Arthur Holitscher
Amerika heute und morgen
Arthur Holitscher

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Die Wolkenkratzer von oben und bei Nacht gesehen

Singer-Building, Nähmaschinen-Singers Haus, ist 47 Stock hoch, an dem teuersten Fleck der teuren Südspitze von Manhattan gebaut. An einem Tag wie dieser heute sieht man von oben über 30 Meilen in die Runde. Die Plattform befindet sich auf der 42. Etage.

Da liegt sie nun, die ganze herrliche Küste, von der anderen, der Stadtseite gesehen diesmal. Die innere Bai mit der Dame Freiheit, die auch von hier oben herrlich und majestätisch anzuschauen ist, weil sich ein Begriff in ihr verbindet mit einem Gefühl, weil sie ein Kunstwerk ist mit einem Wort. All die kleinen, kapriziös zugeschnittenen Inseln der inneren Bai; dahinter die Meerenge; und hinten das Große, Breite, Weite, Wunderbare, einen Gruß dort hinaus!

Unwillkürlich schaue ich nach der Hobokener Seite 58 hin, es ist Montag, zwischen den Pieren des Lloyd muß noch »Kaiser Wilhelm der Große« liegen. Da erblicke ich auch seine vier treuen Schlote – gegrüßt! Morgen fährt er den Weg zurück. Solch ein Schiff ist fast wie ein menschliches Wesen, ein Freund – ich weiß, es hat ja auch seine Schicksale – man ist mit ihm verbunden, auf geheime Weise, für alle Zeiten. Mit den Leuten, denen solch ein Schiff nichts weiter bedeutet als ein schwimmendes Hotel, ein bequemes Beförderungsmittel, will ich nichts zu tun haben. Gute Fahrt, Freund, grüß die Tiefe. –

Es ist deutlich zu spüren hier oben, wie der Turm, auf dem wir stehen, schwingt und schüttert unter uns. Das Felseneiland wiegt sich leise, die Erde dreht sich, Manhattan atmet. Wie von einem angestrengten Menschen, der unter seiner schweren Arbeit stöhnt, dringt hie und da der klagende Laut der Fähren herauf. Leise schwimmen die braunen Inseln rechts und links von Pier zu Pier, quer durch den Hudson, den East River, durch die innere Bai. Ein heiseres Husten kommt alle Augenblicke herauf, das sind die Automobile von dem Broadway her, hierzulande kläffen sie wie gereizte Köter. Dann ist ein Surren, ein Geschnurr da, wie von einem geschäftigen Webstuhl, das sind die Menschen, die dort unten leben.

Jetzt sehe ich mir die Siebe von oben an. Die kleinen weißen Rauchfähnlein sind putzig an den Dächern befestigt und flattern leise hin und her unter mir. Ich sehe die himmelhohen Häuser in einer komischen Verkürzung, oben breit, unten schmal, wie umgekehrt in die Erde gesteckt, eckige Zuckerhüte. Für diesen Anblick finde ich keinen andern Ausdruck als komisch. Mitten unter ihnen steht der schlanke Kirchturm der alten Dreifaltigkeitskirche. Sie ist klein und liegt mitten unter den Riesenbauten wie verloren da. Es ist kein Grund vorhanden, sentimental zu werden bei Betrachtung der alten Dame. Denn erstens kann sie sich's wahrscheinlich leisten, da zu stehen, und zweitens weiß ich, mit welchen Mitteln sie diese Leistung zuwege bringt – im 59 Juden viertel, dort wo die Elendsten unter den Elenden in Tenements (Massenquartieren) zusammengepfercht ein Höllenleben führen, gehören ihr die furchtbarsten Straßen. Die anständige Presse der Stadt schreit sich seit Jahr und Tag den Hals wund über diese Schmach, die alte Bigotte aber stellt sich taub, liegt da im Geschäftsviertel und besitzt. Ihr bescheidenes Türmchen gehört hierher, mitten unter die Menschenfresser-Türme.

Nein, nichts zu sagen: von hinten und vorn, von oben und unten besehen, ich kann mich mit dem W. nicht befreunden. Jetzt, von oben, sieht man ganz genau, wie so ein Ding gebaut ist; der Grundriß liegt genau da, und die Gründe sind klar. Es sind bebaute Gründe ganz einfach, und keine Häuser, die auf Gründen stehen. Bizarr und verwinkelt, hinein und hinaus verwinkelt und zugeschnitten, ohne Rücksicht auf irgendwelche Proportion. Manhattan von oben ist noch häßlicher als Manhattan von unten. Die Wolkenkratzer von oben gesehen noch absurder als von unten betrachtet. Hier sieht man genau: was dort unten im griechischen Tempelstil gebaut wurde bis zum zehnten Stock, verwandelt sich von da ab in einen rechteckigen, unnuancierten, von Quadratfenstern durchbrochenen Kasten, der weitere zwanzig Stock hoch auf 60 dem griechischen Unterbau sitzt. Oben aber ist diesem hybriden Wesen ein fünfstockhohes Renaissancegesims aufgestülpt – als hätte der Architekt, bis er oben angelangt ist, vergessen, in welchem Stil er unten angefangen hat!

