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Der Notenwechsel mit Wilson

Schon in seiner ersten Antwort auf unser Ersuchen, die am 8. Oktober erteilt wurde, verlangte Herr Wilson die Bestätigung dafür, daß die deutsche Regierung die in seiner Kongreßbotschaft vom 8. Januar 1918 und seinen folgenden Kundgebungen aufgestellten Bedingungen in dem Sinne annehme, daß der Zweck der Verhandlungen nur die Verständigung über die praktischen Einzelheiten ihrer Anwendung sein würde.

 

Antwort Wilsons vom 8. Oktober 1918

Diese Bestätigung wurde von der deutschen Regierung in ihrer Antwort vom 12. Oktober gegeben. Damit war die Illusion zerstört, daß Herr Wilson mit der Benutzung seines Programms als »Grundlage der Friedensverhandlungen« zufrieden sein und über einzelne Punkte mit sich reden lassen werde. Ja, nach der von Herrn Wilson verlangten Bestätigung mußte man damit rechnen, daß er auch das Recht der Auslegung seiner sich keineswegs durch kristallene Klarheit auszeichnenden Leitsätze für sich allein beanspruchen werde.

Der Präsident verlangte ferner in seiner Antwort vom S. Oktober als Voraussetzung für die Weitergabe des Vorschlags eines Waffenstillstandes an seine Verbündeten die Räumung der sämtlichen von den Truppen der Mittelmächte noch besetzten Gebiete. Die deutsche Regierung erklärte sich auch hierzu bereit. Die elementarste Klugheit hätte erfordert, diese Räumung nicht als Voraussetzung für Waffenstillstandsverhandlungen, sondern höchstens als Bedingung des Waffenstillstandes zuzugestehen. Hätten wir unsere Feinde damals noch vor die Wähl zwischen der kampflosen Preisgabe der besetzten Gebiete und deren Verwüstung durch einen im zähesten Ringen erfolgenden Rückzug gestellt, so hätte sich auch bei unseren Feinden manche Stimme für einen billigen Waffenstillstand geregt, die sich jetzt gestatten konnte, zu schweigen.

Der Präsident fragte schließlich an, ob der Kanzler nur für diejenigen Gewalten des Reiches spreche, die bisher den Krieg geführt hätten. Gemeint waren offenbar der Kaiser und die Oberste Heeresleitung. Die deutsche Antwort verwies auf den parlamentarischen Charakter der Regierung des Prinzen Max. Der Reichskanzler spreche im Namen der deutschen Regierung und des deutschen Volkes. Der Deutsche Kaiser, der doch immerhin auch noch ein Faktor im deutschen Verfassungsleben war, wurde unterschlagen.

 

Weiterer Notenwechsel

Herr Wilson nahm zu der deutschen Antwort vom 12. Oktober in einer weiteren Note seines Staatsdepartements vom 14. Oktober Stellung. Er stellte zunächst die »uneingeschränkte Annahme« der von ihm in seinen Botschaften niedergelegten Bedingungen fest. Er erklärte ferner, daß die Modalitäten der Räumung der besetzten Gebiete sowie die Bedingungen des Waffenstillstandes Angelegenheiten seien, die »dem Urteil und dem Rat der militärischen Berater der Regierung der Vereinigten Staaten und der Alliierten überlassen werden müßten« und daß er und die mit ihm verbündeten Regierungen keine Regelung annehmen würden, »die nicht völlig befriedigende Sicherheiten und Bürgschaften für die Fortdauer der gegenwärtigen militärischen Überlegenheit der Armeen der Vereinigten Staaten und der Alliierten an der Front schafft«. Weiter verlangte er als Voraussetzung für einen Waffenstillstand die Einstellung des U-Bootkriegs und das Unterlassen der angeblichen »unmenschlichen Handlungen, Plünderungen und Verwüstungen«, die sich die deutschen Heere auf ihrem Rückzuge in Flandern und Frankreich zuschulden kommen ließen. Schließlich wurde der Präsident deutlicher in seinen den Deutschen Kaiser und die deutsche Verfassung betreffenden Forderungen. Er verwies auf seine Worte vom 4. Juli 1918, in denen er als Programmpunkt für den Frieden aufgestellt hatte:

»Die Vernichtung jeder willkürlichen Macht überall, die für sich, geheim und nach eigenem Belieben den Frieden der Welt stören kann, oder – wenn sie jetzt nicht vernichtet werden kann – mindestens ihre Herabminderung zu tatsächlicher Machtlosigkeit.«

Die Macht, die bisher die deutsche Nation beherrscht habe, so führte er jetzt aus, sei von der hier beschriebenen Art. Die deutsche Nation habe die Wahl, dies zu ändern. Das sei natürlich eine Bedingung, die vor dem Frieden erfüllt sein müsse, wenn der Friede durch das Vorgehen des deutschen Volkes selbst kommen solle.

