Arthur Holitscher
Amerika heute und morgen
Arthur Holitscher

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Vision an der Santa-Fé-Bahn

An diesem heißen Spätherbstnachmittag sitzt unsere Pullmanwelt unter dem Verandadach des Aussichtswagens. Wir fahren durch den lebendigen Wüstenstaub Neu-Mexikos, der hinter dem Zug, mit der Sonne tief im Westen, wie ein goldroter Vorhang in die Höhe steigt. Da man sich seit dem Canyon kennt und wahrscheinlich bis Chicago beisammenbleiben wird, ist ein flottes und allgemeines Gespräch im Gange, das für mich lehrreich und amüsant ist zu gleicher Zeit.

Rücklings nach Osten geschoben, mit dem Gesicht nach dem im goldenen Abend versinkenden Westen gewandt, das Navajoland zur Rechten und das Apachenland zur Linken, spricht alles durcheinander: vom Frauenstimmrecht, von der Revolution in China, von der Politik in den westlichen Staaten, von den Fortschritten der Kultur östlich vom Mississippi, vom nächsten Präsidenten. Eben hat ein sonderbarer Schwärmer das Wort, der den Gipfel der amerikanischen Zivilisation mit einigen perfekt organisierten jüdischen Wohltätigkeitsanstalten in der Union verwechseln möchte – da kommt jemand aus dem Zug da vorne zu uns und macht uns aufmerksam: in ein paar Minuten kommen wir an dem Indianer-Pueblo Laguna vorüber!

Viele sind in unserem Zuge, die kennen schon die sonderbaren Felsenfestungen Neu-Mexikos und Manitous, bei den Colorado-Springs. Auch ich habe sie gesehen, und ihr Anblick ist wie ein Traumbild in mir wach geblieben seither. Aus einer schroff aufsteigenden Felsenwand sind 271 große wagerechte Steinschichten herausgebrochen, so daß nur der Boden, die Rückwand und das Dach von der Natur geschaffen übrig geblieben ist. Zwischen diesen Boden und dieses Dach haben nun die Indianer ihre Festung hineingebaut. Nur ein paar Fenster und ausladende Türme mit Zinnen und Schießluken verraten es, daß hinter der Felsenwand Menschen wohnen. In Friedenszeiten ragen ein paar Holzbalken aus dem Felsengemäuer hervor, an denen klettern die Bewohner der Festung wie Affen so behend in die Festung hinauf. Die Festung selbst ist ein Gewirr von kleinen Verließen, Wohnräumen, Schleichwegen, Fallen und Laufgängen. Unter dem Beobachtungsturm findet sich ein kreisförmiger Raum mit einer bassinartigen Vertiefung, hier wurden sonderbare religiöse Riten ausgeführt. Tief unten im Naturstein hat man Grabkammern gefunden; die Toten des Stammes lebten dort, von den wunderbaren, schwarz und weiß gezeichneten Töpfen der Navajos umringt, ihr eigenes mystisches Leben, nur um einige Zoll tiefer als die lebenden Krieger oben in der Festung.

Durch die flachen Wüsteneien schlichen bei Nacht die heimtückischen blutgierigen Zunis, Apachen, Arapahoes an die Felsenbewohner, die Cliffdwellers, heran, alles ringsum niedermetzelnd, brandschatzend, bis ihnen die Felsenfestungen mit ihrer natürlichen Rückendeckung Einhalt geboten haben. Aus Belagerungsnot und Stammesgefühl hat sich bei jenen wilden Troglodyten eine eigene Kultur und Kunstfertigkeit entwickelt.

