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Die Entscheidung

Diplomatisches Zwischenspiel

Zu derselben Zeit, als Rußland endgültig zusammenbrach und die bolschewistische Regierung sieh zu Friedensverhandlungen bereit erklärte, richtete Lord Lansdowne, der Leiter der britischen Außenpolitik in dem letzten konservativen Kabinett, einen Brief über Krieg und Frieden an die »Times«, der einen Umschwung in der Gesinnung der politischen Kreise Englands anzukündigen schien. Die »Times« verweigerten den Abdruck des Briefes. Lord Lansdowne ließ ihn daraufhin im »Daily Telegraph« veröffentlichen. Der Brief war eine besorgte Warnung vor der Überspannung der Kriegsziele und der Parole des Krieges bis zum Äußersten, Der Wirtschaftskrieg sei als Kriegsmittel gerechtfertigt; aber kein Vernünftiger könne auf die Dauer die feindlichen Mächte vom Welthandel ausschließen wollen. Von den territorialen Kriegszielen sei manches, was früher an erster Stelle gestanden habe, in die zweite Reihe gerückt; an erster Stelle stehe die Wiederherstellung Belgiens. »Wir werden den Krieg nicht verlieren, aber seine Weiterführung würde den Untergang der Kulturwelt herbeiführen. Der Krieg muß zu Ende gebracht werden, um die Welt vor einer Katastrophe zu bewahren.«

 

Die Entscheidung

Solche Worte aus der Feder eines britischen konservativen Führers, eines Mannes, dem pazifistische Gedankengänge fernlagen, der auf den Grundsätzen des britischen Imperialismus stand und praktisch-imperialistische Politik gemacht hatte, erregten natürlich in der ganzen Welt das größte Aufsehen. Beifall und Widerspruch waren in den alliierten Ländern geteilt. Am heftigsten griff die französische Presse Lord Lansdowne an, da sie ein Abrücken der britischen Politik von den französischen Eroberungszielen befürchtete. Bei uns und unseren Verbündeten erweckten die Äußerungen des Lords neue Hoffnung auf einen gerechten Verständigungsfrieden. Der Staatssekretär von Kühlmann äußerte im Hauptausschuß des Reichstags am 30. November 1917, vielleicht könne der Lansdowne-Brief »als ein hoffnungsvolles Zeichen dafür aufgefaßt werden, daß auch in England gemäßigte Stimmen Boden gewinnen«.

 

Brief Lansdownes

Aber bald erwies sich der Brief Lansdownes als die Stimme eines Predigers in der Wüste. In England selbst wurde er, ohne Widerspruch bei seinem Urheber zu finden, in einer Weise zurechtkommentiert, die den ursprünglichen Eindruck nahezu in sein Gegenteil verkehrte. Am 15. Dezember erklärte Lloyd George in öffentlicher Rede, der Brief Lansdownes sei bei Freund und Feind mißverstanden worden und habe auf der Pariser Konferenz der Alliierten, die zur Zeit seiner Veröffentlichung tagte, eine peinliche Überraschung hervorgerufen. In Wirklichkeit habe Lord Lansdowne nichts anderes sagen wollen als etwa Asquith oder Wilson.

Der Hinweis auf Wilson zielte auf die Botschaft, die Wilson am 5. Dezember 1917 an den Kongreß gerichtet hatte mit dem Antrag, der Kongreß möge auch gegenüber Österreich-Ungarn, mit dem bisher nur die diplomatischen Beziehungen abgebrochen worden waren, den Kriegszustand erklären. Dieser Schritt, für den ein besonderer Anlaß auf der Seite Österreich-Ungarns nicht vorlag, war offenbar auf das Drängen Frankreichs und Italiens zurückzuführen, die durch eine solche amerikanische Demonstration – mehr war die formelle Erklärung des Kriegszustandes seitens der Union an die Adresse der Donaumonarchie nicht – ein moralisches Gegengewicht gegen den bedenklichen Eindruck der italienischen Niederlage in Venetien und des russischen Friedensschrittes schaffen wollten. Als unmittelbare Begründung für seinen Antrag gab Wilson an, es sei eine unbestreitbare Tatsache, daß Österreich-Ungarn im Augenblick nicht Herr seiner selbst, sondern lediglich ein Vasall der deutschen Regierung sei.

In derselben Botschaft machte der Präsident Ausführungen allgemeiner Art, die sich in der schon in seiner Kundgebung aus Anlaß der Erklärung des Kriegszustandes gegen Deutschland und in seiner Antwort auf die Friedensnote des Papstes eingeschlagenen Richtung bewegten und für die Auffassungen und Ziele dieses für die weitere Entwicklung des Krieges so wichtigen Mannes in hohem Maße bezeichnend waren. Er sprach von der »unerträglichen Erscheinung, deren häßliches Gesicht die Herren Deutschlands uns zeigen«, von der »Drohung durch Intrige, verbunden mit Gewalt, als welche wir die deutsche Macht jetzt deutlich sehen, ohne Gewissen, Ehre oder Eignung für einen durch Vertrag geschlossenen Frieden«. Es gelte, diese Macht zu Boden zu schlagen und, wenn nicht völlig aus der Welt zu schaffen, so doch von dem friedlichen Verkehr der Völker auszuschließen. Wenn aber diese Erscheinung besiegt sei und das deutsche Volk Sprecher habe, deren Worten man trauen könne, wenn ferner diese Sprecher bereit sein würden, namens ihres Volkes ein allgemeines Urteil der Nationen darüber anzunehmen, was künftig Grundlage für Gesetz und Verträge unter den Völkern sein solle, dann werde man freudig bereit sein müssen, den vollen Preis für den Frieden zu zahlen. Dieser Preis sei »die volle und unparteiische Gerechtigkeit, Gerechtigkeit in jeder Beziehung und für jedes Volk«. Er ergänzte diese Ausführungen durch den Ausdruck der Bewunderung für Deutschlands Wissenschaft und Industrie und durch die Versicherung, niemand wolle sich in Deutschlands innere Angelegenheiten einmischen, niemand bedrohe Deutschlands Existenz, Unabhängigkeit und friedliche Entwicklung. Aber für die edle und gerechte Sache, für die Amerika seinen Traditionen gemäß in den Krieg eingetreten sei, werde es sich schlagen, bis der letzte Schuß verhallt sei.

 

Wilsons Botschaft vom 5. Dezember 1917

Wie schon in seiner Antwort auf den Friedensvorschlag des Papstes, so suchte der Präsident Wilson bei dem deutschen Volke, für dessen Ohren diese Botschaft mindestens ebensosehr bestimmt war wie für die Ohren seiner unmittelbaren Zuhörerschaft, den Eindruck zu erwecken, als gelte der Krieg Amerikas nur den »Herren Deutschlands«, und diesen in aller Unerbittlichkeit, nicht aber dem deutschen Volke selbst, für das er seine Sympathie und Bewunderung ausdrückte; als hänge es nur von dem deutschen Volk ab – in dessen innere Angelegenheiten er sich beileibe nicht einmischen wolle! –, durch Davonjagen seiner »Herren« zu einem Frieden der unparteiischen, Freund und Feind mit gleichem Maße messenden Gerechtigkeit zu kommen. In späteren Reden und Botschaften hat er denselben Faden weitergesponnen. Das hart geprüfte, unter den Opfern und der Last des Krieges schwer leidende deutsche Volk horchte allmählich auf. Nicht nur in einfältigen Gemütern fanden die verführerischen Worte Wilsons Eingang; auch ein großer Teil der »Intelligenz« und derjenigen Leute, die bei uns die Rolle von Politikern spielten, sich selbst für Politiker hielten und dafür halten ließen, kam allmählich dazu, in Wilsons Worten Offenbarungen zu hören. Mit besonderer Aufdringlichkeit spielte sich Herr Maximilian Harden, einer der schlimmsten Verderber des deutschen Geistes, als Wilsons Prophet auf. Immer kleiner wurde die Schar derjenigen, die in Wilsons Ausführungen nichts anderes erblickten als den entschlossenen Willen der Fortsetzung des Krieges bis zur Niederwerfung Deutschlands und die mit Doktrinarismus und Unkenntnis europäischer Verhältnisse gepaarte Absicht der Bemäntelung dieses Kriegswillens mit völkerbeglückenden Ideen, dazu den Versuch, das deutsche Volk in sich selbst zu entzweien und es gegen die Monarchie und ihre Träger aufzuwiegeln.

