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Das Ende

Deutschland war jetzt auf sich allein gestellt.

Aber auch Deutschland war in seinen Grundfesten erschüttert.

Die seit den schwarzen Tagen am Ende des September verflossenen fünf Wochen hatten im deutschen Volke in Heer und Heimat den letzten Rest von Widerstandskraft gebrochen.

Zwar wurden jetzt im Sturmwind der Zeit alle Blütenträume der Demokraten Wirklichkeit. Das gleiche Wahlrecht in Preußen war gesichert, nachdem auch die konservativen Parteien in Rücksicht auf die Lage des Vaterlands ihren Widerstand aufgegeben hatten. Die Reichstagsabgeordneten durften ohne Verlust ihres Mandats Mitglieder der Reichsleitung werden. Die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers und seiner Stellvertreter, der Staatssekretäre, gegenüber dem Reichstag wurde unzweideutig und einwandfrei festgelegt. Dem Reichstag wurde das volle Mitbestimmungsrecht bei den Entscheidungen über Krieg und Frieden gegeben. Die mit der Handhabung des Belagerungszustandes betrauten militärischen Befehlshaber wunden in ihren Maßnahmen und Anordnungen an die Zustimmung des Reichskanzlers oder dessen für diese Geschäfte bestellten Stellvertreters gebunden. Die verfassungsmäßige Verantwortlichkeit der Kriegsminister für die Verwaltung ihrer Kontingente wurde festgelegt.

 

Die Revolution im Anmarsch

Darüber hinaus wurde eine weitgehende Amnestie für die wegen politischer Verbrechen oder Vergehen verurteilten Personen erlassen. Unter anderen wurden Karl Liebknecht und der Abgeordnete Dittmann in Freiheit gesetzt. »Manchem von ihnen« – sagte der Prinz Max am 22. Oktober im Reichstag – »hat die Regierung die Gnade erst nach Überwindung ernster vaterländischer Sorgen vermittelt. Die Überzeugung von der Heilkraft einer Politik des Vertrauens hat den Ausschlag gegeben.

Diese »Politik des Vertrauens« hat nach innen nicht minder Schiffbruch gelitten wie nach außen. Denn diese »Politik des Vertrauens« war nach innen wie nach außen nichts anderes als eine Politik der Schwäche und der Illusionen.

Für die nationale Verteidigung, das höchste Gebot der Stunde, wurde durch alle diese Volksrechte nichts gewonnen; ja es wurde von den neuen Machthabern durch ihre Behandlung der innen- und außenpolitischen Dinge geradezu jeder patriotische Aufschwung im Keim erstickt. Dagegen wurden die letzten Dämme gegen die revolutionäre Flut, die bereits die Grundmauern des Reiches unterspülte, hinweggeräumt und allen zerstörenden Kräften die Bahn freigemacht. Die aus den Gefängnissen befreiten Propheten des gewaltsamen Umsturzes begaben sich, umstrahlt von der Glorie des Märtyrertums, erneut an ihre Arbeit und predigten öffentlich die Revolution. Der rote Generalstab in der russischen Botschaft entfaltete mit russischen Agitatoren und russischem Gelde eine fieberhafte Tätigkeit. Das Bewußtsein, daß niemand mehr es wagen würde, einem revolutionären Ausbruch tatkräftig entgegenzutreten, drang in die Massen des Volkes und der bewaffneten Macht.

