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Nachtrag

Veranlaßt durch die Rede des Reichsfinanzministers Erzberger in der Nationalversammlung vom 25. Juli 1919 ist eine Erörterung über die auf den Seiten 171 und 172 dieses Bandes kurz behandelte Episode eines vermeintlichen englischen Friedensfühlers im September 1917 entstanden, die über die diplomatischen Vorgänge jener Zeit und darüber hinaus auch auf den Hintergrund der Aktion des damaligen Abgeordneten Erzberger vom Juli 1917 genauere Aufklärung gebracht hat. Diese Aufklärung hat die von mir in diesem Bande gegebene Darstellung vollauf bestätigt. Sie hat sie aber gleichzeitig durch so wichtige Einzelheiten ergänzt, daß es mir notwendig erscheint, in Form dieses Nachtrags die wichtigsten Ergebnisse zusammenzufassen.

Ich habe oben auf den Seiten von 144 an die Anzeichen erwähnt, die vom Mai 1917 an eine aufkeimende Geneigtheit der Westmächte zu Friedensgesprächen erkennen ließen: die Äußerung des französischen Außenministers Ribot zu dem italienischen Botschafter in Paris, daß Frankreich der Erschöpfung entgegengehe;

die französischen Versuche, Besprechungen mit Vertrauensleuten der Zentralmächte aufzunehmen;

die alarmierenden Mitteilungen, die Lloyd George in Paris über die Wirkungen des U-Bootkriegs auf die Ernährungslage Englands machte.

Diese meine Mitteilungen haben jetzt eine Bestätigung erfahren in den Veröffentlichungen des früheren deutschen Botschafters in Wien, Grafen Botho Wedel. Dieser berichtet, daß nach den Mitteilungen eines französischen Diplomaten in jener kritischen Zeit Lloyd George und Ribot drauf und dran waren, nach Rom zu reisen, um mit der italienischen Regierung wegen Einleitung von Friedensschritten zu verhandeln.

Desgleichen hat sich bestätigt, daß diese aufkeimende Friedensneigung bei unsern Feinden zerstört wurde durch die Aktion, die der Abgeordnete Erzberger mit einem scharfen Vorstoß im Hauptausschuß des Reichstags am 6. Juli 1917 einleitete und die in ihrem Ergebnis zum Rücktritt des Reichskanzlers von Bethmann Hollweg und zur Friedensresolution des Reichstags vom 19. Juli 1917 führte.

 

Graf Czernins Geheimbericht

Wir sehen heute tiefer in die Zusammenhänge dieser Erzbergerschen Aktion. Wir wissen durch den Grafen Czernin, daß Herr Erzberger in den Besitz des Geheimberichts des Grafen an den Kaiser Karl vom 12. April 1917 (S. 62 ff.) gelangte, der von seinem Verfasser ausschließlich für die beiden Kaiser und den deutschen Reichskanzler bestimmt war. Dieser Bericht, der den Zweck verfolgte, den deutschen Kaiser für einen Verzicht auf Elsaß-Lothringen geneigt zu machen, stellte die Lage Österreich-Ungarns in den schwärzesten Farben dar. Jede Indiskretion mußte deshalb besonders gefährlich wirken.

Herr Erzberger hat diesen Geheimbericht, wie Graf Czernin sagt, von einer »nichtverantwortlichen Seite« erhalten, und zwar hinter dem Rücken des für die österreichisch-ungarische Außenpolitik verantwortlichen Grafen. Wir wissen heute, daß die »nichtverantwortliche Seite« Kaiser Karl selbst war, derselbe, der wenige Wochen zuvor jenen mit dem Bundesverhältnis zwischen den beiden Reichen nicht zu vereinbarenden Brief an seinen Schwager, den Prinzen Sixtus von Parma, gleichfalls hinter dem Rücken seines Außenministers, geschrieben hatte. Herr Erzberger behauptet, den Bericht ohne einen andern Auftrag als den der Geheimhaltung seiner Herkunft erhalten zu haben. Das hat offenbar seine Richtigkeit; denn auch Graf Czernin, der in Übereinstimmung mit dem Grafen Wedel feststellt, daß Herr Erzberger den Geheimbericht nicht geheimgehalten habe, sagt ausdrücklich, daß Herr Erzberger dabei »im Sinne seiner Auftraggeber« gehandelt habe.

