Arthur Holitscher
Amerika heute und morgen
Arthur Holitscher

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Esterhazy in Saskatchewan

Der Magyare steht da, die eine Hand hat er in tränenreicher alkoholischer Heiterkeit hinter sein linkes Ohr gepreßt, in der Rechten über seinen Kopf erhoben hält er den Cocktail in die Höhe und singt dazu:

»Ha bemegyek, ha bemegyek
Esterházy – Bar-ba,
Rászólok a, rászólok a
Czigányra!
Huzd rá czigany
« usw. . . .

Dabei hat er sein Lebtag keinen Zigeuner gesehen, er ist schon in Pennsylvanien als Sohn eines Kohlenbergmanns zur Welt gekommen, steht jetzt hier, in der Bar des Hotels in Esterhazy, Provinz Saskatchewan, und spricht sogar in der absoluten Betrunkenheit das reinste Ungarisch, das man sich denken kann. Und im übrigen gibt es gar keinen Zigeuner hier und anderswo, weit und breit, höchstens ein Grammophon.

Im Ort hatte es sich bald herumgesprochen, daß ein ungarisch redender Fremdling im Hotel abgestiegen sei. Bald flogen die Dollar nur so auf den Schanktisch, und ich 169 lernte die ungarische Gastfreundlichkeit hier herüben unter Kopfschmerzen und allen Symptomen einer leichteren Fuselvergiftung kennen.

Der schlaue irländische Giftmischer hinter der Bar kann schon ungarisch schimpfen und fluchen und gibt auf den Dollar siebzig Cent zu wenig heraus, wenn sich der Ungar über die fremdartige Aussprache von »basszama teremtette« schüttelt. Es ist eine feine Atmosphäre von Besoffenheit ringsum zu spüren.

Mr. Greenway in Ottawa und Mr. Walker in Winnipeg waren einstimmig in der Versicherung, wie hoch die Regierung die Ungarn in der Dominion schätze. Gute, ja vorzügliche Farmer, und »most law-abiding citizens« obendrein. Law-abiding, das war überhaupt das zweite Wort, das ich in all den Regierungsbüros zu hören bekam. Ich hatte den Fehler begangen, ein bißchen zu viel von den Duchoborzen und den Mennoniten und all diesen Eigenbrödlern und Sonderbündlern und von der Toleranz der Regierung zu reden. So bläute man mir dieses Wort law-abiding mit Hammerschlägen ins Gehirn hinein. Sind's die Einwanderer nicht von selber – aber sie sind's, es geht ihnen ja gut, – so läßt es sich die Regierung angelegen sein, sie in kurzem dazu zu machen. Und die Ungarn sind es schon, sind schon gesetzestreue Bürger, wenn sie Kanadas Boden unter ihren Füßen haben.

In Ottawa hat man mir Wagen und Automobile versprochen, die mich auf dem Lande herumkutschieren sollten. Herr Walker aber bedauerte unendlich, es war grad die hohe Erntezeit und alle seine Regierungsautos sausten mit Kommissären in den Erntegebieten herum. Mir war's recht, die Staatsautomobile hätten mich ja doch nur auf die Renommierfarmen mitgenommen, auf denen der Fremde dann die Hände über dem Kopf zusammenschlägt vor Begeisterung. Ich kam nach Esterhazy, um irgendeine rechtschaffene Durchschnittsfarm eines ungarischen Weizenbauers anzusehn und dabei zuzuschauen, was dieses gute englische Land aus einem ungarischen 170 Bauern zu machen imstande ist. Der daheim in der Quetschmühle zwischen dem Pfaffen, dem Erbadel, dem Juden und den kinematographisch rasch wechselnden und sich ablösenden Regierungen seinen blutigen Schweiß verspritzt.

In allen Orten Kanadas findet man bedruckte Tafeln in den Hotelzimmern: »Bitte nicht auf den Boden zu spucken!« »Bitte die Streichhölzer nicht an den Wänden anzustreichen!« »Gedenke deines Schöpfers, wenn du zu Bette gehst und wenn du aufstehst!« – hier aber, in Esterhazy, stand auf der Tafel:

»Hasardspiel in den Zimmern streng verboten!«

Auch war das vornehmste Firmenschild, das ich auf der Hauptstraße erblickte, nicht das des »General Store« gewesen, sondern es hing über dem Laden eines Rechtsanwaltes. Die Ungarn sind ein Juristenvolk, und das Nationalübel ist das Kartenspiel. Hier war ich wahrhaftig in einem bis in die Wolle gefärbten Ungarn.