 

Dezemberreden Lloyd Georges

Nichts anderes als dieser Wilson hatte nach Lloyd Georges Bekundung Lord Lansdowne in seinem Briefe sagen wollen. Und Lloyd George selbst? – Er machte in seiner Rede vom 15. Dezember aus seinem Herzen wahrhaft keine Mördergrube. Er warnte eindringlich vor den Pazifisten, die auf allerhand Schleichwegen England zu einem voreiligen Frieden zu bewegen suchten. Er erklärte es für einen Wahn, man könne den Krieg durch einen Völkerbund beenden. Das sei zwar eine gute Sache nach dem Siege, aber jetzt klinge der Vorschlag wie ein Scherz. Wolle man ohne Sicherheit gegen die Wiederholung des von Deutschland begangenen Vertragsbruches ein neues Abkommen schaffen, so sei das aber kein Witz mehr, sondern ein Trauerspiel. Er gebe nichts auf Worte ohne die Kraft und Macht des Sieges. Die »Preußen« – er sprach mit Absicht nicht von den »Deutschen« – bezeichnete er als »Verbrecher und Banditen«. Die sichere Hoffnung auf den Sieg trotz des Ausscheidens Rußlands begründete er mit dem Hinweis darauf, daß an die Stelle Rußlands, das sich als der am schlechtesten organisierte Staat erwiesen habe, jetzt die Vereinigten Staaten mit ihrer ganzen Kraft getreten seien.

Einige Tage später, am 21. Dezember, nahm Lloyd George Gelegenheit, sich im Unterhaus in einer großen Rede über die Lage auszusprechen. Er verhehlte nicht die Gefahren: Der Lebensmittelmangel bei den Alliierten sei größer als erwartet. Die zu Anfang des Jahres gehegten militärischen Hoffnungen seien nicht in Erfüllung gegangen; zwar hätten die Deutschen auf dem westlichen Kriegsschauplatz Niederlagen erlitten und hätten die Engländer Bagdad und Jerusalem erobert; aber die Lage sei bedrohlicher geworden durch die unerwartete Niederlage Italiens, dem seine Verbündeten hätten zu Hilfe kommen müssen, und durch Rußlands Eintritt in Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen. Die kommenden Wochen würden die sorgenvollsten des ganzen Krieges sein. Auf Grund dieser Lage kündigte er Maßregeln zur Vergrößerung des Heeres an. Von Friedensbereitschaft war auch aus dieser Rede nicht der leiseste Klang herauszuhören. Zwar wies er den Gedanken als lächerlich weit von sich, England habe am Krieg teilgenommen, um Gebietsteile zu erwerben. Aber er blieb dabei, der Krieg sei verursacht worden durch die »ruchlose Arroganz der deutschen Militärkaste«, und solange der Geist dieser Kaste nicht gebrochen sei, werde kein Friede in der Welt sein. Der Sieg sei das einzige Mittel, den Friedensbedingungen Kraft zu verleihen.

Nun kam die Unterbrechung der Brester Friedensverhandlungen auf zehn Tage mit der ausdrücklichen Begründung, daß Rußlands Verbündeten Gelegenheit gegeben werden solle, den Verhandlungen beizutreten und so den Weg zum allgemeinen Frieden zu öffnen. Für diesen Fall hatten die Mächte des Vierbundes ausdrücklich die Grundlage: »Keine gewaltsamen Gebietserwerbungen, keine Kriegsentschädigungen, Selbstbestimmungsrecht der Völker« durch die Erklärung des Grafen Czernin vom 25. Dezember als maßgebend angenommen. Die russische Regierung wandte sich mit ihrer Aufforderung, den allgemeinen Frieden auf diesem Boden herbeizuführen, an die Völker. Es konnte kaum mehr zweifelhaft sein, daß im Falle einer Weigerung der alliierten Regierungen, den Friedensverhandlungen beizutreten, Rußland mit den Mächten des Vierbundes in kürzester Zeit einen Sonderfrieden abschließen würde.

 

Die Entente gegen Friedensverhandlungen

Wir wissen bereits, daß die Ententeregierungen es ablehnten, sich auf Friedensverhandlungen einzulassen.

Am meisten beeilte man sich mit der Ablehnung in Paris. Der Minister des Auswärtigen, Herr Pichon, teilte bereits am 27. Dezember in der Kammer mit, daß die Vertreter der Alliierten in Petersburg erklärt hätten, an dem Tage, an dem in Rußland eine regelrecht konstituierte Regierung bestehen werde, seien sie bereit, mit dieser ihre Kriegsziele und die eventuellen Bedingungen eines dauerhaften und gerechten Friedens zu besprechen. Heu Pichon erging sich dann auf eigene Rechnung in Beschuldigungen gegen Deutschland, das Rußland von seinen Verbündeten trennen, es zerstückeln und berauben, schließlich die Revolution niederwerfen und das autokratische Regime unter preußischer Hegemonie wieder aufrichten wolle. Er wiederholte ferner Frankreichs Ansprüche auf Elsaß-Lothringen und schloß mit Clemenceaus Parole:

»Zuerst siegen!«

In Rom lehnte der Ministerpräsident Orlando in einer Rede vor dem Senat die Friedensgrundlagen, wie sie in Brest-Litowsk präzisiert worden waren, ab, da sie Frankreich Elsaß-Lothringen und Italien die unerlösten Provinzen vorenthielten. Es handle sich bei den Mittelmächten nicht um ein aufrichtiges Streben nach Frieden, sondern um eine hinterlistige Friedensoffensive, die den Geist der kriegführenden Völker zersetzen und vergiften wolle.

Nicht ganz einfach war die Lage für die britische Regierung. Der Ernst der Situation, von dem Lloyd George am 21. Dezember im Unterhause offen und freimütig gesprochen hatte, und die Notwendigkeit noch stärkerer Anstrengungen, gegen die in der Arbeiterschaft sich Widerstände geltend machten, verstärkten sichtlich die Geneigtheit großer Teile der Bevölkerung, einen billigen Frieden anzunehmen. Hochfahrende Worte, wie sie Lloyd George noch vor kurzem gegen Deutschland, das Land der »Verbrecher und Banditen«, gebraucht hatte, waren in dieser Lage nicht ganz angebracht. Der Reichskanzler hatte in einem Interview geantwortet, nach jenen Schmähungen des britischen Premiers sei klar, daß für uns ein Verhandeln mit Männern derartiger Gesinnung ausgeschlossen sei. Lloyd George mußte sich in Rücksicht auf Strömungen in seinem eigenen Lande hüten, den Bogen zu überspannen.

 

Lloyd George über die Kriegsziele

Als er am 5. Januar vor den Vertretern der Gewerkschaften erschien, um bei diesen Stimmung für die geplanten großen militärischen Neuforderungen zu machen, dämpfte er merklich den Ton. Seiner Rede gab er besonderen Nachdruck durch die Erklärung, daß sie das Ergebnis von Besprechungen mit Vertretern der Arbeiterpartei, ferner mit Asquith und Grey sowie mit Vertretern der großen Dominions sei, also nicht nur die Meinung der Regierung, sondern des ganzen Britischen Reiches wiedergebe. Er führte aus: Mit dem größten Widerstreben sei England in den Krieg eingetreten, nur um die Verträge aufrechtzuerhalten, auf denen die Ordnung Europas beruhe und die Deutschland zertreten habe. Es sei nicht Englands Absicht, Deutschlands Stellung in der Welt zu erschüttern und zu vernichten; nur Deutschlands Streben nach einer militärischen Vorherrschaft müsse gebrochen werden. Auch sei England nicht in den Krieg gegangen, um die monarchische Verfassung Deutschlands zu zerstören; es sei allerdings seine Meinung, daß die Annahme eines wahrhaft demokratischen Systems durch Deutschland der überzeugendste Beweis vom Verschwinden des alten Geistes militärischer Vorherrschaft wäre und es leichter machen würde, einen auf breiter demokratischer Grundlage beruhenden Frieden zu schließen. – Lloyd George blies also in diesem Punkte dieselbe Melodie wie Wilson. – Als Kriegsziele bezeichnete er: die vollkommene Wiederherstellung Belgiens und Schadenersatz für seine verwüsteten Städte und Provinzen; die Wiederherstellung Serbiens, Montenegros und der besetzten Teile Frankreichs, Italiens und Rumäniens. Er fügte hinzu, England werde die französische Demokratie bis in den Tod unterstützen bei ihrer Forderung auf eine »reconsideration« (Wiedererwägung oder Wiedergutmachung?) des großen Unrechtes von 1871. Er sprach sich ferner für ein unabhängiges Polen aus, das alle Gebiete umfasse, die sich ihm anzuschließen wünschten. Österreich-Ungarn solle nicht zerrissen werden, müsse aber seinen Nationalitäten Selbstregierung gewahren. Das Türkische Reich mit Konstantinopel als Hauptstadt könne bleiben, aber die Meerengen müßten neutralisiert werden, und Armenien, Arabien, Mesopotamien und Syrien müßten das Recht auf Anerkennung ihrer besonderen nationalen Verhältnisse erhalten. Über die deutschen Kolonien müsse eine Konferenz entscheiden, die in erster Linie die Wünsche und Interessen der Eingeborenen zu berücksichtigen habe. Schließlich müsse ein ernsthafter Versuch gemacht werden, eine friedliche Regelung internationaler Fragen an die Stelle des Krieges, dieses Restes alter Barbarei, zu setzen.

