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Der Friede von Bukarest

An den Schlußverhandlungen in Brest-Litowsk hatten Herr von Kühlmann und Graf Czernin nicht mehr teilgenommen. Sie hatten sich noch im Februar nach Bukarest begeben, um dort in Friedensverhandlungen mit der rumänischen Regierung einzutreten.

Die rumänische Armee hatte gleichzeitig mit der russischen Anfang Dezember 1917 Waffenruhe und Waffenstillstand mit der Heeresleitung der Vierbundmächte abgeschlossen. Aber bald war es zwischen den rumänischen Truppen, denen sich der russische Oberbefehlshaber an der rumänischen Front, General Tscherbatscheff, mit einem Teil seiner Truppen anschloß, und den bolschewistisch gesinnten, nach der Heimat zurückflutenden russischen Verbänden zu Streitigkeiten und Feindseligkeiten gekommen, die zu scharfen russischen Noten an die rumänische Regierung, vorübergehend zur Verhaftung des rumänischen Gesandten in Petersburg, schließlich zu Ultimaten und Ende Januar 1918 zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Sowjetrußland und Rumänien führten. General Tscherbatscheff wurde zum »Feind des Volkes« erklärt und außerhalb des Gesetzes gestellt.

 

Die Verhandlungen mit Rumänien

Die Haltung der rumänischen Regierung und des rumänischen Heeres zu Deutschland und seinen Verbündeten war in jener Zeit undurchsichtig. Eine Zeitlang schien es, als oh die auf die Moldau zusammengedrängte, zwischen die Heere des Vierbundes und Rußlands eingekeilte rumänische Armee den Kampf wieder aufnehmen wolle. Nach dieser Richtung arbeitete insbesondere die rumänische Königin, unterstützt von General Tscherbatscheff und den Militärmissionen der Entente. Gegen diese Politik machte sich in Rumänien selbst eine starke Gegenströmung geltend. Eine Gruppe angesehener rumänischer Politiker, die sich um den alten Peter Carp und den langjährigen Gesandten in Berlin, Herrn Beldiman, scharte, hatte das Eintreten Rumäniens in den Krieg gegen Deutschland stets verurteilt und nahm jetzt scharfe Front gegen das rumänische Königshaus, dessen verräterische Politik all das Unglück über das Land gebracht hatte. Diese Gruppe trat mit der deutschen Regierung in Fühlung, um sich darüber zu vergewissern, ob Deutschland geneigt sei, mit einer neuen rumänischen Regierung, die den König und sein Haus für des Thrones verlustig erklären würde, in Verhandlungen einzutreten und einen für Rumänien erträglichen Frieden abzuschließen.

Die nach dieser Richtung gehenden Pläne wurden jedoch durchkreuzt durch einen Schritt der österreichisch-ungarischen Politik. Kaiser Karl schickte, soviel ich weiß, ohne die Berliner Regierung zu befragen oder auch nur zu benachrichtigen, Ende Januar 1918 den früheren Militärattaché in Bukarest, den Obersten Randa, in geheimer Mission zu dem König von Rumänien und ließ diesen seiner Bereitwilligkeit versichern, Rumänien einen ehrenvollen Frieden zu bewilligen.

 

Österreichisch-ungarische Sonderinitiative

Graf Czernin hat in seiner Rede vom 11. Dezember 1918 den Versuch gemacht, diesen auffallenden Schritt wie folgt zu begründen:

