Arthur Holitscher
Amerika heute und morgen
Arthur Holitscher

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Americanos untereinander

Immer erneutes Vergnügen bereitet einem die natürliche und direkte Art und Weise, auf welche sich der Verkehr der Menschen hier herüben abspielt. Ohne Pathos, aus primitivem und natürlichem Instinkt heraus, der den Europäer zuweilen wohl grotesk anmuten kann. Den Europäer, der sich im ganzen doch noch lieber von einem Höherstehenden auf die Schulter klopfen als von einem 395 Tieferstehenden beim Paletotknopf fassen läßt. Für Faxen und Förmlichkeiten, die im Grund doch nichts andres bezwecken, als den Dünkel des Einen vom Dünkel des Andern sauber abzugrenzen, hat der Amerikaner nicht viel übrig, weder Lust noch Zeit, über Formen liebt er es, sich draufgängerisch hinwegzusetzen; es tut dem Europäer gut, zuzusehen, wie er es macht.

Schon hat der europäische Kaufmann vom amerikanischen gelernt, sich direkt und unverblümt an den Käufer zu wenden; wir, die das nichts angeht, dürfen doch unsre Freude und Amüsement daran haben.

Die Armee der Vereinigten Staaten verteilt Zettel auf den Straßen. Auf diesen Zetteln sind die Löhne angepriesen, die Chancen, fremde Länder zu sehn, Pension, Kost und Kleidung detailliert. Zum Schluß heißt es:

»Fragen Sie Ihren Arbeitgeber, ob er mit uns konkurrieren kann in diesen Lebensfragen!«

Dieses Zettelchen, das der Europäer schmunzelnd als »echt amerikanisch« in die Tasche steckt, ist ein sympathisches Dokument für die gesunde und ehrliche, der Flunkerei abholde Art des Verkehrs zwischen Menschen und Menschen. Natürlich, die Institutionen ähnlicher Art drüben in Europa, die mit dem »Arbeitgeber hinsichtlich all der Lebensfragen des Soldaten nicht konkurrieren könnten«, maskieren diese Konkurrenzunfähigkeit mit einem in dynastischen Farben angestrichenen Wall von Schlagworten und Lügen. Aber auch wenn man nicht gerade gebraucht wird, erfährt man Entgegenkommen und amüsiert sich auf Schritt und Tritt über kleine nette Witzchen. Kommt man ins Theater, und es ist kein Platz mehr zu haben, so wird einem der Abend nicht durch eine lakonische Tafel: »Ausverkauft« verdorben, sondern es heißt sanft und milde:

»Very sorry. All places sold for this night. Come again tomorrow!«

Warum ist der wortkarge Amerikaner da plötzlich so weitschweifig? Vielleicht, weil, der daherkam, hier Vergnügen suchte?

396 In Frisko ruft mein Hotelnachbar, wie der Präsident Taft in unser Hotel einzieht, fröhlich:

»Hello, Billy!«

versichert mich aber im selben Atem, daß er bei der nächsten Wahl seine Stimme doch auf Woodrow Wilson abgeben wird.

Im Kongreß darf's einen nicht chokieren, wenn die würdigen Herren unter der Kuppel Zigarren rauchen und quer an der Nase des Redners vorbei den Cuspidor vollspucken. Man darf sich nicht im geringsten verletzt fühlen, wenn der junge Millionär, Besitzer der weltberühmten Schuhfabrik, in Hemdärmeln neben einem daherläuft, und darf ihm sogar in seinen Rock helfen, wenn er einen über den Fabrikhof aus dem Männerstiefelflügel in den Damenschuhflügel hinüberbegleitet – weil draußen 32 Grad Kälte sind.

In den Staatsbureaus geht man durch offene Türen direkt zu den Gewaltigen hinein, die einem, wenn sie auch noch so abgehetzt und mit Arbeit überbürdet sind, auf die liebenswürdigste Art jede gewünschte Auskunft erteilen (ohne daß man's nötig hätte, nach seinem Einführungsschreiben in allen Taschen zu kramen), einem die minutiöseste Auskunft über ihr Ressort geben, ohne bonzenhafte Anmaßung, ohne Herablassung, gleich freundlich zum Fremden wie zum Kollegen wie zum Publikum.