Viele kleine Dörfer, Pueblos genannt, ahmen in ihrer Bauart, seit die Indianer »zivilisiert« sind, diese flachen und langgedehnten Felsenhöhlen, aber unterm freien Himmel, nach. Wie breite Schachteln aus Lehm liegen diese Häuser, Adobes, beieinander und übereinander. Heiratet der Sohn des Erdgeschosses, so baut er sich seine Schachtel als ersten Stock über das Elternadobe. Bringt's der Stammvater parterre zu Urenkeln, so wird das Adobe ein drei Stock hohes Schachtelhaus. Die Stockwerke sind unregelmäßig, 272 werden je nach Raumbedarf gebaut, alle aber haben einen Streifen des Daches als Terrasse um sich. An den Schachteln lehnen Leitern, buntgekleidete Wesen klimmen zu den lehmgelben Schachteln empor, an deren Wänden rote Tomaten an Schnüren zum Dörren aufgehängt sind. Denkt man diese Farbenflecken weg, so ist die Mimikry des Adobes an den Wüstensand vollendet, wie die der Festung an die sie umgebende Felsenklippe.

In diesen absonderlichen Pueblos liegen solider gebaute Häuser, aber von derselben Bauart und mit lehmartigem Bewurf, wie die Adobes der Eingeborenen. Es sind die Missionen. Der Missionsstil, einer der wenigen originellen Baustile Amerikas, hat seinen Ursprung aus spanischen und mexikanischen Anklängen ebensosehr wie aus diesen Felsenfestungen. Aus einem kleinen offenen, geschwungenen Aufbau singt die Glocke in das Abendland hinaus ihr Lügen-Lied, das Lied scheint aber schon ebensosehr aus der Natur ringsum geboren wie die gelben Dörfchen im Wüstensand.

Eine Pueblo in Neu-Mexiko

Ganz langsam fahren wir an dem Pueblo Laguna vorbei, das auf einem breiten flachen Stein daliegt an der Nordseite der Bahn. Die Schienen laufen unsicher über den fliegenden Sand, in dem die Schwellen keinen Halt finden können. Im Weiterfahren rinnen die gelben Schachteln ins Abendgelb hinüber, werden von der Sonne in den Dunst hineingesogen, werden transparent, unwirklich.

Nur ein leuchtender, in eigener Farbe lebender Fleck bleibt noch eine Weile, wie in der Luft dahinten, gegen den Abendhimmel dastehen. Es ist ein alter Navajo, in eine zinnoberrote Decke eingewickelt, an der östlichen Spitze des Pueblohügels steht er da und blickt unserem Zug nach. Riesig groß, wie eine optische Täuschung, wie ein Gespenst aus Abendsonne und Wüstenstaub steht der alte Indianer dorthinten. Wenn ich heute, nach Monaten, die Augen zumache, steht er immer noch, rot vor seinem gelben Pueblo, die Sonne des Westens im Rücken, 273 unbeweglich da. Bald aber wird unsere Aufmerksamkeit von der Gestalt abgelenkt durch das, was in unserer unmittelbaren Nähe vorgeht. An der Trasse arbeiten Leute. Aus unserem langsam dahinfahrenden Wagen sehen wir diese Bahnarbeiter unter uns, rechts und links sind sie zur Seite gewichen, um den Zug passieren zu lassen.

Es sind braune kurzbeinige Kerle, Indianer, mit den charakteristischen Zügen und Gestalten der Zunis, der Apachen, der Arapahoes hier herum. Es sind Nachkommen der kriegerischen Stämme, der Cliffdwellers, des großen roten Alten dorthinten auf dem Hügel von Laguna. Sie haben schlechte neumodische, beim Kleiderjuden erstandene Anzüge aus groben dunklen Stoffen an und alte zerknüllte Filzhüte auf ihren schwitzenden, blauschwarz bezottelten Schädeln sitzen. Wie wir vorüber sind, spucken sie sich in die Fäuste und bauen unter der Aufsicht des weißen Boß weiter an dem Schienenweg der Santa-Fé-Eisenbahn.

Niemand spricht mehr von Politik, von Zivilisation, von Wohltätigkeitsorganisationen auf unserer Aussichtsterrasse. Zur Seite der Trasse stehen ein paar ausrangierte 274 Güterwaggone. Leichter Rauch steigt aus einem in die Höhe. Ein altes Indianerweib kocht dort das Abendessen für die Bahnarbeiter, denen diese elenden ausrangierten Güterwaggone als Wohnort dienen.

 


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