 

Wilsons 14 Programmpunkte

Auf diese Rede Lloyd Georges erfolgte am 8. Januar eine Botschaft des Präsidenten Wilson an den Kongreß, die in ihrem Gedankengang eine auffallende Übereinstimmung mit der drei Tage zuvor gehaltenen Rede Lloyd Georges zeigt. Diese Botschaft sollte späterhin dadurch eine besondere historische Bedeutung erlangen, daß die deutsche Regierung Anfang Oktober 1918 bei ihrem Ersuchen um Waffenstillstand und Frieden auf die in ihr entwickelten 14 Programmpunkte des Weltfriedens zurückgriff und daß die alliierten Regierungen diese 14 Punkte mit zwei Vorbehalten als Grundlage des abzuschließenden Friedens annahmen.

Wilson ging sehr geschickt aus von den inneren Unstimmigkeiten, die aus dem Verhalten der Vertreter der Zentralmächte bei den Brester Verhandlungen zutage traten. Er stellte die Frage: »Wem haben wir nun eigentlich zugehört? Denen, die den Geist und die Absicht der Resolution des Deutschen Reichstags vom 19. Juli 1917, den Geist und die Absicht der liberalen Führer Deutschlands verkündeten, oder denen, die diesem Geist und dieser Absicht Widerstand leisten, sie verachten und auf Eroberung und Unterwerfung bestehen? Oder hören wir am Ende beide unversöhnt und in offenem und hoffnungslosem Widerspruch?« Aber einerlei, wie diese Frage sich beantworte, es bestehe kein Grund, die Aufforderung der Mittelmächte nach Bekanntgabe der Kriegsziele nicht mit der äußersten Offenheit zu beantworten. Die Vereinigten Staaten seien in den Krieg eingetreten, weil Rechtsverletzungen vorgekommen seien, die an ihren Lebensnerv rührten. Sie verlangten in diesem Kriege nichts für sich selbst; sie verlangten nur, daß das Leben in der Welt würdig und sicher gemacht werde, und dieses Interesse sei allen Völkern gemeinsam. Das Programm der Vereinigten Staaten sei daher das Programm des Weltfriedens, und dieses einzig mögliche Programm enthalte die folgenden Punkte:

  1. Offene und öffentlich zustandegekommene Friedensverträge, nach deren Zustandekommen es keine geheimen internationalen Abmachungen irgendwelcher Art mehr geben solle; vielmehr solle die Diplomatie immer offen und vor aller Welt getrieben werden.
  2. Vollkommene Freiheit der Schiffahrt auf den Meeren außerhalb der territorialen Gewässer sowohl im Frieden wie im Krieg, soweit nicht etwa die Meere durch eine internationale Aktion zwecks Durchsetzung internationaler Verträge ganz oder teilweise geschlossen werden sollten.
  3. Die Beseitigung, soweit sie möglich ist, aller wirtschaftlichen Schranken und die Errichtung einer Gleichheit der Handelsbedingungen' unter allen Nationen, die sich dem Frieden anschließen und sich zu seiner Aufrechterhaltung zusammenfinden.
  4. Es sollen geeignete Garantien gegeben und genommen werden, daß die nationalen Rüstungen auf das niedrigste mit der inneren Sicherheit verträgliche Maß herabgesetzt werden.
  5. Eine freie, offenherzige und unbedingt unparteiische Regelung aller kolonialen Ansprüche, beruhend auf der strikten Beobachtung des Grundsatzes, daß bei der Entscheidung solcher Souveränitätsfragen die Interessen der betroffenen Bevölkerung ein ebensolches Gewicht haben sollen wie die berechtigten Ansprüche der Regierung, deren Rechtstitel bestimmt werden sollen.
  6. Räumung aller russischen Gebiete und eine Regelung aller Rußland betreffenden Fragen, die Rußland die beste und freieste Mitwirkung aller anderen Nationen der Welt zum Zweck der Erlangung einer unbehinderten und unbeeinträchtigten Möglichkeit der unabhängigen Bestimmung der eigenen politischen Geschicke und der nationalen Politik sichert und Rußland eine herzliche Aufnahme in die Gesellschaft der freien Nationen gewährleistet, desgleichen jede Hilfe, die Rußland nötig haben und wünschen sollte.
  7. Belgien muß geräumt und wiederhergestellt werden, und zwar ohne jeden Versuch der Beschränkung seiner Souveränität, deren es sich in gleicher Weise wie alle anderen freien Nationen erfreuen soll.
  8. Alles französische Gebiet müßte befreit werden, und das besetzte Gebiet und das im Jahre 1871 Frankreich in Sachen Elsaß-Lothringens von Preußen zugefügte Unrecht, das nahezu fünfzig Jahre lang den Weltfrieden in Frage gestellt hat, müßte in Ordnung gebracht werden, damit im Interesse aller noch einmal Friede gemacht werden kann Der englische Test lautet reichlich unklar:
    All french terrtory should be freed, and the invaded portions and the wrong done to France by Germany in 1871 in the matter of Alsac-Lorraine – which has unsettled the peace of the world nearly fifty years – should be righted in order that peace may onec more be made in the interest of all.
    .
  9. Eine Berichtigung der italienischen Grenzen sollte bewirkt werden nach den klar erkennbaren Linien der Nationalität.
  10. Den Völkern Österreich-Ungarns, dessen Platz wir unter den Nationen gewahrt und gesichert zu sehen wünschen, müßte die erste Gelegenheit einer autonomen Entwicklung gegeben werden.
  11. Rumänien, Serbien und Montenegro müßten geräumt, die besetzten Gebiete wiederhergestellt werden, Serbien müßte einen freien und sicheren Zugang zum Meere erhalten, und die gegenseitigen Beziehungen der Balkanstaaten müßten durch freundschaftliche Beratung gemäß den geschichtlich gewordenen Grundlinien von Zusammengehörigkeit und Nationalität bestimmt werden; außerdem müßten internationale Garantien für die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit und die territoriale Integrität der einzelnen Balkanstaaten geschaffen werden.
  12. Den türkischen Teilen des gegenwärtigen Ottomanischen Reiches müßte eine sichere Souveränität gewährleistet werden. Aber die anderen Nationalitäten, die jetzt unter türkischer Herrschaft stehen, müßten eine unzweifelhafte Sicherheit des Lebens und eine vollkommen unbeeinträchtigte Möglichkeit der autonomen Entwicklung erhalten; die Dardanellen müßten unter internationalen Garantien dauernd als freie Durchfahrt für die Schiffe und den Handel aller Nationen geöffnet werden.
  13. Ein unabhängiger polnischer Staat müßte errichtet werden, der die von einer unbestreitbar polnischen Bevölkerung bewohnten Gebiete einschließen, einen freien und gesicherten Zugang zum Meer erhalten und dessen politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit und territoriale Integrität durch internationalen Vertrag garantiert werden sollte. Englischer Text: An independent Polish State should be erected which should include territories inhabited by indisputably Polish population, which should be assured a free and secure access to sea, and whose political and economic independance and territorial integrity should be garanteed by international covenant.
  14. Es muß eine allgemeine Vereinigung der Nationen unter bestimmten Vertragsbedingungen gebildet werden zum Zweck gegenseitiger Garantie politischer und territorialer Unabhängigkeit auch für kleine Staaten.