»Mit der Möglichkeit, zu Friedens Verhandlungen mit Rumänien zu gelangen, wurde schon damals gerechnet, als die Verhandlungen mit der russischen Friedensdelegation in Brest-Litowsk ihren Anfang nahmen. Um zu verhindern, daß auch Rumänien sich diesen Verhandlungen anschließe, ließ man deutscherseits die rumänische Regierung wissen, daß man mit dem gegenwärtigen König und der gegenwärtigen Regierung nicht verhandeln wolle. Dieser Schritt hatte jedoch nur den Zweck, gesonderte Verhandlungen mit Rumänien zu ermöglichen, da Deutschland befürchtete, daß die Einbeziehung Rumäniens in die Brester Verhandlungen die Chancen des Friedens gefährden könnte. Daraufhin schien der Gedanke Rumäniens, den Krieg dennoch fortführen zu wollen, die Oberhand zu gewinnen. Ende Januar wurde daher seitens Österreich-Ungarns die Initiative ergriffen, um die Verhandlungen mit Rumänien zu ermöglichen.«

Diese Darstellung ist durchaus schief. Das ergibt sich schon daraus, daß bei dem sich bis zum Abbruch der Beziehungen und Kriegsdrohungen steigernden schlechten Verhältnis zwischen Sowjetrußland und dem offiziellen Rumänien eine gemeinschaftliche Verhandlung in Brest-Litowsk, auf deren Verhinderung es der deutschen Regierung angeblich ankam, außerhalb des Bereiches der Möglichkeit lag. Die Frage der rumänischen Dynastie und der rumänischen Regierung wurde von der deutschen Regierung lediglich von dem sachlichen Gesichtspunkte aus behandelt, ob eine aufrichtige Verständigung und ein dauernder Friede mit Rumänien unter der schwer kompromittierten Dynastie und der verräterischen, von Grund aus deutschfeindlichen Regierung der Bratianu und Take Joneseu überhaupt möglich sei. Die österreichisch-ungarische Politik hatte es um so weniger nötig, deutsche Verschleppungsabsichten zu durchkreuzen, als – wie Graf Czernin feststellt – die deutsche Oberste Heeresleitung in Rücksicht auf ihre geplante Offensive auf dem westlichen Kriegsschauplatz auf einen raschen Abschluß mit Rumänien drängte. Die wirklichen Motive der österreichisch-ungarischen »Initiative« bei König Ferdinand mögen einmal in gewissen dynastischen Erwägungen bestanden haben; man sprach damals von der Befürchtung, daß die Absetzung des rumänischen Königs eine weitere Erschütterung des monarchischen Gedankens zur Folge haben und nicht ohne Rückwirkung auf die Stellung der Dynastien in den Mittelmächten bleiben werde. Ferner mag mitgespielt haben die alte Eifersucht Österreich-Ungarns auf Deutschlands Position in Rumänien, die durch eine neue Regierung einer ausgesprochen deutschfreundlichen Gruppe und durch die Einsetzung einer neuen, Deutschland zugeneigten Dynastie eine Stärkung hätte erfahren müssen.

Wie dem aber auch sei – nachdem der Kaiser von Österreich und mit ihm die österreichisch-ungarische Politik sich auf die Erhaltung der rumänischen Dynastie festgelegt hatte, ließ man auf deutscher Seite – zur großen Enttäuschung und Verstimmung, ja Erbitterung der deutschfreundlichen rumänischen Politiker, die sich bereits stark gegen die Dynastie engagiert hatten – die Bedingung der Abdankung des Königs fallen. Ein Boden für aussichtsreiche Verhandlungen war aber erst vorhanden, nachdem am 10. Februar das Kabinett Bratianu demissioniert hatte und durch eine neue Regierung unter dem Vorsitz des Generals Avarescu ersetzt worden war; und erst, nachdem späterhin, am 19. März, der den Mittelmächten zuneigende konservative Führer Marghiloman als Ministerpräsident an die Stelle von Avarescu getreten war, kamen die Verhandlungen in rascheren Fluß.

Die Verhandlungslage war von Anfang an eine äußerst schwierige, da deutsche, österreichisch-ungarische, bulgarische und türkische Interessen kreuz und quer durcheinanderliefen und vielfach miteinander in Widerstreit standen.

