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Das Ersuchen um Waffenstillstand und Frieden

Für den deutschen Patrioten trat jedoch dieser gewaltige Umschwung im Innern, so bedeutungsvoll und folgenschwer er sich darstellte, noch zurück hinter der alles überschattenden Schicksalsfrage: Wie sichern war in der furchtbaren Zwangslage, in die wir durch die militärischen Ereignisse gebracht worden sind, annehmbare Bedingungen für Waffenstillstand und Frieden?

Ich kam am 1. Oktober von einer kurzen Reise nach Berlin zurück. Was ich am Vormittag im Auswärtigen Amt, am Nachmittag vom Grafen Roedern über die militärische und politische Lage und über die im Werden begriffenen Entschlüsse hörte, erschütterte mich auf das tiefste. Die Darstellung ging dahin, daß wir nach den Erklärungen der Obersten Heeresleitung auf dem westlichen Kriegsschauplatz vor einer Katastrophe stünden, daß jeder Augenblick den Durchbruch des Feindes und die völlige Zertrümmerung unseres Heeres bringen könne. Unter diesen Umständen bleibe nur das von Ludendorff ungestüm verlangte sofortige Ersuchen um Waffenstillstand. Der Zusammenbruch im Innern könne nur durch die sofortige und völlige Demokratisierung unserer staatlichen Einrichtungen verhindert werden. Um auf dem sichersten und raschesten Wege den Waffenstillstand herbeizuführen, sei ein Schritt bei dem Präsidenten Wilson geplant, der unter grundsätzlicher Annahme der 14 Programmpunkte seiner Rede vom 8. Januar 1918 um seine Vermittlung gebeten werden solle.

 

Ludendorffs Ersuchen um sofortige Waffenstillstandsverhandlungen

Alles in mir lehnte sich gegen den Gedanken auf, daß Hindenburg und Ludendorff mit ihrem Stab es dahin hätten kommen lassen können, daß wir jetzt unter dem Druck eines unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruchs zum Ersuchen um sofortigen Waffenstillstand, das unter diesen Verhältnissen, nur die Einleitung zur schmählichsten Kapitulation sein konnte, gezwungen sein sollten. Ich verwies auf Ludendorffs heftiges Temperament, dem er starken und mitunter übertreibenden Ausdruck zu geben liehe. Ich beschwor meine Freunde, dahin zu wirken, daß nicht unter einem vielleicht falschen Eindruck, wie ihn Ludendorffs Art bei Leuten, die ihn nicht genau kannten, leicht hervorrufen könne, in einer Panikstimmung Entschlüsse gefaßt würden, die das Verderben unentrinnbar machten. Wenn aber Ludendorff es wirklich habe dahin kommen lassen, daß wir jetzt mit dem Rücken am Abgrund um sofortigen Waffenstillstand betteln müßten, dann habe er einen solchen Mangel an Augenmaß gezeigt, daß auch sein Urteil über die jetzige Situation nicht maßgebend sein könne für die schwersten Entschlüsse, die je von der Reichspolitik zu fassen waren; dann müßten sofort und vor allem weiteren die Armeeführer darüber gehört werden wie sie die Möglichkeit einer weiteren schrittweisen Verteidigung während der für die Verhandlungen nötigen Zeit beurteilten.

Auch heute noch bin ich der Meinung, daß eine Politik, die uns vor dem Schlimmsten bewahrt hatte, damals noch möglich gewesen wäre. Der Feldmarschall von Hindenburg hat sich nach den Mitteilungen des Obersten Bauer – was das Weißbuch vom 31. Juli 1919 nicht erwähnt – bei den am 3. Oktober 1918 in Berlin stattgehabten Beratungen dahin ausgesprochen: »Gegenwärtig steht das deutsche Heer fest. Gezwungen wird es von Abschnitt zu Abschnitt, sich zäh an den feindlichen Boden klammernd, ausweichen. Die Dauer solcher Rückwärtsbewegungen ist nicht genau vorher zu bestimmen. Man kann aber hoffen, daß sie bis zum nächsten Frühjahr deutsches Gebiet schützen werden.« Gleichwohl blieb auch der Feldmarschall auf der Forderung der »sofortigen Herausgabe eines Friedensangebotes« bestehen; es sei keine Aussicht mehr, den Feinden den Frieden aufzuzwingen; die Lage verschärfe sich täglich und könne die Oberste Heeresleitung zu schwerwiegenden Beschlüssen zwingen; unter diesen Umständen sei es geboten, den Kampf abzubrechen, um dem deutschen Volke nutzlose Opfer zu ersparen; jeder versäumte Tag koste Tausenden von tapferen Soldaten das Leben. –

