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Der österreichisch-ungarische Friedensschritt

Unser nächster und stärkster Bundesgenosse, Österreich-Ungarn, hatte in den schicksalsschweren Wochen des August und September an seiner einzigen Front, der venezianischen, keine Großkämpfe zu bestehen. Zwar griffen die Italiener immer wieder sowohl an der Gebirgsfront als am Piave an, ohne jedoch ihren Vorstößen einen besonderen Nachdruck zu geben. Die österreichisch-ungarische Armee stand seit ihrer verunglückten Piave-Offensive auf dem Ostufer des Flusses in guten Stellungen und konnte – ebenso wie dies seitens der Italiener geschah – einzelne Verbände für den westlichen Kriegsschauplatz abgeben. Dort haben sich österreichisch-ungarische Regimenter namentlich in den Kämpfen vom 12. September um den Stellungskeil bei St. Mihiel ausgezeichnet.

 

Die österreichisch-ungarische Friedensbote

Trotz seiner verhältnismäßig gesicherten und günstigen militärischen Lage nahm Österreich-Ungarn mit einem aufsehenerregenden Schritt für sich allein und ohne Verbindung mit seinen Bundesgenossen die Initiative zu einer neuen Friedensaktion.

Am 14. September richtete der österreichisch-ungarische Minister des Auswärtigen, Graf Burian, an die Regierungen der sämtlichen Kriegführenden, Freund wie Feind, eine gleichlautende Note, in der er vorschlug, »zu einer vertraulichen und unverbindlichen Aussprache über die Grundprinzipien des Friedensschlusses an einem Ort des neutralen Auslandes und zu einem nahen Zeitpunkt, über den man noch Vereinbarungen zu treffen hätte, Delegierte zu entsenden, die beauftragt wären, die Auffassungen ihrer Regierungen über ihre Prinzipien bekanntzugeben, analoge Mitteilungen entgegenzunehmen, sowie offene und freimütige Aufklärungen über alle jene Punkte, die der Präzisierung bedürfen, zu erbitten und zu erteilen«. Mit einer besonderen Note wurde dieser Friedensschritt auch zur Kenntnis des Papstes gebracht; ebenso wurden die Regierungen der neutralen Staaten verständigt.

Die Note wurde am gleichen Tage von der Wiener Regierung veröffentlicht, zugleich mit einem umfangreichen Promemoria, dessen Gedankengang war:

Alle Völker ersehnten das baldige Ende des blutigen Kampfes. Trotzdem sei es bisher nicht gelungen, die Kluft, die die Kriegführenden noch trenne, zu überwinden.

Der Friedensschritt der Mittelmächte vom Dezember 1916 habe nicht zu dem erhofften Erfolg geführt, habe aber wenigstens bewirkt, daß die Friedensfrage seither nicht mehr von der Tagesordnung verschwunden sei. Wenn auch die seither vor dem Tribunal der Öffentlichkeit geführte Diskussion die Gegensätzlichkeit bewiesen habe, die jetzt noch die Auffassung der kriegführenden Mächte von den Friedensbedingungen trenne, so habe sich doch eine Atmosphäre gebildet, welche die Erörterung des Friedensproblems nicht mehr ausschließe. Ohne übertriebenen Optimismus könne man aus den Äußerungen verantwortlicher Staatsmänner mindestens so viel konstatieren, daß der Wille, zu einer Verständigung zu gelangen und den Krieg nicht ausschließlich durch die Macht der Waffen zur Entscheidung zu bringen, auch bei den alliierten Staaten allmählich doch durchzudringen beginne.

Der Schritt des Grafen Burian wirkte als Sensation. Er wurde allgemein dahin gedeutet, daß Österreich-Ungarn nicht mehr in der Lage oder nicht mehr gewillt sei, weiterzukämpfen, und daß es sich, um zum Frieden zu kommen, entschlossen, habe, ohne Rücksicht auf seine Bundesgenossen selbständig den Weg zum Frieden zu gehen.