Der Boden war für die revolutionäre Saat auf das beste bereitet. Die schweren Opfer und Leiden des Krieges; die Überspannung der Kräfte gegen eine Welt hatten das Volk moralisch und physisch mehr und mehr zermürbt. Das Vertrauen in die staatlichen Autoritäten, die sich den unerhört schweren Anforderungen der Zeit nicht gewachsen gezeigt hatten, war schwer erschüttert. Die bewußt revolutionäre Wühlarbeit hatte auch bei Parteien, die auf dem Boden der Staatsordnung standen, allzu bereite Unterstützung gefunden. Die allzu oft deutlich herausgekehrte scharfe Kritik der Männer der Obersten Heeresleitung an den Personen und Maßnahmen der Zivilregierung hatte zweifellos dazu beigetragen, die Achtung vor den staatlichen Behörden zu untergraben. Nun kam, für die große Masse des Volkes wie der Blitz aus heiterem Himmel, der Sturz von der Höhe unserer militärischen Erfolge in den Abgrund der Niederlage. Volle und Heer waren gegenüber diesem Sturz völlig unvorbereitet. Die Heeresberichte hatten zwar für den Urteilsfähigen, der sie Tag für Tag in Kenntnis der Verhältnisse auf der Karte verfolgte, nicht aber für die große Masse des Volkes den verhängnisvollen Umschwung in seiner ganzen Schwere erkennen lassen. Die große Masse des Volkes aber lebte noch in den Hoffnungen der großen Siege des Frühjahrs, und es klangen jedermann noch die stolzen und zuversichtlichen Worte im Ohr, die er bis in die letzte Zeit von unseren Heerführern gehört hatte. Mit dem plötzlichen und furchtbaren Rückschlage sank die einzige große Autorität in den Staub, auf die das Volk während des ganzen Krieges ein unbeschränktes Vertrauen gesetzt hatte.

 

Wachsende Unzufriedenheit und Verwirrung der Geister

Dazu machte sich jetzt die verheerende Wirkung der Friedenspropaganda geltend, wie sie unter der Führung der Mehrheitsparteien des Reichstags – von den Unabhängigen Sozialdemokraten ganz zu schweigen! – seit der Mitte des Jahres 1917 betrieben worden war. Mit allen Mitteln war in Volk und Heer der Wahn großgezüchtet worden, wir könnten längst einen ehrenhaften Frieden haben, wenn nicht die übertriebenen Kriegsziele der Alldeutschen und der Militärs, denen der Kaiser sich anschließe und die Reichsleitung sich unterwerfe, hindernd im Wege ständen. Ein Erzberger, dessen Kredit durch den militärischen Rückschlag stark gehoben wurde, hatte sich anheischig gemacht, in einer kurzen Unterredung mit Lloyd George den Frieden herbeizuführen. Da mußte es doch wohl an der Untüchtigkeit oder dem bösen Willen der Regierenden liegen, wenn der Friede trotzdem nicht gekommen war! Der ganze Groll des leidenden und hungernden Volkes war von den Einbläsern der öffentlichen Meinung, statt gegen die Unerbittlichkeit unserer Feinde, gegen die Unersättlichkeit der Annexionisten und Kriegsgewinnler des eigenen Landes gelenkt worden. Diese verhängnisvolle Stimmung wurde dadurch noch gesteigert, daß gewissenlose Agitatoren und verblendete Flagellanten das Gift des Zweifels an der Reinheit und Gerechtigkeit unserer Sache in die Herzen des Volkes träufelten. In Handzetteln und Flugblättern, in durchsichtigen Andeutungen und allmählich auch in offener Rede wurde die deutsche Regierung und wurde vor allem der Kaiser beschuldigt, den Krieg herbeigeführt zu haben. Der Elende, der bald nach Kriegsbeginn in feiger Anonymität und im sicheren Schutz eines neutralen Landes mit seinem »J'accuse« als falscher Ankläger gegen das eigene Vaterland aufgetreten war, fand immer mehr Nachahmer und Gläubige.

Das alles erzeugte den verhängnisvollen Wahn, daß wir uns nur zur deutschen »Schuld« zu bekennen, die Hand gegen die »Schuldigen« zu erheben und die Waffen niederzulegen brauchten, um unsere Feinde zu versöhnen und einen gerechten Frieden herbeizuführen.

 