Der amerikanische Beamte wird von den Leuten, die viel mit ihm zu tun haben, gern ein »knownothing«, Ignorant, geschimpft. Über (aus Europa importierten) Beamtenzopf und Instanzenweg und andrerseits Schlendrian hörte ich klagen, und auch über die (mehr amerikanische) Einrichtung des »red tape«, der Schikane. Der Fremde, den kein Geschäft, sondern Wißbegierde durch die Bureaus führt, kann all diese Mängel natürlich schwer kontrollieren; das Knownothingtum wird wohl in der furchtbaren Spezialisierung der Arbeit seine Ursache haben, wie die red tape in der ewigen Beängstigung infolge des alle vier Jahre drohenden Regimewechsels. Hier wie 397 anderswo ist der Beamte, der Subalterne, ein richtiger Proletarier und Opfer der unnatürlich sich vorwärtsbewegenden Entwicklung. – –

Ich sah an einem Februartage an der Südspitze von Manhattan zu, wie ein junger Aviatiker auf einem selbstkonstruierten Schlittenaeroplan vom schollenbesäten Hudson aufstieg, eine Schleife um die Freiheitsstatue machte und darauf zum selben Fleck, von dem er abgefahren war, zurückkam, auf eine wackelnde Scholle, es war kalt und starker Nordwind. Der Kontinent hatte sein Interesse auf dieses Experiment gesammelt, und nebst dem tausendstimmigen Hooraygebrüll der Menschenmenge und dem Getute sämtlicher Hudsondampfer waren auf den Sieger hundert Photographenkasten und Kinematographendrehorgeln gerichtet, als er sich auf seiner Scholle niederließ. Was tat der Gefeierte? Er sprang vom Bock, schneuzte sich in die Finger und zeigte den Objektiven seine sehr subjektive Kehrseite, in hockender Haltung, weil ihn etwas an seinem Motor mehr interessierte als die Umwelt. Ich erwähne diese komische Geschichte, um den erfreulichen Mangel an Heroenpose und die erfrischende Gleichgültigkeit zu illustrieren, mit der der Amerikaner sich gegen die Öffentlichkeit verhält. Es wird wenig Scheinheiligkeit, bengalisches Feuer und Ziererei konsumiert, und mancher gordische Knoten, der nur von aufs äußerste kultivierten Fingerspitzen aufgelöst werden könnte, wird klipp und klar im Verkehr mit dem Hinweis auf die nächstliegende Räson der »unsophistischen« Vernunft entzweigehauen.

 

Die Prüderie, die sich an vielen Punkten des öffentlichen Lebens breit bemerkbar macht, ist nicht tragischer zu nehmen, als sie in dem kuriosen Hin und Her zwischen altpuritanischen Anschauungsformen und dem von der Reklame und dem Geschäftstreiben überreizten Nervengegaukel des Alltags sich darstellt.

Gern führt man als Beweis für die amerikanische 398 Prüderie den Fall Gorki und den Fall Réjane an. Gorkis Aufenthalt in Amerika wurde durch die Falschmeldung seiner Begleiterin, die er für seine Gattin ausgab, vereitelt. Die Tournee der Réjane aber durch das Gerücht, sie hätte bei einem Champagnergelage auf einem Tisch Cancan getanzt. Beide Fälle hatten einfach Konkurrenzmanöver von eifersüchtigen Zeitungen und Theatermanagern zur Ursache. Sie sind charakteristischer für die Geschäftsmethoden einzelner Unternehmer, als für die Gesinnung des Amerikaners. Bedenklicher ist es, wenn große Tagesblätter, die ernst genommen werden wollen, die Sensationslust des Publikums stacheln und unsauber füttern, indem sie sich monatelang Artikel über Toilettengeheimnisse von Millionärshuren schreiben lassen und auf ihren Titelseiten Seitensprüngen aus der fünften Avenue mit allen Bettlakendetails breiten Raum gewähren.

