doch«, rief Frau Maß erregt, »du kennst meine Lage! Kaum kann ich dich beherbergen, wie soll ich denn eine fremde Dame aufnehmen?«

»Es ist keine Fremde, Ulrike. Es ist jemand, der dir nahesteht, jemand, der dir bitteres Unrecht getan hat und nun selbst kommt, dich um Verzeihung zu bitten und dich wieder nach Hause zu holen.«

Frau Maß starrte die Erscheinung an, die in der offenen Tür stand und nun mit ausgestreckten Händen auf sie zukam.

»Ich habe keinen Vater, ich habe keine Schwester«, rief sie abwehrend.

Aber ehe sie es hindern konnte, umschlangen zwei Arme sie, und eine Stimme bat so weich und rührend um Vergebung des begangenen Unrechtes, bekannte so demütig ihren falschen Stolz, bat so innig auch für den Vater, der nichts sehnlicher wünschte, als seine Ulrike so bald als möglich in die Arme zu schließen, daß Frau Maß schon bald nachgab. Sie, die Schwergeprüfte, konnte nicht anders, als innerlich Gott danken für die Wandlung, die mit der Schwester vorgegangen war.

Nur hatte sie Bedenken, gleich mitzureisen, obwohl die Schwester entschieden dafür stimmte, schon des alten Vaters wegen.

 

Acht Tage später saß Major Arend auf der Veranda seines Hauses und neben ihm Frau Maß, seine Tochter Ulrike. Sie sah mit glücklichem Lächeln zu ihm auf und sagte immer wieder:

»Wie schön ist es hier, Vater, welch einen herrlichen Wohnsitz hast du dir ausgesucht!«

»Das Schönste ist, daß ich dich wieder habe, meine Ulrike. Der Abend, an dem deine Schwester dich brachte, ist der glücklichste meines Lebens gewesen. Ich habe so oft bereut, daß ich ungerecht gegen dich war.«

»Die Schuld lag auf meiner Seite, weil ich mich ohne dein Wissen gebunden hatte.«

»Wir wollen uns nun unserer Wiedervereinigung freuen, die Vergangenheit aber sein lassen«, meinte der alte Herr da.

Da betrat Hanna die Veranda. Ihr Angesicht strahlte, in der Hand hatte sie einen Brief.

»Von Richard!« rief Frau Maß, »ich sehe es an Hannas glücklichem Gesicht.«

»Er kommt!« rief sie. »Aber er ahnt nicht, wen er hier findet. Sie sind auf der Heimreise von Italien; Herr von Brügge hat ihm erlaubt, einen Abstecher hierher zu machen.«

»Nicht doch, Hanna, er besucht seinen alten Großvater«, rief der Major neckend. »Dich sperren wir solange ein, bis er wieder fort ist. Also du hast nichts verraten?«

»Nein, ich sollte ja nicht«, sagte Hanna fröhlich. »Er weiß weder, daß seine Mutter hier ist, noch daß er hier einen Großvater und eine Tante findet.«

»Er wird vielleicht den bösen Großvater gar nicht anerkennen wollen.«

»Vater, er hat in früheren Zeiten nicht gewußt, daß sein Großvater lebt; später, als er größer und verständiger wurde, habe ich ihm alles erzählt, doch stets so, daß bei mir die Hauptschuld lag.«

»Du gutes Kind!« Der Major beugte sich zu ihr und drückte einen Kuß auf ihre Stirn.

Und dann wurde Hannas Verlobter erwartet. Wie erstaunt aber war er, als er die Mutter vorfand, und wie erschüttert, als er einen gütigen Großvater und eine lachende Tante begrüßte! Er konnte es einfach nicht fassen, fortan diesem Haus anzugehören!

Als Richard dann mit Hanna im Garten der Villa spazierenging, da rief er begeistert aus: »Hier ist es wohl schöner, aber das Rosenhaus bleibt für mich das Beste, es hat mir die schönste Rose geschenkt, die es besaß.«

Hanna barg ihr Gesicht an seiner Schulter und sagte: »Ja, Gott hat alles wohlgemacht; wir wollen nicht vergessen, ihm für alles, was er an uns getan, unsern Dank darzubringen.«


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