Dazu die Fahrt in den Elevatoren, wie die Lifte hierzulande heißen! Hinauf geht's ja noch – aber hinunter! Die Zahlen flitzen an den inneren Türen der Stockwerke in absteigender Richtung vorbei. Ungefähr bei Nummer 35 schießt einem der Magen mit einem Ruck inwendig zur Schädeldecke hinauf, hüpft dort ein bißchen, wie ein Kinderluftballon an dem Plafond, und bleibt dann stehen. Wie bei Nummer 7 der Elevator anfängt, etwas langsamer zu fahren, sinkt der Magen infolge des veränderten Tempos sachte, sachte auf seinen vorgeschriebenen Platz zurück, man hat selber wahrhaftig einen Lift im Leib, und wenn auf der Tür innen Nr. 1 erscheint, hüpft einem der Magen auf leiser Gummisohle drei-, viermal auf den Gedärmen herum, die das nicht vertragen und sich bäumen, und steht dann still. Es ist 61 undenkbar, daß diese ewige, unerhörte Auf- und Nieder-Fahrerei auf die Dauer die Struktur des menschlichen Körpers, des fahrenden Menschen nicht verändern sollte. Das Herz, das Gehirn müssen sich verändern, der liebe Gott hat diesen Zustand des Hinauf- und Hinabfahrens im Tierreich nicht vorgesehen. Es wird zu den anderen Typen des amerikanischen Menschen ein neuer, der Wolkenkratzertypus hinzukommen, das wird der nationale Kretin sein.

 

Ja, aber bei Nacht! sagen die unentwegten W.-Enthusiasten. Und wirklich bei Nacht hätten die W. etwas Phantastisches, wenn –

Times-Square, zehn Uhr nachts. Irgendwo aus der Höhe leuchtet ein ungekanntes Gestirn auf mich herab. Siebzehn apart verteilte Blaugas-Sterne leuchten aus einer viereckigen, nur undeutlich sichtbaren Himmelswolke hernieder. Es sind beleuchtete Fenster des Times-Building. Unter den Sternen dort oben arbeiten Menschen die Nacht hindurch. Hoch oben, gegenüber auf dem riesigen Hotel 62 schweben Lichtgirlanden, glühen Lichtblumen in den dunklen Himmel hinein, ein unsichtbarer Scheinwerfer beleuchtet die flatternde weiße Fahne über der Krone des schönen Hauses. Ich möchte gerne jetzt bei Nacht alles vergessen und mich an den neuen Sternen ergötzen, den Glühbirnen- und Azetylen-Sternen, die Newyork dem Fremden auf seinem Himmel zeigt – aber ich sage es gleich, ich finde mein Entzücken nicht.

Ringsum glühen neben diesen exquisiten Lichteffekten dumme fünf Stockwerke hohe Reklamen in der beleidigten Nacht. Sie begnügen sich nicht damit, da zu sein und grell und ordinär zu sein, sie strampeln, zappeln, rieseln, kreiseln, all das fünf Stockwerke hoch.

Pferde schlagen mit Hufen und schütteln die Mähnen. Ein Kätzchen wackelt mit dem Schwanz und verwickelt sich zusehends in einer roten Zwirnspule. Ein fünf Stock hohes Baby bekleckert sich mit Kakao, und wenn es sich genügend eingeferkelt hat, verschwindet es von der Bildfläche, um gleich darauf, meilenweit sichtbar, dasselbe Manöver zu beginnen. Ich fahre auf den berühmtesten Hotel-Dachgarten Newyorks hinauf, höre die Musikkapelle Puccini spielen, es ist wirklich ein bißchen kühl da oben, ich sehe den Wolkenhimmel über mir – plötzlich ist der Himmel weg, und es beginnt vor meiner Nase Jeffries mit Johnson zu boxen, um mich von der Haltbarkeit der Unterwäsche Porosknit zu überzeugen. Es ist unsagbar. Es ist hoffnungslos. Ich setze mich anders herum – plötzlich kaut am Firmament vor mir ein Riesenmaul das neueste Kaugummi. Die Reklame tobt bei Tag und Nacht. Hinter jenen Sternen sitzt jetzt wahrscheinlich der Manager von diesem Unfug und kalkuliert und diktiert in eine Maschine hinein Ziffern, Tobsucht, Gotteslästerung. Weiß ich's denn noch, ob dieser Stern dort oben der Sirius ist oder eine Aktiengesellschaft? Ich will lieber schlafen gehen, d. h. wenn man das Schlaf heißen kann, was an der Ecke vom Broadway und der 42. Straße Schlaf genannt wird. 63

 


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