 

Interessenkonflikte

Deutschland war territorial nicht interessiert. Dagegen war es für uns von Wichtigkeit, uns sowohl für die Fortdauer des Krieges mit den Westmächten und Amerika, wie auch für die Eventualität eines »Wirtschaftskrieges nach dem Kriege« den Bezug von Getreide und Futtermitteln sowie von Petroleum aus Rumänien nach jeder Möglichkeit zu sichern. Außerdem mußte unserem Interesse an den durch Rumänien nach der Levante führenden Verkehrswegen, sowohl an den Eisenbahnen wie an dem Donauwege, Rechnung getragen werden. Die Frage der Bahn von Cernavoda nach Constantza und der dem Zug dieser Bahn folgenden Röhrenleitung für Petroleum, ebenso die Frage des Hafens von Constantza waren in dieser Beziehung besonders wichtig, und zwar sowohl für Deutschland und Österreich-Ungarn als auch für Rumänien. Denn wenn die Dobrudscha, wie Bulgarien dies wünschte, an Bulgarien kam, beherrschte dieses die gesamten Eisenbahnwege der Mittelmächte nach dem Schwarzen Meer und war Rumänien von jeder eigenen Bahnverbindung nach dem Meere abgeschlossen. Es mußten deshalb hier besondere Abmachungen zur Sicherung des Verkehrsinteresses der Mittelmächte und Rumäniens vorgesehen werden.

Österreich-Ungarn war an den rumänischen Verkehrswegen sowie an der Sicherung des Bezugs von rumänischem Getreide in ähnlicher Weise interessiert wie wir. In der Petroleumfrage war die Position der Donaumonarchie insofern von der unsrigen verschieden, als Österreich-Ungarn in Galizien über eigene große Petroleumvorkommen verfügte, die mit den rumänischen in Konkurrenz standen, und als österreichisch-ungarisches Kapital in der rumänischen Petroleumindustrie, in der große deutsche Kapitalien investiert waren, bisher nicht interessiert war.

Aber die österreichisch-ungarische Regierung suchte die Friedensverhandlungen zu benutzen, um auch ihrerseits einen starken Einfluß in der Gewinnung und Verwertung des rumänischen Petroleums zu gewinnen, ihre Wünsche und Interessen und diejenigen Deutschlands gingen in nicht unwesentlichen Punkten auseinander. Außerdem aber erschien Österreich-Ungarn, dessen Staatsmänner Deutschland gegenüber nie genug Enthaltsamkeit predigen konnten, mit sehr erheblichen territorialen Wünschen auf dem Plan.

 

Ungarische Forderungen. Dobrudschafrage

Die ungarische Regierung, das ungarische Parlament und die ungarische öffentliche Meinung verlangten, angeblich aus strategischen Gründen, sehr umfangreiche »Grenzrektifikationen«, durch die eine Anzahl von Städten, wie Turn-Severin, Sinaia und Ocna, außerdem wertvolle Erdölgebiete in der Moldau an Ungarn gekommen wären. Graf Czernin erhob zwar gegen diese außerordentlich weitgehenden Forderungen Widerspruch, sah sich aber infolge des starken ungarischen Druckes genötigt, diese Forderungen zu präsentieren und zu vertreten. Erst nachdem Marghiloman, der vorher dem Grafen Czernin befriedigende Zusagen über seine Politik gegenüber der Donaumonarchie gegeben hatte, an die Spitze der rumänischen Regierung getreten war, ließ Czernin einen großen Teil seiner territorialen Forderungen gegen das Zugeständnis des immer noch erheblichen Restes fallen. Für dieses Zugeständnis sicherte Graf Czernin der rumänischen Regierung seine diplomatische Unterstützung der rumänischen Wünsche auf Bessarabien zu.