Aufreizung des Volkes gegen seine Machthaber

Die feindlichen Staatsmänner und die feindliche Presse wußten diesen Wahn vortrefflich zu nähren und zu züchten. Vor allem waren die Worte des Präsidenten Wilson raffiniert darauf berechnet, das deutsche Volk gegen seine »Machthaber« aufzureizen und ihm den Frieden der Völkerversöhnung zu verheißen, wenn es sich nur seiner »militärischen Herren und monarchischen Autokraten« entledigen, seine Waffen niederlegen und seine Sache vertrauensvoll dem hohen Gerechtigkeitssinn seiner Feinde übergeben wollte. Es verschlug nichts, daß die Taten mit diesen gleißenden Worten nicht im Einklang standen; es verschlug nichts, daß seit unserem Ersuchen um Waffenstillstand vom 5. Oktober Woche auf Woche verging, ohne daß unsere Feinde sich beeilten, dem sinnlos gewordenen Morden ein Ende zu machen; es verschlug nichts, daß jene edlen Menschenfreunde das deutsche Heer, dessen kampfloser Rückzug hinter die Reichsgrenze ihnen angeboten war, Stunde für Stunde mit einem unaufhörlich niederprasselnden Hagel von Geschossen aller Kaliber überschütteten, daß sie Woche auf Woche durch hinhaltende Rückfragen den Zeitpunkt hinausschoben, der den verderbenspeienden Feuerschlünden Einhalt gebieten sollte. Unser Volk war in seinen blind gewordenen Massen auch durch diesen handgreiflichen Beweis des Kriegs- und Vernichtungswillens unserer Feinde nicht mehr zu belehren. Im Gegenteil, statt daß jenes Hinauszögern von Waffenstillstand und Friedensverhandlungen und die offenbar absichtliche Verlängerung des Menschenmordens unserem Volk die Augen über die wahre Gesinnung und die wahren Pläne unserer Feinde geöffnet hätte, vollendete der über Heimat und Heer verhängte Druck der Ungewißheit im Verein mit der hilflosen und jammervollen Haltung unserer »Volksregierung« gegenüber den uns von Herrn Wilson mit jeder seiner Noten angesonnenen Demütigungen das Werk der Zermürbung und des Zusammenbruchs.

Der Kaiser, der alsbald nach der Verabschiedung des Grafen Hertling zur Beratung des Weiteren in Berlin eingetroffen war, hatte gegenüber dem stürmischen Verlangen der Mehrheitsparteien und ihrer Regierung nach Änderungen der Verfassung, die den größten und wichtigsten Teil der Kronrechte auf die Volksvertretung übertrugen und das Deutsche Reich aus einem konstitutionell-monarchischen Staate zu einer radikal-demokratischen Schattenmonarchie machten, keinerlei Widerstand geleistet. Er hatte die Verfassungsänderungen nicht nur hingenommen und gebilligt, er war auch – niemand zweifelte daran – gewillt und entschlossen, sie loyal durchzuführen und sich ehrlich und aufrichtig dem neuen Zustand anzupassen. Bei der Vollziehung der Reformgesetze am 28. Oktober richtete er an den Prinzen Max einen Erlaß, in dem er dies zum Ausdruck brachte. In diesem Erlaß sagte er: »Vorbereitet durch eine Reihe von Regierungsakten tritt jetzt eine neue Ordnung in Kraft, welche grundlegende Rechte von der Person des Kaisers auf das Volk überträgt. Damit wird eine Periode abgeschlossen, die vor den Augen künftiger Geschlechter in Ehren bestehen wird. Trotz aller Kämpfe zwischen überkommenen Gewalten und emporstrebenden Kräften hat sie unserem Volke jene gewaltige Entwicklung ermöglicht, die sich in den wunderbaren Leistungen dieses Krieges unvergänglich offenbart. In den furchtbaren Stürmen der vier Kriegsjahre aber sind alte Formen zerbrochen, nicht um Trümmer zu hinterlassen, sondern um neuen Lebensgestaltungen Platz zu machen. Nach dem Vollbringen dieser Zeit hat das deutsche Volk den Anspruch, daß ihm kein Recht vorenthalten wird, das ihm eine freie und glückliche Zukunft verbürgt. Dieser Überzeugung verdanken die jetzt vom Reichstag angenommenen und erweiterten Vorlagen der verbündeten Regierungen ihre Entstehung. Ich aber trete diesen Beschlüssen der Volksvertretung mit meinen hohen Verbündeten bei, in dem festen Willen, was an mir liegt, an ihrer vollen Auswirkung mitzuarbeiten, überzeugt, daß ich damit dem Wohle des deutschen Volkes diene. Das Kaiseramt ist Dienst am Volke.«

 