Insbesondere hat Herr Erzberger den Geheimbericht des Grafen Czernin in einer Sitzung des Reichsausschusses der Zentrumspartei, die unmittelbar nach der Beschlußfassung des Reichstags über die Juliresolution in Frankfurt a. M. stattfand, zur Verlesung gebracht. Graf Wedel und Graf Czernin sagen aus, daß durch die Erzbergersche Indiskretion der Geheimbericht zur Kenntnis unserer Feinde kam. Mit Recht sagt Graf Czernin:

»Ein jeder, der meinen Bericht liest, kann sich eine Vorstellung von den Folgen machen.«

Die Folgen waren handgreiflich.

Die durch die Kenntnis des Czerninschen Geheimberichts verstärkte Wirkung der Erzbergerschen Aktion im deutschen Reichstag war, daß bei unsren Feinden die Überzeugung hervorgerufen wurde, die Zentralmächte ständen unmittelbar vor dem inneren Zusammenbruch. Man habe es infolgedessen nicht mehr nötig, mit ihnen zu verhandeln, der volle Sieg werde der Entente in kurzer Zeit als reife Frucht in den Schoß fallen.

Unter diesen Umständen, unterblieb die Romreise der Herren Lloyd George und Ribot, und es folgten unmittelbar auf die Friedensresolution des Reichstags die oben (S. 147 und 148) aufgezählten Erklärungen der Ententeminister, die jeden Verständigungsfrieden auf Grund des Besitzstandes vor dem Krieg weit von sich wiesen.

Die neu bekanntgewordenen Tatsachen haben also die Auffassung bestätigt, daß die Aktion des Herrn Erzberger im Sommer 1917 die damals aufkeimende Friedensgeneigtheit unserer westlichen Feinde zerstörte und in ihr Gegenteil, in den entschlossenen Willen zum Durchkämpfen des Krieges, verkehrte.

 

Die Aktion Erzbergers

Offenbar, um den Eindruck dieser Feststellungen abzuschwächen, hat Herr Erzberger als Reichsfinanzminister und stellvertretender Vorsitzender des Reichsministeriums in der Sitzung der Nationalversammlung vom 25. Juli 1919 den Versuch gemacht, nachzuweisen:

daß eine ernste Friedensmöglichkeit, geschaffen durch ein die Vermittlung des Vatikans benutzendes englisches »Angebot« Herr Erzberger hat später bestritten, von einem englischen »Friedensangebot« gesprochen zu haben. Nach dem im Reichsanzeiger veröffentlichten ersten Bericht über seine Rede hat er ausdrücklich von einem »Angebot Englands« gesprochen, dem die französische Regierung sich angeschlossen habe. Im amtlichen stenographischen Bericht, der erst etwa 10 Tage später ausgegeben wurde, sind diese Worte allerdings nicht enthalten; wohl aber ist dort an einer späteren Stelle die Rede von der »von England mit Vermittlung des Heiligen Stuhles eingeleiteten Friedensaktion«.
Es handelt sich hier um die oben (S. 171 und 172) behandelten Vorgänge.
Die inzwischen veröffentlichten Dokumente geben ein vollständiges Bild, das sich folgendermaßen darstellt: Die angebliche englische Friedensaktion steht im engsten Zusammenhang mit der vom 1. August 1917 datierten, an alle kriegführenden Mächte gerichteten Friedensnote des Papstes und kann nur im Zusammenhang mit der päpstlichen Friedensaktion betrachtet und verstanden werden.
Die Anfänge der päpstlichen Friedensaktion reichen in den Monat Juni 1917 zurück. Die Seite 147 von mir erwähnten Besprechungen des apostolischen Nuntius Pacelli mit dem Reichskanzler von Bethmann Hollweg, denen eine Audienz des Nuntius beim Kaiser im Großen Hauptquartier folgte, dienten offensichtlich dem Zweck, den Boden für die damals schon geplante päpstliche Friedensaktion zu sondieren. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß um die gleiche Zeit ähnliche Sondierungen von vatikanischer Seite auch bei unsern Gegnern vorgenommen wurden.
Das Ergebnis seiner Sondierung bei den für die deutsche Politik maßgebenden Männern beurteilte der Nuntius Pacelli günstig; er selbst hat sich mir gegenüber, wie oben (S. 147) erwähnt, in hohem Maße befriedigt über seine Unterhaltungen mit Herrn von Bethmann ausgesprochen und hat späterhin, wie gleichfalls oben (S. 149) erwähnt, sich dahin geäußert, daß ohne den – durch die Erzbergersche Aktion herbeigeführten – Abgang des Herrn von Bethmann die Friedensaussichten gute gewesen seien.
, noch im August und September 1917 an die deutsche Regierung herangekommen sei, daß aber dieses englische, angeblich nur an die Wiederherstellung der territorialen Integrität und der Souveränität Belgiens geknüpfte Friedensangebot von der politischen Leitung des Reichs unter dem Druck der Obersten Heeresleitung, der Schwerindustrie und der Alldeutschen ausgeschlagen worden sei.