 

Wilsons Programm

Wilson erklärte, daß die Vereinigten Staaten mit ihren Verbündeten bis zur Erfüllung dieser Forderungen kämpfen würden, lediglich aus dem Wunsche, das Recht zum Siege zu führen und einen gerechten und dauerhaften Frieden herbeizuführen. Er betonte erneut, daß den Vereinigten Staaten jede Eifersucht auf Deutschlands Größe fernliege und daß diese durch nichts in seinem Programm beeinträchtigt werde. »Wir neiden Deutschland keine Errungenschaft oder Auszeichnung in der Wissenschaft oder in friedlichen Unternehmungen. Wir wollen Deutschland nicht schädigen oder irgendwie seinen rechtmäßigen Einfluß oder seine Macht beschränken. Wir wünschen nicht, Deutschland zu bekämpfen, sei es mit den Waffen, sei es mit wirtschaftlichen Kriegsmaßnahmen, wenn es bereit ist, sich mit uns und anderen friedliebenden Nationen der Welt in Verträgen über Recht, Gerechtigkeit und anständigen Handel (fair trading) zu einigen. Wir wünschen nur, daß Deutschland einen Platz der Gleichberechtigung unter den Völkern der Welt einnimmt – der neuen Welt, in der wir leben – statt eines Herrscherplatzes. Ebensowenig vermessen wir uns, Deutschland irgendeine Änderung seiner Staatseinrichtungen vorzuschlagen; aber es ist notwendig – wir müssen das offen aussprechen – und notwendig als Voraussetzung für jedes vertrauensvolle Verhandeln von unserer Seite, daß wir wissen, für wen seine Wortführer sprechen, wenn sie mit uns reden, ob für die Reichstagsmehrheit oder für die Militärpartei und die Leute, deren Credo imperialistische Herrschaft ist.«

Ebenso wie die Rede Lloyd Georges vom 5. Januar unterschied sich diese Botschaft Wilsons im Ton vorteilhaft von früheren Kundgebungen. Dem Inhalt nach mußte jedoch das Wilsonsche Programm bei dem damaligen Stande des Krieges in wichtigen Punkten unannehmbar, ja undiskutierbar erscheinen. Deutschland, das jetzt gerade mit seinem unter gewaltigen Anstrengungen und Opfern zu Boden geworfenen russischen Nachbarn verhandelte, sollte seine Ostmarken, die durch mehr als ein Jahrhundert deutscher Kulturarbeit zur Blüte gebracht und mit dem Reiche zusammengewachsen waren, an den durch die deutschen Siege erst wieder möglich gewordenen und durch die Proklamation der beiden verbündeten Kaiser erst wieder ins Leben gerufenen polnischen Staat herausgeben? Deutschland, das einen großen Teil von Nordfrankreich besetzt hielt, das jetzt nach dem Ostfrieden ein Heer von nie gesehener Stärke auf dem westlichen Kriegsschauplatz vereinigte, sollte Elsaß-Lothringen, ein Land mit 87 % deutschsprechender Bevölkerung, an Frankreich ausliefern? Ein unbesiegtes Deutschland sollte seine Bundesgenossen treulos im Stich lassen, sich mit der Zertrümmerung der Türkei und der Einmischung der Westmächte in die inneren Verhältnisse der Donaumonarchie einverstanden erklären? Das alles angesichts der Tatsache, daß der Grundsatz des Selbstbestimmungsrechts der Nationalitäten in dem Wilson-Programm lediglich zum Nachteil Deutschlands und seiner Verbündeten angewendet wurde, nicht aber auf das britische Weltreich, für das seine Anwendung ebenso verhängnisvoll wirken mußte wie für Österreich-Ungarn und die Türkei, und angesichts Irlands jedenfalls verhängnisvoller als für das im großen ganzen national geschlossene Deutschland.

 

Wilsons Programm unannehmbar

Die Erkenntnis der gewaltigen Kluft, die auch bei gutem Willen zwischen den beiden Mächtegruppen lag, fehlte auch auf der anderen Seite nicht. Balfour sprach am 11. Januar in Edinburgh aus, die Kriegsziele der beiden Parteien seien offenbar nicht miteinander zu versöhnen. Deutschland führe seine Jugend zur Schlachtbank, nur um zu verhindern, daß das Unrecht von 1871 rückgängig gemacht, daß Belgien wieder in seinen früheren Zustand gebracht, daß das Werk der Einheit Italiens vollendet, daß die Missetat der Teilung Polens wieder gutgemacht werde; Deutschland wolle, daß Mesopotamien, Arabien und Jerusalem wieder unter die Gewalt der Türken kämen; die Wunden Serbiens, Montenegros und Rumäniens sollten nicht geheilt, und Griechenland solle denen ausgeliefert werden, die es verraten hätten. – Das war durch die britische Brille gesehen und für den Gebrauch der öffentlichen Meinung der Ententestaaten gefärbt. Aber wenn man von den tendenziösen Behauptungen über Belgien und die Balkanstaaten absieht – Fragen, über die wir zu verhandeln bereit waren und an denen von uns aus, wie Balfour wissen konnte, niemals der Friede gescheitert wäre –, was blieb dann als die Feststellung, daß Deutschland und seine Verbündeten einen Verteidigungskrieg für ihren Bestand führten, daß aber die Alliierten Elsaß-Lothringen und die Ostmark vom Deutschen Reich, die Gebiete der Irredenta und Galizien von Österreich, Mesopotamien, Arabien und Syrien von der Türkei losreißen wollten? Und dabei gestand Balfour nur einen Teil der wirklichen Kriegsziele der Alliierten ein. Von Englands Absicht der Zerstörung aller weltwirtschaftlichen Beziehungen und Stützpunkte Deutschlands – einer Absicht, die es seit dem ersten Tag des Krieges überall, wohin sein Arm reichte, hatte zur Tat werden lassen, – war mit keinem Wort die Rede. In diesem Konflikt zwischen den Verteidigungszielen des Vierbundes und den Eroberungs- und Vernichtungszielen der Alliierten lag immer und immer wieder das Friedenshindernis.

War dieser Konflikt unlösbar? Durfte auf den Versuch verzichtet werden, den Frieden vor neuen furchtbaren Kämpfen durch eine Fortsetzung der Friedensgespräche anzubahnen?

 

Schwierigkeiten bei den Alliierten

Die neuesten Kundgebungen Lloyd Georges, Balfours und Wilsons schienen wenigstens in ihrem Ton nicht alle Aussichten zu verschließen. Außerdem sprachen gewisse Anzeichen für eine weitere Zunahme der Schwierigkeiten der Alliierten, Schwierigkeiten, von denen man eine Förderung der friedensfreundlichen Tendenzen vielleicht erwarten konnte.

Vor allem steigerten sich infolge des U-Bootkriegs auch für die Entente erneut die Ernährungssorgen, die nach der Einbringung der neuen Ernte zunächst behoben schienen. Die amerikanische Regierung sah sich genötigt, unerwartet starken Anforderungen ihrer Verbündeten zu entsprechen. Reuter meldete am 12. Januar 1918 aus Washington, daß die Höchstmenge der normalen Weizenausfuhr der Union schon gegen Ende Dezember verladen gewesen sei, daß aber gleichwohl die Unionsregierung angesichts des bei den Alliierten herrschenden Mangels Vorbereitungen für die Lieferung von weiteren 90 Millionen Bushels (gleich 2 ½ Millionen Tonnen) treffe. Zu diesem Zweck seien weitere Einschränkungen des amerikanischen Verbrauches geplant. Reuter fügte hinzu: »Die Entscheidung, ob das Abkommen mit den Alliierten über den Transport amerikanischer Truppen nach Europa dadurch berührt wird, bleibt den Alliierten überlassen. Einzelne amerikanische Beamte sind der Ansicht, daß die Alliierten vorerst der Lieferung von Getreide den Vorzug geben werden.«

Daneben machte der Heeresersatz der britischen Regierung fortgesetzt große Schwierigkeiten. Sir Auckland Geddes teilte am 15. Januar dem Unterhause mit, daß die Mittelmächte durch das Ausscheiden Rußlands einen Kräftezuwachs von mindestens 1 ½ Millionen Mann erhalten hätten, von denen sie die Mehrzahl an die Westfront werfen könnten; demgegenüber müsse England sofort 400 – 500 000 Mann aus denjenigen Gruppen ausheben, die jetzt noch im bürgerlichen Leben ständen. Lloyd George sah sich genötigt, an die Gewerkschaften, deren Zustimmung und Mitwirkung für das Aufbringen des Heeresersatzes unerläßlich war, am 19. Januar einen neuen dringenden Appell zu richten. »Wir stehen vor der Alternative,« sagte er, »entweder den Kampf mit allen Kräften fortzusetzen, oder es zu machen wie das russische Heer und nach Hause zu gehen... Wenn wir nicht bereit sind, mit aller Macht Widerstand zu leisten, werden die Deutschen die Herrschaft über die Welt antreten, und die Demokratie Englands, Frankreichs, ja ganz Europas wäre der grausamsten Militärautokratie ausgeliefert. Resolutionen machen auf Hindenburg keinen Eindruck; das tun nur Kanonen.« Der Kampf gegen die preußische Militärkaste, so fuhr Lloyd George fort, sei derselbe, den er mit den Arbeitern in England gegen die Aristokratie und die Privilegierten geführt habe, und er hoffe, daß sie auch in Zukunft zusammen gegen alle Privilegien kämpfen würden. Er schloß mit den Worten: »Wenn jemand irgendeine gerechte und ehrenhafte Lösung zu finden weiß, um aus diesem Krieg ohne weiteren Kampf herauszukommen, so mag er dies um Gottes willen sagen. Meine Überzeugung ist, daß wir nur die eine Wahl haben: Weiterkämpfen oder unterliegen.«

Noch niemals hatte man bisher im Laufe des Krieges solche Worte von dem den Mund leicht etwas voll nehmenden Walliser gehört.