Abbau der kaiserlichen Gewalt

Dieser am 28. Oktober vom Kaiser Unterzeichnete Erlaß ist aus Gründen, die noch der Aufklärung bedürfen, erst fünf Tage später, am 2. November, veröffentlicht worden, in einem Zeitpunkt, zu dem sich der Kaiser wieder in das Große Hauptquartier begeben hatte und zu dem im Anschluß an die nicht mehr verhüllten Ausführungen der Wilsonschen Note vom 23. Oktober die Frage der Abdankung des Kaisers unter Duldung der Reichsregierung bereits zum Gegenstand einer heftigen Erörterung in voller Öffentlichkeit geworden war. Die Abdankung des Kaisers und der Thronverzicht des Kronprinzen wurden mit der Begründung verlangt, daß durch einen solchen Schritt die dem deutschen Volke drohenden Friedensbedingungen erleichtert werden würden. Die Frage der Staatsform wurde geflissentlich beiseitegelassen; ja die Befürworter der Abdankung des Kaisers behaupteten, daß allein die Erfüllung ihrer Forderung die Dynastie der Hohenzollern und die Monarchie retten könne.

Es waren nicht einmal die Sozialdemokraten gewesen, die mit der öffentlichen Behandlung der Kaiserfrage vorangegangen waren, sondern demokratische Blätter, wie die »Frankfurter Zeitung« und das »Berliner Tageblatt«. Die Mehrheitssozialisten scheinen sogar anfänglich geschwankt zu haben, ob eine Abdankung des Kaisers unter den obwaltenden Verhältnissen erwünscht und nützlich sei. Erst nachdem bürgerlich-demokratische Blätter und bürgerlich-demokratische Versammlungen – so am 31. Oktober in München – laut und ungestraft nach der Abdankung des Kaisers und des Kronprinzen gerufen hatten, scheint der Sozialdemokratie voll zum Bewußtsein gekommen zu sein, was sie jetzt wagen könne. Sie übernahm nun in dieser neuen Umsturzbewegung die Führung. Herr Scheidemann brachte die Abdankungsfrage vor das Kriegskabinett.

 

Die Kaiserfrage. Der Umsturz

Ehe noch das Kriegskabinett zu einem Entschluß kam, vollzogen sich in der Flotte die Ereignisse, die zur offenen Revolution führten.

In den letzten Oktobertagen sollte die Hochseeflotte auslaufen, um die durch die Einstellung des U-Bootkriegs gegen Handelsschiffe für rein militärische Zwecke freigewordene Tauchbootflotte bei einer Aktion gegen die britische Kriegsflotte zu unterstützen. Auf einem Teil der Schiffe verweigerten die durch die revolutionäre Propaganda aufgewiegelten Mannschaften die Ausfahrt.

Es war die Ausführung des Programms, das schon dem Komplott vom Sommer 1917 zugrundegelegen hatte. Der Versuch, gegen die meuternden Mannschaften vorzugehen, führte zu dem Aufruhr in Kiel, der alsbald auch auf andere Seestädte, vor allem auf Hamburg und Bremen, übersprang.

Nach russischem Muster wurden Soldaten- und Arbeiterräte gebildet, die sich der politischen Gewalt bemächtigten.

Auch die in jenen Städten garnisonierenden Landtruppen erwiesen sich als unzuverlässig. Die Regierung verlegte sich gegenüber den Meuterern und Aufständischen auf das Verhandeln; sie wählte damit den sichersten Weg, um aus Revolten die Revolution entstehen zu lassen.

Am 7. November kam es in München zum gewaltsamen Umsturz. Soldaten-, Arbeiter- und Bauernräte proklamierten die Absetzung des Königs und die Errichtung einer demokratisch-sozialistischen Republik. Auch aus anderen Städten, des Reiches kamen Nachrichten von Tumulten und Revolten.

Berlin selbst war verhältnismäßig ruhig. Der Oberstkommandierende in den Marken suchte die Bewegung durch seine Maßnahmen – Verbot der für den 7. November von den Unabhängigen Sozialdemokraten angekündigten Massenversammlung und Verbot der Bildung von Arbeiterräten – im Keim zu ersticken. Die Zivilregierung, der er seit Inkraftsetzung der neuen Ordnung unterstellt war, desavouierte ihn jedoch.

