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Der Zusammenbruch

 

Unser Verhältnis zu Sowjetrußland und unseren Bundesgenossen

Die deutsche Politik hatte in eigensinniger Verkennung der Sachlage dem Bolschewismus über seine schwerste Krisis hinausgeholfen. In Rußland begriff jedermann, daß die deutsche Regierung ihren Moskauer Vertreter der Freundschaft mit dem Bolschewistenregime geopfert hatte. Das gab der wankenden Sowjetregierung einen starken Rückhalt und schmetterte im Lager der Nichtbolschewisten alle Hoffnungen nieder. Die »Außerordentliche Kommission« konnte jetzt ungestört ihres Amtes walten und die Träger des Gedankens einer Erhebung gegen den Bolschewismus einzeln ausrotten. Der Terror erfuhr eine grauenhafte Steigerung nach dem mißglückten Attentat auf Lenin und der Ermordung des Petersburger Sowjetgewaltigen Uritzky Ende August 1918.

 

Die Entscheidung

Das bolschewistische Heer, das einen Augenblick lang der Auflösung nahe zu sein schien, konsolidierte sich. Nachdem die Lettenführer bei uns den gesuchten Rückhalt nicht gefunden hatten, betrachteten sie sich erneut als mit den Bolschewiki auf Gedeih und Verderb verbunden. Trotzki entfaltete als Kriegsminister eine gewaltige Werbetätigkeit, und mehr als das: es gelang ihm, Organisation und Disziplin in die Rote Armee zu bringen. Die Gefahr des Ententevormarschs von Norden her trat in den Hintergrund, und die Tschecho-Slowaken erlitten einige Rückschläge. Kurz, die Bolschewikiherrschaft, zu deren Sturz es Anfang August nur eines leichten Anstoßes zu bedürfen schien, war aufs neue befestigt.

 

Joffes Tätigkeit in Berlin

In Berlin legte man augenscheinlich Wert darauf, die Trübung, die durch mich dem guten Verhältnis zu der Bolschewikiregierung gedroht hatte, durch eine demonstrativ-freundschaftliche Behandlung des Herrn Joffe und seiner Leute wieder gutzumachen. Die bisher noch geübte gesellschaftliche Zurückhaltung gegenüber den Herren der rassischen Vertretung wurde aufgegeben; Herr Joffe wurde durch Frühstücke und Diners gefeiert. Mehr denn je hielt man sich an das Wort, das Graf Hertling im Hauptausschuß des Reichstags ausgesprochen hatte: »Wir sind geneigt, an die Loyalität der russischen Regierung uns gegenüber zu glauben; wir sind insbesondere geneigt, an die Loyalität des Vertreters der russischen Regierung hier in Berlin zu glauben.« Vergeblich mahnte ich zur Vorsicht. Vergeblich brachte ich zum Ausdruck, daß ich nach meinen Wahrnehmungen nicht daran zweifeln könne, daß unter Herrn Joffe die russische Botschaft Unter den Linden das exterritoriale Hauptquartier unserer deutschen Revolutionäre geworden sei. Vergeblich bat ich, den auffallend starken Kurierverkehr der rassischen Vertretung zu überwachen. Das alles galt nur als Gespensterseherei. Erst kurz vor Ausbruch der Berliner Revolution gab die mit revolutionären Aufrufen und Flugschriften gefüllte Kiste des russischen Kuriergepäcks, die im Bahnhof Friedrichstraße den Aufzug hinunterfiel und platzte, den Anlaß, Herrn Joffe zu entlarven und mit der Sowjetregierung die Beziehungen abzubrechen. Es war zu spät.

Wir wissen heute, daß in der Tat in der Berliner russischen Botschaft von dem »loyalen« Herrn Joffe alles geschehen ist, um die deutsche Revolution vorzubereiten und zu organisieren, daß dort unsere Unabhängigen und Spartakisten sich Rat, Belehrung und Geld holten, daß dort erfahrene russische Agitatoren und Konspiratoren zur Verfügung gestellt wurden. Unter der blinden und unbegreiflich vertrauensseligen Duldung der deutschen Regierung ist so das bolschewistische Gift, das schließlich unsern Zusammenbruch so verhängnisvoll beeinflußt hat, durch die russische Botschaft in den deutschen Volkskörper planmäßig eingeführt worden. Der russische Bolschewismus hat sich für die rettende Hilfe der deutschen Regierung durch die revolutionäre Unterwühlung Deutschlands bedankt.

