Arthur Holitscher
Amerika heute und morgen
Arthur Holitscher

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Hitzewelle

Im Hotelzimmer lasse ich gleich den Ventilator surren, das Badewasser laufen und führe mir die Eisstücke, die der Kellner im Porzellankrug hereingebracht hat, über den Leib spazieren. Aber all dies ist eitler Dunst vor dieser Höllenhitze dort draußen und da drin.

Aus meinem Fenster habe ich den Blick tief hinunter auf einen kleinen Park. Ich sehe im Baedeker nach: es ist Bryant Park. Ein paar Dutzend Leute liegen wie tote Fliegen, mit Hemd, Hose und Schuhen bekleidet, dort unten auf den Bänken herum. Rings um den heißen Rasenfleck stehen Häuser, lange und schmale, wie Spargel, ganz winzige mit geteerten Dächern daneben, und dann, nah und fern, wieder diese ungeheuren durchlöcherten Kasten, diese viereckigen aufrecht hingestellten Siebe, grau und stupid, mit fünfstockhohen Reklameschildern und Anpreisungen von allem Möglichen auf dem Deckel. 44 Wirklich, ich kann momentan den Anblick dieser Stadt nicht vertragen.

Ich setze mich, so wie ich bin, mit dem Rücken gegen das Fenster, gleich habe ich den Rücken voll Fliegen. Wie ein armer zuckender Gaul trachte ich, mir die lästigen Tiere durch kleine Stöße vom Leibe zu halten. Ich sitze zwischen dem Ventilator und dem Fenster, krame in meiner Handtasche herum und lese in der Zeitung, die der Kellner mit dem Eiswasser hereingebracht hat. Diese Welle liegt nun schon den achten Tag über Newyork.

Ein paar Leute sind luftschnappend aus Wolkenkratzern in die Atmosphäre hinuntergefallen. Frauen im Osten der Stadt haben Eisläden geplündert. Ein Riese in der Vorstadt Bronx ist plötzlich irrsinnig geworden, fing an, Amok zu laufen, und hat drei Schutzleute in Schaufenster und Rinnsteine geschleudert. Long Island ist eine einzige Badestube der ganzen Länge nach, viele Meilen weit. Die gelbe Presse irrt sich um eine Null bei der Addition der Todesfälle, aber auch so ist es ein hübscher Empfang bei Gott. Und der Höhepunkt von allem: ein Geistlicher in Newark hat das Wort: »damn« von der Kanzel herab ausgesprochen! »Damn the IceTrust!« Das sind die historischen Worte, die der brave Reverend Shreve Osborne von der Kanzel der Trinity Episcopal Church herunter in die erschreckt auffahrende Menge seiner Schafe geschleudert hat. Meine Absolution hat er – denn das Eisstück, mit dem ich mich eingeseift habe, ist bis auf Nichts zusammengeschmolzen, schon schwemmt mir die infame Welle das letzte Atom von kühlem Wasser wie einen Rauch vom Leib herunter und der Schweiß stürzt ihm aus allen Poren nach.

Soll ich in dieser Stimmung aufschreiben, was für ein Gesicht Newyork mir gemacht hat vom Pier in Hoboken über Broadway hierher bis zur Ecke der 42. Straße?

Broadway ist das Absurdeste, was ich je gesehen habe. Eine Stadt, arme Viertel, reiche Viertel, große Häuser, kleine Häuser, ist durcheinander geraten; sagen wir, ein barbarischer, Amok laufender Riese hat ihr von der Seite 45 her einen Tritt gegeben, und als alles kunterbunt dalag und durcheinander, da hat das drei Monat alte Riesenkind in dem Haufen herumgewühlt und die Häuser wieder aufgestellt, neben- und übereinander. Ärmliches Haus, Palast, vier Häuser übereinander, kein Haus, kein Haus, zwölf Häuser übereinander, winziges Haus, tiefes Loch, kleines Vorstadthäuschen, Palast, siebenunddreißig Häuser übereinander – das ist Broadway. Es wird einem schlecht, wenn man da durchfährt. Ich stecke den Kopf aus meinem Fenster – es ist nicht zu beschreiben, wie diese Stadt aussieht. Das bayrische Viertel in Berlin, in dem man stundenlang zwischen den hochherrschaftlichen Häusern herumlaufen kann, bis man eines trifft, das nach einem Haus aussieht, das bayrische Viertel ist ein schlichtes inniges Volksliedchen gegen diese Papua-Musik gehalten. Ich ziehe den Kopf wieder zum Fenster herein, nehme mir vor, europäische Schönheitsbegriffe zu meiden, und stecke dann meinen Kopf mit kosmopolitisch objektiven Augäpfeln wieder zum Fenster hinaus.