 

Rede Lloyd Georges vom 19. Januar 1918

Bemerkenswert wie diese Rede war auch die sich daran anschließende Debatte. So erklärte Lloyd George auf eine Anfrage, die elsaß-lothringische Frage müsse Frankreich entscheiden, aber England müsse auf der Seite Frankreichs stehen. Das war eine etwas mattherzige Unterstützung des französischen Kriegsziels. Auf eine weitere Anfrage erklärte er, sobald die Deutschen die geringste Geneigtheit zeigten, über einen Frieden auf billiger Grundlage zu verhandeln, werde auf englischer Seife nicht der geringste Widerspruch gegen die Anbahnung von Friedensverhandlungen vorhanden sein. Das klang wesentlich weicher als die harten Worte des Hohnes, mit denen die britische Regierung den deutschen Friedensvorschlag zurückgewiesen hatte.

Dazu kamen Anzeichen von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Alliierten. Während die Kundgebungen Wilsons und Lloyd Georges genau aufeinander abgestimmt waren, kamen aus Frankreich andersklingende Töne. Am 12. Januar hatte Herr Pichon in der französischen Kammer eine Interpellation über die Kriegsziele der Alliierten und über die Verweigerung der Pässe an die französischen Sozialisten, die in Petersburg mit der Sowjetregierung Fühlung nehmen wollten, zu beantworten. Während Herr Wilson Worte hoher Sympathie für Sowjetrußland und die von Trotzki proklamierten Friedensgrundsätze gesprochen hatte, erklärte Herr Pichon, die bolschewistische Regierung werde von den Alliierten nicht anerkannt; sie habe die Verträge mit ihren Verbündeten für nichtig erklärt und Friedensbedingungen aufgestellt, denen zuzustimmen sowohl Pflicht wie Interesse verboten. Weiter teilte er mit, er habe nach seiner – obenerwähnten – Rede vom 27. Dezember bei den Alliierten angefragt, ob es nicht angezeigt sei, eine zu vereinbarende gemeinschaftliche Erklärung über die Kriegsziele abzugeben. Die Antwort habe verneinend gelautet. Die Forderung auf Veröffentlichung der Antworten könne er nicht erfüllen. –

Die feindlichen Staatsmänner hatten gesprochen. Jetzt hatten die Leiter unserer politischen Geschicke das Wort.

An einem und demselben Tag, am 24. Januar, sprachen Graf Czernin in Wien vor dem österreichischen Delegationsausschuß, Graf Hertling in Berlin vor dem Hauptausschuß des Reichstags.

 

Reden Czernin und Hertlings

Graf Czernin sprach die Überzeugung aus, daß nicht nur die Brester Verhandlungen zu einem guten Ende kommen würden, sondern daß auch der allgemeine Friede im Reifen sei. In dieser Überzeugung sei er bestärkt worden durch Wilsons Friedensangebot, in dem er eine bedeutende Annäherung an den österreichisch-ungarischen Standpunkt erblicke. Allerdings werde die Donaumonarchie ihre Bündnispflichten getreu erfüllen und den vorkriegerischen Besitzstand ihrer Bundesgenossen verteidigen wie den eigenen; ferner lehne er Ratschläge, wie Österreich im Innern zu regieren sei, höflich, aber entschieden, ab. Er äußerte sich dann großenteils zustimmend zu den einzelnen Punkten des Wilsonschen Programms, Hinsichtlich der auf Italien und die Balkanstaaten bezüglichen Punkte bemerkte er, daß er sich weigere, als Assekuranz für feindliche Kriegsabenteuer zu figurieren und einseitig Konzessionen zu machen, die nur den Feinden ermöglichten, den Krieg ins Endlose fortzuschleppen. Italien habe vor seinem Eintritt in den Krieg Gelegenheit gehabt, ohne Schwertstreich einen großen territorialen Erwerb zu machen; es habe abgelehnt und Hunderttausende an Toten und Milliarden an Werten verloren, nur um das, was es umsonst haben konnte, auf immer zu verlieren, In bezug auf das polnische Problem nähere er sich den Auffassungen Wilsons, ebenso in anderen Punkten, so daß die Erwägung nahe liege, ob nicht ein »Gedankenaustausch zwischen Österreich-Ungarn und den Vereinigten Staaten den Ausgangspunkt für eine allgemeine versöhnliche Aussprache bilden könne«.

 

Hertling über das Wilson-Programm

Graf Hertling erkannte in seiner Rede an, daß sowohl Lloyd George als auch Wilson den Ton ihrer Ausführungen geändert hätten. Aber dem Optimismus, wie er sich daraufhin namentlich in manchen Stimmen des neutralen Auslandes zeige, könne er nicht ganz folgen. Nach allgemeinen Ausführungen über die Friedfertigkeit der deutschen Politik besprach er der Reihe nach die 14 Punkte des Wilson-Programms.

Mit den Punkten 1, 2, 3 und 4 – Ausschluß der Geheimdiplomatie, Freiheit der Meere, Wirtschaftsfreiheit, Rüstungsbeschränkung – erklärte er sich grundsätzlich einverstanden.

Zu Punkt 5, betreffend die kolonialen Fragen, bemerkte er, daß die praktische Durchführung des von Wilson aufgestellten Grundsatzes in der Welt der Wirklichkeit einigen Schwierigkeiten begegnen werde; zunächst könne es jedenfalls dem großen Kolonialreiche England überlassen bleiben, wie es sich mit dem Vorschlage seines Verbündeten abfinden wolle. Bei der unbedingt auch von Deutschland geforderten Neugestaltung des Weltkolonialbesitzes werde von diesem Programmpunkt seinerzeit die Rede sein.

Zu Punkt 6, der Räumung der besetzten russischen Gebiete, stellte er fest, daß die Ententestaaten es abgelehnt hätten, sich den Verhandlungen zwischen den Vierbundmächten und Rußland anzuschließen, und daß er deshalb eine nachträgliche Einmischung ablehnen müsse; er halte an der Hoffnung fest, daß es unter Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der westlichen Randvölker des ehemaligen russischen Kaiserreiches gelingen werde, zu einem guten Verhältnis sowohl mit den neuen Randstaaten als auch mit dem übrigen Rußland zu gelangen.

Zu Punkt 7, der belgischen Frage, sei von seinen Amtsvorgängern wiederholt erklärt worden, daß zu keiner Zeit während des Krieges die gewaltsame Angliederung Belgiens an Deutschland einen Programmpunkt der deutschen Politik gebildet habe. Die belgische Frage gehöre zu dem Komplex der Fragen, deren Einzelheiten durch die Friedens-

Verhandlungen zu ordnen sein würden. Solange unsere Gegner sich nicht rückhaltlos auf den Boden stellten, daß die Integrität des Gebietes der Verbündeten die einzig mögliche Grundlage von Friedensverhandlungen bilden könne, müsse er an dem bisher stets eingenommenen Standpunkt festhalten und eine Vorwegnahme der belgischen Angelegenheit aus der Gesamtdiskussion ablehnen.

Punkt 8. Die besetzten Teile Frankreichs seien ein wertvolles Tauschpfand in unserer Hand. Auch hier bilde die gewaltsame Angliederung keinen Teil der deutschen Politik. Die Bedingungen und Modalitäten der Räumung, die den vitalen Interessen Deutschlands Rechnung tragen müßten, seien zwischen Deutschland und Frankreich zu vereinbaren. Er könne nur nochmals ausdrücklich betonen, daß von einer Abtretung von Reichsgebiet nie und nimmer die Rede sein könne.