Vor allem warnte ich vor der Anrufung der Vermittlung des Präsidenten Wilson, Ich konnte diesem Manne nach allen bisher mit ihm gemachten Erfahrungen nicht das für eine solche Rolle erforderliche Maß von Unvoreingenommenheit und gutem Willen zutrauen; die 14 Punkte bedeuteten zudem für uns die sofortige Opferung Elsaß-Lothringens und unserer Ostmarken, ohne daß diese Opfer wirksam zugunsten eines sofortigen Waffenstillstandes oder Friedensschlusses ins Spiel gesetzt wurden. Im Gegenteil, die geplante Form des Ersuchens an Wilson mußte notwendigerweise Rückfragen bei uns und Rückfragen bei den Entente-Staaten veranlassen und so gerade das Ziel, das die Oberste Heeresleitung anscheinend in allererster Linie erstrebte, den Abschluß eines Waffenstillstandes in den allernächsten Tagen, vereiteln. Wenn die Lage tatsächlich so aussichtslos sei, daß sie schmerzliche Opfer von uns erfordere, z. B. Zugeständnisse in bezug auf Elsaß-Lothringen, so müsse ich es für den einzig richtigen Weg halten, diese Opfer unmittelbar gegenüber den an erster Stelle interessierten Kriegführenden möglichst wirksam ins Spiel zu setzen; das habe allerdings zur Voraussetzung, daß hinter das Angebot solcher Zugeständnisse von vornherein die unbeugsame Entschlossenheit gestellt werde, nötigenfalls auf jede Gefahr hin weiterzukämpfen und unsere Feinde für alles, was sie über unsere Zugeständnisse hinaus von uns erkämpfen wollten, einen Preis von Blut und Trümmern zahlen zu lassen, dessen Höhe ihren Völkern die Augen öffnen müsse.

 

Note des Prinzen Max an Wilson

In der Nacht zum 4. Oktober ließ der neue Reichskanzler an die Schweizer Regierung folgende Note zur Übermittlung an die Regierung der Vereinigten Staaten abgehen:

»Die deutsche Regierung ersucht den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, die Herstellung des Friedens in die Hand zu nehmen, alle kriegführenden Staaten von diesem Ersuchen in Kenntnis zu setzen und sie zur Entsendung von Bevollmächtigten zwecks Aufnahme der Verhandlungen einzuladen. Sie nimmt das von dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika in der Kongreßbotschaft vom 8. Januar 1918 und in seinen späteren Kundgebungen, namentlich vom 27. September, aufgestellte Programm als Grundlage für die Friedensverhandlungen an.

Um weiteres Blutvergießen zu vermeiden, ersucht die deutsche Regierung, den sofortigen Abschluß eines allgemeinen Waffenstillstandes zu Lande, zu Wasser und in der Luft herbeizuführen,«

Die besondere Bezugnahme auf Wilsons Rede vom 27. September 1918 in der um Waffenstillstand und Friedensverhandlungen bittenden Note macht es nötig, darauf hinzuweisen, daß der Präsident in dieser Rede unter anderem gesagt hatte:

Wir sind uns alle einig darüber, daß es keinen Frieden geben darf, der durch irgendeine Art von Handel oder Kompromiß mit den Regierungen der Mittelmächte erreicht wird ... Sie haben uns davon überzeugt, daß sie ohne Ehre sind und nicht Gerechtigkeit wollen. Sie beobachten keine Verträge und erkennen keinen Grundsatz an als den der Gewalt und ihres eigenen Interesses Dem deutschen Volk muß jetzt klar geworden sein, daß wir nicht den Worten derjenigen trauen können, die uns diesen Krieg aufgezwungen haben.«

Faustschläge in das deutsche Gesicht! Aber die neue deutsche Regierung nahm in ihrer Note an den Mann, der diese Faustschläge ausgeteilt hatte, ausdrücklich auch die Rede vom 27. September als »Grundlage für Friedensverhandlungen an. Man kann sich ausmalen, in welchen Respekt sie sich damit bei dem Empfänger der Note setzte!