Die Parteileitung der Mehrheitssozialisten fürchtete jetzt offenbar, den Anschluß an die Revolution zu versäumen. Sie beauftragte am 7. November den Staatssekretär Scheidemann, im Kriegskabinett zu fordern, daß die Versammlungsverbote aufgehoben und daß Polizei und Militär zur äußersten Zurückhaltung angehalten würden; ferner verlangte sie die sofortige Umbildung der preußischen Regierung im Sinne der Reichstagsmehrheit, die Verstärkung des sozialdemokratischen Einflusses in der Reichsregierung und die Abdankung des Kaisers sowie den Thronverzicht des Kronprinzen bis zum nächsten Mittag. Dieses Ultimatum, bei dessen Nichterfüllung die Mehrheitssozialisten mit ihrem »Austritt aus der Regierung«, d. h. ihrem Übergang zur Revolution drohten, wurde am folgenden Tage verlängert, und zwar bis zum Abschluß des Waffenstillstandes, dessen Unterzeichnung für die nächsten Tage erwartet wurde und dessen Zustandekommen die Sozialdemokraten durch ihren Austritt aus der Regierung zu gefährden fürchteten.

Ein Zufall ließ mich dem Staatssekretär Scheidemann am Abend des 8. November im Vestibül des Reichskanzlerhauses begegnen. In sichtlicher Erregung sagte er mir: »Wenn nur der Kaiser endlich einen Entschluß faßt und abdankt – heute noch! Sonst kann ich keine Garantie übernehmen.« Auf meine Frage: »Und wenn der Kaiser abdankt, welche Garantie können Sie dann übernehmen?« – war ein Achselzucken die einzige Antwort.

 

Die Revolution in Berlin

Der nächste Tag brachte die Revolution in Berlin.

Als am Vormittag des 9. November die Nachricht an das unter dem Vorsitz des Prinzen Max im Reichskanzlerhaus versammelte Kriegskabinett gelangte, daß sich demonstrierende Arbeiterzüge nach dem Innern der Stadt bewegten und daß ein Teil der in Berlin garnisonierenden Truppen, vorwiegend Ersatzbataillone, sich der revolutionären Bewegung angeschlossen habe, da ließ der Reichskanzler Prinz Max von Baden die Abdankung des Kaisers und Königs und den Thronverzicht des Kronprinzen öffentlich bekanntmachen, obwohl die Verhandlungen mit dem Kaiser über seine Abdankung noch nicht abgeschlossen waren und eine Abdankungserklärung noch nicht vorlag, und obwohl mit dem Kronprinzen wegen eines Thronverzichtes überhaupt noch nicht Fühlung genommen worden war. Gleichzeitig faßte das Kriegskabinett, wie mir von einem seiner Mitglieder am Nachmittag mitgeteilt worden ist, den später angezweifelten Beschluß, daß den Demonstranten und Aufrührern kein bewaffneter Widerstand entgegengesetzt werden dürfe. Schon vorher hatte der Oberstkommandierende in den Marken aus eigener Initiative einen ähnlichen Befehl ausgegeben.

So kapitulierten die bürgerlichen und militärischen Behörden kampflos, ja ohne jeden Versuch eines Widerstandes.

Prinz Max hatte noch in seiner Bekanntmachung über die angebliche Verzichtleistung des Kaisers und des Kronprinzen erklärt, er werde als Reichskanzler so lange im Amte bleiben, bis die mit dieser Verzichtleistung und der Einsetzung der Regentschaft verbundenen Fragen geregelt seien; er beabsichtige, dem Regenten die Ernennung des Abgeordneten Ebert zum Reichskanzler und die Vorlage eines Gesetzentwurfs wegen der sofortigen Ausschreibung allgemeiner Wahlen für eine verfassunggebende deutsche Nationalversammlung vorzuschlagen, der es obliegen würde, die künftige Staatsform des Deutschen Reiches endgültig festzustellen. Der Vizekanzler von Payer, den ich am Nachmittag besuchte, sprach sich mir gegenüber dahin aus, daß eine Änderung der Reichsverfassung nicht beabsichtigt sei und nur die Ernennung eines Regenten und die Bildung eines neuen Reichskabinetts unter sozialdemokratischer Führung in Frage komme; es sei nur noch die Frage offen, ob in dem neuen Kabinett auch die Unabhängigen Sozialdemokraten vertreten sein würden, die ihren Eintritt von der Bedingung abhängig zu machen schienen, daß die Regierung unter Ausschluß aller bürgerlichen Elemente lediglich aus Sozialdemokraten zusammengesetzt werden solle.