Die Punkte 9, 10 und 11 – italienische Grenzen, Nationalitätsfragen der Donaumonarchie, Balkanstaaten – berührten Fragen, bei denen zum größten Teil die politischen Interessen Österreich-Ungarns überwögen; er möchte deshalb die Beantwortung dieser Punkte in erster Linie dem auswärtigen Minister Österreich-Ungarns überlassen. Ebensowenig wolle er hinsichtlich der in Punkt 12 behandelten türkischen Angelegenheiten der Stellungnahme der türkischen Staatsmänner vorgreifen. Unsere Verbündeten könnten bei der Wahrnehmung ihrer berechtigten Ansprüche auf unsern nachdrücklichsten Beistand rechnen.

Zu Punkt 13, Polen, führte der Reichskanzler aus, nicht die Entente, sondern das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn hätten Polen von dem seine nationale Eigenart unterdrückenden zaristischen Regiment befreit; so möge man denn auch Deutschland, Österreich-Ungarn und Polen es überlassen, sich über die zukünftige Gestaltung dieses Landes zu einigen.

Zu Punkt 14, Völkerbund, erklärte er, daß er jedem Gedanken sympathisch gegenüberstehe, der für die Zukunft die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit von Kriegen ausschalte. Wenn der vom Präsidenten Wilson stammende Gedanke des Völkerbundes bei näherer Ausführung und Prüfung ergebe, daß er wirklich im Geiste vollkommener Vorurteilslosigkeit gefaßt sei, so sei die Kaiserliche Regierung gern bereit, wenn alle anderen schwebenden Fragen geregelt sein würden, einer Prüfung der Grundlagen eines solchen Völkerbundes näherzutreten.

Im Anschluß an diese Stellungnahme zu den Einzelpunkten des Wilson-Programms erkannte Graf Hertling an, daß Wilsons und Lloyd Georges Ausführungen Grundsätze für einen allgemeinen Weltfrieden enthielten, denen wir zustimmen und die Ausgangs- und Zielpunkte für Verhandlungen bilden könnten; aber in den konkreten Punkten sei der Friedenswille weniger bemerkbar. Unsere Gegner erklärten zwar, sie wollten Deutschland nicht vernichten, aber sie schielten begehrlich nach Teilen des Reichs und unserer Verbündeten; sie sprächen mit Achtung von Deutschlands Stellung, aber dazwischen dringe immer wieder die Auffassung durch, als seien wir die Schuldigen, die Buße tun und Besserung geloben müßten. »So spricht der Sieger zum Besiegten; so spricht derjenige, der alle unsere früheren Äußerungen von Friedensbereitschaft als bloße Zeichen der Schwäche deutet.« Von dieser Täuschung müßten sich die Führer der Entente frei machen. »Unsere militärische Lage war niemals so günstig, wie sie jetzt ist. Unsere genialen Heerführer sehen mit unverminderter Zuversicht in die Zukunft. Durch die ganze Armee, durch Offiziere und Mannschaften geht ungebrochene Kampfesfreude.« Wenn die Führer der feindlichen Mächte wirklich zum Frieden geneigt seien, so möchten sie ihr Programm nochmals revidieren. »Wenn sie mit neuen Vorschlägen kommen, dann werden wir sie auch ernstlich prüfen; denn unser Ziel ist kein anderes als die Wiederherstellung eines dauernden allgemeinen Friedens. Aber dieser dauernde allgemeine Friede ist so lange nicht möglich, als die Integrität des Deutschen Reiches, als die Sicherung unserer Lebensinteressen und die Würde unseres Vaterlandes nicht gewahrt bleibt.«

Die Ausführungen der beiden leitenden Staatsmänner des Zweibundes stellten also den Programmpunkten Wilsons nur dort ein glattes Nein entgegen, wo diese mit der Erhaltung der territorialen Integrität und der Souveränität unverträglich waren. In allen anderen Punkten stimmten sie ausdrücklich zu oder wiesen sie wenigstens eine Erörterung nicht von vornherein ab. Das gilt namentlich auch von Hertlings Erklärung zur belgischen Frage. Der Reichskanzler stellte fest, daß die gewaltsame Angliederung Belgiens an Deutschland niemals Ziel der deutschen Politik gewesen sei. Die positive Ordnung der belgischen Frage wollte er aber nicht aus dem Gesamtkomplex der Friedensfragen herausnehmen lassen, solange die Gegner die Integrität des Gebietes der Vierbundmächte nicht ihrerseits als Grundlage für die Friedensverhandlungen anerkannten.

Damit war wieder einmal für jeden, der hören wollte, hinreichend klargestellt, daß einer ernsthaften und konkreten Friedensdiskussion als einziges Hindernis die Eroberungs- und Zerstückelungswünsche unserer Feinde entgegenstanden. Es handelte sich darum, ob unsere Feinde sich würden entschließen können, auf diese gegen den Bestand und die Unabhängigkeit der Vierbundmächte gerichteten Wünsche zu verzichten, oder ob Deutschland und seine Verbündeten, die gerade jetzt die russische Flanke frei bekamen, nach dreieinhalb Jahren heldenhafter Gegenwehr in dem Augenblick der stärksten Erleichterung, die ihnen der Krieg bisher gebracht hatte, die Waffen niederlegen, alle errungenen Vorteile aufgeben und freiwillig Gebiete ausliefern würden, die unsere Feinde uns mit der Gewalt der Waffen nicht hatten entreißen können.

Letzteres war eine offensichtliche Unmöglichkeit.

 

Beschlüsse des Obersten Kriegsrates

Aber auch unsere Feinde konnten sich nicht entschließen, ihre Kriegsziele einzuschränken. Vom 30. Januar bis 2. Februar 1918 tagte in Versailles der Oberste Kriegsrat der Entente. Über das Ergebnis seiner Beratungen wurde eine amtliche Note veröffentlicht, in der es hieß:

Der Oberste Kriegsrat habe die jüngsten Erklärungen des deutschen Reichskanzlers und des österreichisch-ungarischen Ministers des Äußern sorgfältig geprüft; er habe in diesen Erklärungen keinerlei Annäherung an die von sämtlichen Regierungen der Alliierten formulierten maßvollen Bedingungen zu erkennen vermocht. Der Eindruck, den der Kontrast zwischen den angeblich idealen Zielen, zu deren Verwirklichung die Mittelmächte die Verhandlungen von Brest-Litowsk eröffnet haben, und ihrem nun offen zutage liegenden Streben nach Raub und Eroberung hervorrufe – wie soll man heute nach diesen Worten die Versailler Friedensbedingungen der Alliierten kennzeichnen? –> sei nur geeignet, diese Überzeugung zu befestigen. Unter diesen Umständen erachte es der Oberste Kriegsrat als seine unmittelbare Pflicht, die Fortdauer des Krieges mit äußerster Energie und durch die straffste und wirksamste Vereinheitlichung der militärischen Aktion der Alliierten sicherzustellen.

»Diese Kundgebung bedeutet die denkbar schroffste Abweisung jedes Friedensgedankens,« schrieb damals die demokratische »Frankfurter Zeitung«, und sie hatte recht. Die Intransigenten hatten in Versailles triumphiert.

 

Rede Wilsons vom 11. Februar 1918

Der Präsident Wilson antwortete auf die Reden des Grafen Czernin und des Grafen Hertling am 11. Februar in einer neuen Ansprache an den Kongreß. Da auch diese Ansprache als eine der von uns und den Feinden angenommenen Grundlagen des abzuschließenden Friedens von Bedeutung ist, sei das Wesentliche ihres Inhalts wiedergegeben.