Prinz Max brachte die Note an den Präsidenten Wilson in seiner Rede vom 5. Oktober zur Kenntnis des Reichstags und des deutschen Volkes.

Zur Begründung führte er aus, er habe diesen Schritt bei dein Präsidenten Wilson getan, weil das von diesem aufgestellte Programm für den allgemeinen Frieden von uns als Verhandlungsgrundlage angenommen werden könne, und weil die »auf das künftige Glück der Volker« gerichteten Gedanken, die Herr Wilson verkünde, »sich völlig mit den allgemeinen Vorstellungen im Einklang befinden, in denen sich auch die neue deutsche Regierung und mit ihr die weit überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes bewegt«.

Er machte einen Versuch, mit dem Ersuchen an Wilson einen Anschein der Entschlossenheit zu verbinden: Er wisse, daß das Ergebnis seiner ersten Handlung, wie es auch ausfallen möge, Deutschland fest entschlossen und einig finden werde sowohl zu einem redlichen Frieden als auch zu dem Endkampf auf Leben und Tod, zu dem unser Volk ohne eigenes Verschulden gezwungen wäre, wenn die Antwort der mit uns im Kriege stehenden Mächte von dem Willen, uns zu vernichten, diktiert sein sollte.

Noch am 22. Oktober sprach der Reichskanzler Prinz Max im Reichstag die Worte:

»Wer sich ehrlich auf den Boden des Rechtsfriedens gestellt hat, der hat zugleich die Pflicht übernommen, sich nicht kampflos einem Gewaltfrieden zu beugen. Eine Regierung, die hierfür kein Empfinden hat, wäre der Verachtung des kämpfenden und arbeitenden Volkes preisgegeben.«

Auch der Führer der Sozialdemokraten, Herr Ebert, bekannte sich in der gleichen Reichstagssitzung angesichts der Möglichkeit, daß »die Herrschenden der feindlichen Länder uns einen bedingungslosen Frieden aufzwingen wollten«, zu der »Politik der Landesverteidigung, heute, wie am 4. August 1914, getreu uns selbst, getreu unserem Volke und seiner Zukunft«.

Aber hinter diesen Worten des Kanzlers und des Sozialistenführers wie hinter ähnlichen Worten der anderen Mehrheitsparteiler stand keine Kraft und keine Tat. Alle die wunderbaren Volkskräfte, die nach den Worten der »Frankfurter Zeitung« durch die demokratischen Reformen entfesselt werden sollten, entfesselt zur Rettung des Vaterlandes, blieben ungenutzt. Die neue Volksregierung tat nichts, um das Volk aufzurütteln, nichts, um das Volk zur Verteidigung seiner höchsten Güter zu führen. Im Gegenteil! Die neuen Herren wendeten ihr ganzes Interesse den »inneren Reformen« zu, und die Leitung unserer auswärtigen Politik tat das Schlimmste, was sie tun konnte; in einer Lage, in der nur eine rasche Entscheidung uns die Möglichkeit wahren konnte, Volk und Heer zusammenzuhalten und zu einem letzten Kampf um Freiheit und Dasein zu entflammen, setzte sie Volk und Heer fünf lange Wochen hindurch der Zermürbung aus, indem sie mit Wilson einen Notenaustausch führte, der an Kläglichkeit in der Weltgeschichte wohl kaum seinesgleichen hat. Die unerhörtesten Demütigungen wurden höflich quittiert und Schritt für Schritt wurde in ständigem Zurückweichen als Voraussetzung für Waffenstillstandsverhandlungen alles zugestanden, was äußerstenfalls Inhalt des Waffenstillstandsvertrages hätte sein dürfen; ja mehr als das! Ganz besonders verheerend auf die moralische Kraft des Volkes mußte die Tatsache wirken, daß die Organe der jetzt die Geschicke des Reiches lenkenden Mehrheitsparteien sich zur eigenen Deckung öffentlich darauf beriefen, daß die Oberste Heeresleitung die militärische Lage als aussichtslos ansehe und mit allem Nachdruck auf der sofortigen Herbeiführung des Waffenstillstandes bestehe.


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