Bulgariens Forderungen gingen auf Angliederung der ganzen Dobrudscha. Zugesagt worden war Bulgarien von den beiden Mittelmächten vor seinem Eintritt in den Krieg gegen Rumänien, daß es den ihm von Rumänien im zweiten Balkankrieg abgenommenen südlichen Teil der Dobrudscha mit einer Grenzberichtigung zurückerhalten solle. Deutschland und Österreich-Ungarn waren nun bereit, für die Überlassung der ganzen Dobrudscha an Bulgarien einzutreten; die deutsche Regierung knüpfte jedoch daran die Bedingung, daß eine befriedigende Einigung über die Eisenbahn Cernavoda-Constantza und den Hafen Constantza erfolge, sowie daß die deutschen wirtschaftlichen Interessen in den Bulgarien auf Kosten Serbiens zufallenden Gebieten berücksichtigt und sichergestellt würden.

Durch den Anspruch Bulgariens auf die Dobrudscha entstanden ferner erhebliche Schwierigkeiten mit der Türkei. Die Türkei hatte ein nicht unbeträchtliches Kontingent zu der Armee gestellt, die im Laufe des rumänischen Feldzuges die Dobrudscha erobert hatte. Darauf gestützt, verlangte die türkische Regierung für den Fall der Überlassung der Dobrudscha an Bulgarien nicht nur die Rückgabe des Gebietes, das sie im Jahre 1915 an Bulgarien als Preis für dessen Eintreten in den Krieg hatte herausgeben müssen, sondern darüber hinaus noch einen Teil der Bezirke, die sie in den Balkankriegen an Bulgarien verloren hatte. Bulgarien seinerseits setzte diesen Forderungen den stärksten Widerstand entgegen.

Diese Lage barg so starke und gefährliche Konfliktsmöglichkeiten, daß mir angesichts des Fortganges des Krieges mit der Koalition unserer Feinde, die auch nach dem Ausscheiden Rußlands und Rumäniens eine erdrückende Übermacht darstellte, die rasche und glatte Beilegung der rumänischen Fragen als eine zwingende Notwendigkeit erschien. Dazu kam, daß einmal die Oberste Heeresleitung die noch an der rumänischen Front stehenden Truppen für die Durchführung der von ihr im Westen geplanten Offensive dringend benötigte und auf einen raschen Abschluß mit Rumänien hindrängte; daß ferner die Vorteile, die man sich für Deutschland und namentlich auch für Österreich-Ungarn auf dem Gebiet der Volksernährung von dem Friedensschluß mit der Ukraine versprach, nur dann voll ausgenutzt werden konnten, wenn durch den Friedensschluß mit Rumänien der Weg über die Moldau nach den wichtigsten ukrainischen Getreidebezirken freigemacht wurde.

 

Wirtschaftliche Forderungen

Außerdem schien es mir geboten, den Frieden so zu gestalten, daß für die Zukunft ein gutes Verhältnis zwischen Deutschland und Rumänien wieder möglich gemacht würde. Wir hatten, wenn erst der Friede wiederhergestellt war, mangels direkter Grenzen mit Rumänien keine Möglichkeit, mit militärischen Machtmitteln auf Rumänien zu drücken, und waren deshalb, mehr als Österreich-Ungarn, darauf angewiesen, die Sicherung unserer großen wirtschaftlichen und auch politischen Interessen in Rumänien in der Herstellung von Beziehungen zu suchen, bei denen auch Rumänien seinen Vorteil finden konnte.