Er machte zunächst eine Unterscheidung zwischen den beiden gegnerischen Staatsmännern. Graf Czernin bekam eine gute Zensur: Er habe in freundlichem Ton gesprochen, scheine die Grundlagen des Friedens mit klarem Blick zu erkennen und fühle offenbar, daß Österreich auf die von den Vereinigten Staaten aufgestellten Kriegsziele leichter als Deutschland eingehen könne; er würde wahrscheinlich noch weitergegangen sein, wenn er nicht auf Österreichs Bündnis und seine Abhängigkeit von Deutschland Rücksicht hätte nehmen müssen, Graf Hertling bekam eine schlechte Zensur: Seine Antwort sei sehr unbestimmt und sehr verwirrend; sie sei voll von zweideutigen Sätzen; es sei unklar, worauf sie hinaus wolle; aber sicher sei, daß sie in einem ganz anderen Ton als diejenige des Grafen Czernin gehalten sei, und offensichtlich verfolge sie auch einen entgegengesetzten Zweck. Die Rede bestätige den unglücklichen Eindruck der Brester Verhandlungen. Hertlings Erörterung und Annahme von Wilsons allgemeinen Grundsätzen führe ihn nirgends zu einer greifbaren Folgerung; er weigere sich, sie auf die wesentlichen Punkte anzuwenden, die den Inhalt einer jeden endgültigen Regelung bilden müßten. Er sei mißtrauisch gegenüber einer internationalen Aktion und einer internationalen Beratung, Die von dem Kanzler vorgeschlagenen Methoden seien diejenigen des Wiener Kongresses, Dahin gebe es keine Rückkehr. Der Kampf gehe um eine neue internationale Ordnung, aufgebaut auf den weiten und allumfassenden Grundsätzen von Recht und Gerechtigkeit, nicht um einen bloßen Flickfrieden. Der Weltfrieden hänge von der gerechten Schlichtung eines jeden der verschiedenen von ihm formulierten Probleme ab. Diese Probleme könnten nicht getrennt für sich und in verschiedenen Ecken behandelt werden; was den Frieden berühre, das berühre die Menschheit, Auf die Reichstagsresolution vom 19. Juli 1917 hinweisend, erklärte er: Es soll keine Annexionen geben, keine Kriegsentschädigungen, keinen strafweisen Schadenersatz. Kein Volk soll durch eine internationale Konferenz oder durch Abmachungen zwischen Rivalen und Gegnern von einer Staatshoheit an eine andere ausgeliefert werden. Nationale Ansprüche müssen beachtet werden, die Völker dürfen nur noch mit ihrer eigenen Zustimmung beherrscht und regiert werden. Das »Selbstbestimmungsrecht« ist nicht eine bloße Redensart, Es ist ein gebieterischer Grundsatz des Handelns, den die Staatsmänner künftig nur noch auf eigene Gefahr mißachten werden.

Auf die auffallende Anregung des Grafen Czernin, ob nicht ein Meinungsaustausch zwischen Österreich-Ungarn und der Union den Weg zu allgemeinen Friedens Verhandlungen bereiten könne, antwortete Präsident Wilson: Die Prüfung, ob es für die beiden Regierungen möglich sein werde, in dem Austausch der Meinungen irgendwie weiter zu gehen, sei einfach und klar. Die anzuwendenden Grundsätze seien folgende:

1. Jeder Teil der endgültigen Regelung müsse beruhen auf der wesentlichen Gerechtigkeit des besonderen Falles und auf einem solchen Ausgleich, von dem es am wahrscheinlichsten sei, daß er einen dauerhaften Frieden bringen werde.

2. Völker und Provinzen dürften nicht von einer Staatshoheit in die andere herumgeschoben werden, als wenn es sich um Figuren oder Steine in einem Spiel handle, auch wenn dieses Spiel das große, aber jetzt für immer diskreditierte Spiel des Gleichgewichts der Kräfte sei; vielmehr müßte

3. jede Gebietsfrage, die durch diesen Krieg aufgeworfen worden sei, im Interesse und zum Vorteil der betreffenden Bevölkerung gelöst werden und nicht als ein Teil eines bloßen Ausgleichs oder Kompromisses zwischen rivalisierenden Staaten.

4. Allen klar umschriebenen nationalen Ansprüchen müsse die weitestgehende Befriedigung gewährt werden, die ihnen gegeben werden könne, ohne Elemente der Zwietracht und Feindschaft zu verewigen oder neu einzuführen, die geeignet wären, den Frieden Europas und damit den Frieden der Welt bald wieder zu stören.

 

Wilsons' Grundsätze

Diese als fundamental zu betrachtenden Grundsätze seien, soweit er sehe, bereits überall als zwingend anerkannt außer von den Wortführern der deutschen Annexionisten und Militaristen. Der tragische Zustand sei, daß diese eine Partei in Deutschland gewillt und imstande sei, Millionen von Männern in den Tod zu senden, um zu verhindern, was alle Welt jetzt als gerecht anerkenne. Die Union sei in den Krieg nicht wegen eines geringen Anlasses eingetreten und könne auf dem eingeschlagenen Wege nicht umkehren. Die ganze Kraft der Vereinigten Staaten würde eingesetzt 'werden in diesem Krieg der Befreiung von der Drohung der Herrschaftsgelüste selbstsüchtiger Gruppen und autokratischer Herrscher.

Auch diese Kundgebung war ein merkwürdiges Gemisch von Doktrinarismus und Parteilichkeit, von Unkenntnis europäischer Verhältnisse und Verschlagenheit. Sie stellte allgemeine Grundsätze auf und verlangte deren Anwendung nur zu Lasten der Vierbundmächte. Sie ignorierte die historisch gewordenen Verhältnisse und die Gemengelage der Nationalitäten im deutschen Osten, in Österreich-Ungarn, auf dem Balkan und in der Türkei, die eine praktische Anwendung der Grundsätze unmöglich machten. Sie suchte die in höchstem Maße selbstsüchtigen Ziele der Ententemächte mit dem Mantel eines großen menschenfreundlichen Prinzips zu verhüllen. Sie bewies alles in allem den Mangel an gutem Willen und an Fähigkeit, den Auffassungen und Lebensnotwendigkeiten der Mittelmächte Verständnis zu zeigen und ihnen gerecht zu werden. Erneut zeigte sich, daß der »arbiter mundi« trotz seiner hohen Worte dem hohen Beruf nicht gewachsen war, zu dem ihn das Schicksal geführt hatte.

Was wollte es angesichts der Sachlage bedeuten, wenn vereinzelte Stimmen bei unseren Gegnern sich für einen Frieden im Wege der Verständigung erhoben, wenn nach Lansdowne z. B. der frühere britische Minister Runciman sich für einen unmittelbaren Gedankenaustausch zwischen Vertretern der kriegführenden Parteien als den einzigen Weg aussprach, der den Weg zum Frieden erschließen könne!

 

Erklärung Hertlings. Rede Balfours

An der Sachlage wurde auch nichts dadurch geändert, daß Graf Hertling am 25. Februar im Reichstag den vier von dem Präsidenten Wilson in seiner Kongreßansprache vom 11. Februar formulierten Sätzen ausdrücklich und grundsätzlich beistimmte und unter Bewegung des Hauses erklärte, daß ein allgemeiner Friede auf solchen Grundlagen erörtert werden könne. Er machte allerdings einen Vorbehalt, daß diese Grundsätze nicht nur von dem Präsidenten der Union vorgeschlagen, sondern von allen Staaten und Völkern tatsächlich anerkannt werden müßten.

Die Aussichtslosigkeit der Sache des Friedens wurde drei Tage nach dieser Erklärung durch eine Erörterung im britischen Unterhaus bestätigt. Auf eine Anfrage aus dem Hause, die von der grundsätzlichen Zustimmung des Grafen Czernin zu den vierzehn Punkten des Wilson-Programms ans ging, erklärte Balfour, die Rede des Grafen Czernin sei offenbar mißverstanden worden; man könne sich kein Polen denken ohne die ihm von Deutschland entrissenen Provinzen, aber deren Rückgabe werde sicherlich nicht in den Absichten des Grafen Czernin liegen. – Mit dieser Wendung erkannte Balfour an, daß für gewisse Punkte des Wilson-Programms eine Annahme seitens der Mittelmächte überhaupt nicht erwartet werden konnte. – Weiter führte Balfour aus, daß auch die letzte Rede des Grafen Hertling keine Grundlage für Verhandlungen biete. Wenn man Verhandlungen beginnen wolle, bevor man die Aussicht auf ihre erfolgreiche Durchführung habe, so wäre das das größte Verbrechen gegen den Weltfrieden.

Mit anderen Worten, die Entente-Staatsmänner waren sich klar darüber, daß ihre Kriegsziele nicht durch Verhandeln mit einem unbesiegten Gegner, sondern nur durch Diktieren nach errungenem Siege erreichbar seien; und deshalb waren sie entschlossen, in dem Vertrauen auf die allmählich wirksam werdende amerikanische Hilfe weiterzukämpfen.

Kein anderes Ergebnis als die öffentlichen Friedensgespräche der leitenden Staatsmänner hatten vertrauliche Sondierungen und Unterhaltungen.