 

Daß diese Stadt schön ist, das wird mir keiner einreden, auch nicht der vorzügliche Radierer, Lithograph und Whistlerschüler Pennell, der als Erster mit großer Kunst die »down town«, die Wolkenkratzer Newyorks, verwertet hat und der ein Piranesi des heutigen Newyork genannt werden darf.

Ich habe jetzt Newyork ein paar Tage lang kreuz und quer durchstreift und muß sagen, es ist eine häßliche, abnorm und trostlos häßliche Stadt und dabei nicht einmal zweckmäßig aufgebaut! Dieses Gestrüpp von Häusern von grotesk ungleichem Kaliber scheint mit einer Geschwindigkeit von 100 Kilometern in der Stunde zusammengehext zu sein, damit die Leute in ihr nur ja rasch ihre Geschäfte unter Dach und Fach herunterwirtschaften können. Ein Automobil, eine Bahnhofshalle sind bei Gott nicht schön, das ist so eine heutige Zumutung, und wer einmal ein altes Schinkelhaus oder einen 46 friderizianischen Schlitten gesehen hat, der kann gleich konstatieren, wo die Grenzen von Schön und Zweckmäßig gezogen sind.

Newyork hat einige Teile, von denen man sagen kann, sie sind schön, die aber sind nicht Newyork, sondern Nachahmungen von Paris und London. Riverside Drive am Hudson ist die Avenue du Bois, Gramercy Park und die fünfte Avenue um Washington Square herum eine genaue Kopie von Bloomsbury, die fünfte Avenue in der fashionablen Gegend ein Abklatsch von Piccadilly und Bond Street, und die Bankgegend der unteren Stadt sieht, wenn ich meine Hutkrempe niederbiege und die Häuser dadurch plötzlich nicht höher sind als drei Stock hoch, genau aus wie London um die Börse herum. Auch andere Stadtteile, die Bowery, die erste, dritte Avenue gleichen auf ein Haar den entsprechenden Londoner Gegenden, Houndsditch, der Tottenham Straße. Der berühmte und berüchtigte Broadway aber ist ein Kauderwelsch, ein Sammelsurium von allen möglichen Unarten, als Straße absolut uncharakteristisch. Wer von einem Stil Newyorks spricht, muß sich also wohl oder übel mit den fatalen W. (ich meine die hohen Häuser, das Wort ist scheußlich und zu lang!) beschäftigen, denn die repräsentieren Newyork und das heutige Leben des Mittelpunktes von Amerika.

Broadway im Geschäftsviertel

Am siebenten Tag warte ich noch darauf, daß mir der W. »aufgehe«. Wenn der W. mir »aufgegangen« sein wird, fahre ich ab. Ich will bald hinauf nach Kanada, mein Hotel ist viel zu teuer, und dann bin ich ja diesen Winter wieder hier. Mit dem W. muß ich aber jetzt gleich, diesmal, fertig werden, denn er ist nicht nur das Problem von Newyork und Amerika, sondern ein Problem dieser heutigen Zeit überhaupt. Man kann vom W. nicht reden wie von einem Automobil oder einer Bahnhofshalle, denn er hat seine Fasson nicht von der Zweckmäßigkeit erhalten. Daß 3000 Büros in einem Haus beisammen sind, ist keine Notwendigkeit, eher vielleicht, daß sie so nahe zur Börse oder Bank sind wie irgend möglich. Nur kann ich mir 47 nicht denken, daß um elf Uhr aus jedem dieser Büros ein Mensch die Lifte hinunterschießt und mit zehn Schritten an der Börse ist. Aber ich will, ahnungslos wie ich schon bin, annehmen, daß dies der Fall ist und daß die Notwendigkeit, es so bequem zu haben, die Preise der Grundstücke hier unten auf der Südspitze von Manhattan so wahnwitzig in die Höhe getrieben hat. Auf alle Fälle mußten die Stockwerke diesen Grundpreisen in ihre schwindelnde Höhe nachklettern, und das ist also die ästhetische Grundidee des W. Vor den Pyramiden hoffe ich einst den Choc zu erhalten, von dem man mir auf dem Schiff berichtet hat und den uns Heutigen die Macht und Selbstherrlichkeit in Jahrtausende weiter Entfernung noch immer versetzen. Wenn ich mir aber jetzt an der Ecke von Wall Street den Hals verrenke, so denke ich mir doch nur – der Kerl, der dort eine Orangenschale wegwirft, bedeckt mit ihr eine Viertelmillion Mark oder 48 so, und bin nicht im geringsten erschüttert. Es ist mir auch gleichgültig, daß sie jetzt ein Haus mit 100 Stockwerken bauen wollen. Bitte. Meinetwegen mit siebzehntausend. Das zu hindern, ist so unmöglich, wie einen Ventilator mit dem Finger zum Stillstand zu bringen.