Auf ging die Tür der Bar, und zwei Gestalten kamen herein. Die eine, ein kleiner bedächtiger, wie ein Städter angezogener Mann, war Herr Soundso – der erfolgreichste Farmer dieser Gegend, wie man mich mit ehrerbietigem Seitenblick versicherte, Besitzer von zwei Quadratmeilen besten Landes hier herum, eine Persönlichkeit, die ihr gewichtiges Wort mitzureden hatte in der »township«. Der Begleiter dieses wichtigen Mannes war ein junger Mensch mit Großstadtallüren, von der Gelenkigkeit der Leute, denen es dran liegt, rasch etwas zu erreichen, und die es auch tun müssen, aus naheliegenden Gründen. »Zweite Klasse der Heilsarmee«, sagte ich mir gleich. Und wirklich – es verging keine halbe Stunde, da hatte er mir schon erzählt, er und seine Frau seien mit der Heilsarmee nach Montreal, weil man, fährt man mit der, mehr für sein Geld hat!

Sohn eines Budapester Millionärs. Weit in der weiten Welt herumgekommen, während daheim der Vater die Millionen verspekulierte. Jetzt ist er in politischer Mission unter seinen Landsleuten da. Die Konservativen haben 171 ihn hergeschickt, damit er den einflußreichen Farmer Herrn Soundso, der für den Liberalen »arbeitet«, herumkriege, oder, wenn das nicht geht, ihm ein bißchen seine Effekte verpfusche. Gelingt ihm das, und ist man an maßgebender Stelle zufrieden, so wird er sich hier im Kreis niederlassen, das dankbare Gewerbe eines Rechtsanwaltes ausüben, unter seinen leidenschaftlich prozessierenden und in Grund und Land spekulierenden Landsleuten. Da ist also der dritte spezifisch magyarische Typus, der »Cortes«, Wahlagitator, eine Kreuzung des Juristen und Kartenspielers, mitten in der fruchtbaren Prärie an der Arbeit.

Ungarische Farmer in Saskatchewan

Der liberale Farmer nimmt Herrn Bahnarbeiter A. in die Ecke, derweil lauert der konservative Exmillionär über seinem Cocktail in der anderen Ecke. Herr A. wird mit einem Lächeln und Händedruck entlassen, und der Farmer wendet sich Herrn Sattlermeister B. zu, der darauf gewartet hat und dessen Miene ausdrückt, er fühle sich wohl geschmeichelt, aber es wird nicht so leicht sein. Der Konservative schlängelt sich an Herrn A. heran und schielt zur Gruppe um Herrn B. hinüber. Das politische Geschäft A–B, B–C, C–D geht langsam das ganze Alphabet lang, und der irische Spitzbube sieht hinter der Bar dem Kreszendo schmunzelnd und beherrscht zu.

172 Der Konservative hat sich mit seiner Frau draußen auf der Farm des Liberalen niedergelassen. Morgen abend ziehen sie, der Liberale mit etlichen Dollar, der Konservative mit einem Sack voll Versprechungen, einander gut bewachend und belauernd auf die Dörfer in weitem Umkreis, der Umkreis ist aber dem reziprozitätslüsternen Liberalen so gut wie sicher.

Hier werde ich keine Renommierfarm zu sehen kriegen, um so besser. Aber es ist einer, der groß geworden ist dahier, dieser pfiffige kleine Ungar mit seinen zwei Quadratmeilen. Er ist seine hunderttausend Dollar »wert«; als er hereinkam, hatte er ganze 75 Cent in der Tasche. Erreichen seine Söhne das gesetzmäßige Alter, so wird er sie jeden 160 Acre aufnehmen lassen, und die Familie wird an Reichtum zunehmen. Zudem baut jetzt die Canadian Northern eine Linie quer an seinem Gut vorbei, er hat also sein Land nur zu halten, es arbeitet für sich, in zehn Jahren wird es das Fünffache wert sein, wenn sein Besitzer nur warten kann.