 

Der Friedensschritt des Papstes

Es ist anzunehmen, daß auch die Sondierungen des Vatikans bei unsern Gegnern damals ein günstiges Ergebnis hatten; andernfalls wäre der päpstliche Friedensschritt wohl unterblieben. Es deckt sich auch ganz mit meiner Auffassung über die damals bei unsern Feinden aufkeimende Friedensneigung, daß die Ende Juni erfolgenden päpstlichen Sondierungen auch bei unsern Gegnern auf Ermunterung stoßen mußten.

Vom Ende des Monats Juni bis zu dem offiziellen Vorgehen des Papstes mit seiner Friedensnote ist dann ein längerer Zeitraum vergangen. Die päpstliche Note ist vom 1. August datiert und ist am 14. August in Berlin und um dieselbe Zeit in sämtlichen Hauptstädten der kriegführenden Großmächte überreicht worden. Der Aufschub dürfte seine Erklärung wohl in der durch den Erzbergerschen Vorstoß vom 6. Juli herauf beschworenen inneren Krisis in Deutschland und dem Kanzlerwechsel finden. Die Kurie mußte sich nun erst darüber vergewissern, ob auch unter der Kanzlerschaft des Herrn Michaelis in Deutschland dieselbe Friedensbereitschaft wie unter Herrn von Bethmann fortbestehe.

Das war der Fall.

Aber inzwischen hatte sich gerade infolge der krisenhaften Vorgänge in Deutschland und infolge der Erzbergerschen Indiskretion mit dem Geheimbericht des Grafen Czernin bei unsern westlichen Feinden die Auffassung geändert: Als die päpstliche Note Mitte August überreicht wurde, war die Verhandlungsbereitschaft, die einige Wochen vorher bei der vorbereitenden Sondierung noch bestanden hatte, infolge der Erzbergerschen Aktion verschwunden.

Es läßt sich denken, daß die britische Regierung bei dieser veränderten Sachlage durch den offiziellen Friedensschritt des Papstes in eine gewisse Verlegenheit gesetzt wurde: sie hatte vor wenigen Wochen zu einem solchen Schritt ermuntert oder sich jedenfalls nicht abgeneigt gezeigt, ihn mit Sympathie aufzunehmen; jetzt war sie entschlossen, an ihren alten, nur von einem niedergeworfenen Deutschland erzwingbaren Kriegszielen festzuhalten und infolgedessen dem päpstlichen Schritt keine Folge zu geben.

Diese Verlegenheit der britischen Regierung hat die Mitteilung des Foreign Office an den britischen Gesandten beim Vatikan, den Grafen Salis, vom 21. August 1917, die später als »Friedensangebot« ausgegeben worden ist, offensichtlich diktiert. Hier der Wortlaut: Der nachstehend wiedergegebene Wortlaut ist der von der deutschen Regierung bekanntgegebene und entspricht nach einer Veröffentlichung der Kurie in der Florentiner »Unità Cattolica« dem von dem Grafen Salis dem Kardinalstaatssekretär überlassenen Text, Der von der britischen Regierung in dem Weißbuch vom 13. August 1918 wiedergegebene englische Text zeigt nicht unerhebliche Abweichungen, So lautet dort der Eingang: »Da die Regierung Seiner Majestät noch nicht in der Lage war, ihre Verbündeten über die Vorschläge Seiner Heiligkeit zu befragen, kann sie nicht sagen, ob es irgendeinen Zweck hat, eine Antwort darauf zu geben, oder, bejahendenfalls, weiche Form einer solchen Antwort zu geben sein würde.«
Am Schluß steht der bezeichnende Satz: »Sie wollen, wenn sich eine geeignete Gelegenheit bietet, dies Seiner Eminenz auseinandersetzen.«