 

Wilsons Bedingungen

Diese Note erklärte uns also klipp und klar, daß uns die Waffenstillstandsbedingungen von den militärischen Autoritäten unserer Feinde diktiert werden würden, und zwar in einem Sinne, daß sie uns wehrlos machten. Als weitere Vorleistung unsererseits neben der bereits zugesagten Räumung der besetzten Gebiete verlangte sie die Einstellung des U-Bootkriegs, natürlich ohne dafür die Einstellung der völkerrechtswidrigen Handels- und Hungerblockade, die den U-Bootkrieg herausgefordert hatte, in Aussicht zu stellen. Schließlich verlangte sie die Abschaffung oder völlige Entrechtung der kaiserlichen Gewalt; dies als Forderungen eines Präsidenten, der erheblich mehr an Machtbefugnissen besaß, als dem Deutschen Kaiser nach den inzwischen durchgeführten oder eingeleiteten Verfassungsänderungen noch verblieb.

Wir standen vor dem Biegen oder Brechen. Wenn jetzt die deutsche Regierung weiter nachgab und sich weiter demütigte, dann war Volk und Heer nicht mehr zu halten, dann mußte auch der Tapferste sich fragen: Wofür noch kämpfen und wofür noch leiden?

Ich versuchte in jenen entscheidenden Tagen wiederholt, den Prinzen Max und den Staatssekretär des Auswärtigen zu sprechen und ihnen meine Ansicht vorzutragen. Als mir dies nicht gelang, wandte ich mich schriftlich an Herrn Dr. Solf und schlug ihm vor, Herrn Wilson etwa in folgendem Sinn zu antworten:

Nachdem über die Friedensbedingungen auf Grund des von Herrn Wilson selbst verkündeten Programms eine grundsätzliche Einigung erzielt sei, habe die Fortsetzung des Menschenmordens jede Rechtfertigung verloren; sie sei unsinnig und verbrecherisch. Der deutschen Regierung, die ihre Hände frei von diesem Verbrechen zu halten wünsche, komme es darauf an, zu erfahren, ob die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten auf Grund der über die Friedensbedingungen erzielten Einigung und der sonstigen von der deutschen Regierung gegebenen Zusagen und Aufklärungen bereit seien, alsbald in Waffenstillstandsverhandlungen einzutreten oder nicht. Sie müsse Wert darauf legen, auf diese Frage ohne Verzug eine klare Antwort zu erhalten, um danach ihre Dispositionen zu treffen.

Über die an Herrn Wilson zu erteilende Antwort wurden im Kriegskabinett unter Zuziehung des Generals Ludendorff und des Chefs des Admiralstabs, des Admirals Scheer, eingehende Beratungen gepflogen. Bei diesen Beratungen erklärte General Ludendorff, daß sich die militärische Lage gebessert habe, daß er die Gefahr einer unmittelbaren Katastrophe nicht als gegeben erachte, daß die Verteidigung mit Aussichten auf Erfolg fortgesetzt werden könne und daß eine bedingungslose Unterwerfung unter allen Umständen abgelehnt werden müsse. Gegen die von Wilson verlangte Einstellung des U-Bootkriegs sprach sich Ludendorff mit Entschiedenheit aus; ebenso der Admiral Scheer.

Aber von der Mehrzahl der Mitglieder des Kriegskabinetts wurde die Besserung der militärischen Lage, die übrigens auch von unseren Feinden zugegeben werden mußte, mit starken Zweifeln aufgenommen. Noch lange hinterher wurde gegen den General Ludendorff der Vorwurf erhoben, daß er bei jenen Beratungen nun mit einem Mal die Situation an der Westfront günstiger dargestellt habe als drei Wochen zuvor.