 

Der Sieg der Revolution

Inzwischen aber hatte Herr Scheidemann um zwei Uhr nachmittags von der großen Freitreppe des Reichstags herab die Republik proklamiert. Prinz Max hatte die Wahrnehmung der Geschäfte des Reichskanzlers, ohne die Einsetzung der am Vormittag von ihm angekündigten Regentschaft zu betreiben, dem Abgeordneten Ebert übertragen und schickte sich an, Berlin zu verlassen, um sich nach seiner badischen Heimat zu begeben. Die beiden sozialdemokratischen Gruppen einigten sich und bildeten für die Regierung des Reiches einen »Rat der Volksbeauftragten«, der aus je drei Mehrheitssozialisten und Unabhängigen zusammengesetzt wurde.

Der »Sieg der Revolution« wurde durch den offiziellen Telegraphen alsbald der Welt mitgeteilt; vor allem dem deutschen Heer in der Heimat, in den Etappen und an der Front, und zwar mit der Aufforderung, sofort überall Soldatenräte zu bilden. Während die Fronttruppen in ihrer überwiegenden Mehrzahl den Nachrichten aus der Heimat verständnislos gegenüberstanden und sich gegenüber der Aufforderung zur Zertrümmerung der militärischen Organisation und Disziplin ablehnend verhielten, gingen die in den Etappen stehenden, durch die sozialistische und bolschewistische Agitation zersetzten Verbände alsbald mit fliegenden Fahnen zur Revolution über. Was in jenen Tagen in den besetzten Gebieten des Ostens und Westens angesichts von Polen, Belgiern und Franzosen an Kopflosigkeit, an Feigheit, an nationaler Gesinnungs- und Würdelosigkeit geleistet worden ist, wird für alle Zeiten ein Schandfleck auf dem deutschen Namen sein.

So wurde in dem Augenblick, in dem die deutschen Unterhändler im Walde von Compiègne aus den Händen des Marschalls Foch die Waffenstillstandsbedingungen unserer Feinde entgegennahmen, das Gefüge des deutschen Heeres zerschlagen und damit die letzte Möglichkeit eines Widerstandes gegen die von unseren Feinden uns zugedachte Knebelung und Vernichtung zerstört.

Der Kaiser, dessen Abdankung über seinen Kopf hinaus von dem Prinzen Max veröffentlicht und von den revolutionären Machthabern in Berlin dem Heere mitgeteilt worden war, fügte sich dem Drängen seiner Umgebung; um dem deutschen Volke in seiner schwersten Stunde den Bürgerkrieg zu ersparen, verzichtete er auf jeden Versuch eines Widerstandes und begab sich am Abend des 9. November nach Holland. Der Kronprinz, dessen Anerbieten, auch unter der neuen Regierung weiterzudienen und seine Armee nach der Heimat zu führen, von der revolutionären Berliner Regierung abgelehnt wurde, folgte dem Beispiel seines kaiserlichen Vaters.

Inzwischen waren die Waffenstillstandsbedingungen in Berlin eingetroffen. Sie verlangten von uns innerhalb kurzbemessener Fristen die Räumung der von unseren Truppen besetzten Gebiete und des linken Rheinufers sowie der mit einem Halbkreis von 30 Kilometer Halbmesser auf das rechte Rheinufer hinüberreichenden Brückenköpfe von Mainz, Koblenz und Köln; ferner die Räumung Ostafrikas von unserer Schutztruppe, die sich dort in dem mehr als vierjährigen Kampfe gegen eine vielfache Übermacht ehrenvoll behauptet hatte; weiter die Auslieferung eines großen Teils unseres Kriegsmaterials an Geschützen, Maschinengewehren, Minenwerfern, Flugzeugen; desgleichen die Auslieferung eines großen Teils unserer Kriegsflotte einschließlich sämtlicher U-Boote, und die Desarmierung des uns zunächst belassenen Restes von Kriegsschiffen; außerdem die Auslieferung eines ansehnlichen Teiles unseres Bestandes an Lokomotiven, Güterwagen und Lastautomobilen. Dabei wurde die gegen Deutschland verfügte Handels- und Hungerblockade aufrechterhalten und die Versorgung Deutschlands mit Lebensmitteln während des Waffenstillstandes »in dem für notwendig erachteten Maße in die Hände unserer Feinde gelegt.