Mit diesen Gesichtspunkten schien mir ein erheblicher Teil der Forderungen, die für die Friedensverhandlungen mit Rumänien aufgestellt worden waren, nicht in Einklang zu stehen. Vor allem schienen mir die teilweise von dem Auswärtigen Amt, teilweise von der Obersten Heeresleitung ausgearbeiteten Vertragsbestimmungen über die Petroleumfrage und das Eisenbahnwesen über das Ziel hinauszuschießen. Der Entwurf der handelspolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes verlangte nichts weniger als die Überlassung des gesamten Bergregals, natürlich einschließlich der Schürf- und Ausbeuteberechtigungen auf Petroleum, an das Deutsche Reich. Außerdem sollte Rumänien sein ganzes Eisenbahnnetz an eine von Deutschland zu kontrollierende Gesellschaft abtreten. Wenn daneben die Oberste Heeresleitung die heikle Frage der Bahn Cernavoda-Constantza und des Hafens Constantza durch den territorialen Erwerb der Bahn und des Hafens und eines Geländestreifens zu beiden Seiten der Bahn regeln wollte, so mußte das einen schweren Konflikt mit Bulgarien und, wenn wir für den Augenblick diese Forderung durchsetzten, eine dauernd schwere Belastung unseres Verhältnisses zu diesem Balkanstaat bilden.

Nachdem ich mir eine Übersicht über die Wünsche der einzelnen deutschen Stellen hinsichtlich des rumänischen Friedens verschafft hatte, veranlaßte ich deshalb den Reichskanzler, die Ressortchefs zu einer Besprechung der beim Friedensschluß mit Rumänien zu verfolgenden Richtlinien einzuladen. Ich erklärte in dieser Besprechung, die mir übertragene Aufgabe der einheitlichen Zusammenfassung der Vorarbeiten für den wirtschaftlichen Teil der Verhandlungen nicht durchführen zu können, wenn nicht der Reichskanzler eine klare Parole ausgebe. Meinerseits sprach ich mich mit den oben angedeuteten Gründen für eine billige Verständigung unter Vermeidung jeder überflüssigen Härte aus.

 

Richtlinien für die Verhandlungen

Der Reichskanzler schloß sich meinem Standpunkt an. Infolgedessen wurden die Absichten, Rumänien seine Bodenschätze und seine Eisenbahnen wegzunehmen und den Verkehrsweg Cernavoda-Constantza mit dem Hafen Constantza durch eine territoriale Erwerbung zu sichern, aufgegeben und vereinbart, daß die Sicherung unserer sehr wichtigen Petroleuminteressen durch ein Petroleumhandelsmonopol erfolgen solle, an dem die rumänische Regierung uns eine maßgebende Mitwirkung und Beteiligung zuzugestehen hätte; daß hinsichtlich der rumänischen Eisenbahnen lediglich vertragsmäßige Abmachungen über die Tarifpolitik usw. getroffen werden sollten; daß schließlich der Hafen von Constantza zum Freihafen gemacht und der Betrieb dieses Freihafens sowie der Betrieb der Eisenbahn Cernavoda-Constantza an eine das Durchfuhrinteresse der Mittelmächte und Rumäniens sichernde Betriebsgesellschaft übertragen werden sollte.

Die für die Verhandlungen mit Rumänien bestimmten Vertreter reisten ab, ehe die neuen Richtlinien im einzelnen durchgearbeitet waren. Das galt insbesondere für die schwierige Regelung der Petroleumfrage. Da auch die Vertreter der an der rumänischen Petroleumindustrie beteiligten deutschen Unternehmungen sich nach Bukarest begaben, wurde vereinbart, daß die weitere Durcharbeitung und endgültige Feststellung unserer in Sachen des Petroleums zu machenden Vorschläge in Bukarest in Fühlungnahme mit den deutschen Interessenten und Sachverständigen erfolgen solle. Leider hat diese Fühlungnahme nicht, oder jedenfalls nicht in dem im Interesse der Sache gebotenen Umfange, stattgefunden. Meine eigene Einwirkung auf das, was in Bukarest vorging, war – ebenso wie das schon bei den Brester Verhandlungen der Fall war – nur gering. Ich sah mich im Laufe der Verhandlungen genötigt, bei dem Reichskanzler nachdrücklich darauf hinzuweisen, daß die von mir im Rahmen meines Auftrages geleistete Arbeit durch die ungenügende Art der Berichterstattung über den Gang der Verhandlungen und die mangelhafte Beachtung der in Berlin unter meiner Leitung getroffenen Vereinbarungen größtenteils entwertet werde und daß ich für meine Person eine Verantwortung für das Ergebnis der Verhandlungen ablehnen müsse.