Aber nicht nur, daß wir um der Zusatzverträge und des guten Verhältnisses zu der Bolschewikiregierung willen achtlos über die uns von dem Bolschewismus drohenden inneren Gefahren hinweggingen, – wir gefährdeten auch ernstlich unsere Beziehungen zu unseren Bundesgenossen.

 

Ratifikation der Brester Zusatzverträge

An sich schon erschien mir die Übertreibung des Brester Friedens durch die Zusatzverträge geradezu als eine verblendete Hybris, als eine unverantwortliche Herausforderung des Schicksals zu einer Zeit, in der die Entwicklung der Dinge im Westen die dringlichste Mahnung war, abzubauen, sich in den Zielen zu bescheiden und die Kräfte zu konzentrieren. Diese Herausforderung des Schicksals wurde in einer mir geradezu unbegreiflichen Weise gesteigert durch die Behandlung, die das Auswärtige Amt in Ansehung der Zusatzverträge unseren Bundesgenossen zuteil werden ließ, mit denen wir nun doch einmal den Brester Frieden gemeinschaftlich abgeschlossen hatten. Das Auswärtige Amt hielt es zunächst nicht für nötig, den Bundesgenossen von den Verhandlungen über die Ergänzung und Abänderung des gemeinschaftlich abgeschlossenen Brester Vertrags irgendwelche Kenntnis zu geben. Ja, als Österreich-Ungarn und die Türkei gegen gewisse Bestimmungen der trotzdem zu ihrer Kenntnis gekommenen Verträge Bedenken erhoben, glaubte man, über diese ohne weiteres hinweggehen zu können.

Die Türkei, die an den Kaukasien berührenden Punkten der Zusatzverträge ein großes Interesse hatte, nahm die Angelegenheit so ernst und wichtig, daß der Großwesir Talaat Pascha seinen Besuch in Berlin ankündigte, um die Dinge vor der Ratifikation der Verträge persönlich zu besprechen. Als er am Morgen des 7. September in Berlin eintraf, las er in den Zeitungen, daß die Ratifikationsurkunden der Zusatzverträge am Abend vorher ausgetauscht worden waren. Er wollte sofort, ohne den Kanzler und den Staatssekretär des Auswärtigen überhaupt zu besuchen, nach Konstantinopel zurückreisen und konnte nur mit großer Mühe bewogen werden, von diesem einen offenen Bruch markierenden Schritt Abstand zu nehmen. Aber eine schwere Verstimmung blieb.

Auch der österreichisch-ungarische Botschafter hatte noch unmittelbar vor dem Austausch der Ratifikation gegen die Zusatzverträge beim Auswärtigen Amt remonstriert. Daß man darüber glaubte hinweggehen zu können, ist um so unbegreiflicher, als schon bei den Besprechungen, die Mitte August gelegentlich des Besuchs des Kaisers Karl und des Grafen Burian im Großen Hauptquartier stattgefunden hatten, es nur mit Mühe gelungen war, Österreich-Ungarn noch einmal bei der Stange zu halten und ihm einen gesonderten Friedensschritt auszureden; als ferner unsere abermalige Ablehnung der polnischen Wünsche des Österreichischen Kaisers eine sichtliche Verstimmung hervorgerufen hatte.

 

Mißstimmung bei unseren Bundesgenossen

Noch bedenklicher standen unsere Beziehungen zu Bulgarien. Die Verärgerung über die Vorenthaltung der nördlichen Dobrudscha wirkte fort und richtete sich – ebenso wie die Verstimmung über die Ansprüche der Türken auf das Maritzagebiet, die wir nicht rechtzeitig eingedämmt hatten – in der Hauptsache gegen uns. Die bedenkliche Zuspitzung der Ernährungsverhältnisse verstärkte die Kriegsmüdigkeit. Die Armee wurde unter der Duldung des unzuverlässigen Kabinetts Malinoff parteipolitischer Zersetzung preisgegeben, während sich der Druck der durch die griechischen Truppen verstärkten Ententestreitkräfte an der Saloniker Front immer mehr steigerte. Die bulgarischen Hilferufe um Brot und Truppen glaubte man bei uns nicht erfüllen zu können. Als am 12. September der Vizekanzler von Payer in einer öffentlichen Rede die Wiederherstellung des territorialen Standes vom 1. August 1914 nicht nur für uns, sondern ausdrücklich auch für alle unsere Bundesgenossen als Kriegsziel erklärte, bemächtigte sich das bulgarische Mißtrauen auch dieser Äußerung, in der es ein Abrücken Deutschlands von den Bulgarien vor seinem Eintritt in den Krieg gemachten Zusicherungen territorialer Art (Bulgarisch-Mazedonien und Morawatal) erblicken wollte.


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