 

Die österreichisch-ungarische Friedensnote

Der Staatssekretär von Hintze war noch in der Woche zuvor zu Besprechungen mit dem Grafen Burian in Wien gewesen. Es war ihm weder gelungen, den Sonderschritt, den Graf Burian schon Mitte August in Spa angekündigt hatte, abermals zu verhindern, noch ihm eine für Deutschland erträglichere Form zu geben. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß der von uns bei dem Abschluß der Zusatzverträge mit Rußland gezeigte Mangel an Rücksicht auf unsere Österreichisch-ungarischen Bundesgenossen nicht ganz ohne Rückwirkung auf das Verhalten der Wiener Regierung uns gegenüber in dieser Frage geblieben ist. Am 6. September war der Austausch der Ratifikationen der Zusatzverträge über die Wiener Vorstellungen hinaus erfolgt; am 14. September ließ Graf Burian seine Note ergehen.

In Berlin hatten sich einige Tage vor der Veröffentlichung der Burianschen Note die Führer der Mehrheitsparteien erneut zu interfraktionellen Besprechungen zusammengefunden. Es wehte wieder einmal ausgesprochene Krisenluft. Außerhalb des Zentrums war die Empfindung, daß die Regierung des Grafen Hertling der schwierigen Lage des Reiches nicht gewachsen sei, wohl allgemein. Im Zentrum selbst hatte Graf Hertling nach wie vor einen starken Rückhalt; aber der Einfluß der Erzbergerschen Gegenarbeit war doch auch hier unverkennbar. In diese Krisenstimmung hinein fiel die Buriansche Note. Die Parteiführer wurden, noch ehe die Note in den deutschen Blättern zur Veröffentlichung freigegeben wurde, am Abend des 14. September nach dem Auswärtigen Amt eingeladen, wo der Staatssekretär von Hintze ihnen vom Text der Note Kenntnis gab und sie zu beruhigen versuchte. Die Beruhigung gelang nur mangelhaft. Die Tatsache, daß es in der schweren Lage, in die wir durch die militärischen Rückschläge versetzt waren, zu einem die Festigkeit unseres Bündnissystems diskreditierenden Sonderschritt hatte kommen können, gab dem wankenden Vertrauen in die Reichsleitung einen neuen Stoß.

Zunächst begnügte man sich mit dem Beschluß der alsbaldigen Einberufung des Hauptausschusses des Reichstags.

Noch ehe der Hauptausschuß zusammentrat, gab die Reichsregierung eine offizielle Antwort auf die Wiener Friedensnote; sie ging dahin, daß die Aufnahme früherer Friedensschritte bei unseren Gegnern nicht ermutigend sei, daß aber die Kaiserliche Regierung den neuen Versuch mit dem aufrichtigen Wunsch begleite, daß er dieses Mal den erhofften Erfolg finden möchte; Deutschland sei bereit, an dem vorgeschlagenen Gedankenaustausch teilzunehmen.

 

Mißerfolg der Friedensnote

Sehr eilig mit seiner Stellungnahme hatte es der Präsident Wilson. Schon am 17. September ließ er durch den Staatssekretär Lansing die Antwort an die Wiener Regierung veröffentlichen. Sie lautete: Er habe wiederholt die Bedingungen bekanntgegeben, auf Grund deren die Vereinigten Staaten einen Frieden in Erwägung ziehen wollten. Die Unions-Regierung könne und wolle keinen Vorschlag zur Abhaltung einer Konferenz annehmen in einer Angelegenheit, in der sie ihre Haltung und ihre Absichten deutlich zu erkennen gegeben habe.

Auch Herr Clemenceau säumte nicht. Er hielt am 18. September im Senat eine Rede, in der er erklärte, es gebe keine Straffreiheit für die von den Mittelmächten begangenen Verbrechen; eine schreckliche Rechnung sei aufgelaufen und müsse bezahlt werden. Dem schweizerischen Gesandten in Paris stellte Herr Pichon eine Nummer des »Journal Officiel«, das diese Rede enthielt, mit dem Bemerken zu, das sei die Antwort der Republik auf die Note des Wiener Kabinetts.

In London hatte Herr Balfour schon am 17. September in öffentlicher Rede erklärt, die Buriansche Note sei nichts als ein Versuch, die Alliierten zu spalten und zu schwächen, sie bringe den Frieden um keinen Schritt näher.

Der gänzliche Mißerfolg des von dem Wiener Kabinett unternommenen Sonderschrittes stand also bereits fest, als sich der Hauptausschuß des Reichstags am 24. September versammelte.


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