Allerorten versteckt sich hinter derlei Widersprüchen ein abgefeimter Geschäftstrick, wenn man nur näher hinschaut. Persönlicher Erfolg entschuldigt hier mehr als in Ländern mit gefestigtem gesellschaftlichen Kodex. –

Gesittete Bürgersleute, in deren Verein man von den Beziehungen der Geschlechter nicht einmal andeutungsweise sprechen dürfte, erregen auf dem Ozeandampfer, der ein jungvermähltes Paar davonführen soll, Gelächter dadurch, daß sie gedruckte Zettel verteilen, auf denen die Kabinennummer der Brautleute den Passagieren mitgeteilt wird! Und dadurch, daß sie diese Brautleute, als sie ahnungslos die Schiffsbrücke betreten, mit einem Schauer von Reis, Symbol der Fruchtbarkeit, und alten Schuhen, die ihre Zeit gedient haben und fortgeworfen werden können, empfangen!

Dabei ist der Verkehr der Geschlechter in Amerika, wie man weiß, ungezwungener als wo anders immer. Da Mann und Frau im Brotkampf bald in den Wettbewerb miteinander treten werden, geht die Erziehung von Anfang an auf freiestes Messen der Kräfte los. Der kameradschaftliche Ton zwischen Knaben und Mädchen, 399 Jünglingen und Fräulein, der ungezwungene Ton in Gesellschaft, beim Sport, der Verkehr auf den Universitäten fällt einem wohltuend auf. »Flirt« und »Galanterie« sind zwei Formen, die wahrscheinlich beide bis zur selben Grenze vorwärtspoussiert werden; die weitaus weniger verlogene ist auf alle Fälle die des »Flirts«.

Stirnrunzelnde Auguren versicherten mich, daß in Universitätsstädten die Koedukation, das Beisammenstudieren und -hausen von Studenten und Studentinnen gewisse ärztliche Berufe, so z. B. das Gegenteil von Geburtshilfe, in Flor gebracht haben. Worauf ich es mir mit diesen Stirnrunzlern auf ewig verdorben habe durch die Erklärung: daß es das gute Recht erwachsener Menschen ist, zu bestimmen, ob sie Vater und Mutter werden wollen oder nicht. Der abgründige Respekt, den der Staat dem ungeborenen Embryo im Mutterleibe erweist, will doch mit anderen Worten nur besagen: daß er es nicht erwarten kann, mit dem fertigen Individuum Schindluder zu treiben. Sei's, indem er es als Steuerzahler oder als Kanonenfutter mit Beschlag belegt. –

 

Ich kann es mir gut denken, daß einem Durchschnittseuropäer bei längerem Aufenthalt in Amerika die unleugbare Trivialität im Verkehr mit dem Durchschnittsamerikaner arg auf die Nerven fallen muß. Für das Knownothingtum, dem man im geselligen Verkehr begegnet, gibt's im großen ganzen weniger triftige Entschuldigungen anzuführen als für jenes der Beamten. In gebildeten Kreisen überrascht einen zuweilen eine abgrundtiefe Ignoranz inbezug auf Dinge, die fünf Schritt weit vom täglichen Leben oder von amerikanischen Angelegenheiten gelegen sind. Oft habe ich verstimmt die Unmöglichkeit eingesehen, mit einem Amerikaner oder einer Amerikanerin in eine fruchtbringende Diskussion eines Themas, zumal eines nicht spezifisch amerikanischen, zu gelangen. Hinter dem höflichen Gesicht des Gegenübers war allzu deutlich die absolute Unbeteiligtheit zu sehen, und so war's das Beste, 400 rasch abzubrechen. Phantastische Ansichten über Dinge der Kunstgeschichte, der Literatur, der Sitten fremder Völker kann der Americano zuweilen äußern!