Zehn Stockwerke . . . fünfzig . . . . . hundert!!

Vor drei Tagen blieb ich noch vor den Grundgrabungen des Woolworth-Building stehen und probierte, ob ich mir Respekt abringen könnte angesichts der Tatsache, daß dieses Haus 56 Stockwerke hoch sein wird. (Woolworth ist der Mann der fünf und zehn Cent-Basare im ganzen Land; für das Grundstück – etwa dreißig Schritte im Geviert – hat er vier und eine halbe Million Dollar bezahlt; die acht Millionen, die zum Bau einstweilen benötigt werden, hat ein Berliner Mann in Frankreich aufgebracht, ein W. ist also keine so spezifisch nationalamerikanische Tatsache oder Sünde oder wie man's nennen will.) Heute las ich, daß man eben dabei ist, ein Loch in den Boden zu graben, auf dem sich ein Haus mit 100 Stockwerken erheben soll. Der interessante ungeborene Woolworth ist somit schon im Mutterleibe ein bedeutungsloses Zwerglein geworden. Rekorde.

Der Mutterleib – der gute Mutterleib der Insel Manhattan ist Felsen, solider Felsen, und jedes 100 000 Dollar-Bröckelchen Terrains muß mit Schießpulver und Dynamit herausgeknallt werden. Was ich bei der Einfahrt, beim Erblicken der roten Spinne gefühlt habe, das fühle ich, wenn ich in das Loch unter Woolworth hinunterschaue, wieder: unbegrenzten Respekt vor der Arbeit, die hier getan werden muß und wird, um solch eine turmhohe Absurdität nachher als Resultat zu erzielen.

Ich möchte mich gern gegenüber Woolworth einquartieren und ein bißchen zusehen, wie die harten Jungen mit dem Felsen und dem Eisen und all den schweren Widerständen fertig werden, aber ich habe keine Zeit. Ich bleibe nur eine Stunde lang auf dem Holzsteig stehen, 49 lasse mich von der Menge, die über den Broadway schiebt, puffen und blau stoßen und sehe und höre zu, wie die Jungen 130 Fuß tief in die Caissons niederfahren und blutrot wieder heraufkommen an die sengende Sonne. Wie die 50 Karren donnernd hin und her rollen. Wie die Eisentraversen, von den Derricks gefaßt, langsam in die Höhe pendeln. Wie der Schachtbohrer zischt und wettert und der ihn bedient, zittert und hin und her geworfen wird auf dem Eisenrand. Wie die Signalpfeife schrillt und warnt. Wie Mut und Kraft am Werke sind in der Hitze dahier, in und über diesem ausgehöhlten Viereck, bei dessen Anblick ich nicht mehr an Dollar und Millionen von Dollar denke, sondern an Leben und Tod, die hier am Werke sind.

Das Bügeleisen — Times-Building

Wie ich dann den Broadway lang zu meinem Hotel zurückgehe, zum erstenmal ein bißchen betäubt von Newyork und begeistert von Newyork, und den himmelhohen Wolkenkratzer erblicke, das sogenannte »Bügeleisen« an der scharfen Ecke der 5. Avenue und Madison-Square – da konstatiere ich etwas und schreibe es mir ins Gedächtnis auf. Nicht das ungeheure Bauwerk ist es, das mich mit Staunen und Ehrerbietung erfüllen kann je und je – sondern jawohl der kleine brüllende Zeitungsjunge, der unten auf der Straße vor dem spitz zulaufenden Bug des »Bügeleisens« steht und dem die bedruckten: »Peipers«, d. h. Papiere, aus der Hand heraus und die Cents in die Hand hinein fliegen.

 


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