 

Einstellung des U-Bootkriegs gegen Handelsschiffe

Jedenfalls kam das Kriegskabinett über das Votum Ludendorffs und Scheers hinaus zu dem Beschluß, auch den neuen Forderungen Wilsons zu entsprechen. Auch eine eindringliche Vorstellung, die der Feldmarschall von Hindenburg noch in der Nacht zum 20. Oktober unternahm und in der er insbesondere seine Zustimmung zu der Einstellung des U-Bootkriegs ausdrücklich verweigerte, vermochte den Entschluß des Kriegskabinetts nicht zu ändern. Vergeblich hatte Hindenburg die Frage gestellt: »Will das deutsche Volk um seine Ehre nicht nur in Worten, sondern tatsächlich bis zum letzten Mann kämpfen und sich damit die Möglichkeit des Widerstehens sichern, oder will es sich zu der Kapitulation und damit zum Untergang vor der äußersten Kraftanstrengung drängen lassen?«

Die deutsche Antwortnote vom 20. Oktober enthielt die erneute Bitte, Herr Wilson möchte zur Regelung der Einzelheiten der Räumung der besetzten Gebiete Gelegenheit schaffen, und sprach dabei das Vertrauen aus, der Präsident werde keine Forderung gutheißen, »die mit der Ehre des deutschen Volkes und der Anbahnung eines Friedens der Gerechtigkeit unvereinbar sein würde«. Daß die deutsche Regierung keine solche Forderung gutheißen würde, wagte man bereits nicht mehr auszusprechen. Die Note enthielt ferner eine lahme Verwahrung gegen den von Wilson gegen die deutschen Land- und Seestreitkräfte erhobenen Vorwurf ungesetzlicher und unmenschlicher Handlungen. »Wo trotzdem Ausschreitungen vorkommen, werden die Schuldigen bestraft.« Die deutsche Regierung schlage vor, den Sachverhalt durch neutrale Kommissionen aufklären zu lassen. »Um alles zu verhüten, was das Friedenswerk erschweren könnte, sind auf Veranlassung der deutschen Regierung an sämtliche U-Bootkommandanten Befehle ergangen, die eine Torpedierung von Passagierschiffen ausschließen.« – In Wirklichkeit war die völlige Einstellung des U-Bootkriegs gegen Handelsschiffe angeordnet worden. – Die Note machte ferner dem Präsidenten Wilson Mitteilungen über den »grundlegenden Wandel«, der im deutschen Verfassungsleben eingetreten sei; die neue Regierung sei in völliger Übereinstimmung mit den Wünschen der Volksvertretung aus den Führern der großen Reichstagsparteien gebildet, und auch künftig werde keine Regierung ihr Amt antreten oder weiterführen können, ohne das Vertrauen der Mehrheit des Reichstags zu besitzen. Die Verantwortung des Reichskanzlers gegenüber der Volksvertretung werde gesetzlich ausgebaut und sichergestellt. Die erste Tat der neuen Regierung sei eine Vorlage gewesen, die zur Entscheidung über Krieg und Frieden die Zustimmung der Volksvertretung erforderlich mache. Das Friedens- und Waffenstillstandsangebot gehe also aus von einer Regierung, die, frei von jedem willkürlichen und unverantwortlichen Einfluß, getragen werde von der Zustimmung der überwältigenden Mehrheit des deutschen Volkes.

 