Vor allein aber litten die Bukarester Verhandlungen unter dem gleichen Fehler, der vor dem Beginn der Verhandlungen mit Rußland gemacht worden war: es war auch hier versäumt worden, vor dem Eintritt in die Verhandlungen mit Rumänien eine Einigung mit unseren Verbündeten herbeizuführen. Die Folge war, daß die Bukarester Verhandlungen auf das schwerste beeinträchtigt wurden durch die unausgeglichen gebliebenen starken Interessenkonflikte zwischen den Bundesgenossen. Insbesondere die bulgarisch-türkischen Differenzen spitzten sich in einer für den Bestand des Bündnisses geradezu gefährlichen Weise zu. Die Lage wurde dadurch verschärft, daß auch hier zwischen unserer politischen Leitung und der Obersten Heeresleitung keine Übereinstimmung bestand; die Oberste Heeresleitung trat für eine sehr weitgehende Unterstützung der türkischen Wünsche auf Herausgabe bulgarischen Gebiets gegen Überlassung der Dobrudscha an Bulgarien ein, während das Auswärtige Amt der Überzeugung war, daß der von der Obersten Heeresleitung gewünschte Druck auf Bulgarien den Rücktritt des Ministeriums Radoslawow und seine Ersetzung durch ein deutschfeindliches Kabinett, damit die unmittelbare Gefahr eines Ausscheidens Bulgariens aus dem Vierbund zur Folge haben werde. Diese Gefahr wurde dadurch erhöht, daß die Oberste Heeresleitung auch in anderen Punkten die Überlassung der Dobrudscha an Bulgarien an Bedingungen knüpfen wollte, gegen die sich in Bulgarien eine starke Opposition regte. Auf der anderen Seite wollten die Bulgaren die Lage benutzen, um sich von der Rückzahlungspflicht für die von uns gewährten sehr erheblichen Vorschüsse ganz oder wenigstens zu einem großen Teil zu befreien. In diesem Punkt entstanden Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Auswärtigen Amt, dem Reichsschatzamt und der Obersten Heeresleitung.

 

Neue Meinungsverschiedenheiten

Die Lage hatte sich gegen Ostern so stark verwirrt und verschärft, daß Herr von Kühlmann, um eine Klärung zu versuchen, nach Berlin zurückreiste und die Ankunft des bulgarischen Finanzministers Tontschew ankündigte, der von seiner Regierung beauftragt wurde, in Berlin in direkter Verhandlung mit der Reichsregierung eine Verständigung herbeizuführen.

Zu meiner Überraschung übertrug mir der Reichskanzlei am Ostersamstag, 30. März, auf Antrag des Staatssekretärs von Kühlmann schriftlich die Leitung der Verhandlungen mit dem bulgarischen Bevollmächtigten, dessen Eintreffen bereits für die nächsten Tage erwartet wurde. Ich begab mich alsbald zum Kanzler und erklärte ihm zunächst, diesen Auftrag nicht übernehmen zu können, da ich in die mit Bulgarien streitigen Fragen nur teilweise eingeweiht sei. Der Kanzler bestand darauf, daß ich mich nicht versagen dürfe, zumal da die maßgebenden Männer der bulgarischen Regierung, denen ich von früheren Verhandlungen her bekannt war, auf meine Person ein besonderes Vertrauen setzten und eine durch mich herbeigeführte Vermittlung auch auf die gleichfalls in mich Vertrauen setzende türkische Regierung nicht ohne Einfluß bleiben werde. Ich erklärte mich schließlich bereit, den Auftrag zu übernehmen, jedoch unter der ausdrücklichen Voraussetzung, daß mir in den Stand der Streitfragen alsbald voller Einblick gegeben werde und daß ferner vor dem Beginn meiner Verhandlungen mit Herrn Tontschew eine klare politische Direktive festgestellt und ein einheitliches Verhalten sämtlicher an den Streitfragen mit Bulgarien beteiligten deutschen Stellen, einschließlich der Obersten Heeresleitung, gesichert werde.