»Wir haben noch keine Gelegenheit gehabt, unsere Verbündeten über die Note seiner Heiligkeit zu befragen, und sind nicht in der Lage, uns über eine Beantwortung der Vorschläge Seiner Heiligkeit betreffend Bedingungen eines dauernden Friedens zu äußern. Unserer Ansicht nach besteht keine Wahrscheinlichkeit dafür, diesem Ziele näherzukommen, solange sich nicht die Zentralmächte und ihre Verbündeten in offizieller Form über ihre Kriegsziele und darüber geäußert haben, zu welchen Wiederherstellungen und Entschädigungen sie bereit sind, durch welche Mittel in Zukunft die Welt vor der Wiederholung der Greuel, unter denen sie jetzt leidet, bewahrt werden könnte. Selbst hinsichtlich Belgiens (und in diesem Punkte haben die Zentralmächte anerkannt, im Unrecht zu sein) ist uns niemals eine bestimmte Erklärung über ihre Absicht bekannt geworden, die völlige Unabhängigkeit wiederherzustellen und die Schäden wieder gutzumachen, die sie es hat erdulden lassen. Seiner Eminenz dürften zweifellos die Erklärungen gegenwärtig sein, die von den Alliierten in Beantwortung der Note des Präsidenten Wilson abgegeben worden sind. Weder von Österreich noch von Deutschland ist jemals eine solche (equivalent) Erklärung erfolgt. Ein Versuch, die Kriegführenden in Übereinstimmung zu bringen, erscheint so lange vergeblich, als wir nicht über die Punkte im klaren sind, in denen ihre Ansichten auseinandergehen.«

 

Englands ausweichende Erklärung

In ihrem Wortlaut und in ihrem Sinn ist diese Instruktion des Foreign Office an seinen vatikanischen Gesandten das Gegenteil eines Friedensangebots. Es ist die in höfliche Form gekleidete Ablehnung einer Beantwortung der päpstlichen Friedensnote unter dem durchsichtigen Vorwand, daß die Alliierten ja ihre Kriegsziele bereits in ihrer Antwortnote vom 10. Januar 1917 an den Präsidenten Wilson (Band II, S. 375–378) niedergelegt hätten, von Deutschland aber äquivalente Erklärungen bisher nicht erfolgt seien. Allein schon der Hinweis auf jene Antwortnote an den Präsidenten Wilson, die den Versailler Vertrag bereits in nuce enthielt – mitsamt dem Schuldbekenntnis Deutschlands und mitsamt der Weigerung, mit Deutschland auf gleichem Fuß zu verkehren –, stellt den Charakter der Depesche außer Zweifel.

Gerade weil die Depesche diesen Sinn hatte, sprach die französische Regierung den Wunsch aus, sich gegenüber dem Vatikan den in der Depesche enthaltenen Gesichtspunkten anschließen zu dürfen. Auch hiervon wurde der Graf Salis benachrichtigt.

Der Papst und sein Kardinalstaatssekretär, geleitet von dem brennenden Wunsch, der Welt zum Frieden zu verhelfen, sahen die Depesche, die der britische Gesandte dem Kardinalstaatssekretär vorzeigte, mit andern Augen an. Sie wollten in dem Hinweis auf Belgien, der bestimmt war, die Anklage gegen Deutschland besonders zu unterstreichen, eine Möglichkeit der Anknüpfung sehen. Der Kardinalstaatssekretär erbat sich von dem britischen Gesandten das Déchiffré des Telegramms, und der Gesandte überließ es ihm, nachdem er, wie italienische Zeitungen berichtet haben, Kopf und Unterschrift weggeschnitten und es so in ein »Aide-Memoire«, wie der diplomatische Fachausdruck heißt, verwandelt hatte.