Durch spätere Mitteilungen des Grafen Czernin – in einer Rede vom 2. April 1918 – ist bekannt geworden, daß die im August 1917 ergebnislos verlaufenen Besprechungen zwischen dem Major Grafen Armand und dem Grafen Revertera im Februar 1918 in der Schweiz wieder aufgenommen worden sind; Graf Czernin hat behauptet, auf Initiative des Herrn Clemenceau. Herr Clemenceau hat nicht die Tatsache dieser neuen Verhandlungen und deren vom Grafen Czernin dargestellten Verlauf, aber seine Initiative auf das heftigste bestritten und den Grafen Czernin einen Lügner genannt. Im weiteren Verlauf dieses Streites hat dann Herr Clemenceau den Brief des Kaisers Karl an den Prinzen Sixtus von Parma vom 31. März 1917 veröffentlicht und dadurch den kaiserlichen Herrn des Grafen Czernin und diesen selbst in eine so schwierige Lage gebracht, daß Graf Czernin sich genötigt sah, am 14. April 1918 seinen Abschied zu nehmen.

 

Neuer Verhandlungsversuch Czernins

Aber die Frage der Initiative ist hier gleichgültig. Wesentlich ist lediglich die nicht bestrittene Tatsache, daß Graf Czernin im Einvernehmen mit der deutschen Regierung die Anfrage des Grafen Armand, die er als im Aufträge Clemenceaus gestellt ansah, in den letzten Tagen des Februar 1918 zum Zweck der Mitteilung an Herrn Clemenceau dahin beantworten ließ, Graf Czernin sei zu einer Aussprache mit einem Vertreter Frankreichs bereit und halte ein Gespräch mit Aussicht auf Erfolg für möglich, sobald Frankreich nur auf seine Eroberungsabsicht betreffs Elsaß-Lothringens verzichte. Dem Grafen Revertera wurde hierauf namens des Herrn Clemenceau erwidert, dieser sei nicht in der Lage, die vorgeschlagene Verzichtleistung Frankreichs auf die »Desannexion« anzunehmen. Unter diesen Umständen erschien auf beiden Seiten jede weitere Verhandlung zwecklos.

So hatte sich abermals das Wort als ohnmächtig erwiesen, dem Kriege ein Ziel zu setzen, sowohl das öffentliche Wort der leitenden Staatsmänner, wie die vertrauliche Aussprache von Mittelspersonen. Nun lag die letzte Entscheidung beim Schwert. Auf beiden Seiten wurden alle Kräfte angespannt zu dem größten und schwersten Völkerringen, unter dessen Wucht jemals die Erde erzitterte.

Deutschlands Heerführer vermochten, wenn auch eine nicht unbeträchtliche Truppenmacht infolge der mangelhaft geklärten Verhältnisse im Osten gebunden blieb, auf dem westlichen Kriegsschauplatz ein Heer zu versammeln, wie es niemals in der Geschichte ein einziges Volk ins Feld gestellt hat. Lloyd George hat später – am 10. April 1918 – im Unterhaus erklärt, noch im Spätherbst sei das Verhältnis der deutschen Truppen zu denen der Alliierten auf dem westlichen Kriegsschauplatz wie 2:3 gewesen; diese zahlenmäßige Überlegenheit der Alliierten sei infolge der Heranziehung deutscher Truppen aus dem Osten nahezu ausgeglichen worden.

Seit der Marneschlacht hatten wir in Frankreich einem weit überlegenen Gegner in der Verteidigung standhalten müssen. Zum erstenmal stand jetzt wieder die Partie auf dem westlichen Kriegsschauplatz zahlenmäßig annähernd gleich auf gleich.

Auch in der Ausrüstung mit Kriegsgerät aller Art waren wir aus dem Zustand unbedingter Unterlegenheit herausgekommen; einmal dadurch daß das Hindenburg-Programm, nach den anfänglichen Übertreibungen, der Leistungsfähigkeit der deutschen Arbeit und der deutschen Hilfsquellen besser angepaßt worden war; ferner ohne Zweifel auch dadurch, daß der U-Bootkrieg die Ausstattung der feindlichen Heere mit Kriegsgerät empfindlich beeinträchtigte, Die Nahrungssorgen konkurrierten scharf mit dem Heeresbedarf an Munition. Die britischen Staatsmänner richteten dringende Hilferufe an Amerika, zur Ersparung von Frachtraum »Stahl statt Erz und Granaten statt Stahl« zu schicken.

 

Vergewaltigung Hollands

Wie weit damals, unmittelbar vor unserer großen Offensive, die Schiffsraumnot bei unseren Feinden gestiegen war, das zeigte sich in dem Verhalten der Entente und der Vereinigten Staaten gegen die Niederlande. In der ersten Märzhälfte verlangte die Entente von den Niederlanden, daß sie ihren Schiffsraum den Zwecken der Alliierten dienstbar machen sollten. Es wurde nicht nur die Auslieferung der sämtlichen in den Häfen Amerikas und der Ententeländer liegenden niederländischen Schiffe verlangt, sondern darüber hinaus noch die Auslieferung von 300 000 Bruttotonnen in Schiffen, die in den Niederlanden selbst aufgelegt worden waren. Um dieser unerhörten Forderung Nachdruck zu geben, drohten die Alliierten den Niederlanden mit der Requisition aller in ihren Häfen liegenden und auf hoher See befindlichen holländischen Schiffe sowie mit einer Sperrung der Zufuhr von Lebensmitteln für die niederländische Bevölkerung.

Die niederländische Regierung zeigte sich zunächst entschlossen, sich diesem Zwang nicht zu fügen. Die Knappheit von Brotgetreide und die dadurch bedingte Abhängigkeit von auswärtigen Zufuhren erschwerten ihr jedoch ihre Stellung im höchsten Maße. Sie wandte sich an die deutsche Regierung mit der Anfrage, ob Deutschland in der Lage und bereit sei, mit Getreide auszuhelfen. Die Zusage von 100 000 Tonnen Getreide hätte damals genügt, um Holland das Durchhalten gegenüber dem Druck der Alliierten zu ermöglichen. Zwar wären auch in diesem Fall die in den feindlichen Häfen liegenden und die auf hoher See schwimmenden holländischen Schiffe in der Gewalt der Alliierten gewesen; aber die 300 000 Bruttotonnen Schiffsraum, die in den Niederlanden selbst lagen, wären unseren Feinden vorenthalten worden. Die 100 000 Tonnen Getreide, die Holland als Rückendeckung von uns verlangte, hatten für unsere Bevölkerung, verteilt auf die nahezu fünf Monate bis zur neuen Ernte, etwa 10 g auf den Kopf und Tag ausgemacht. Gewiß angesichts der ohnehin schmalen Kopfrate eine empfindliche Einschränkung. Aber auf der anderen Seite stand die Möglichkeit, unseren Feinden in jener entscheidenden Zeit den Schiffsraum vorzuenthalten, dessen Wichtigkeit, ja Unentbehrlichkeit sie gerade durch ihr brutales Vorgehen gegen die Niederlande anerkannten. Ich habe mich damals an den Reichskanzler gewendet und ihm auf das dringendste geraten, die von den Niederlanden erbetene Zusage zu geben. Sie wurde jedoch nach Befragendes Kriegsernährungsamts abgelehnt, und nun blieb den Niederlanden nichts anderes übrig, als vor den Alliierten unter Protest zu kapitulieren. Am 18. März nahm die holländische Regierung das von den Alliierten gestellte Ultimatum an und gab den von diesen verlangten Schiffsraum für deren Zwecke frei. Zwar machte sie dabei den Vorbehalt, daß die Schiffe keine Truppen oder Kriegsmaterial transportieren dürften und nicht bewaffnet werden sollten; aber die englische und amerikanische Regierung gingen auch über diesen Vorbehalt zur Tagesordnung über.

So schloß der letzte Versuch, vor dem Anheben des großen Endkampfes vielleicht doch noch zu einem Frieden des Ausgleiches und der Verständigung zu kommen, mit der brutalen Vergewaltigung eines Staates, der in diesem Kriege keinen anderen Wunsch hatte, als seine Neutralität auf das peinlichste zu bewahren. Dieser Gewaltakt bekundete und bestätigte mit einer Deutlichkeit, die alle Reden übertönte, die unbeugsame, vor keinem Opfer und keiner Gewalttat zurückschreckende Entschlossenheit unserer Feinde, bis ans Ende zu gehen und alles an den Sieg ihrer Sache zu setzen. Nur die Verderber der öffentlichen Meinung in Deutschland wollten nicht sehen noch hören.


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