Übergabe auf Gnade und Ungnade

Nun endlich erklärte der Präsident Wilson in einer weiteren Note vom 23. Oktober, daß er auf Grund der von der deutschen Regierung abgegebenen Erklärungen glaube, es nicht ablehnen zu können, mit den Regierungen seiner Verbündeten die Frage eines Waffenstillstandes aufzunehmen. Mit Zugeständnissen von kaum hoch genug zu veranschlagendem Gewicht, die wertvolle Trümpfe in den Verhandlungen über die Bedingungen eines Waffenstillstandes hatten sein können, und um den Preis von Demütigungen, die im deutschen Volk die letzte Widerstandskraft zerstören mußten, hatte die deutsche Regierung nun also erreicht, was sie am ersten Tage hätte haben können, wenn sie sich mit bestimmten Vorschlägen direkt an die Kriegführenden gewandt hatte. Aber Herr Wilson legte Wert darauf, jede Illusion gründlich zu zerstören. Er eröffnete uns, daß nur ein Waffenstillstand in Frage kommen könne, der unsere Feinde »in der Lage beließe, jede zu treffende Vereinbarung zu erzwingen und eine Erneuerung der Feindseligkeiten deutscherseits unmöglich zu machen«. Das hieß Übergabe auf Gnade und Ungnade. Es war bitterer Hohn, wenn der Präsident hinzufügte, die Annahme eines solchen Waffenstillstandes durch Deutschland werde der beste Beweis dafür sein, daß Deutschland die Grundbedingungen und Grundsätze der ganzen Friedensaktion unzweideutig annehme. Im übrigen zeigte sich der Präsident mit den ihm notifizierten deutschen Verfassungsänderungen noch nicht befriedigt; er müsse es offen aussprechen, daß die Völker der Welt kein Vertrauen in die Worte derjenigen setzten, die bisher die Herren der deutschen Politik gewesen seien, und daß beim Friedensschluß die Vertreter der Vereinigten Staaten einzig und allein mit echten Vertretern des deutschen Volkes würden verhandeln können. »Wenn die Vereinigten Staaten jetzt mit den militärischen Beherrschern Deutschlands und monarchischen Autokraten verhandeln sollen, werden sie nicht Friedensverhandlungen, sondern Übergabe verlangen.«

Als Antwort schlugen Hindenburg und Ludendorff den Abbruch der Verhandlungen vor. Unser Heer stehe unbesiegt auf feindlichem Boden und dürfe nicht kapitulieren. Hindenburg erklärte in einer Besprechung am 25. Oktober: »Wir sind über den Berg gekommen.«

Die deutsche Antwort vom 27. Oktober lautete jedoch: »Der Präsident kennt die tiefgreifenden Wandlungen, die sich in dem deutschen Verfassungsleben vollzogen haben und vollziehen. Die Friedensverhandlungen werden von einer Volksregierung geführt, in deren Händen die entscheidenden Machtbefugnisse tatsächlich und verfassungsmäßig ruhen. Ihr sind auch die militärischen Gewalten unterstellt. Die deutsche Regierung sieht nunmehr den Vorschlägen für einen Waffenstillstand entgegen, der einen Frieden der Gerechtigkeit einleitet, wie ihn der Präsident in seinen Kundgebungen gekennzeichnet hat.«

Das Schlußstück in diesem Notenwechsel war die Rückäußerung des Präsidenten Wilson in der Note vom 5. November. Der Präsident teilte mit, daß er den Notenwechsel den mit den Vereinigten Staaten verbundenen Regierungen mitgeteilt habe; darauf habe er ein Memorandum der alliierten Regierungen erhalten, in dem es heiße: »Die alliierten Regierungen erklären mit den folgenden Einschränkungen ihre Bereitschaft zum Friedensschluß mit der deutschen Regierung auf Grund der Friedensbedingungen, die in der Ansprache des Präsidenten Wilson an den Kongreß vom 8. Januar 1918, sowie der Grundsätze, die in seinen späteren Ansprachen niedergelegt sind.«

 

Beginn der Waffenstillstandsverhandlungen

Die Einschränkungen bezogen sich auf Wilsons Forderung der Freiheit der Meere, hinsichtlich deren sich die alliierten Mächte alles vorbehalten müßten; ferner auf die Wiederherstellung der besetzten Gebiete, worunter sie verstehen wollten, »daß Deutschland für allen durch seinen Angriff zu Land, zu Wasser und in der Luft der Zivilbevölkerung und ihrem Eigentum zugefügten Schaden Ersatz leisten soll«.

Der Präsident fügte hinzu, daß »nunmehr der Marschall Foch von der Regierung der Vereinigten Staaten und den alliierten Regierungen ermächtigt worden sei, »Vertretern der deutschen Regierung die Waffenstillstandsbedingungen mitzuteilen«.

Am 6. November reisten die deutschen Bevollmächtigten unter Führung des Staatssekretärs Erzberger nach dem Großen Hauptquartier, um sich von dort an den von dem General Foch zu bestimmenden Verhandlungsort zu begeben.

Inzwischen hatte der General Ludendorff seinen Abschied eingereicht und war am 26. Oktober zur Disposition gestellt worden. Zu seinem Nachfolger war der General Gröner ernannt worden, der sich bei den Beratungen über das Hilfsdienstgesetz das besondere Wohlwollen der Mehrheitsparteien erworben hatte.


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