 

Verhandlungen des Vatikans mit Deutschland

Dieses »Aide-Memoire wurde nun der deutschen Regierung mitgeteilt, und zwar mit dem Schreiben des Nuntius Pacelli vom 30. August, das erwähnte, daß die französische Regierung sich den Darlegungen des Telegramms angeschlossen habe, die Aufmerksamkeit des Reichskanzlers in besonderer Weise auf den Belgien betreffenden Passus hinlenkte und zum Ausdruck brachte, daß nach der Meinung des Kardinalstaatssekretärs »durch eine befriedigende Erklärung der deutschen Regierung zu diesem Punkte ein bedeutender Schritt zur weiteren Entwicklung der Verhandlungen gemacht würde«.

Nach den von dem Unterstaatssekretär im Foreign Office, Herrn Harmsworth, Anfang August 1919 abgegebenen Erklärungen und nach dem britischen Weißbuch vom 12. August 1919 hat der Kardinalstaatssekretär dem britischen Gesandten mitgeteilt, er werde antworten, wenn er von der deutschen Regierung die von dieser erbetene Erklärung über Belgien erhalten habe. Um seine Meinung befragt, äußerte sich der Gesandte rein persönlich dahin, daß eine solche Erklärung über Belgien wünschenswert sei, aber immerhin sei dieser Punkt nur einer unter vielen Streitpunkten zwischen den Kriegführenden. Das Foreign Office jedoch ließ seinen Gesandten wissen, »daß es inopportun sei, sich in eine Teildiskussion dieser Frage einzulassen.

Der Gesandte erhielt am 26. August den Auftrag, »in keiner Weise in die Verhandlungen zwischen dem Vatikan und Deutschland einzugreifen und seine Meinung zurückzuhalten, wenn man ihn von neuem danach frage«. – Der britische Gesandte wurde also vom Foreign Office in aller Form »zurückgepfiffen«. Vorausgegangen war ein dringender Schritt des französischen Geschäftsträgers, der erklärte: Seine Regierung habe sich der von dem Grafen Salis dem Vatikan zu machenden Mitteilung angeschlossen, in der Annahme, daß diese Mitteilung eine mündliche sein und eine ausführlichere Antwort auf die Papstnote überflüssig machen werde. Jetzt habe Graf Salis dem Papst ein schriftliches Dokument in die Hand gegeben, und seine Aktion habe eine Diskussion über das Schicksal Belgiens eröffnet. Das sei nicht, was die französische Regierung wünsche. Herr Ribot vertraue, daß die britische Regierung seine Ansicht teile und dem Grafen Salis Instruktionen geben werde, die alle weiteren Versuche des Kardinalstaatssekretärs zu einer halboffiziellen Intervention zwischen den Kriegführenden entmutigen würden, – Am 30. August – also unter dem Datum des Pacelli-Briefs – teilte das Foreign Office den britischen Vertretungen bei den verbündeten Regierungen mit, daß nach seinen Ansicht in Rücksicht auf die – gänzlich ablehnende – Note Wilsons an den Papst keinerlei weitere Antwort irgendwelcher Art an den Vatikan nötig sei.

 

Vorsichtige Haltung der deutschen Regierung

Die päpstliche Anfrage an Deutschland ist mithin nicht nur nicht auf Veranlassung des Foreign Office und der französischen Regierung, sondern gegen deren Willen erfolgt.