 

Der Waffenstillstand

Was von uns verlangt wurde, war nichts anderes als eine bedingungslose Unterwerfung. Der Ausbruch der Revolution, die Entthronung des Kaisers und die Beseitigung der Hohenzollerndynastie haben uns weder damals noch späterhin die von unseren Pazifisten und Illusionisten erhofften Milderungen gebracht.

Die erste Tat des »Rates der Volksbeauftragten« war ein offenes Telegramm an die deutsche Waffenstillstandsdelegation, daß die Bedingungen des Marschalls Foch anzunehmen seien.

Um die Mittagszeit des 11. November 1918 trat der Waffenstillstand in Kraft. Die Geschütze, die bis zum letzten Augenblick mit ungeschwächter Wut ihr Vernichtungswerk verrichtet hatten, verstummten auf allen Fronten. Der größte und blutigste Krieg der Weltgeschichte war zu Ende.

Länger als vier Jahre hindurch hatte das deutsche Volk, von fremder Hilfe fast völlig abgeschnitten, die ungeheure Last des Krieges getragen, hatte das deutsche Heer, nur von wenigen und schwächeren Bundesgenossen unterstützt, in wunderbaren Waffentaten sich der erdrückenden Übermacht an Menschen und Kriegsmaterial erwehrt. Das Aufgebot und die Anspannung aller Tugenden des deutschen Volkstums waren nahe daran, das Wunder des siegreichen Widerstandes gegen eine Welt zu verwirklichen.

Unsere physischen und moralischen Kräfte haben nicht ausgereicht, um das Höchste zu vollbringen. Sie haben uns vor dem Ziel im Stich gelassen. So ist das deutsche Volk von den Höhen, die es in Jahrzehnten und Jahrhunderten friedlicher Arbeit erklommen, die es in dem Ringen des Krieges in unvergleichlicher Gegenwehr behauptet hatte, hinabgestürzt in den dunklen Abgrund, in dem es jetzt wehrlos in den Klauen erbarmungsloser Feinde um Sein oder Nichtsein ringt.

 

Sein oder Nichtsein

Und doch, so schwer uns das Schicksal geschlagen hat, durch unsere Feinde und mehr noch durch uns selbst – die Hoffnung will uns nicht verlassen. Besiegt und gedemütigt, entwaffnet und verarmt gehen wir aus der Völkerdämmerung hervor, sehen wir uns in eine Welt gestellt, die ihr Angesicht von Grund aus verändert hat. Aber wir können in uns das Bewußtsein tragen, daß keine der Nationen, die sich des Sieges rühmen, in diesem Kriege ein solches Maß von innerer Kraft und Tüchtigkeit entfaltet hat wie unser deutsches Volk. Ein ungeheurer Druck von Zahl und Masse, wie er niemals in der Geschichte aller Zeiten von einem einzelnen Volk zu tragen war, hat schließlich unsere Kraft erlahmen lassen, hat uns gebeugt und allen bösen Geistern Gewalt über uns gegeben. Aber dieser Niederbruch kann nicht das Ende sein. Wir denken zurück an die schwersten Zeiten unserer Geschichte. Wir denken an die grauenhafte Verwüstung des Dreißigjährigen Krieges, die nach dem Worte Treitschkes den Untergang des deutschen Namens anzukündigen schien und der Anfang eines neuen Lebens geworden ist. Wir denken an die Wiedergeburt deutscher Gesittung und deutscher Macht, in der unser Volk sich mehr als einmal aus tiefstem Elend und niedrigster Schmach erhoben hat. In aller Not und Bedrückung des Tages richten wir den Blick auf den weiten Horizont der Zukunft, glauben wir an die Unzerstörbarkeit des deutschen Wesens und den unveräußerlichen Beruf des deutschen Volkes in dem Aufstieg der Menschheit.


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