Die Prüfung der Sachlage zeigte, wie scharf die Meinungsverschiedenheiten zwischen Reichskanzler und Auswärtigem Amt einerseits, der Obersten Heeresleitung andererseits sich zugespitzt hatten. Unglücklicherweise wurde der Kanzler am Ostersonntag von einem Unwohlsein befallen, das ihn für einige Tage von allen Geschäften ausschaltete; der Staatssekretär des Auswärtigen hatte sich zu einem Vortrag beim Kaiser nach Süddeutschland begeben. Als gegen Ende der Woche nach Ostern ein gemeinschaftlicher Vortrag beim Kanzler wieder möglich wurde, empfahl ich auf das dringendste, vor der Einleitung irgendwelcher materieller Verhandlungen mit dem inzwischen in Berlin eingetroffenen Herrn Tontschew die zu verfolgende Linie durch eine persönliche Aussprache mit Hindenburg und Ludendorff herbeizuführen, eventuell Herrn Tontschew gleich mit nach dem Großen Hauptquartier zu nehmen.

 

Oberste Heeresleitung und Auswärtiges Amt

Nach meiner Erfahrung war in solchen Lagen die unmittelbare Aussprache der einzige Weg zur Einigung; mit mehr oder weniger gereizten Telegrammen verhandelte man sich nur immer weiter auseinander. Man stimmte mir zu; aber weder der Kanzler, der ohnedies im Lauf der folgenden Woche nach Spa reisen wollte, noch auch Herr von Kühlmann zeigten Neigung, ihrerseits die notwendige Besprechung mit den Herren von der Obersten Heeresleitung zu führen; Herr von Kühlmann meinte resigniert, wenn er einen Vorschlag mache, sei dies für die andere Seite schon ein genügender Grund zur Ablehnung. Unter diesen Umständen bestand der Kanzler darauf, daß ich zu Hindenburg und Ludendorff reisen und eine Einigung versuchen solle.

Dieser Vorgang beleuchtete mir grell die Unhaltbarkeit der Verhältnisse in unserer politischen Leitung: Wir hatten in der schwersten Zeit unserer Geschichte einen Kanzler, der zum mindesten körperlich seinem Amte in keiner Weise mehr gewachsen war und der geistig jedenfalls nicht mehr die Spannkraft besaß, schwierige Fragen aufzunehmen und durchzukämpfen. Wir hatten einen Staatssekretär des Auswärtigen, der resigniert den Kampf mit der Obersten Heeresleitung für die von ihm für richtig gehaltene Politik aufgegeben hatte. Die taktisch geschickte Behandlung der Reichstagsparteien, in der Graf Hertling Meister geblieben war, und Kühlmanns wiederholte Bekenntnisse zu den Ideen der Reichstagsmehrheit täuschten die deutsche Öffentlichkeit über diesen unmöglichen Zustand hinweg; ja ich habe aus den Kreisen unserer Volksvertreter mitunter die lobende Feststellung gehört, daß unter dem Grafen Hertling die unter Herrn von Bethmann nie aufhörenden ärgerlichen Reibereien mit der Obersten Heeresleitung glücklicherweise ein Ende gefunden hätten, und daß jetzt eine erfreuliche Harmonie zwischen den drei großen politischen Faktoren, Reichsleitung, Reichstag und Oberster Heeresleitung bestehe! Diese »Harmonie« bestand nur auf der Oberfläche, und auch da nur um einen allzu hohen Preis.