Das, wovor sie sich am gewaltigsten fürchten, sind die halben Töne des Verkehrs, die Waffen der Ironie, die sie noch nicht recht zu handhaben verstehn. Wenn man sie vor den Kopf stößt, wehren sie sich schon nach Kräften. Aber wer stichelt, kann schlimme Erfahrungen machen mit ihnen. Wie Kinder sind sie rasch beleidigt und lassen Bosheit fühlen. –

Viele schuldbewußt oder unklar nach dem Bereich des Wichtigeren neben dem Alltag Hintappende schaffen sich irgend eine kleine Liebhaberei, ein niedliches Steckenpferdchen an, auf dem sie dann gerührt und selbstbewußt einhertraben. Aus sozialen oder religiösen Spielereien dieser Art wird aber nicht selten wirkliche, ernste Arbeit. Das Tempo der Betätigung hier herüben reißt eben alles nicht genügend Haltfeste, Wurzelsichere mit sich, oder schwemmt es einfach ins Absurde davon, und der Amateur muß, um seine Liebhaberei zu bewahren, ein Arbeiter in seinem Gärtchen werden.

Die Unsicherheit der kulturellen Grundlage, aus der der Amateur hervorkommt, spiegelt sich zuweilen amüsant in den sichtbaren Resultaten, zuweilen aber auch abstoßend wieder. Gar bald kommt der Beschauer dahinter, ob er es mit sympathischer Naivität, mit zynischen Geschäftstricken oder mit Heuchelei zu tun hat.

Ich sprach schon vom Mogwab, dem großen Wohltäter, Wissenschaftsprotektor und Sammler, dem man nur zu oft auf seine Schliche hinter den Kulissen kommt. Der große Stifter und Drähtezieher von Universitäten, Protektor der Kirche und Sonntagsschulen, ist einer der gefährlichsten Raubritter, die die Geschichte je gesehen hat. Der weltberühmte Friedensapostel hat seine Millionen aus dem blutigen Schweiß armer ungarischer, polnischer und deutscher Sklaven herausgepreßt, die er in seinen Stahlwerken um einen Hungerlohn in 18- und 24stündiger 401 Schicht arbeiten ließ. Der edle Wohltäter der jüdischen Witwen und Waisen hat es zugegeben, daß der zwanzigjährige Kammerdiener seines Sohnes für 30 Jahre eingesperrt wurde, um seine Schwiegertochter von einem Verdacht zu säubern. Der große Kunstsammler, der sein Vaterland mit aus allen Privatsammlungen und Kirchen der Alten Welt entführten oder gestohlenen Kunstwerken beschenkt, hat seine Karriere damit begonnen, daß er diesem seinem Vaterlande unbrauchbare Gewehre verkauft hat. Seiten ließen sich vollfüllen mit derartigem Material.

Der Amerikaner, der einen durch solche Sammlungen geleitet, ist stolz auf sie, weniger auf ihre Stifter. Wenn er aber durch die Säle mit dir geht, in denen pietätvoll die frühesten Sammlungen aufbewahrt sind, die den Grundkern der heutigen großen amerikanischen Museen bilden, dann kannst du sehen, wie der Amerikaner neben dir zuweilen errötet und dich gern von einem oder dem andern Schaukasten weglenken möchte. Die frühesten Sammler haben der Nation alles vermacht, was sie gesammelt haben, in den Ländern Asiens und Europas gesammelt haben, Altes und Neues durcheinander. Im Kasten, an dem du vorbeigehen sollst, ohne einen Blick hineinzuwerfen, kannst du neben einer Gemme von unschätzbarem Wert eine kleine Fünfzig-Pfennig-Holzschnitzerei, den eidgenössischen Löwen von Luzern darstellend, liegen sehen. Unter einem Delacroix oder Teniers an der Wand in einer Vitrine primitive kleine Mosaikbroschen aus Venedig oder einen Sokrateskopf aus Vesuvlava. Der kultivierte Americano an deiner Seite errötet oder lächelt verlegen, während du in den Kasten hineinsiehst. Dir aber gibt dieser kleine Schmarren dahier ein freundlicheres Empfinden für seinen Stifter ein als der anspruchsvolle Marmorblock von Rodin, den ein andrer vorgestern aus Europa mit großem Zeitungsgetöse auf seiner Privatjacht herübergebracht hat. 402

 


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