Das Schreiben des Nuntius Pacelli erweckte im Auswärtigen Amte in Berlin den Eindruck, daß hier immerhin die Möglichkeit eines von der französischen Regierung ausdrücklich gebilligten Friedensfühlers der britischen Regierung vorliege. Da aber der Inhalt des dem Schreiben beigefügten britischen Telegramms sowie andere Wahrnehmungen dem zu widersprechen und zu beweisen schienen, daß die britische Regierung und ihre Verbündeten zu ihrem in der Antwortnote an den Präsidenten Wilson vom 10. Januar 1917 eingenommenen Standpunkt, der jede Verhandlung ausschloß, zurückgekehrt seien, hielt es der Reichskanzler, dem Rate des Staatssekretärs von Kühlmann folgend, für geboten, zunächst einmal durch einen absolut vertrauenswürdigen spanischen Diplomaten, der über ausgezeichnete Beziehungen zur englischen Regierung verfügte, in London sondieren zu lassen, ob dort überhaupt Geneigtheit zu Verhandlungen auf einer für uns annehmbaren Grundlage bestehe. Wie berechtigt diese Vorsicht war, ergibt die oben geschilderte Haltung des Foreign Office und der französischen Regierung gegenüber dem vatikanischen Schritt.

Um sich die notwendige Bewegungsfreiheit für die weitere Aktion zu sichern, hielt der Reichskanzler eine für alle Instanzen bindende Entscheidung des Kaisers über Belgien für notwendig. Diese Entscheidung wurde in dem Kronrat vom 11. September 1917 herbeigeführt, der so verlief, wie ich das oben (S. 171) geschildert habe. Der Kaiser entschied zugunsten des Antrags des Reichskanzlers und entgegen den von dem Chef des Admiralstabs und den beiden Vertretern der Obersten Heeresleitung dargelegten Wünschen dahin, daß die politische Leitung ermächtigt sei, gegebenenfalls die Wiederherstellung der territorialen Integrität und der Souveränität Belgiens zuzugestehen, mit dem Vorbehalt einer erneuten Prüfung, falls der Verzicht auf Belgien nicht bis zum Jahresschluß den Frieden sichere und so einen neuen Kriegswinter erspare.

Auf der Grundlage dieser kaiserlichen Entscheidung ist der spanische Vertrauensmann des Herrn von Kühlmann informiert worden. Es wurde ihm weiter mitgeteilt, daß unsrerseits Voraussetzung für Verhandlungen sei:

  1. die Erhaltung unsres vorkriegerischen Besitzstandes einschließlich der Kolonien,
  2. der Verzicht auf Entschädigungen,
  3. die Abstandnahme von dem Wirtschaftskrieg nach dem Krieg.

 

Aktion des spanischen Ministers des Auswärtigen

Der später von der Reichsregierung veröffentlichte Briefwechsel zwischen dem Reichskanzler Michaelis und dem Feldmarschall von Hindenburg vom 12. und 15. September 1917 ist eine innere deutsche Angelegenheit, die mit den Aufträgen des spanischen Vertrauensmanns und der ihm gegebenen Information nicht das mindeste zu tun hatte. Es handelte sich hierbei um militärische Wünsche, die ebenso wie die wirtschaftlichen Wünsche, die hinsichtlich Belgiens bestanden, nicht als Vorbehalte gegenüber England in Betracht kamen, sondern lediglich als Ziele, die in Verhandlungen mit Belgien angestrebt werden sollten. Die Aktion des neutralen Vertrauensmanns bei der britischen Regierung ist jedenfalls durch diese Wünsche in keiner Weise eingeengt oder erschwert worden.

Dagegen stellten sich dieser Aktion andere Hindernisse in den Weg, die außerhalb des guten Willens der deutschen Stellen lagen und die entgegen der ursprünglichen Absicht dazu führten, daß die Sondierung des britischen Kabinetts nicht unmittelbar erfolgte, sondern ihren Weg über Madrid nahm. Wir wissen aus dem durch die Sowjetregierung veröffentlichten Geheimbericht des russischen Geschäftsträgers in London vom 6. Oktober 1917, daß damals der spanische Minister des Auswärtigen dem britischen Botschafter in Madrid Eröffnungen über Deutschlands Geneigtheit zu Friedensverhandlungen machte und daß Balfour diese Eröffnung am 6. Oktober den diplomatischen Vertretern der verbündeten Großmächte zur Kenntnis brachte. Die Eröffnung des spanischen Ministers wurde dabei als eine deutsche Friedens-Initiative – um nicht zu sagen »Friedens-Offensive« – aufgefaßt, in einer Weise, die jeden Gedanken an eine wenige Wochen zuvor versuchte englische Friedens-Initiative vollkommen ausschließt. Der Bericht des russischen Geschäftsträgers ergibt weiter, daß man dem deutschen Schritt mit großem Unbehagen und starkem Mißtrauen gegenüberstand. Man stand unter dem Eindruck, Deutschlands Absicht sei, »die Alliierten in eine Prüfung der Friedensbedingungen Deutschlands hineinzuziehen«. Das wollte man vermeiden. Auf der andern Seite glaubte man, »die deutsche Anfrage nicht gänzlich unbeantwortet lassen zu können, da man befürchtete, dadurch die Stellung der deutschen Regierung im eignen Lande zu befestigen und, was noch wichtiger ist, die schon ohnehin reichlich verwerfliche Agitation in Rußland zu stärken, in dem Sinn, daß England direkt die völlige Vernichtung Deutschlands wünsche und Rußland und die andern Verbündeten mitziehe«. Aus diesen taktischen Erwägungen heraus wurde beschlossen, daß die englische Regierung durch ihren Botschafter in Madrid folgende Antwort geben solle:

»Die Regierung Seiner Majestät wäre bereit, eine Mitteilung entgegenzunehmen, welche die deutsche Regierung ihr über den Frieden abzugeben wünsche, und diese Mitteilung mit ihren Verbündeten zu beraten.« Das war weniger als nichts. Es war die Bestätigung dafür, daß auf der Seite Englands und seiner Verbündeten keine Geneigtheit bestand, in zweiseitige Verhandlungen einzutreten oder irgendwelche Bedingungen zu präzisieren, unter denen es zu solchen zweiseitigen Verhandlungen, die allein Aussicht auf Erfolg boten, bereit sei.

 

Keine Neigung der Alliierten zu Verhandlungen

Auch auf spanischer Seite hatte man offenbar sehr stark diesen Eindruck. Die britische Antwort auf die spanische Eröffnung wurde dort so wenig als eine Antwort empfunden, daß später, als Balfour im Unterhaus auf eine Anfrage des Abgeordneten King diese Antwort bekanntgab, Herr von Kühlmann erklären mußte, die deutsche Reichsregierung habe von der Bereitwilligkeit des britischen Kabinetts, eine deutsche Mitteilung über den Frieden entgegenzunehmen, überhaupt erst durch die Erklärung Balfours im Unterhaus Kenntnis erhalten. Der spanische Vertrauensmann hatte sich darauf beschränkt, Herrn von Kühlmann wissen zu lassen, daß seine Sondierung des britischen Kabinetts auf die vermutete Bereitschaft zu Friedensverhandlungen ein gänzlich negatives Ergebnis gehabt habe.

Damit steht fest, daß die von Herrn Erzberger späterhin konstruierte englische »Friedensaktion«, die mit Ermächtigung der französischen Regierung und durch Vermittelung des Heiligen Stuhles eingeleitet worden sein soll, mit den wirklichen Vorgängen in vollendetem Widerspruch steht. Auch der Vatikan hat in der bereits erwähnten Veröffentlichung in der »Unità Cattolica« ausdrücklich festgestellt, daß es sich damals nicht um »von England oder anderen Ententestaaten ausgehende Friedensvorschläge« handelte. Eine Bereitschaft Englands, mit uns auf der Grundlage der Freigabe Belgiens von gleich zu gleich in Verhandlungen über einen »Verständigungsfrieden« einzutreten, war in jener Zeit nicht mehr vorhanden. Die im Frühsommer 1917 möglicherweise vorhandene Friedensbereitschaft Englands war kurz zuvor durch die habsburgisch-bourbonisch beeinflußten Quertreibereien des Herrn Erzberger im Keime erstickt worden. Seit dieser Zeit rechnete England auf den Sieg, wollte England den Sieg und war England entschlossen, allen Verhandlungen aus dem Wege zu gehen, die ihm die Früchte des Sieges hätten verkümmern können. Und seine Verbündeten dachten und handelten genau ebenso.

Es ist das Verhängnis Deutschlands geworden, daß unser Volk diese Lage nicht erkannt hat, daß es vielmehr unter der Einwirkung parteipolitischer Agitation das Friedenshindernis, statt in dem Vernichtungswillen des Feindes, im eignen Lande gesucht hat.


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