Ich kam im Großen Hauptquartier mit Hindenburg und Ludendorff zu einer nach meiner Ansicht sowohl für Bulgarien, wie für die Türkei und auch für uns erträglichen Einigung, Aber der Mangel an Einheitlichkeit in unserer Politik hatte bei den Bulgaren und bei den Türken Hoffnungen geweckt, die miteinander schlechthin unausgleichbar waren; und in dem wochenlangen Hin- und Herzerren hatten sich beide Teile so sehr auf ihre Forderungen festgerannt, daß der Vermittlungsversuch jetzt auf beiden Seiten eine starke Unnachgiebigkeit fand. Zwar konnte unser Gesandter in Sofia berichten, daß die Darlegungen des Herrn Tontschew über seine Berliner Verhandlungen im bulgarischen Ministerrat eine gewisse Entspannung der Lage herbeigeführt hätten; aber in Rücksicht auf die erregte öffentliche Meinung lehnten schließlich Herr Radoslawow und sein Kabinett in der mit den Türken streitigen territorialen Frage auch das bescheidene Maß von Entgegenkommen ab, das unser Vermittlungsvorschlag ihnen zumutete, während auf der anderen Seite der türkische Widerstand gegen jede Einschränkung der territorialen Forderungen sich erheblich versteift hatte.

 

Unterzeichnung des rumänischen Friedensvertrages

Bei der Fortsetzung der Verhandlungen in Bukarest gelang es unserem Staatssekretär des Auswärtigen nicht, diese Widerstände zu überwinden. So mußte der Friedensvertrag mit Rumänien schließlich am 7. Mai 1918 unterzeichnet werden, ohne daß die Streitfrage zwischen Bulgarien und der Türkei geregelt war. Infolgedessen konnte der bulgarische Wunsch, die ganze Dobrudscha im Friedensvertrag zu erhalten, nicht erfüllt weiden. Der Vertrag gab vielmehr Bulgarien nur die von ihm im zweiten Balkankriege an Rumänien verlorene Süddobrudscha mit einer ansehnlichen Grenzberichtigung nach Norden hm, also das, was Bulgarien auf Grund der im September 1915 getroffenen Vereinbarungen zu beanspruchen berechtigt war. Der nördliche Teil der Dobrudscha mit Constantza und Cernavoda wurde an die vier verbündeten Mächte zu gemeinsamer Hand abgetreten, wobei mit Bulgarien Einverständnis darüber bestand, daß alsbald nach Behebung des türkischen Widerstands auch dieser Teil mit den für Constantza-Cernavoda vereinbarten Sicherungen an Bulgarien übergeben werden sollte.

Sachlich konnte sich Bulgarien mit dieser Lösung abfinden. Aber während des unglücklichen Laufes der Verhandlungen hatte die Forderung der sofortigen Überlassung der ganzen Dobrudscha sich so fest in den bulgarischen Gemütern als nationale Ehrensache festgesetzt, daß jetzt die öffentliche Meinung Bulgariens in der vorläufigen Lösung nur einen enttäuschenden Mißerfolg sah. Als auch in den auf die Unterzeichnung des rumänischen Friedensvertrags folgenden Wochen die Zustimmung der Türkei zur Überlassung der nördlichen Dobrudscha an Bulgarien nicht herbei geführt wurde und als zudem die Unzufriedenheit in Bulgarien durch ernstliche Ernährungsschwierigkeiten vermehrt wurde, sah sich das Kabinett Radoslawow genötigt, zurückzutreten. Radoslawow wurde Mitte Juni 1918 durch den in seinen Gesinnungen für Deutschland zum mindesten zweifelhaften Führer der Opposition Malinow ersetzt.

So fanden die Bukarester Verhandlungen ihren Ausklang in einer offenkundigen Erschütterung der bulgarischen Bundesfreundschaft, die für den Ausgang des Krieges verhängnisvoll werden sollte.


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