Er wartet auch, das sehe ich.

 

Draußen auf dem Feld der väterlichen Farm arbeitet der fünfzehnjährige Sohn, während der Vater mit dem Gast im Land herumfährt, um die Fahne für Sir Laurier zu schwingen. Die Familie (und das Exmillionärspaar) wohnt in der Lehmhütte, die der Farmer, als er arm hereinkam, mit eigenen Händen gebaut hat. Er erklärt mir auf meine Frage, daß das Geld, das man in ein Wohnhaus stecke, doch keine Zinsen trägt! Draußen vor der Hütte faulen ein paar Bindemaschinen, schon alt gekauft und seit Jahren außer Gebrauch. Das zahlreiche Vieh übernachtet in einem Stall, in den's oben hineinregnet. Die jüngsten Sprößlinge des Zweimeilen-Besitzers laufen zwischen dem Düngerhaufen und den Ferkeln in kleinen dreckigen Hemdchen herum und haben sonst nichts an. Zwei Drittel des Landes liegen brach – das Land arbeitet ja für sich.

173 Hundert Schritt weit vor dem Haus, in einem Birkenwäldchen, liegt ein totes Pferd schon den dritten Tag. Vorgestern Nacht hat der Coyote (Steppenwolf) sich, vom Gestank gelockt, an das Aas herangemacht, ihm den Bauch aufgebissen und die Leber herausgeholt. Der brave Fido hat den Räuber gestellt, man kann da hinten beim Roggen noch die Leber sehen, die seinem Maul entfiel bei der Flucht.

Die Familie unternimmt jetzt alltäglich Ausflüge ins Wäldchen, um nachzusehn, ob die Maden im Bauch des Pferdes zugenommen haben. Ich werde als Weichling tüchtig ausgelacht, weil ich an dieser Vergnügung nicht teilnehmen will.

Der einzige Schmuck der Lehmhütte ist ein halbes Dutzend Heiligenbilder in nachgemachten Goldrahmen. Dieser Anblick bringt mir eine Geschichte in den Sinn, die ich in Winnipeg vom Seelsorger der ungarischen Gemeinde gehört habe, und die ich nicht unterschlagen darf, denn in ihr steckt etwas von der Zukunft Kanadas, eine kleine, faule, widerwärtige Perspektive sozusagen.

Ich habe mir wahrhaftig nicht die Mühe genommen, all die Broschüren durchzulesen, die sich auf den Hader der konfessionellen Parteien beziehen und die mir in großer Menge unter Kreuzband und in Paketen ins Felsengebirge nachgeschickt wurden. Hier steht, was ich mir von der Angelegenheit gemerkt habe: Die Ungarn lieben es, ihre eigenen Geistlichen aus der alten Heimat herüberzuholen, um am Sonntag in ihrer eigenen Sprache von der Kanzel herab angeredet zu werden. Die ungarische Geistlichkeit zeichnet sich durch liberale Anschauung aus, und diese stimmt mit der politischen Richtung der Gemeinde überein. Die katholische Geistlichkeit Kanadas, die aus Franzosen und Belgiern besteht, war mit diesem Stand der Dinge nicht zufrieden. Was geschah? Ein belgischer Geistlicher wurde insgeheim nach Ungarn geschickt, um die Sprache zu erlernen. Jetzt bearbeitet er von der Kanzel herab, in einem schauerlichen 174 belgisch-französischen Ungarisch, seine Schafe für die politischen Zwecke seines Bischofs. Wenn der Exmillionär Rechtsanwalt in Esterhazy wird, kann er nichts Klügeres tun, als sich mit dem guten Pater P. auf du und du zu stellen.

Da habe ich nun leider Gottes eine Farm im ertragreichsten Gebiet des Weizenlandes gesehen. Dort, wo die Millionen hinziehen sollen, die es nach Brot gelüstet. Ich kann nichts dafür, wenn das Idealbild, das mir auf dem Ontario vor Augen erschien, weiter von der Wirklichkeit fortgleitet, wenn ich nach dem Westen komme. Diese Farm bei Esterhazy ist – vermutlich – keine typische Farm des Weizenlandes im Innern Kanadas. Um so schlimmer. Herr Bruce Walker hätte mir ein Regierungsautomobil mitgeben sollen!

 


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